Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes

Aktenzeichen  W 3 K 19.31666

Datum:
3.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15487
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch unter Berücksichtigung von in Äthiopien herrschenden harten Haftbedingungen nicht erkennbar, dass bei der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe einem Inhaftierten eine menschenrechtswidrige Behandlung droht. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Corona-Pandemie handelt es sich gem. § 60 Abs. 7 S. 6 AufenthG um eine Gefahr, der die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist und die deshalb lediglich bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 S. 1 AufenthG zu berücksichtigen ist. (Rn. 75) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren der Klagepartei, die Beklagte zu verpflichten, der Klagepartei die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihr subsidiären Schutz zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, und den Bescheid des Bundesamtes vom 27. August 2019 insoweit aufzuheben, als er diesem Begehren entgegensteht.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Klagepartei nicht in ihren Rechten. Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Rechtsgrundlage für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, gemäß § 3 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK -), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung u.a. wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG wird gewährt, wenn dem Schutzsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Rechtsverletzungen aufgrund von Handlungen im Sinne von § 3a AsylG durch einen Akteur im Sinne von § 3c AsylG in seinem Herkunftsland drohen, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzen, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in sein Herkunftsland zurückzukehren (BVerfG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502, 1000, 961/86 – NVwZ 1990, 151 f.; BVerwG, U.v. 29.11.1987 – 1 C 33.71 – BVerwGE 55, 82, 83 m.w.N.).
Die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 AsylG decken sich mit denen nach Art. 16a Abs. 1 GG hinsichtlich der geschützten Rechtsgüter und des politischen Charakters der Verfolgung, wobei § 3 Abs. 1 AsylG insofern einen weitergehenden Schutz bietet, als auch selbstgeschaffene subjektive Nachfluchtgründe die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen können. Ein Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung, Flucht und Asylantrag wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. BVerwG, B.v. 13.8.1990 – 9 B 100/90 – NVwZ-RR 1991, 215; BVerfG, B.v. 26.5.1993 – 2 BvR 20/93 – BayVBl 1993, 623).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Asylsuchende Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 16; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).
Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festzustellenden Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit kommt damit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 22; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller im Herkunftsland bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Vorschrift privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten durch die widerlegbare Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei der Rückkehr in das Heimatland wiederholen wird. Ob die Vermutung durch „stichhaltige Gründe“ widerlegt ist, obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2019 – 1 B 43/19 – juris Rn. 7; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a. – NVwZ 2010, 505 = juris Rn. 94; vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 23).
Nach diesen Maßstäben hat die Klagepartei keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Klagepartei kann sich für die Annahme einer ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung nicht auf die von ihr dargestellten Erlebnisse in Äthiopien berufen.
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Anspruch auf die Gewährung politischen Asyls oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Antragsteller den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – Buchholz § 108 VwGO Nr. 147). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden zu berücksichtigen (BVerwG, B.v. 3.8.1990 – 9 B 45.90 – juris Rn. 2; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 27 m.w.N.).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – InfAuslR 1991, 94/95; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 113).
Gemessen an dieser Voraussetzung konnte der Kläger nicht glaubhaft machen, dass sein Vorbringen zu seinen Fluchtgründen der Wahrheit entspricht.
Unabhängig davon, dass sich das Vorbringen lediglich auf einen familiären Konflikt bezieht und nicht auf ein staatliches Handeln, das als politische Verfolgung qualifiziert werden könnte, kann dem Kläger sein Vorbringen nicht geglaubt werden. Sowohl vor dem Bundesamt als auch im Gerichtsverfahren hat er den Vorfall, der zur Gefahr der Blutrache geführt haben soll, lediglich pauschal, oberflächlich und ohne Einzelheiten geschildert. In der mündlichen Verhandlung konnte sich das Gericht auch anhand der Art des Vortrages nicht davon überzeugen, dass der Kläger einen tatsächlich erlebten Sachverhalt schildert, vielmehr klang der Vortrag auswendig gelernt. Hinzu kommt, dass sein Vorbringen nicht plausibel ist. Denn wenn die Oromostämmige Familie des angeblich verstorbenen Mitspielers tatsächlich Wert auf Blutrache gelegt hätte, wäre diese mit der Tötung des Bruders des Klägers erfüllt gewesen. Die Behauptung, er, der Kläger, sei dennoch in der Gefahr, im Rahmen der Blutrache getötet zu werden, trägt nicht dazu bei, sein Vorbringen in einen glaubwürdigeren Licht erscheinen zu lassen.
