Verwaltungsrecht

Keine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung bzw. Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in Asylstreitverfahren

Aktenzeichen  5 ZB 17.31744

Datum:
27.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 136986
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, 3
VwGO § 105, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 138 Nr. 3
ZPO § 164, § 165, § 415 Abs. 1, 2, § 417

 

Leitsatz

1. Der Maßstab, dass bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag dem Kläger im Asylverfahren nur geglaubt werden könne, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst würden, ist weiterhin zutreffend. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung stellt eine öffentliche Urkunde dar, die den vollen Beweis des durch das Gericht beurkundeten Vorgangs erbringt, sodass der Kläger mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht durchdringen kann, solange er nicht den Beweis erbracht hat, dass der Vorgang unrichtig beurkundet worden ist und das Protokoll entsprechend berichtigt wurde. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 4 K 16.32642 2017-10-16 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
a) Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts erforderlich (vgl. Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 592, 607 und 609). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. OVG NW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris m.w.N.).
Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, welche Maßstäbe gelten, wenn es um die Glaubhaftigkeit von Aussagen gehe. Eine allgemeingültige Antwort hierauf gebe es nicht, ein Umstand „der im Hinblick auf das hier eingelegte Rechtsmittel zur grundsätzlichen Bedeutung des Falles des Klägers“ führe.
Der Fall zeige ferner, dass es grundsätzliche Bedeutung habe, wie effektiver Rechtsschutz zu gewähren sei, wenn es Verständnisschwierigkeiten zwischen Kläger und Dolmetscher in der konkreten Situation der mündlichen Verhandlung gebe, die dazu führten, dass der Kläger hierauf nicht einmal hinweisen könne.
Es stelle sich die weitere grundsätzliche Frage, wie es vor dem Hintergrund der vom Verwaltungsgericht angelegten Maßstäbe an den Gehalt der Aussage des Klägers zu würdigen sei, wenn es Widersprüche zwischen Aussagen im Anhörungstermin, Vortrag im Klageverfahren und eventuell in der mündlichen Verhandlung gebe und ob das allgemeine Kriterium, wonach fehlender Detailreichtum gegen die Glaubhaftigkeit einer Aussage spreche, überhaupt eine ernsthafte Rolle spielen könne.
Mit diesen Ausführungen werden keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung dargelegt. Zum Teil können die gestellten Fragen nicht grundsätzlich beantwortet werden, sondern sind in jedem Einzelfall zu klären, wie bei den geltend gemachten Verständigungsschwierigkeiten zwischen Asylbewerber und Dolmetscher. Im Übrigen handelt es sich um Fragen, die nicht klärungsfähig sind, weil sie offenkundig oder bereits durch die Rechtsprechung geklärt sind. Inhaltlich macht die Klagepartei hier, wie auch die detailreichen Begründungen zu den gestellten Fragen zeigen, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts insbesondere im Hinblick auf die Beweiswürdigung geltend; dieser Zulassungsgrund (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist jedoch in asylrechtlichen Streitigkeiten nicht gegeben (vgl. § 78 Abs. 3 AsylG).
Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 1988 (9 C 273.86 – juris) ausgeführt, bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag könne dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst würden. Entgegen der Zulassungsbegründung ist dieser Maßstab auch heute noch zutreffend. Geht es um die Wahrheitsfindung im Hinblick auf das Vorbringen eines Ausländers, der politische Verfolgung geltend macht, ist zu berücksichtigen, dass er sich typischerweise in Beweisnot befindet, soweit es sein individuelles Verfolgungsschicksal betrifft. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es daher entscheidend an (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/200 f.). Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, dass dem vom Bundesamt schriftlich festgehaltenen Vorbringen des Asylbewerbers bereits wegen gravierender Widersprüche, erheblicher Ungereimtheiten oder dem völligen Fehlen der erforderlichen Substantiierung jede Glaubhaftigkeit abzusprechen ist (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 10.5.2002 – 1 B 392.01 – NVwZ 2002, 1381 = juris Rn. 5).
