Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  M 13 K 17.38929

Datum:
10.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 163116
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a Abs. 1, § 83b
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4 S.7,§ 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

 I.    Die Klage wird abgewiesen. 
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2017 entschieden werden, obwohl für die Beklagte niemand erschienen ist. Die Beklagte wurde mit Schreiben vom 5. September 2017 rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Sitzung geladen und hat mit allgemeiner Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 auf förmliche Zustellung der Ladung verzichtet. Die Beteiligten wurden mit der Ladung auf die Möglichkeit hingewiesen, dass gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
1. Nach § 3 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) i.d.F. d. Bek. vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), neu gefasst durch das Gesetz zur Umsetzung der RL 2011/95/EU vom 28. August 2008 (BGBl I S. 3474), ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich außerhalb seines Herkunftslandes aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe befindet. Diesem Flüchtling wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG), soweit nicht bestimmte, in § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG geregelte Exklusionsklauseln den Flüchtlingsschutz ausschließen.
Als Verfolgungshandlung, die den Flüchtlingsschutz im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auslösen, gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG entweder Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder solche Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in vorstehend beschriebener Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG).
Neben der staatlichen Verfolgung (§ 3c Nr. 1 AsylG) kann die Verfolgungshandlung auch von Parteien oder Organisationen ausgehen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den vorgenannten Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG).
Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob der Flüchtling tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
2. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
a) Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Sinne des § 3 AsylG vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist, sind nicht ersichtlich. Es fehlt bereits an der Darstellung konkreter, den Kläger individuell betreffender Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.
b) Der Kläger ist bei seiner Rückkehr in seine Heimat auch nicht aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG bedroht.
(1) Allein der Umstand der (illegalen) Ausreise aus Syrien mit Asylantragstellung und längerfristigem Aufenthalt in Deutschland vermag für sich genommen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der politischen Verfolgung nicht zu begründen.
Syrischen Staatsangehörigen droht bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus nicht schon allein deswegen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, weil sie Syrien verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längerfristig in Deutschland aufgehalten haben (so auch BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 ZB 16.30338, 21 ZB 16.30364 – juris; OVG NW, B.v. 6.10.2016 – 14 A 1852/16.A – juris; OVG SH, U.v. 23.11.2016 – 3 LB-17/16 – juris; OVG RhPf, U.v. 16.12.2016 – 1 A 10922/16 – juris; anders OVG LSA, U.v. 18.7.2012 – 3 L 147/12 – juris).
Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010 führt zur Behandlung von Rückkehrern aus, dass zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt befragt würden. Eine vorherige Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien für sich allein aber kein Grund für eine Verhaftung oder Repressalien. Auch nach der Auskunft der Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016 liegen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer nach Syrien ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe oder Sanktionen zu erleiden hätten.
(2) Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht ersichtlich.
Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien damit rechnen muss, vom syrischen Staat in Anknüpfung an eine ihm wegen der Ausreise aus Syrien ohne vorherige Ableistung des Wehrdienstes unterstellte politische Gesinnung verfolgt zu werden (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 B 16.30371 – juris).
Nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe müssen sich syrische Männer im Alter von 18 Jahren für den Militärdienst registrieren und sind bis zum Alter von 42 Jahren wehrpflichtig. Die syrische Regierung hat im März 2012 allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren verboten, das Land ohne Bewilligung zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.7.2014).
Zwar kommt es nach den vorliegenden Erkenntnissen vereinzelt auch zu Rekrutierungen von Kindern unter 18 Jahren. So würden regierungstreue Milizen Kinder unter 18 Jahren als Informanten benutzen, auch werde über Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen sowohl in die syrische Armee wie auch in paramilitärischen Selbstverteidigungseinheiten berichtet (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.7.2014; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.3.2017). Laut Danish Immigration Service werden die Regeln über die Einberufung zum Wehrdienst noch immer beachtet, jedoch besteht für junge Männer zwischen 16 und 18 Jahren die Möglichkeit, der Armee auf freiwilliger Basis beizutreten (Danish Refugee Council, Syria – Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, September 2015).
Der Kläger war im Zeitpunkt seiner Ausreise aus Syrien 14 Jahre alt und unterlag damit noch nicht der allgemeinen Militärpflicht. Auch war er noch nicht von der allgemeinen Ausreisebeschränkung für Männer zwischen 18 und 42 Jahren betroffen. Es ist daher nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger, der im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung 16 Jahre alt ist, bei einer Rückkehr nach Syrien damit rechnen muss, vom syrischen Staat in Anknüpfung an eine ihm wegen der Ausreise aus Syrien ohne vorherige Ableistung des Wehrdienstes unterstellte politische Gesinnung verfolgt zu werden. Auch besteht kein Anlass zu der Annahme, dass die syrischen Behörden den Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien trotz seines Alters entsprechend einem Militärdienstverweigerer behandeln und ihm eine oppositionelle Gesinnung unterstellen. Soweit die Klagepartei das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 21. März 2017 (VG München, U.v. 21.3.2017 – M 13 K 17.31343) erwähnt, sei darauf hingewiesen, dass der Kläger zu 1. in diesem Verfahren zwischen 18 und 42 Jahre alt war. Auch der Kläger im Urteil des VGH Baden-Württemberg (VGH BW, U.v. 2.5.2017 – A 11 S 562/17 – juris) fällt in diese Altersgruppe. Der Sachverhalt im von der Klagepartei vorgelegten Urteil (VG Halle, U.v. 14.7.2017 – 3 A 231/16 HAL) ist mit der vorliegenden Fallkonstellation nicht vergleichbar.
3. Indem der Kläger und der Beistand des Klägers, der nach Angaben der Klagepartei der Bruder des Klägers ist, erstmals in der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2017 erfolgten informatorischen Befragung angegeben haben, dass der Beistand des Klägers als Demonstrant von der Militärpolizei verhaftet und gefoltert worden sei, sowie ein weiterer Bruder desertiert sei, hat der Kläger sein Vorbringen gegenüber seinem Vortrag vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erheblich verändert und deutlich gesteigert. Nachdem die Anhörung des Klägers zeitlich nach der Ausreise der beiden benannten Brüder aus Syrien erfolgte, hätte der Kläger die Tatsachen bereits in seiner Anhörung vor dem Bundesamt schildern können. Dies umso mehr, als der Bruder, bei dem nunmehr angegeben wird, dass er desertiert sei, bei der Befragung vor dem Bundesamt mit anwesend gewesen ist. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger die Bedrohung aufgrund der Erlebnisse der Brüder erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung und nicht schon bei der Anhörung vor dem Bundesamt oder im Rahmen der Klagebegründung vorgebracht hat, obwohl diese Bedrohung aus seiner Sicht für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft maßgeblich ist, erscheint dieses Vorbringen aus Sicht des erkennenden Gerichts nicht glaubhaft.
4. Eine Berufung wird durch das Verwaltungsgericht nicht zugelassen. Zulassungsgründe sind durch das erkennende Gericht nicht ersichtlich.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff ZPO.


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