Aus alledem ergibt sich, dass sich das Gericht nicht von der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens überzeugen konnte.
Damit steht der Klagepartei kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
Die Klagepartei hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Dass dem Kläger bei seiner Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe seitens des äthiopischen Staates droht, hat er selbst nicht geltend gemacht. Soweit er sich darauf beruft, von Angehörigen der Familie des angeblich verstorbenen Fußballspielers getötet zu werden, kann ihm dies, wie oben ausgeführt, nicht geglaubt werden. Ebenso wenig kann angenommen werden, dass der Klagepartei in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unabhängig hiervon ist auch unter Berücksichtigung von in Äthiopien herrschenden harten Haftbedingungen nicht erkennbar, dass bei der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe einem Inhaftierten eine menschenrechtswidrige Behandlung droht (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 57 m.w.N.). Auch ist nicht erkennbar, dass in Äthiopien ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrschen könnte, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Klagepartei infolge willkürlicher Gewalt führen könnte. Zwar werden in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben (vgl. oben). Es gibt nach der aktuellen Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände (vgl. im Einzelnen BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 60 bis 61 m.w.N.). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen zu den aktuellen Unruhen in Äthiopien aufgrund des Todes des Sängers Hachalu Hundessa, der am 29. Juni 2020 in Addis Abeba erschossen worden ist. Aus den vom Klägerbevollmächtigten vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass bei den hierauf beruhenden Demonstrationen und Unruhen in mehreren Städten mindestens 50 Menschen umgekommen und mehr als 100 Menschen verletzt und Dutzende verhaftet worden sind (TAZ, Protestsänger in Äthiopien erschossen, Die Musik lebt weiter, vom 1.7.2020). Viele Hauptverkehrsadern in Addis Abeba seien blockiert, in mehreren Stadtteilen sei Rauch über Dächern zu sehen, das Internet sei abgeschaltet worden, so berichtet die Deutsche Welle (DW vom 30.6.2020, Prominenter Sänger in Äthiopien erschossen). Hierbei handelt es sich um einzelne über das Land verteilte Unruhen; angesichts der Größe des Landes und angesichts der Größe der Stadt Addis Abeba ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, dass es sich hierbei um einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt handeln könnte, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit Unbeteiligter führen könnte. Dem Kläger wäre es unbenommen, sich von derartigen Protestkundgebungen fernzuhalten. Damit besteht kein Anspruch der Klagepartei auf Zuerkennung subsidiären Schutzes.
Auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK insbesondere aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen liegen nicht vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Diese Vorschrift verweist auf die EMRK, soweit sich aus dieser zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse ergeben. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Während für die Tatbestandsalternativen Folter und unmenschliche Behandlung ein einer staatlichen Institution zurechenbares vorsätzliches Handeln erforderlich ist, gilt dies nicht bei der Alternative der erniedrigenden Behandlung. Deshalb können unter diese Tatbestandsalternative auch schlechte humanitäre Verhältnisse fallen. Diese sind relevant, wenn sie auf staatlichem oder auf staatlichen Institutionen zurechenbarem Handeln beruhen, so dass der Zivilbevölkerung kein ausreichender Schutz geboten werden soll oder kann (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 164 bis 169). Aber auch wenn es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen als erniedrigende Behandlung i.S. des Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein. Diese müssen jedoch ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Das kann der Fall sein, wenn der Flüchtling im Herkunftsland seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland der Abschiebung nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – juris LS 1 und Rn. 8; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 und 25). Hierbei bedarf es der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, wobei z.B. auch Krankheiten eine Rolle spielen können, soweit sie Auswirkungen auf die Frage habe, ob der Flüchtling seinen existentiellen Lebensunterhalt sichern kann.