Es besteht auch kein Zweifel daran, dass die Würdigung einer Verfolgungsgeschichte unter dem Gesichtspunkt des Detailreichtums oder der Detailarmut der Aussage ein sachlicher Ansatz ist (Schenk in Hailbronner, Ausländerrecht, AsylVfG, 3. Aufl. 2013, vor § 74 Rn. 70); gerade dadurch lassen sich selbst erlebte von erfundenen Geschehnissen trennen und das eigene Schicksal von übernommenen Verfolgungsschicksalen anderer Personen unterscheiden. Die Berücksichtigung des Detailreichtums einer Schilderung des eigenen Verfolgungsschicksals ermöglicht auch, eine Verwechslung von Erlebtem und Erzähltem, welches durch häufige Wiederholungen wie Erlebtes empfunden wird, zu vermeiden.
b) Die Berufung ist auch nicht wegen eines in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangels, hier wegen der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), zuzulassen.
Der Kläger trägt vor, sein rechtliches Gehör sei dadurch verletzt worden, dass er bereits in der Anhörung vor dem Bundesamt am 30. März 2016 nicht die Möglichkeit gehabt hätte, sich umfassend zu dem Erlebten zu äußern. Durch entsprechende Fragen des Dolmetschers, welche unter Zeitdruck erfolgt seien, habe er sich genötigt gesehen, sich möglichst kurz zu fassen. Es sei ihm nicht bewusst gewesen, welche Bedeutung das Ganze für ihn haben würde. In allen anderen Rechtsgebieten sei anerkannt, dass formelhaft abgegebene Erklärungen, wie solche, alles verstanden und gesagt zu haben, keine Bedeutung hätten.
Diese Ausführungen gehen ausweislich der sechs Seiten umfassenden Niederschrift über die Anhörung des Klägers am 30. März 2016, die eine Stunde (von 8:25 Uhr bis 9:25 Uhr) dauerte und anschließend 15 Minuten lang rückübersetzt wurde, an dem hier vorliegenden Sachverhalt vorbei.
Der Kläger trägt weiter vor, aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts sei nicht erkennbar, wer in der mündlichen Verhandlung Dolmetscher gewesen sei. Jedenfalls habe er die dolmetschende Person überhaupt nicht verstanden. Der Kläger verstehe nicht Deutsch, sein Prozessbevollmächtigter nicht arabisch, sodass keiner von beiden überprüfen könne, was der Dolmetscher übersetzt habe.
Mit diesem Vortrag wird keine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Verwaltungsgericht dargelegt. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Das rechtliche Gehör gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305/310). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Ein Gehörsverstoß liegt deshalb nur vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238). Mit Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden (BVerfG, E.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273; BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris; BVerwG, B.v. 15.5.2014 – 9 B 14.14 – juris Rn. 8).
Ausweislich der fünfeinhalb Seiten umfassenden Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 12. Oktober 2017 hatte der Kläger ausreichend Gelegenheit, sich zu äußern. Wer die Dolmetscherin war, ergibt sich aus dieser Niederschrift. Diese wurde in der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß vereidigt. Der Kläger erklärte, er verstehe die Dolmetscherin gut. Warum das formelhaft sein und nicht der Wahrheit entsprechen soll, ist nicht nachvollziehbar. Der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter erklärten sich damit einverstanden, dass seine Angaben abschnittsweise ins Protokoll aufgenommen und die Abschnitte jeweils zeitgleich rückübersetzt werden. Es ist nicht ersichtlich, warum der Kläger, der angibt, irakischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und schiitischen Glaubens zu sein, die Dolmetscherin für die Sprache Arabisch nicht verstanden haben soll. Dass die Dolmetscherin die ausführlichen Erklärungen des Klägers falsch übersetzt hat, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht im Einzelnen dargelegt. Einen Antrag auf Berichtigung des Protokolls gemäß § 105 VwGO i.V.m. § 164 ZPO hat der Kläger beim Verwaltungsgericht nicht gestellt. Unabhängig vom Anwendungsbereich des § 165 ZPO stellt das Protokoll jedenfalls eine öffentliche Urkunde nach §§ 415 Abs. 1, 417 ZPO dar, die den vollen Beweis des durch das Gericht beurkundeten Vorgangs erbringt, sodass der Kläger mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht durchdringen kann, solange er nicht gemäß § 415 Abs. 2 ZPO (vgl. auch § 418 Abs. 2 ZPO) den Beweis, dass der Vorgang unrichtig beurkundet worden ist, erbracht hat und das Protokoll entsprechend berichtigt wurde.
c) Da die (Monats-)Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das den Bevollmächtigten der Kläger am 19. Oktober 2017 zugestellte Urteil bereits abgelaufen ist (§ 78 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Satz 1 AsylG), können weitere Gründe nicht mehr dargelegt werden.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
3. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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