Aktenzeichen Au 5 K 16.33029
Leitsatz
Lehnt es das Bundesamt ab, eine sachliche Prüfung des Schutzbegehrens eines Antragstellers vorzunehmen, weil es den Asylantrag für unzulässig hält, ist die Anfechtungsklage die richtige Klageart, um das Rechtsschutzbegehren eines Asylantragstellers zu verwirklichen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Dezember 2016 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer solchen verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig und begründet.
Die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 21. Dezember 2016 ist zulässig. Insbesondere ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart, wenn – wie hier – Streit darüber besteht, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylG für eine Behandlung des Asylantrages als unzulässig vorliegen.
In der vorliegenden Situation ist die Erhebung einer auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO auch im Hinblick auf die grundsätzliche Pflicht zum „Durchentscheiden“ nicht geboten. Vorliegend sind mehrere Mitgliedsstaaten beteiligt und ausschlaggebend ist dabei zunächst die primäre Frage, ob überhaupt eine „Zweitantragssituation“ und damit eine dem Folgeantrag vergleichbare Konstellation gegeben ist (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069, 50070 und 50071 – NVwZ 2016, 625).
Anders als bei Folgeanträgen im Sinne des § 71 AsylG hat das Bundesamt in Verfahren des § 71a AsylG noch keine vorherige eigene Entscheidung in der Sache getroffen, so dass die Situation eher der Verfahrenseinstellung nach Rücknahme (§§ 32, 33 AsylG) vergleichbar ist. Wäre das Gericht verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen und durch zu entscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Im Übrigen würde ein Durchentscheiden des Gerichts im Ergebnis dazu führen, dass das Gericht nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern anstelle der Behörde selbst entscheiden würde, was im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung zumindest bedenklich wäre (vgl. VG Düsseldorf, U. v. 27.6.2014 – 13 K 654/14.A – BeckRS 2014, 55231). Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 71a AsylG ergangenen Bescheides ist daher das Asylverfahren durch die Beklagte fortzuführen und das Asylbegehren von ihr in der Sache selbst zu prüfen (vgl. VG Berlin, U.v. 6.6.2016 – 33 K 154.15A – juris Rn. 18).
Die Klage ist auch begründet. Die Behandlung des Asylantrages des Klägers als unzulässig ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte ist in dem mit der Klage angegriffenen Bescheid zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Asylbegehren des Klägers um einen Zweitantrag im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG handelt.
Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift liegt ein Zweitantrag lediglich dann vor, wenn der Ausländer seinen Asylantrag im Bundesgebiet nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26 AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder die oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, gestellt hat. An der Erfüllung dieses Tatbestandes bestehen bereits nach der Fassung des angegriffenen Bescheids erhebliche Zweifel.
Insbesondere ist nach der Begründung des Bescheides offen, ob und wann das von dem Kläger zuvor in H. bzw. B. beantragte Asylverfahren erfolglos abgeschlossen wurde. Ebenso offen geblieben ist, ob die Asylanträge des Klägers nach materiell-rechtlicher Prüfung abgelehnt wurden. Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte es offensichtlich versäumt, die notwendigen Tatsachen über den etwaigen Abschluss der Asylverfahren in H. bzw. B. zu ermitteln und vermutet letztlich lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 AsylG. Der Beklagten obliegt es aber, die Verfahrenssituation zu ermitteln, will sie sich auf die Rechtsgrundlage des § 71a AsylG stützen. Sie kann eine derartige Ermittlung nicht ohne weiteres dem Kläger auferlegen, da dieser in aller Regel über den Verfahrensablauf keine verlässlichen Angaben machen kann (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 21 f.).Bestehende Zweifel an diesen Voraussetzungen gehen zulasten der Beklagten.
Auf die Klage des Klägers hin war daher der Bescheid des Bundesamtes vom 21. Dezember 2016 antragsgemäß aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.