Verwaltungsrecht

Keine Zulassung der Berufung wegen (behaupteten) Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts im Asylstreitverfahren

Aktenzeichen  9 ZB 20.31731

Datum:
24.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24559
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 S. 1 VwGO) ist kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel und vermag somit die Zulassung der Berufung grundsätzlich nicht zu rechtfertigen (Rn. 11). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 19.31333 2020-07-27 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist Staatsangehöriger Sierra Leones und begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes sowie die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 27. Juli 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Es liegt weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), noch ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen eine Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) oder ein Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG).
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 18.30670 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
a) Soweit der Kläger zur allgemein schlechten wirtschaftlichen Situation in Sierra Leone vorträgt, wird bereits keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung formuliert. Dem Zulassungsvorbringen lässt sich nicht entnehmen, worin der Kläger insoweit eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sieht. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf den Gerichtsbescheid vom 25. März 2019 (§ 84 Abs. 4 VwGO) anhand aktueller Erkenntnismittel darauf abgestellt, dass der Kläger als alleinstehender, junger und arbeitsfähiger Mann in der Lage sein wird, sich sein Existenzminimum in Sierra Leone zu erwirtschaften. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
b) Der Kläger sieht eine grundsätzliche Bedeutung in der Frage, „ist hinsichtlich eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots darauf abzustimmen, ob das traumatisierende Ereignis inlandsbezogen oder eben Heimat bezogen ist“. Dies ist jedoch nicht entscheidungserheblich. Denn das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Atteste nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechen und dementsprechend die Vermutung, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen, nicht widerlegt sei.
c) Die weitere Frage, „ob bei einer auftretenden Suizidalität im Inland davon ausgegangen werden muss, dass ich eine solche Suizidalität nicht im Rahmen eines Zielstaats bezogenen Abschiebungsverbots gewertet und behandelt werden muss“, ist nicht verallgemeinernd, sondern nur im Einzelfall zu beantworten. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass nach dem vorläufigen ärztlichen Bericht vom 24. Oktober 2019 die stationäre Aufnahme des Klägers anlässlich der negativen Entscheidung in seinem Asylverfahren erfolgt ist und damit auf einem inlandsbezogenen Umstand beruht. Dem Zulassungsvorbringen lässt sich nichts entnehmen, wonach dies anders zu beurteilen wäre.
2. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund einer Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) wird schon nicht ausreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Dem Zulassungsvorbringen lässt sich kein Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz entnehmen, den das Verwaltungsgericht abweichend von einem der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte aufgestellt haben soll (vgl. BayVGH, B.v. 16.6.2020 – 9 ZB 20.31226 – juris Rn. 8).
3. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8).
Soweit das Zulassungsvorbringen geltend macht, das Verwaltungsgericht habe die Verschärfung der Situation aufgrund der Covid-19 Pandemie nicht aufgeklärt, führt dies nicht zum Erfolg des Antrags. Art. 103 Abs. 1 GG statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16). Ein (behaupteter) Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel und vermag somit die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 3). Ein beachtlicher Verfahrensfehler kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 15 ZB 19.32283 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 8.5.2018 – 20 ZB 18.30551 – juris Rn. 2 m.w.N.). Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in Betracht, soweit das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 8). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag aber nicht auf. Vielmehr hat der anwaltlich vertretene Kläger vor dem Verwaltungsgericht hierzu auch keinerlei Vortrag gemacht oder Beweisantrag gestellt. Die Rüge eines Verfahrensmangels ist aber kein Mittel, Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten im vorangegangenen Instanzenzug zu kompensieren (BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6). Dass sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen, wird ebenso wenig dargelegt, zumal im Zulassungsvorbringen auch Gefahren durch die Covid-19 Pandemie nicht einmal ansatzweise dargelegt werden.
Gleiches gilt hinsichtlich der Rüge, das Verwaltungsgericht habe eine Aufklärung bezüglich der Suizidalität aufgrund eines inländischen Ereignisses als zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot unterlassen. Insgesamt wendet sich das Zulassungsvorbringen vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht, womit jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen wird (vgl. BayVGH, B.v. 6.7.2020 – 9 ZB 20.31306 – juris Rn. 7).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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