Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – Afghanistan

Aktenzeichen  Au 5 K 17.32781

Datum:
16.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 52851
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs.  7 S. 1
AsylG § 3, § 4 Abs. 1 Nrn. 1 u 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage des Klägers entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 16. Juli 2018 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet.
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Es ist dem Kläger weder der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, noch liegen in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2017 ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt.
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im Fall des Klägers nicht vor.
a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3 c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3 c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3 c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3 e Abs. 1 AsylG).
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
b) Gemessen an diesen Maßstäben konnte der Kläger nicht glaubhaft machen, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgungshandlungen im Sinne der §§ 3 und 3 a AsylG drohen. Der Kläger konnte das Gericht mit seinem Vortrag nicht zu der Überzeugung bringen, dass er in Afghanistan einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung unterliegt. Der Kläger hat vorgetragen, zunächst von den Taliban aufgefordert worden zu sein, sich ihnen anzuschließen. Als er dies verweigert habe, hätten die Taliban die Befürchtung gehabt, dass er sich für seinen getöteten Bruder rächen würde und ihn daraufhin mit dem Tode bedroht. Obwohl der Kläger beim Bundesamt entsprechende Drohbriefe und weitere Dokumente vorgelegt hat, hat das Gericht erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der vorgetragenen Bedrohung durch die Taliban. Der Vortrag des Klägers erscheint dem Gericht pauschal und wenig lebensnah. Jedenfalls ist dem Vortrag des Klägers keine rechtlich relevante Verfolgungsintensität zu entnehmen. Der Kläger habe nach dem Tode des Bruders zwei Drohbriefe erhalten. Der zweite Drohbrief sei am 8.12.1392 (27. Februar 2014) gekommen. Die Frage des Gerichts, wie viel Zeit nach Erhalt dieses zweiten Briefes bis zur Ausreise vergangen sei, konnte oder wollte der Kläger nicht beantworten. Aufgrund der übrigen Zeitangaben, die sich dem klägerischen Vortrag entnehmen lassen, muss es sich bei dem Zeitpunkt der Ausreise jedoch um den Juli 2014 gehandelt haben. Es ist somit ein halbes Jahr bis zur Ausreise des Klägers vergangen. In diesem Zeitraum sind zum einen keine weiteren Drohungen erfolgt, zum anderen kam es auch zu keinen sonstigen, gegen den Kläger gerichteten Verfolgungshandlungen. Es ist daher nicht anzunehmen, dass der Kläger sein Heimatland aufgrund von konkreten, individuellen Verfolgungshandlungen verlassen hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er sich aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz zur Ausreise entschlossen hat. Das Gericht ist daher der Überzeugung, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland nicht von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungshandlungen bedroht sein wird.
c) Selbst bei Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung ist der Kläger auf eine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 3 e AsylG zu verweisen. Demzufolge wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn ihm in einem Teil seines Herkunftslandes keine Verfolgung droht und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Die Beurteilung des Vorliegens einer solchen Fluchtalternative erfordert stets eine Einzelfallprüfung (BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 13A ZB 13.30185 – juris Rn. 5). Es ist jeweils die konkrete Situation des Klägers und der Grad seiner Vorverfolgung in Blick zu nehmen.
Es ist davon auszugehen, dass der Kläger Fluchtmöglichkeiten innerhalb Afghanistans besitzt. Nach Auffassung des Gerichts ist anzunehmen, dass der Kläger in einem anderen Landesteil Afghanistans beispielsweise in den Städten Herat oder Kabul Schutz suchen kann. Die allgemeine Gefährdungslage erreicht in Kabul keine solche Intensität, dass Stadt und Provinz Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative nicht mehr geeignet wären (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13A ZB 17.31374 – juris Rn. 6 ff.).
Eine landesweite gezielte Verfolgung ist nicht plausibel, weil sich der Kläger in keiner Weise so exponiert hat, dass die Taliban ihn gezielt bei einer Rückkehr suchen und töten sollten. Ein Untertauchen in der Millionenstadt Kabul ohne Meldewesen ist dem Kläger ohne Weiteres möglich. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der Kläger seit nunmehr vier Jahren nicht mehr in Afghanistan aufgehalten hat.
Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Hauptstadt Kabul für den Kläger nicht als Fluchtalternative in Betracht käme, ist der Kläger darauf zu verweisen, in Herat Schutz zu suchen. Nach Auffassung des Gerichts ist Herat als innerstaatliche Fluchtalternative ebenfalls zumutbar. Eine Verdichtung allgemeiner Gefahren ist in der Provinz Herat nicht anzunehmen. Ausgehend von einer Bevölkerungszahl von über 1.890.000 Menschen in der Provinz Herat und einer Opferzahl von 495 Personen im Jahr 2017 (UNAMA, Annual Report 2017 vom 15.2.2018, S. 67) sind weder die Anforderungen der Rechtsprechung an einen bewaffneten innerstaatlichen Konflikt erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13A ZB 17.31374 – juris Rn. 7), noch ist ein im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris) entsprechend hohes Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, gegeben. Des Weiteren ist Herat auch auf sicherem Wege erreichbar, da sowohl internationale Flüge nach Herat als auch mehrfach täglich nationale Flüge von Kabul nach Herat gebucht werden können (EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Key socioeconomic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazare Sharif, and Herat City vom August 2017, S. 127 f.).
Es ist davon auszugehen, dass der Kläger durchaus in der Lage ist, in einem an deren Teil von Afghanistan Schutz zu suchen. Es ist dem Kläger auch zumutbar, sich dort niederzulassen, da nach Auffassung des Gerichts davon auszugehen ist, dass der Kläger auch ohne nennenswertes Vermögen oder familiäre bzw. sonstige Kontakte seinen Lebensunterhalt dort sicherstellen kann. Als junger und alleinstehender Mann ist er in der Lage, zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen. Auch wenn für die Sicherung des Lebensunterhalts mehr zu fordern ist als ein kümmerliches Einkommen zur Finanzierung eines Lebens am Rande des Existenzminimums (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20), ist vernünftigerweise zu erwarten, dass der Kläger sich in Kabul oder Herat aufhält und seinen Lebensunterhalt dort sicherstellt. Der Kläger hat die Schule in seinem Heimatland bis zur zehnten Klasse besucht, unterliegt keinen gesundheitlichen Einschränkungen und ist erwerbsfähig. Das Gericht ist daher der Überzeugung, dass der Kläger bei einer Rückkehr in der Lage ist, auch in einem anderen Landesteil
Afghanistans einer erwerbssichernden Tätigkeit nachzugehen. 2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sin ne des § 4 Abs. 1 AsylG. Der Kläger hat nicht glaubhaft machen können, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
a) Es ist nicht zu erwarten, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG) drohen könnten. Der Kläger hat keine dahingehenden Tatsachen glaubhaft gemacht. Auf die obigen Ausführungen zum Flüchtlingsschutz wird verwiesen.
Im Übrigen ist der Kläger auch hier auf eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3 e AsylG zu verweisen.
b) Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dortigen Situation keine erheblichen individuellen Gefahren aufgrund willkürlicher Gewalt landesweit drohen. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen zur Sicherheitslage in Afghanistan (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan – Lagebericht vom 31.5.2018 S. 5, mit Verweis auf UNAMA-Daten, S. 18 f; Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 vom 28.7.2017 S. 8 ff.) erreicht der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt in Afghanistan und insbesondere in der Hauptstadt Kabul kein solches Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (s. hierzu auch BayVGH, B.v. 8.11.2017 – 13A ZB 17.30615 – juris; B.v. 10.4.2017 – 13A ZB 17.30266 – juris; B.v. 6.3.2017 – 13A ZB 17.30099 – juris; B.v. 17.8.2016 – 13A ZB 16.30090 – juris). Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos (BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454). Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und 10.453 zivilen Opfern in Afghanistan (vgl. UNAMA, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2017 vom 15.2.2018, S. 1 f.) liegt die Gefahrendichte im Jahr 2017 landesweit erheblich unter 0,12 Prozent oder 1:800. Selbst dieses Risiko wäre weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13A ZB 17.31374 – juris Rn. 7; B.v. 8.11.2017 – 13A ZB 17.30615 – juris Rn. 6; VG Augsburg, U.v. 27.6.2017 – Au 6 K 17.32009 – juris Rn. 17 m.w.N.). Dies gilt auch für die Provinz Kabul mit einer von UNAMA mitgeteilten Opferzahl im Jahr 2017 von 1.831 zivile Opfern bei einer Einwohnerzahl von geschätzt 4,5 Mio. Menschen (UNAMA a.a.O. S. 4, 67).
Aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes und weiteren Quellen ergibt sich nicht, dass sich die Sicherheitslage in Kabul trotz gezielter Angriffe auf ausländische und afghanische Einrichtungen (dazu BT-Drs. 19/1120, S. 6 a.E.; UNHCR, International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 12.3.2018, S. 4) im Vergleich zur Einschätzung in den vorangegangenen Lageberichten derart wesentlich verschlechtert hätte (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018, S. 5, mit Verweis auf UNAMA-Daten, S. 18 f.). Die Hauptgefährdung der afghanischen Zivilbevölkerung geht demnach landesweit von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus, die sich der Kontrolle der Zentralregierung entziehen und häufig ihre Macht missbrauchen. Neben medienwirksamen Anschlägen auf militärische wie zivile internationale Akteure wurden vermehrt Anschläge auf afghanische Sicherheitskräfte verübt mit gestiegenen Opferzahlen insbesondere unter Armeeangehörigen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018, S. 17). Die im Vergleich zum Jahr 2016 etwas gesunkene (Rückgang um 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr) Gesamtzahl ziviler Opfer von 3.438 toten und 7.015 verletzten Zivilisten landesweit im Jahr 2017 resultiert vor allem aus weniger Opfer fordernden Kampfhandlungen, während Selbstmordattentate und komplexen Anschläge etwa 22 Prozent der zivilen Opfer verursachten und um 17 Prozent auf 2.295 Opfer stiegen (UNAMA, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2017, S. 1 f. mit Fn. 6, www.unama.unmissions.org; ebenso UNHCR, International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 12.3.2018, S. 5). In der Provinz Kabul seien 88 Prozent der 1.831 zivilen Opfer auf solche Attentate regierungsfeindlicher Kräfte zurückzuführen (vgl. UNAMA a.a.O. S. 4). Auffallend sei die Zunahme von Anschlägen auf religiöse Ziele insbesondere der Schiiten durch Terroristen des IS (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018, S. 20; UNHCR, International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 12.3.2018, S. 7; sowie EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, Update Mai 2018, S. 30), während UNAMA die Anstrengungen der Regierungskräfte würdigt, zivile Opfer bei Kampfhandlungen zu vermeiden (vgl. UNAMA a.a.O. S. 3). Erstrangiges Ziel der Aufständischen seien ausländische Streitkräfte, Regierungsvertreter und die als Verbündete angesehenen afghanischen Sicherheitskräfte und Regierungsmitglieder sowie Regierungsbedienstete (Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung vom 28.7.2017, S. 6 ff., 28). Für sie fluktuiere die Bedrohungslage regional (Auswärtiges Amt a.a.O. S. 7), sowie der Unterstützung für diese verdächtige Zivilisten (vgl. UNAMA a.a.O. S. 3; auch Amnesty International – AI, Auskunft an das VG Wiesbaden vom 5.2.2018, S. 19, 26; AI, Auskunft vom 8.1.2018 an das VG Leipzig, S. 3 f.). Diese Entwicklung wird auch durch die Daten aus dem ersten Halbjahr 2018 belegt, wonach im Vergleich zum Vorjahresvergleichszeitraum die Gesamtzahl der zivilen Opfer geringfügig von 5.272 auf 5.122 Personen gesunken, dabei aber die Zahl getöteter Zivilisten um 1 Prozent gestiegen und die Zahl verletzter Zivilisten um 5 Prozent gesunken ist (vgl. UNAMA, Midyear Update on the Protection of Civilians in Armed Conflict vom 15.7.2018, S. 1, www.unama.org). Knapp die Hälfte aller zivilen Opfer