Verwaltungsrecht

Keine Zulassung der Berufung wegen behaupteter Unionsrechtswidrigkeit der Ausreisefrist bzw. Abschiebungsandrohung

Aktenzeichen  10 ZB 20.31374

Datum:
16.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20532
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 36 Abs. 1, § 38 Abs. 1, § 78 Abs. 3
AufenthG § 59 Abs. 1 S.  6

 

Leitsatz

1. Die Anwendung von § 59 Abs. 1 S. 6 AufenthG ist in den Fällen des § 36 Abs. 1 AsylG nicht möglich. Die in § 36 Abs. 1 AsylG vorgesehen Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids erweist sich wegen eines Verstoßes gegen die RL 2008/115/EG (Rückführungs-RL) als grundsätzlich rechtswidrig (BVerwG BeckRS 2020, 8202). (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Erweist sich ein Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig, beträgt die dem Asylbewerber zu setzende Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 S. 1 AsylG 30 Tage. Eine dem Asylbewerber gesetzte Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheids (vgl. BVerwG BeckRS 2020, 8202) erweist sich in diesem Fall als objektiv rechtswidrig. (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Endet aufgrund einer Klageerhebung die Ausreisefrist kraft Gesetzes nach § 38 Abs. 1 S. 1 AsylG einen Monat nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss, wird eine ursprünglich rechtswidrige Fristsetzung durch eine gesetzes- und unionsrechtskonforme Fristsetzung ersetzt, sodass eine Verletzung des Betroffenen in eigenen Rechten ausscheidet. (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

RN 14 K 19.32549 2020-06-12 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil Berufungszulassungsgründe im Sinne des § 78 Abs. 3 AsylG nicht vorliegen.
1. Die Rechtssache weist nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG auf.
Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) verlangt, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Daran fehlt es hier.
Die von den Klägern (bei wohlwollender Auslegung der Zulassungsbegründung) aufgeworfene Frage der Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG in den Fällen des § 36 Abs. 1 AsylG ist nicht (mehr) klärungsbedürftig. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits klargestellt, dass eine Anwendung von § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG auf solche Fälle nicht möglich ist und die in § 36 Abs. 1 AsylG vorgesehene Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids wegen eines Verstoßes gegen die Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) grundsätzlich rechtswidrig ist (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 1.19 – juris Leitsatz 4, Rn. 43 ff.). Vor diesem Hintergrund dürfte die vom Erstgericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogene Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen (U.v. 13.5.2019 – 11 A 610/19.A – juris Rn. 53, 66 ff.) überholt sein. Unabhängig davon käme es auf die von den Klägern aufgeworfene Frage in einem Berufungsverfahren auch nicht an, weil ein Fall des § 36 Abs. 1 AsylG nicht vorliegt (dazu sogleich).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen einer Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen, denn auf die vom Verwaltungsgericht aufgeworfene Frage der unionsrechtskonformen Auslegung von § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG in den Fällen des § 36 Abs. 1 AsylG kommt es nicht entscheidungserheblich an, sodass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG auf einer Divergenz „beruht“.
Die einwöchige Ausreisefrist nach § 36 Abs. 1 AsylG gilt nur in den Fällen der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AsylG sowie im Falle der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet. In sonstigen Fällen – wie der hier vorliegenden Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG – beträgt die zu setzende Ausreisefrist gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG 30 Tage. Die den Klägern gesetzte Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheids war daher jedenfalls im Hinblick auf die Fristlänge, darüber hinaus möglicherweise auch im Hinblick auf den Fristbeginn (vgl. zur Unionsrechtswidrigkeit der Anknüpfung an die Bekanntgabe des Bescheids im Falle der Antragsablehnung als „einfach“ unbegründet BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 1.19 – juris Leitsatz 2, Rn. 27) objektiv rechtswidrig. Die Kläger sind indes durch diese anfängliche objektive Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung nicht mehr beschwert (vgl. hierzu und zum Folgenden BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 1.19 – juris Rn. 28). Aufgrund der Klageerhebung endet die Ausreisefrist kraft Gesetz (§ 38 Abs. 1 Satz 2 AsylG) einen Monat nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss. Die ursprüngliche rechtswidrige Fristsetzung ist damit durch eine gesetzes- und unionsrechtskonforme Fristsetzung ersetzt worden. Diese neue Regelung der Ausreisefrist verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sodass das Verwaltungsgericht die Klage im Ergebnis auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung zu Recht abgewiesen hat.
Insofern kann dahinstehen, ob eine Grundsatzrüge auch dann in eine Divergenzrüge umzudeuten wäre, wenn die grundsätzlich bedeutsame Frage bereits vor der Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung geklärt war (für eine entsprechende Pflicht zur Umdeutung im Falle einer nachträglichen Klärung vgl. etwa BVerfG, B.v. 21.1.2000 – 2 BvR 2125/97 – juris Rn. 34 m.w.N.).
3. Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass mit der pauschalen Rüge der Kläger, das Verwaltungsgericht habe bestimmte Umstände des Wohls ihres Kindes nicht „berücksichtigt“, allenfalls Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, nicht aber ein Zulassungsgrund im Sinne des § 78 Abs. 3 AsylG dargelegt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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