Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes in Afghanistan

Aktenzeichen  W 1 K 19.31066

Datum:
22.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20320
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4

 

Leitsatz

1. Dem Kläger droht keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens iSd §  4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in der Provinz Balgh. Die Gefahrendichte im Jahr 2018 lag landesweit erheblich und in der Provinz mit dem höchsten Schädigungsrisiko immer noch merklich unter 0,12% oder 1:800. Selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wäre dieses Risiko weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG BeckRS 2012, 45614; BayVGH BeckRS 2018, 37516).(Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit das Gutachten an das VG Wiesbaden vom 28.3.2018 ausführt, es bestehe allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet die Gefahr, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, so handelt es sich hierbei um eine allein dem erkennenden Gericht vorbehaltene rechtliche Würdigung, der auch keine Indizwirkung zukommen kann. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die in dem Gutachten darüber hinaus geschilderten Tatsachen betreffen weit überwiegend Umstände, die allein bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu würdigen sind, die sich hier jedoch aufgrund der – gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – verhältnismäßig niedrigen Opferzahlen unter keinen Umständen auswirken können (vgl. VGH Mannheim BeckRS 2018, 7711). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 15. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, weil ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan keine landesweite asylrelevante Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 i.V.m. §§ 3a ff. AsylG droht.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (BT-Drs. 16/5065 S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Gemäß § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl I S. 2250) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
Vorliegend hat der Kläger nicht glaubhaft und überzeugend darlegen können, dass er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes aufhält. Er hat bereits nicht zur Überzeugung des Gerichts eine Vorverfolgung nachvollziehbar dargelegt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung bezüglich seiner Fluchtgründe ausgeführt, dass er der Sohn eines Bürgermeisters gewesen sei und die Taliban gegen sie gewesen seien. So hätten die Taliban seine Schwester und seine Mutter getötet. Auch sei er von einem Freund mit einem Messer angegriffen worden. Dieser habe ihn aufgrund eines Auftrags der Taliban töten wollen. Er habe dem Freund jedoch das Messer entwenden können. Von diesem Angriff habe er noch eine Narbe an der Hand. Auch sei er von den Taliban auf dem Weg zur Schule angehalten und mit einem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen worden. Dabei sei auch seine Jeans kaputt gegangen. Diese Ausführungen sind nicht glaubhaft. Der Kläger schilderte die Vorkommnisse oberflächlich und wenig detailliert. Beim Bundesamt hat der Kläger zudem lediglich vorgetragen, dass sein Vater Dorfältester gewesen sei und sich den Taliban widersetzt habe. Ebenso erwähnte der Kläger, dass er auf dem Weg zur Schule von den Taliban angehalten worden sei. Weder trug der Kläger beim Bundesamt vor, dass er von den Taliban, als diese ihn auf dem Schulweg angehalten haben, mit einem Gewehrkolben geschlagen wurde noch dass seine Jeans dabei zerriss. Vielmehr gab er nur an, sich den Mund zugehalten zu haben, nichts gesagt zu haben und weggegangen zu sein. Auch trug der Kläger beim Bundesamt nicht vor, dass ihn sein Freund mit einem Messer angegriffen habe. Bei dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung handelte es sich im Hinblick auf diese Punkte daher um ehrbliche Steigerungen des Vorbringens des Klägers.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Verfolgung durch nicht staatliche Akteure i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylVfG ist daher schon deshalb ausgeschlossen, weil in Anbetracht der erheblichen Steigerungen des Vortrags des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben bestehen (§ 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG). Der Antragsteller hat entgegen seiner Verpflichtung – über die er auch entsprechend belehrt wurde -, die wesentlichen Umstände seiner Verfolgung oder seiner Furcht vor Verfolgung bereits in der Anhörung vorzutragen (§ 25 Abs. 1 AsylVfG), erstmals im gerichtlichen Verfahren die oben erwähnten Vorkommnisse angegeben. In der mündlichen Verhandlung konnte er nicht nachvollziehbar begründen, wieso er beim Bundesamt insbesondere nicht bereits den Angriff seines Freundes erwähnte. Allein die Aussage, er habe geglaubt sein bisheriges Vorbringen würde ausreichen, ist in Anbetracht der Bedeutung der Anhörung, die wohl dem Kläger bewusst gewesen sein muss, nicht nachvollziehbar. Damit hat der Antragsteller für die Einschätzung der Bedrohungssituation wesentliche Punkte seines Schutzbegehrens erst im gerichtlichen Verfahren vorgebracht und damit sein bisheriges Vorbringen wesentlich gesteigert. Dies führt dazu, dass sein Vortrag in wesentlichen Punkten unglaubwürdig ist.
