Verwaltungsrecht

Klärungsbedürftigkeit der Sicherheitslage in Süd- und Zentralsomalia

Aktenzeichen  20 ZB 17.31586

Datum:
13.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 132510
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1 Die Beurteilung, ob eine Gefahr iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG besteht, ist eigenständig für jede Herkunftsregion vorzunehmen, denn die Intensität des Konflikts in Süd- und Zentralsomalia unterscheidet sich zwischen den einzelnen Provinzen und Distrikten der Region erheblich. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Feststellung der Gefahrendichte in dem jeweiligen Gebiet ist auf das Niveau willkürlicher Gewalt abzustellen und jedenfalls annäherungsweise das Tötungs- und Verletzungsrisiko quantitativ zu ermitteln, unabhängig davon, ob die Gefahr auf persönliche Umstände oder auf die allgemeine Lage im Herkunftsland zurück geht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 16.30724 2017-09-12 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist jedenfalls unbegründet, da der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ungeachtet der Darlegungsanforderungen (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) nicht vorliegt.
Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die folgende Frage:
Ist in Süd- und Zentralsomalia aufgrund der aktuellen Auskunftslage ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gegeben, der nach wertender Betrachtung so verdichtet ist, dass jede Zivilperson, unabhängig von individuellen Gefahr erhöhenden Umständen, einer ernsthaften individualisierten Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist?
Diese Frage ist jedenfalls nicht klärungsfähig, da sie zu umfassend und zu allgemein formuliert ist (Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 593 m.w.N.). Denn die Intensität des Konflikts in Süd- und Zentralsomalia unterscheidet sich zwischen den einzelnen Provinzen und Distrikten der Region erheblich. So führt das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) in seinem Bericht zur Sicherheitssituation in Somalia vom Februar 2016 aus, dass die Sicherheitssituation in Somalia weiterhin wechselhaft („volatile“) ist. Nichtsdestotrotz könnten Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen festgestellt werden (S. 28). Zu Mogadischu wird ausgeführt, dass einige Quellen angeben, dass die Sicherheitssituation sich dort verbessert habe und es unwahrscheinlich wäre, dass al-Shabaab die Hauptstadt wieder erobern würde (S. 28). Zwischen Juli 2014 und Juni 2015 sei die Sicherheitssituation in verschiedenen Distrikten und Regionen, die im Einzelnen aufgeführt wurden, schlechter geworden, während sie in anderen Distrikten besser geworden sei (S. 29). Aufgrund der genannten Unterschiede stellt EASO auf den Seiten 30 ff. die Sicherheitssituation für die einzelnen Provinzen Süd- und Zentralsomalias im Einzelnen dar. Auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA) differenziert in seinen Lagekarten zur Sicherheitslage vom 12. Oktober 2015 zwischen den einzelnen Provinzen. Auf den Seiten 13 bis 16 stellt es für verschiedene Zeiträume in den Jahren 2011 bis 2015 auf Karten dar, in welchen Regionen und Provinzen mehr und wo weniger bewaffnete Zusammenstöße stattgefunden haben. Auf Seite 17 stellt es dann wiederum dar, in welchen Regionen sich in den Jahren 2011 bis 2014 Verschlechterungen, in welchen Verbesserungen und welche Bezirke vergleichsweise stabil gewesen seien. Eine andere Einschätzung lässt sich auch nicht den vom Bevollmächtigten des Klägers im Zulassungsantrag genannten Unterlagen des UK Home Office und des dänischen Immigrationsdienstes entnehmen. Daher ist die Beurteilung, ob eine Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG besteht, eigenständig für jede Herkunftsregion vorzunehmen.
Soweit der Kläger darüber hinaus für grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet,
ob sich die Gefahrverdichtung auch aufgrund einer wertenden Betrachtung der Auskunftslage ergeben könne,
ist diese Frage nicht klärungsbedürftig, da sie bereits durch obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt ist. So hat das Bundesverwaltungsgericht bereits in seinem Urteil vom 13. Februar 2014 (10 C 6.13 – juris Rn. 24) festgestellt, dass es für die individuelle Betroffenheit im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F. (nun § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) einer Feststellung zur Gefahrendichte bedürfe, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos umfasst. In Umsetzung dieser Rechtsprechung hat der Senat in seinem Urteil vom 23. März 2017 (20 B 15.30110 – juris Rn. 26) ausgeführt, dass unabhängig davon, ob die individuelle Bedrohungssituation auf persönliche Umstände oder ausnahmsweise auf die allgemeine Lage im Herkunftsland zurück geht, Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem jeweiligen Gebiet zu treffen seien. Damit ist die vom Kläger aufgeworfene Frage bereits geklärt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.


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