landesweit waren auf Sprengstoffanschläge zurückzuführen, in der Provinz Nangarhar sogar zwei Drittel und in der Provinz Kabul gar 95 Prozent (vgl. UNAMA a.a.O. S. 1 f.), wobei der IS sich etwa der Hälfte der Anschläge berühmte und insbesondere im zwischen afghanischem Staat und Taliban vereinbarten Feiertags-Waffenstillstand die Feuerruhe brach (vgl. UNAMA a.a.O. S. 2, 6). Für afghanische Zivilisten gehe eine Bedrohung für Leib und Leben in ländlichen Gebieten insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen und in städtischen Gebieten vor allem von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen sowie gezielten Tötungen und Entführungen aus (vgl. UNAMA a.a.O. S. 1, 4; sowie EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, Update Mai 2018, S. 25 f., unter Verweis auf UNAMA-Daten). Systematisch staatlich organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung findet nicht statt. Im Gegenteil tragen die Bemühungen um Schonung von Zivilisten bei Einsätzen afghanischer Sicherheitskräfte Früchte in einem Rückgang derart verursachter Opfer um 21 Prozent (vgl. UNAMA a.a.O. S. 5).
Soweit der Kläger auf Berichte anderer Erkenntnisquellen hinsichtlich der Verschlechterung der Sicherheitslage verweist, haben diese keinen Bezug zu den oben genannten Maßstäben. Die Ausführungen des Klägers berücksichtigen nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, wann eine für die Gewährung subsidiären Schutzes notwendige, erhebliche individuelle Gefährdung anzunehmen ist. Dass die Opferzahlen – bei anderer Zählweise – höher liegen können, wie eingewandt wird, ändert diese Bewertung nicht, denn die von UNAMA mitgeteilten Daten sind methodisch nachvollziehbar ermittelt und auch deswegen belastbar (dies räumt auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht, U.v. 13.10.2017 – D-5800/2016 – www.bvger.ch, Urteilsabdruck S. 18 f. ein), da sie von einer von der internationalen Staatengemeinschaft getragenen Organisation stammen. UNAMA wurde auf Grund der Resolution Nr. 1401 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen eingerichtet auf Bitten der afghanischen Regierung. Das Mandat wurde bis heute verlängert, zuletzt am 17. März 2017 mit Resolution Nr. 2344. UNAMA ist landesweit vertreten und unterhält Verbindungsbüros in Pakistan und im Iran. Die Mission hat mehr als 1.500 Beschäftigte, darunter etwa 1.150 afghanische Beschäftigte. Dass die Methodik der UNAMA überholt wäre, die Informationen an offen erkennbaren inhaltlichen Defiziten litten, insbesondere an entscheidungserheblichen unzutreffenden Tatsachenannahmen, unlösbaren Widersprüchen, sich aus den Stellungnahmen ergebenden Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit oder eines speziellen, hier nicht vorhandenen Fachwissens bedürften (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2015 – 7 C 15.13 – NVwZ 2016, 308 Rn. 47 m.w.N.), ist weder ersichtlich noch substantiiert gerügt. Im Gegenteil liegen für Afghanistan mangels Einwohnermeldewesens auch für die Bevölkerungszahlen nur Schätzungen vor, so dass jede Datenerhebung schon deswegen an tatsächliche Grenzen stößt. Dass und weshalb andere Auskunftsquellen methodisch belastbarere Primärdaten hätten, ist nicht ersichtlich, so dass die Daten von UNAMA weiterhin zu Grunde gelegt werden.
Individuelle, gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in der Person des Klägers führen, hat dieser nicht vorgetragen.