Für die Gefahr einer erniedrigenden Behandlung müssen ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt ist; diese muss also aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher („real risk“) und darf nicht nur hypothetisch sein (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6). Dabei ist ein gewisser Grad an Mutmaßungen dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent; es kann nicht ein eindeutiger, über alle Zweifel erhobener Beweis verlangt werden (BVerwG; B.v. 13.2.2019 – a.a.O.). Es gilt also der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 187 bis 191).
Vorliegend ergibt sich, dass unter Beachtung der oben dargestellten Grundlagen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind.
Die Klagepartei hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sie der Folter oder einer unmenschlichen Behandlung bei einer Rückkehr ausgesetzt sein könnte. Auch eine erniedrigende Behandlung aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse ist nicht erkennbar.
Äthiopien gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Es besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung. Sozialleistungen sind nicht existent, Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Es gibt keine kostenlose medizinische Grundversorgung; dennoch ist die Behandlung akuter Erkrankungen oder Verletzungen durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet. Chronische Krankheiten können mit Einschränkungen behandelt werden (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 64 m.w.N.; AA, Lagebericht Stand März 2020).
Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist es nicht ersichtlich, dass die Klagepartei ihren Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte.
Bei dem Kläger handelt es sich um einen 21-jährigen gesunden Mann ohne Kinder, der drei Jahre lang die Schule besucht und sodann seiner Mutter geholfen hat. Er spricht neben der somalischen Sprache auch Amharisch und Oromo. In seiner Heimatregion leben seine Mutter und sein jüngerer Bruder.
Auf der Grundlage der sozialen Verhältnisse in Äthiopien ist nicht erkennbar, dass der Kläger als arbeitsfähiger gesunder Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern können wird und nicht aus eigener Kraft ein Obdach und eine Arbeit finden können wird, die ihm die Existenz sichert. Der Kläger wäre in dieser Hinsicht nicht einmal auf familiäre Unterstützung in Äthiopien angewiesen (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 65).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der in Äthiopien angeordneten Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie (COVID-19) und aufgrund der Auswirkungen der Heuschreckenplage.
Gemäß der Johns-Hopkins-Universität sind in Äthiopien 5.846 Personen (Stand: 1.7.2020) an COVID-19 erkrankt, wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss.
Am 8. April 2020 wurde zunächst für fünf Monate der Ausnahmezustand ausgerufen. Die landesweit geltenden Restriktionen umfassen das Verbot größerer Veranstaltungen (ab vier Personen), die Schließung aller Schulen (seit 16.3.2020), Restaurants und Clubs sowie die Besetzung von (auch privaten) Fahrzeugen nur bis zur Hälfte ihrer Kapazität, einhergehend mit der Verdoppelung des Fahrpreises für Busse und Taxis (AA, Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 29.6.2020).
Ein Lockdown ist demgegenüber in Äthiopien nicht angeordnet worden. Die Tagelöhner, die darauf angewiesen sind, jeden Tag Arbeit zu finden, um sich abends etwas zu Essen zu kaufen, gehen weiter zur Arbeit. Auch Wochenmärkte werden weiterhin betrieben (Berliner Zeitung vom 9.4.2020, in Äthiopien gibt es 435 Beatmungsgeräte – und 105 Millionen Menschen).
Allerdings sind aufgrund des Ausnahmezustandes die Kirchen, vor denen die ärmsten Menschen regelmäßig betteln, geschlossen. Die Menschen schränken ihre Kontakte ein, so dass es für Arbeitsuchende schwieriger ist, Aufträge zu bekommen. Dies trifft insbesondere alleinerziehende Mütter, deren Einkommenssituation sich durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie deutlich verschlechtert hat (Menschen für Menschen vom 29.4.2020, Corona-Überlebenspakete für Kinder in Äthiopien).
Gemäß den Ausführungen in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (vom 27.4.2020, Am Ende kann nur Gott uns helfen) sind Zusammenkünfte von mehr als vier Personen seit der Ausrufung des nationalen Notstandes untersagt. Eine Ausgangssperre ist bislang nicht verhängt worden. Allerdings hat Äthiopien die Landesgrenzen weitgehend zu schließen versucht. Zwar sind Bars und Nachtclubs geschlossen, vieles hat jedoch geöffnet. Straßenverkäufer und kleine Kioske sind nach wie vor da und sowohl für die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln als auch für das Überleben der Betreiber-Familien von entscheidender Bedeutung. Auch Supermärkte haben weiter geöffnet. Wo in ländlichen Gegenden lokale Märkte geschlossen sind, verkaufen die Menschen ihre landwirtschaftlichen Güter von den Türen der Bauernhöfe aus. Preiserhöhungen unter Ausnutzung der Situation werden bestraft. Gleichzeitig mehren sich Berichte über verstärkte Kleinkriminalität.
