Verwaltungsrecht

Keine Zulassung der Berufung mangels Zulassungsgrundes

Aktenzeichen  20 ZB 18.31493

Datum:
26.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16775
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 2

 

Leitsatz

Eine Gefahrenprognose aufgrund der individuellen Umstände des Klägers und der sonstigen Umstände des Einzelfalles stellt einen abstrakten Tatsachensatz dar. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 17.32342 2018-04-18 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist unbegründet, weil der geltend gemachte und dargelegte Zulassungsgrund nicht vorliegt (§ 78 Abs. 3, Abs. 4 Satz 4 AsylG).
Die Beklagte macht geltend, das Urteil des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des Senats zur Sicherheitslage in Somalia, insbesondere im Hinblick auf die Hauptstadt Mogadischu. Der damit geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG erfordert, dass das angefochtene Urteil einen Rechts- oder Tatsachensatz aufgestellt hat, der von einem in einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bzw. des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Das im vorliegenden Berufungszulassungsverfahren angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts stellt jedoch keinen Tatsachensatz auf, der von einem in einer Entscheidung des Senats aufgestellten Tatsachensatz abweicht.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte in dem angefochtenen Urteil verpflichtet, dem Kläger, zu dessen Gunsten bereits ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Somalias bestandskräftig festgestellt ist, darüber hinaus den subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zuzuerkennen. Diese Entscheidung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit begründet, dass dem nach eigenen Angaben in Äthiopien geborenen und dem Clan der Ogaden zugehörigen Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Somalia die Gefahr eines ernsthaften Schadens infolge eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG drohe. Mangels einer Herkunftsregion des Klägers in Somalia sei für die Gefahrenprognose auf die Hauptstadt Mogadischu abzustellen, da anzunehmen sei, dass er sich am ehesten dort niederlassen würde. Dort bestehe ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Die Sicherheitslage in Mogadischu sei nach Maßgabe der Erkenntnislage und der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs weiterhin so volatil, dass für Personen mit individuellen gefahrerhöhenden Umständen eine für die Voraussetzungen von § 4 AsylG ausreichende Verdichtung der Gefahrenlage vorliege. In der Person des Klägers lägen individuelle gefahrerhöhende Umstände vor, weil ihm ein familiäres oder clanbasiertes Netzwerk fehle. Zudem bestehe für ihn die beachtliche Gefahr, in einem der vielen Lager für Binnenflüchtlinge Zuflucht nehmen zu müssen. Diese individuellen Umstände in Verbindung mit der schwierigen Versorgungslage und der prekären Sicherheitslage führten nicht nur zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes, sondern begründeten darüber hinaus eine individuelle Verdichtung der für Zivilpersonen bestehenden Gefahrenlage.
Mit diesen Erwägungen hat sich das Verwaltungsgericht nicht in Widerspruch zu einem von dem Senat aufgestellten Tatsachensatz gesetzt. Soweit die Beklagte der Auffassung ist, das Verwaltungsgericht gehe von dem Tatsachensatz aus, dass für Mogadischu hinsichtlich der Gefährdung durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes danach zu differenzieren sei, ob ein Rückkehrer sich in einem der Lager für Binnenflüchtlinge oder dem sonstigen Stadtgebiet aufhalte bzw. aufhalten müsse, und dass in den Lagern für Binnenflüchtlinge ein so hoher Gefahrengrad bestehe, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, so trifft dies nicht zu. Denn das Verwaltungsgericht hat schon keinen abstrakten Tatsachensatz aufgestellt, sondern eine Gefahrenprognose anhand der individuellen Umstände des Klägers und der sonstigen Umstände des Einzelfalles vorgenommen, wobei es von individuellen gefahrerhöhenden Umständen und damit gerade nicht – auch nicht in Bezug auf die Lager für Binnenflüchtlinge – von einer solchen Gefahrenverdichtung ausgegangen ist, dass für jede Person allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort bereits die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bestehe.
Darüber hinaus hat der Senat auch in den von der Beklagten zitierten Entscheidungen (BayVGH, U.v. 22.3.2018 – 20 B 17.31709 – juris; U.v. 27.3.2018 – 20 B 17.31663 – juris) keinen Tatsachensatz zur Sicherheitslage in den Binnenflüchtlingslagern aufgestellt, von dem das Verwaltungsgericht hätte abweichen können, sondern sich vielmehr zur allgemeinen Sicherheitslage in Mogadischu verhalten, die in den verschiedenen Stadtteilen unterschiedlich zu beurteilen ist (BayVGH, U.v. 22.3.2018 – 20 B 17.31709 – juris Rn. 32; U.v. 27.3.2018 – 20 B 17.31663 – juris Rn. 36). Soweit die Beklagte vorträgt, der Senat gehe von der „allgemeinen Wertung“ aus, dass „maßgeblich risikoerhöhende Faktoren weder eine fehlende Vertrautheit mit den aktuellen Verhältnissen von Somalia bzw. Mogadischu sind noch der Umstand, dass ein Rückkehrer gezwungen wäre, mangels anderer Unterkunftsmöglichkeiten Aufenthalt in einem der dortigen Lager für Binnenvertriebene zu nehmen“, geht sie selbst erkennbar nicht von einem abstrakten Tatsachensatz aus. Außerdem stehen die von der Beklagten zitierten Ausführungen des Senats (BayVGH, U.v. 22.3.2018 – 20 B 17.31709, a.a.O.) im Zusammenhang mit der Frage der Gefahrendichte in Mogadischu und nicht in einem Zusammenhang mit individuellen gefahrerhöhenden Umständen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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