3. Es liegen in der Person des Klägers keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Es ist nach Überzeugung des Gerichts jedoch nicht zu erwarten, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe im Sinne des Art. 3 EMRK landesweit drohen könnten.
b) Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine solche Abschiebestoppanordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht. Das Gericht ist der Auffassung, dass die allgemeine Gefahr in Afghanistan sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet hat, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 13A ZB 13.30119 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.4.2012 – A 11 S 3079/11 – DÖV 2012, 651). Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer reinen quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssten jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 23). Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich für den Kläger weder aus seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan.
In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13A ZB 17.31374 – juris; B.v. 23.1.2017 – 13A ZB 17.30044 – juris Rn. 5; B.v. 19.2.2014 – 13A ZB 14.30022 – juris) geht das Gericht davon aus, dass derzeit für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende, alleinstehende, männliche, arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige, zu denen auch der Kläger zu rechnen ist, in Afghanistan nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG führt. Damit droht dem Kläger keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Afghanistan. Zwar gestaltet sich die allgemeine Versorgungslage nach wie vor schwierig. Trotz dieser kritischen Versorgungslage muss nicht jeder Rückkehrer aus Europa generell im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung erleiden. In der Gesamtschau der ins Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel ist nicht davon auszugehen, dass jeder Rückkehrer generell in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung nach Afghanistan erleiden müsste (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018 S. 5; vgl. auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13A ZB 14.30410 – juris Rn. 5). Nur für besonders schutzwürdige Rückkehrer wie alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen, Familien und Personen, die aufgrund persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen oder die über keinen aufnahmebereiten Familienverbund verfügen, lässt sich eine extreme Gefahrenlage begründen. Für alleinstehende, junge und arbeitsfähige Männer aus der Bevölkerungsmehrheit ohne erhebliche gesundheitliche Einschränkungen, besteht die Möglichkeit, sich eine neue Existenz in Afghanistan aufzubauen (stRspr. des BayVGH, vgl. u.a. B.v. 30.7.2015 – 13A ZB 15.30031 – juris Rn. 10; U.v. 15.3.2012 – 13A B 11.30439 – juris Rn. 25).
Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehöri ge im Allgemeinen ist derzeit keine extreme Gefahrenlage anzunehmen, die zu einem Abschiebungsverbot führen würde (BayVGH, B.v. 12.4.2018 – 13A ZB 18.30135 – juris Rn. 5; B.v. 4.1.2017 – 13A ZB 16.30600 – juris Rn. 4). Anhaltspunkte, die im Fall des Klägers zu einer anderweitigen Einschätzung führen würden, sind nicht ersichtlich. Der Kläger ist jung und erwerbsfähig. Er hat die Schule bis zur zehnten Klasse besucht. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt bei einer Rückkehr zumindest mit Gelegenheitsarbeiten sicherzustellen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist davon auszugehen, dass junge alleinstehende Männer auch ohne familiäre Unterstützung in der Lage sind, sich in Afghanistan ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten (vgl. u.a. B.v. 4.1.2017 – 13A ZB 16.30600 – juris Rn. 7).
Im Übrigen sind unter Berücksichtigung der Auskunftslage insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2013 – 13A B 12.30052 – juris Rn. 12). Zudem stehen dem Kläger Rückkehrhilfen zur Verfügung (vgl. BAMF an VG Augsburg vom 12.08.2016), die jedenfalls für die Anfangszeit seiner Wiedereingliederung in die afghanischen Verhältnisse sein Auskommen sichern, bis er aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt sichern kann.
Nach Auffassung des Gerichts ist daher davon auszugehen, dass der Kläger sein Existenzminimum bei einer Rückkehr nach Afghanistan durchaus sichern kann.
4. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG erweist sich als rechtmäßig, weil die Ermessenserwägungen im angefochtenen Bescheid nicht zu beanstanden sind. Für eine Verkürzung der Befristung liegen keine Anhaltspunkte vor. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
Damit war die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).


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