Hinsichtlich der Heuschreckenplage ist festzustellen, dass in Äthiopien große Heuschreckenschwärme vorhanden sind, die ganze Felder und Weideflächen kahlfressen. Im Juni 2019 machten sich die Tiere von Oman ausgehend auf den Weg in Richtung Horn von Afrika. In Äthiopien fanden sie dank außergewöhnlicher Regenfälle im Oktober und November 2019 günstige Bedingungen für die Vermehrung vor. Die Welthungerhilfe verteilt derzeit in Äthiopien gemeinsam mit den Partnern des NGO-Bündnisses Alliance 2015 Bargeld, dies zum Schutz vor Ernteverlusten und um steigende Preise infolge der Krise bei Lebensmitteln und Viehfutter abzufedern. Zudem plant die Welthungerhilfe den Aufbau von Capacity-Building (z.B. Entwicklung von Frühwarnsystemen). In der Afar-Region plant die Welthungerhilfe weitere ernährungssichernde Maßnahmen. Dies macht deutlich, dass Äthiopien derzeit nicht so stark von der Heuschreckenplage betroffen ist, dass eine akute Hungersituation eingetreten wäre (vgl. Welthungerhilfe, Projekt-Update vom 12.5.2020, Heuschreckenplage in Ost-Afrika).
Diese Informationen können der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt werden. Aus ihnen ergibt sich, dass sowohl hinsichtlich der Auswirkungen der Corona-Pandemie als auch hinsichtlich derjenigen der Heuschreckenplage als auch in der Zusammenschau beider Ereignisse nach derzeitigem Stand nichts Konkretes erkennbar ist, was mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer erniedrigenden Behandlung der Klägerin deshalb führen könnte, weil sie bei einer Rückkehr nach Äthiopien ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern könnte.
Vorliegend muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger aufgrund der aktuellen Transportprobleme innerhalb Äthiopiens daran gehindert sein wird, in seine Herkunftsregion in Turor bzw. Babele zurückzukehren. Deshalb wird er darauf angewiesen sein, in Addis Abeba zu verbleiben, wo ihm nach eigenen Angaben, die das Gericht nicht in Frage stellt, keine Familie zur Seite steht. Auf der Grundlage der obengenannten Unterlagen ergibt sich, dass der Kläger in Addis Abeba einer – wenn auch einfachen – Arbeit nachgehen können wird und dass er die Möglichkeit haben wird, Lebensmittel zu kaufen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger neben der somalischen auch die amharische und die oromische Sprache beherrscht. Dass sich die Problematik, eine Wohnung in Addis Abeba zu finden, gegenüber der Situation vor Ausbruch der Corona-Pandemie und vor Auftreten der Heuschreckenplage so verschärft haben könnte, dass alleinstehende Personen oder kinderlose Ehepaare kein Obdach mehr finden könnten, ergibt sich hinreichend konkret weder aus den dem Gericht zur Verfügung stehenden Unterlagen noch ist dies anderweitig ersichtlich.
Demgegenüber beruhen weitere Berichte und Entscheidungen, die die Corona-Pandemie und die Heuschreckenplage in den Blick nehmen und auf die sich die Klägerseite bezieht, auf unbelegten Spekulationen und Zukunftsszenarien. So weist die Klägerseite darauf hin, dass Experten durch das Corona-Virus für den gesamten afrikanischen Kontinent eine Katastrophe befürchteten. Sie warnten davor, dass sich überfüllte afrikanische Großstädte zu einem gefährlichen Herd für das Corona-Virus entwickeln könnten. Es werde in Afrika durch die Pandemie eine ausmaßlose Katastrophe für möglich gehalten, dies aufgrund der Befürchtung, dass die mögliche weitere und schnelle Ausbreitung des Virus in Afrika zu einer hohen Durchseuchungsdichte, zahllosen Todesfällen und zu einem Zusammenbruch des Gesundheitswesens und des Arbeitsmarktes führen werde.
