Verwaltungsrecht

Keine Zulassung der Berufung wegen Ablehnung eines bedingten Beweisantrags im Asylprozess

Aktenzeichen  8 ZB 18.30325

Datum:
14.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2362
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 108 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
AsylG § 78 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
BV Art. 91 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt nicht vor jeder aus der Sicht eines Beteiligten sachlich unrichtigen Ablehnung eines Beweisantrags. Holt das Gericht einen beantragten Beweis nicht ein, so liegt hierin grundsätzlich nur dann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wenn die Ablehnung aus sachfremnden Gründen erfolgt, die im Prozessrecht keine Stütze finden. Für bedingt, also hilfsweise für den Fall ihrer Entscheidungserheblichkeit gestellte Beweisanträge gilt insoweit nichts anderes (wie BVerfG BeckRS 2009, 39522). (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung iSv § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (wie BayVGH BeckRS 2017, 136936). (Rn. 7) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache verlangt nach § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtspfechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (wie BayVGH BeckRS 2017, 136936).  (Rn. 7) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

AN 6 K 17.32759 2017-12-14 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
1. Einen Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) hat die Klägerin nicht aufgezeigt.
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) hat eine zweifache Ausprägung: Zum einen untersagt es dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zum anderen gibt es den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wird. Die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, besteht allerdings nicht, soweit das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BayVerfGH, E.v. 25.8.2016 – Vf. 2-VI-15 – juris Rn. 34 f.; BVerfG, B.v. 5.4.2012 – 2 BvR 2126/11 – NJW 2012, 2262; BVerwG, B.v. 17.6.2011 – 8 C 3.11 u.a. – juris Rn. 3). Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt daher auch nicht vor jeder aus der Sicht eines Beteiligten sachlich unrichtigen Ablehnung eines Beweisantrags. Holt das Gericht einen beantragten Beweis nicht ein, so liegt hierin grundsätzlich nur dann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wenn die Ablehnung aus sachfremden Gründen erfolgt, die im Prozessrecht keine Stütze finden. Für bedingt, also hilfsweise für den Fall ihrer Entscheidungserheblichkeit gestellte Beweisanträge gilt insoweit nichts anderes (vgl. BVerfG, B.v. 22.9.2009 – 1 BvR 3501/08 – juris Rn. 13; BVerwG, B.v. 24.9.2012 – 5 B 30/12 – juris Rn. 4; SächsOVG, B.v. 16.6.2009 – A 3 A 310/07 – juris Rn. 4).
Dass die Ablehnung ihres Beweisantrags keine tragfähige Stütze im Prozessrecht findet, hat die Klägerin indes nicht aufgezeigt. Sie behauptet ohne nähere Begründung, ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör liege darin, dass das Gericht ihren schriftsätzlich angekündigten und in der mündlichen Verhandlung bedingt gestellten Beweisantrag abgelehnt habe. Dies reicht zur Darlegung eines Gehörsverstoßes nicht aus. Mit dem Beweisantrag hat sie die Einvernahme eines Sachverständigen begehrt „zum Beweis der Tatsache, dass bei der Klägerin eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben aufgrund psychischer Erkrankung vorliegt.“ Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag zur Kenntnis genommen und ist hierauf in den Urteilsgründen eingegangen (vgl. Urteilsabdruck S. 8 f.). Eines in der mündlichen Verhandlung bekannt gegebenen begründeten Beschlusses nach § 86 Abs. 2 VwGO bedurfte es mangels förmlichen Beweisantrags der Klägerin nicht. Dass das Verwaltungsgericht den Antrag in sachfremder Weise als unzulässigen Beweisermittlungsantrags eingestuft hat, der zum Ziel hat, erst durch die Beweiserhebung die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufzudecken, hat die Klägerin in keiner Weise dargetan. Das Gericht hat seine Auffassung damit begründet, dass es die Klägerin entgegen einer Aufforderung des Gerichts unter Verstoß gegen ihre prozessualen Mitwirkungspflicht unterlassen habe, dem Gericht eine Liste der Ärzte vorzulegen, bei denen sie seit ihrer Einreise in Deutschland in Behandlung gewesen sei, und entsprechende ärztliche Atteste zu übersenden. Mit der Einvernahme eines Sachverständigen solle daher kein Nachweis erbracht werden, dass eine bestimmte psychische Erkrankung bei der Klägerin vorliege, sondern herausgefunden werden, ob eine psychische Erkrankung gegeben sei. Inwiefern diese Begründung im Prozessrecht keine Stütze findet sollte, ist im Zulassungsantrag weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
2. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist ebenfalls nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3).
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht. Die im Zulassungsantrag aufgeworfene Frage,
„wann Beweisanträge abgelehnt werden dürfen“, ist keiner verallgemeinerungsfähigen Klärung zugänglich, weil sie nicht hinreichend konkret gefasst ist und sich in dieser Allgemeinheit somit in einem Berufungsverfahren nicht stellen würde (vgl. BVerwG, B.v. 2.9.2010 – 9 B 12.10 – juris Rn. 9 ff.; B.v. 20.7.2016 – 9 B 64.15 – juris Rn. 3; B.v. 21.9.2016 – 6 B 14.16 – juris Rn. 7 ff.; vgl. B.v. 20.12.2017 – 6 B 14.17 – juris Rn. 9). Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat auf der Grundlage diverser gesetzlicher Bestimmungen verschiedene Gründe herausgearbeitet, aus denen Beweisanträge abgelehnt werden können (vgl. etwa die Nachweise in Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2017, § 86 Rn. 21 ff.; Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 86 Rn. 33 ff.). Ob die jeweiligen Voraussetzungen vorliegen, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles.
Auch die Frage,
„ob die Klägerin als unglaubwürdig angesehen werden kann“,
ist einer generellen Klärung nicht zugänglich, sondern ist im Einzelfall auf der Grundlage von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung von dem jeweils entscheidenden Gericht zu beantworten.
3. Soweit mit dem Zulassungsantrag auch die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) oder die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) angegriffen werden sollte, werden keine gesetzlichen Zulassungsgründe im Sinn von § 78 Abs. 3 AsylG geltend gemacht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 Alternative 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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