Selbst wenn man unterstellt, dass die Ausführungen des Klägers, die er beim Bundesamt getätigt hat, wahr sein sollten, so ergebe sich hieraus keine Vorverfolgung. Allein der Umstand, dass die Taliban ihn auf dem Weg zur Schule angehalten und nachgefragt haben sollen, wieso er zur Schule gehe und sie ihm den Schulbesuch haben untersagen wollen, stellt noch keine relevante Verfolgungshandlung dar. Eine persönliche Bedrohung durch die Taliban hat der Kläger nicht dargelegt. Auch stellt der Bombenanschlag der Taliban, bei der der Kläger seine Finger verlor, keine taugliche Verfolgungshandlung dar. Insofern war der Kläger lediglich ein Zufallsopfer und nicht ein individuelles Ziel der Taliban.
Auch unter Berücksichtigung, dass sein Vater der Dorfälteste gewesen sein soll und sich den Taliban widersetzt haben soll, ergibt sich keine Vorverfolgung bzw. Verfolgunsgefahr des Klägers. Zwar ergibt sich aus der Erkenntnismittellage, dass Stammesälteste, die nach Wahrnehmung von regierungsfeindlichen Kräfte die Regierung oder die internationale Gemeinschaft unterstützen, durch diese angegriffen werden können (vgl. etwa UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30. August 2018, S. 51). Vorliegend besteht nach Überzeugung des Gerichts jedoch keine Verfolgungsgefahr des Klägers aufgrund der ehemaligen Stellung seines Vaters, da hier insbesondere zu beachten ist, dass in den Augen der Taliban die schändliche Tätigkeit durch den Tod des Vaters wohl gesühnt wurde. Der Kläger berichtete zudem nicht von vermeintlichen Verfolgungshandlungen, die nach der Tötung seines Vaters erfolgt sein sollen. So sei der Vater etwa im Juli 2014 ermordet worden, insbesondere der vermeintliche Angriff seines Freundes soll sich jedoch bereits zwei bis drei Monate bevor der Kläger seine Hand verloren habe – mithin im Jahr 2013 – ereignet haben. Auch scheint es, als sei das Anhalten auf dem Schulweg bereits vor der Tötung des Vaters erfolgt. Auch lebt noch einer seiner Brüder vermeintlich unbehelligt in Afghanistan. Die vermeintliche Flucht seines anderen Bruders vor den Taliban, wohl in den Iran, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Zwar wurde der Bruder laut Aussage des Klägers von den Taliban bedroht, allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass dieser ein Studium bei der afghanischen Armee aufnahm und die Taliban ihn aufgrund des Umstandes, dass er sich der afghanischen Armee anschließen wollte, bedrohten. Die Arbeit für die Streitkräfte birgt dabei ein eigenständiges Gefährdungspotenzial, welches vorliegend unabhängig von der Stellung des Vaters als Dorfältester gesehen werden muss. Auch ergibt sich nicht zwangsläufig, dass der Kläger aufgrund der Tätigkeit des Bruders bei der Armee einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sein würde. Zwar ergibt sich aus der Erkenntnismittellage, dass – je nach den Umständen des Einzelfalles – auch Familienangehörige von Mitarbeitern der afghanischen Sicherheitskräfte unter Verfolgungsgefahr geraten können. Hierbei handelt es sich jedoch ersichtlich um Einzelfälle (vgl. etwa UNHCRRichtlinien zu Afghanistan vom 30. August 2018, S. 54 f.). Vorliegend besteht eine derartige Verfolgungsgefahr nach Überzeugung des Gerichts jedoch nicht, da sich insbesondere noch ein Bruder des Klägers in Afghanistan aufhält, ohne dass von Verfolgungshandlungen diesem gegenüber berichtet wurde. Zu diesem Bruder hat der Kläger nach eigener Aussage auch noch Kontakt, sodass zu erwarten gewesen wäre, dass der Kläger von etwaigen Verfolgungshandlungen der Taliban gegen diesen Bruder Kenntnis gehabt hätte.
Auch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger aufgrund seiner körperlichen Behinderung verfolgt werden würde. Der Kläger verlor seine Finger bereits Ende 2013/Anfang 2014. Bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan, welche nach den Angaben beim Bundesamt ca. Anfang 2015 erfolgte, lebte der Kläger noch mindestens ein Jahr mit dem körperlichen Defizit in Afghanistan. Von einer Verfolgung seiner Person aufgrund der körperlichen Behinderung hat der Kläger nicht berichtet. Insofern ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger nunmehr bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner körperlichen Behinderung verfolgt werden würde.
II.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG, da er keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Heimatland ein ernsthafter Schaden droht. So ist zunächst nichts dafür ersichtlich, dass dem Kläger in Afghanistan die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG); ein diesbezüglicher Vortrag ist von Seiten des Klägers nicht erfolgt und auch ansonsten ist hierfür nichts ersichtlich. Darüber hinaus droht dem Kläger im Heimatland auch keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG).
Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die zuletzt genannte Vorschrift der Umsetzung der QRL dient, ist dieser Begriff jedoch in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b QRL auszulegen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt Art. 15b QRL wiederum in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK aus (z.B. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – juris Rn. 28; ebenso BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Danach ist eine unmenschliche Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – ZAR 2011, 395, Rn. 220 m.w.N.; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 4 Rn. 9; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.), die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (EGMR, U.v. 11.7.2006 – Jalloh, 54810/00 – NJW 2006, 3117/3119 Rn. 67; Jarass a.a.O.; Hailbronner a.a.O.). Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylVfG Rn. 22 ff.). Eine Bestrafung oder Behandlung ist nur dann als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen, wenn die mit ihr verbundenen Leiden oder Erniedrigungen über das in der Bestrafungsmethode enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen, wie z.B. bei bestimmten Strafarten wie Prügelstrafe oder besonders harten Haftbedingungen (Hailbronner, a.a.O., Rn. 24, 25).
Der Kläger konnte nicht glaubhaft und überzeugend darlegen, dass ihm in seinem Herkunftsland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Diesbezüglich kann vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen werden.
2. Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz Balkh. Denn es wurden in Afghanistan im Jahre 2018 insgesamt 10.993 Zivilpersonen getötet (3.804) oder verletzt (7.189). Dies entspricht einem Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 5%, jedoch gleichzeitig einem Rückgang gegenüber 2016 um 4% (vgl. zum Ganzen UNAMA, Annual Report 2018 Afghanistan, Februar 2019). Ausgehend von einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von 27 Millionen (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen, vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31.5.2018, S. 18 f.) lag das konfliktbedingte Schädigungsrisiko landesweit bei 1:2456. Selbst wenn man die Provinz Nangahar zu Grunde legt, für die UNAMA das landesweit höchste Schädigungsrisiko für Zivilpersonen ausweist (1815 zivile Opfer; 681 Tote und 1134 Verletzte) ergibt sich bei einer geschätzten Bevölkerungszahl der Provinz von 1.573.973 Menschen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 29.6.2018, S. 150) ein Schädigungsrisiko von 1:867. Damit lag die Gefahrendichte im Jahr 2018 landesweit erheblich und in der Provinz mit dem höchsten Schädigungsrisiko immer noch merklich unter 0,12% oder 1:800. Selbst dieses Risiko wäre weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris). Diese Einschätzung gilt insbesondere auch für die Herkunftsregion des Klägers, die Provinz Balkh. Denn in der Provinz Balkh wurden im Jahr 2018 227 Zivilpersonen getötet oder verletzt (bei 1.325.700 Einwohnern) (vgl. UNAMA, Annual Report 2018 Afghanistan, Februar 2019, S. 68; Einwohnerzahlen jeweils aus: https://de. wikipedia.org/wiki/Liste_der_Provinzen_Afghanistans). Im Halbjahresbericht 2019 stellte UNAMA für Afghanistan insgesamt einen Rückgang der zivilen Opfer fest, wobei Baghlan zu den Provinzen gehört, in denen sich die Opferzahlen eher nach oben bewegten (UNAMA, Midyear Update Afghanistan, 30.07.2019). Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (vgl. Lagebericht vom 31.5.2018) hat sich die Bedrohungslage für Zivilisten in jüngster Zeit nicht wesentlich verändert. Das Risiko, als Angehöriger der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet zu werden, liegt immer noch im Promillebereich. Weitere gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind darüber hinaus nicht erkennbar. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den Abhandlungen von Frau Friederike Stahlmann (vgl.: Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.; Gutachten zu Afghanistan an das VG Wiesbaden vom 28.3.2018). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei (vgl. in diesem Zusammenhang auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018, S. 18: Dunkelziffer in für die Berichterstattung wenig zugänglichen Gebieten), so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau Stahlmann alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau Stahlmann eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht. Soweit Frau Stahlmann in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 (vgl. S. 9) ausführt, es bestehe allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet die Gefahr, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, so handelt es sich hierbei um eine allein dem erkennenden Gericht vorbehaltene rechtliche Würdigung, der auch keine Indizwirkung zukommen kann. Die von ihr darüber hinaus geschilderten Tatsachen betreffen weit überwiegend Umstände, die allein bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu würdigen sind, die sich hier jedoch aufgrund der – gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – verhältnismäßig niedrigen Opferzahlen unter keinen Umständen auswirken können (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris).
III.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.


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