In wirtschaftlicher Hinsicht drohe den Staaten des östlichen Afrika eine Hungersnot, seit gewaltige Heuschreckenschwärme eingefallen seien. Der Kampf gegen Corona verschlimmere die Lage noch.
Die diesbezüglich vielfach zitierte Unterlage „Ebola war furchtbar, aber Corona könnte viel schlimmer werden“ (Spiegel vom 11.4.2020) bezieht sich ausweislich der weiteren Überschrift auf West-Afrika. Es finden sich Ausführungen allgemein zum gesamten afrikanischen Kontinent und speziell zu Guinea und Mali, nicht jedoch zu Äthiopien. Vergleichbares gilt für die Unterlage „Afrika steht allein am Abgrund“ (Süddeutsche Zeitung vom 4.4.2020), die sich zunächst allgemein auf Afrika bezieht und sodann lediglich die wirtschaftlichen Probleme der äthiopischen Luftfahrtgesellschaft thematisiert. Auch die weiteren Ausführungen des Beitrags „Am Ende kann nur Gott uns helfen“ (aus Politik und Zeitgeschichte vom 27.4.2020) beschäftigen sich mit Zukunftsspekulationen. Aus diesen Berichten geht nichts hervor, was über allgemeine Erwartungen und Befürchtungen hinaus die Schwelle der Voraussetzungen von Abschiebungsverboten konkret berühren oder gar erreichen könnte.
Denn gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG stellt das Gericht in Streitigkeiten nach diesem Gesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab. Dies bedeutet, dass unbelegte Spekulationen hinsichtlich der Zukunft keine Rolle spielen dürfen (vgl. auch BayVGH, B.v. 19.5.2020 – 23 ZB 20.31069 – a.U. Rn. 12 – n.v.).
Die genannten Ausführungen und Inhalte der zitierten Unterlagen bewegen sich weit jenseits des Maßstabs der ernsthaften und stichhaltigen Gründe bzw. der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, welchem ein gewisser Grad an Mutmaßung immanent ist; es handelt sich vielmehr um unbelegte Spekulationen ohne hinreichend konkreten Tatsachen als Grundlage. Sie können und dürfen deshalb im vorliegenden Verfahren keine Berücksichtigung finden.
In diesem Zusammenhang war auch der in der mündlichen Verhandlung bedingt gestellte Beweisantrag zurückzuweisen. Der Klägerbevollmächtigte hat hiermit beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger als somalischer Volkszugehöriger aus der East Hararghe Zone ohne familiäre Verbindung nach Addis Abeba in Addis Abeba keine Chance hat, dort auf Dauer seine Existenz zu sichern, die Einholung von Auskünften verschiedener sachverständiger Stellen beantragt. Hierbei handelt es sich um einen Sachverständigenbeweis. Bei diesem Beweisantrag geht es nicht um den Beweis konkreter Tatsachen, sondern um die Bewertung bzw. um die Einschätzung einer Risikoprognose. Ein derartiger Sachverständigenbeweis ist jedoch nicht zu erheben, da sich das Gericht aufgrund der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Unterlagen selber ausreichend in der Lage sieht, eine derartige Risikoprognose bzw. Einschätzung zu erstellen.
Aufgabe des Sachverständigen ist es, dem Gericht anhand festgestellter Tatsachen besondere Erfahrungssätze und Kenntnisse des jeweiligen Fachgebiets zu vermitteln und aufgrund von besonderen Erfahrungssätzen oder Fachkenntnissen Schlussfolgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zu ziehen (Marx, AsylG, Kommentar, 10. Aufl. 2019, vor § 78 Rn. 114 m.w.N.). Wegen der Ungewissheiten über die rechtserhebliche Situation im Herkunftsland des Asylsuchenden verwenden die Verwaltungsgerichte regelmäßig zur Beurteilung der allgemeinen Verhältnisse im Herkunftsland eine Vielzahl von Erkenntnisquellen, die dem Gericht eigene Sachkunde vermitteln.
Im vorliegenden Fall hat das Gericht verschiedene im Einzelnen genannte Erkenntnismittel zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Hierauf stützt sich das Gericht in seiner Einschätzung der Gefährdung.
Ein Beweisantrag mit dem Ziel, einen Sachverständigenbeweis zu erheben, muss zunächst die präzise Formulierung der Beweistatsachen enthalten, dazu die Darlegung, dass die Beweistatsachen sich auf die allgemeinen Verhältnisse im Herkunftsland oder auf die spezifischen individuellen Verhältnisse des Beweisführers beziehen sowie die Darlegung, dass das Verwaltungsgericht aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse die Beweisfrage nicht aus eigener Sachkunde beantworten kann. Grundlage hierfür ist eine Darlegung, dass die bereits vorhandenen Erkenntnismittel hinsichtlich der Beweisfrage wegen unlösbarer Widersprüche oder Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Erstellers der Unterlage mit erkennbaren Mängeln behaftet sind oder wegen unzutreffender tatsächlicher Grundlagen unverwertbar sind oder wegen der Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht geeignet sind, eine abschließende und zuverlässige, auf mehreren und insoweit widerspruchsfreien Erkenntnissen beruhende Bewertung sicher zu stellen (Marx, a.a.O. Rn. 118 ff. m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt der vorliegende Beweisantrag nicht.
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG derartige Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Doch auch in diesem Fall kann der Asylsuchende ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Aus dieser müsste sich die begründete Furcht des Flüchtlings ableiten lassen, selbst in erheblicher Weise ein Opfer dieser extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies müsste sich alsbald nach der Rückkehr realisieren (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 67). Dies bedeutet, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden muss, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489, Rn. 12; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38).
Unabhängig hiervon liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist gemäß Satz 4 der Vorschrift nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, die insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, der lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Derartige erhebliche konkrete Gefahren für die Klagepartei sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Der Kläger hat keinerlei ernstzunehmenden Erkrankungen geltend gemacht.
Auch hinsichtlich der Corona-Pandemie sind keine erheblichen konkreten Gefahren für den Kläger erkennbar. Bei dieser Pandemie handelt es sich gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG um eine Gefahr, der die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist und die deshalb lediglich bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 19.5.2020 – 23 ZB 20.31096 – a.U. Rn. 12 – n.v.). Demgegenüber ist nicht erkennbar, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien aufgrund der Corona-Pandemie mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, also alsbald nach ihrer Rückkehr gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen bzw. Erkrankungen ausgeliefert wäre. Denn es ist nicht erkennbar, dass sich der Kläger mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr mit dem Corona-Virus infizieren wird. Dies ergibt sich daraus, dass trotz der vermutlich hohen Dunkelziffer nicht erkennbar ist, dass die Krankheit in Addis Abeba so verbreitet wäre, dass man sich jederzeit infizieren würde. Doch selbst, wenn dies so wäre, ist weiterhin nicht erkennbar, dass eine entsprechende Infektion bei dem Kläger erhebliche lebensgefährliche Auswirkungen haben würde. Denn hinsichtlich der Auswirkungen einer Infektion mit dem Corona-Virus ist allgemein bekannt, dass in sehr vielen Fällen der Verlauf milde ist oder sogar keinerlei Symptome auftreten. Lediglich ein kleinerer Teil der Infizierten benötigt eine stationäre und ein sehr geringer Teil der Infizierten sogar eine intensivmedizinische Behandlung.
Damit liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insbesondere unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie nicht vor.
Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor. Die Bezeichnung des Abschiebezielstaates im Bescheid des Bundesamtes genügt den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (BayVGH v. 10.1.2000 – 19 ZB 99.33208 – juris). Es bleibt Sache der für eine Abschiebung zuständigen Behörde, unter Beachtung der im Asylverfahren gewonnenen Erkenntnisse sicherzustellen, dass die Klagepartei nicht in für sie gefährliche Gebiete des Zielstaates abgeschoben wird.
Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Aus alledem ergibt sich, dass der Bescheid des Bundesamtes, soweit er angegriffen worden ist, rechtmäßig ist und der Klagepartei die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen, so dass die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen war.


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