Verwaltungsrecht

Kostenerhebung, Repressives oder präventives Handeln der Polizei, Schwerpunkt der Maßnahme, Begleit- bzw. Annexmaßnahme, Anwendung unmittelbaren Zwangs, Durchsuchung zur Identitätsfeststellung

Aktenzeichen  Au 8 K 20.511

Datum:
11.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5085
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 KG i.V.m. Art. 93 S. 1 PAG a.F., 75 Abs. 3
PAG a.F. Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a), Abs. 2 S. 4
PAG a.F Art. 93 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Kostenbescheid des Beklagten vom 18. Februar 2020 wird aufgehoben. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 18. Februar 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Dem verfahrensgegenständlichen Bescheid fehlt es an einer die Erhebung von Kosten stützenden Rechtsgrundlage nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 KG i.V.m. Art. 93 Satz 1 PAG a.F., Art. 75 Abs. 3 PAG, weil der Anwendung unmittelbaren Zwangs schwerpunktmäßig keine präventiv-polizeiliche Durchsuchung zur Feststellung der Identität des Klägers nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a), Abs. 2 Satz 4 PAG a.F. zugrunde lag (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 5.3.1986 – 21 B 85 A.389 – NVwZ 1986, 655 f.; U.v. 17.4.2008 – 10 B 07.219 – juris Rn. 15; Berner/Köhler/Käß, Polizeiaufgabengesetz, 20. Aufl. 2010, Art. 76 Rn. 7; Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 5. Aufl. 2020, Art. 93 Rn. 23). Auch aus der Vorschrift des Art. 93 Satz 2 PAG a.F. ergibt sich nichts anderes.
a) Es kann dahinstehen, ob dem Kläger gegenüber eine präventive Fahrunterbindung ausgesprochen wurde, weil diese Tatsache, selbst wenn sie vorläge, für den Ausgang des Rechtsstreits ohne Bedeutung wäre. Auf eine nähere Tatsachenermittlung durch eine Zeugeneinvernahme von POM … und POM … konnte daher verzichtet werden. Eine etwaig ausgesprochene präventive Fahrtunterbindung stellt sich als eine untergeordnete Begleit- bzw. Annexmaßnahme zu einem schwerpunktmäßig repressiv-polizeilichen Handeln dar (vgl. sogleich unter Rn. 25 ff.). Insoweit ist es rechtlich unerheblich, ob eine präventive Fahrtunterbindung ausgesprochen wurde (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 6.8.1997 – A 12 S 213/97 – juris Rn. 4).
b) Die (zwangsweise) Durchsuchung zur Feststellung der Identität des Klägers erweist sich schwerpunktmäßig repressiver Natur.
Die existierenden Maßstäbe zur Frage des zulässigen Rechtswegs/ der Abgrenzung einer Eröffnung des Rechtswegs zu den Verwaltungsgerichten oder ordentlichen Gerichten bei sog. doppelfunktionalen Maßnahmen der Polizei, d.h. solchen polizeilichen Anordnungen und Maßnahmen, welche sich nicht ohne Weiteres als Maßnahmen der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung einordnen lassen, weil sie nach Maßgabe entsprechender Befugnisnormen sowohl nach dem Polizeirecht (Polizeiaufgabengesetz – PAG) als auch nach der Strafprozessordnung (StPO) vorgenommen worden sein könnten, d.h. für die es sowohl in der StPO als auch im PAG eine Rechtsgrundlage gibt (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2009 – 10 C 09.2122 – juris Rn. 9), gelten für die vorliegende Frage der Möglichkeit einer Kostenerhebung entsprechend (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.1986 – 21 B 85 A.389 – NVwZ 1986, 655 f.; B.v. 5.11.2009 – 10 C 09.2122 – juris Rn. 9-12). Die Einordnung richtet sich nach der überwiegenden Rechtsprechung danach, ob der Grund oder das Ziel des polizeilichen Einschreitens und gegebenenfalls dessen Schwerpunkt der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung dienten. Für die Abgrenzung der beiden Aufgabengebiete ist maßgebend, wie sich der konkrete Sachverhalt einem verständigen Bürger in der Lage des Betroffenen bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt (vgl. dazu etwa BVerwG, U.v. 3.12.1974 – I C 11.73 – juris Rn. 24; BayVGH, U.v. 2.12.1991 – 21 B 90.1066 – juris Rn. 43; B.v. 5.11.2009 – 10 C 09.2122 – juris Rn. 12; VGH Baden-Württemberg, U.v. 14.12.2010 – 1 S 338/10 – juris Rn. 16; OVG Lüneburg, B.v. 8.11.2013 – 11 OB 263/13 – juris Rn. 4). Hierbei muss der Sachverhalt im Allgemeinen einheitlich betrachtet werden, es sei denn, dass einzelne Teile des Geschehensablaufs objektiv abtrennbar sind. Hat die Polizei die Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht weitergeleitet oder auf Weisung der Staatsanwaltschaft gehandelt, so kann an der strafprozessualen Natur ihres Einschreitens kein vernünftiger Zweifel bestehen. Eine Maßnahme, die nach dem Gesamteindruck darauf gerichtet ist, eine strafbare Handlung zu erforschen oder sonst zu verfolgen, ist der Kontrolle der ordentlichen Gerichte nicht etwa deshalb entzogen (bzw. verliert ihre repressive „Stoßrichtung“ nicht etwa deshalb), weil durch die polizeilichen Ermittlungen möglicherweise zugleich auch künftigen Verletzungen der öffentlichen Sicherheit vorgebeugt wurde (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1974 – I C 11.73 – a.a.O.).
Einer polizeilichen Maßnahme, wie sie der verfahrensgegenständlichen Erhebung von Kosten zugrunde liegt – namentlich die (zwangsweise) Durchsuchung zur Feststellung der Identität des Klägers – kann im Grunde der Gefahrenabwehr (vgl. Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a), Abs. 2 Satz 4 PAG a.F. i.V.m. Art. 70 ff. PAG [a.F.]) oder aber als Strafermittlungshandlung auch einer Strafverfolgung dienen (vgl. § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO, wobei das strafprozessuale Verhältnis zu §§ 102, 105 StPO ausgespart bleiben kann).
Nach vorstehenden Maßgaben erweist sich die (zwangsweise) Durchsuchung zur Feststellung der Identität des Klägers schwerpunktmäßig repressiver Natur. Aufgrund der drogentypischen Ausfallerscheinungen des Klägers diente diese polizeiliche Maßnahme aus Sicht eines verständigen Bürgers in der Lage des Betroffenen primär der Vorbereitung oder Durchführung einer etwaigen Strafanzeige oder Strafermittlungshandlung und damit der Strafverfolgung. Der Zeuge … gab in der mündlichen Verhandlung auch nachvollziehbar sowie glaubhaft an, dass die Polizeibeamten, nachdem sie aus dem Auto ausgestiegen waren, die Gruppe Jugendlicher gleich gefragt haben, ob sie Drogen oder Alkohol konsumiert haben. Bei einer lebensnahen Würdigung der Umstände des (räumlich, zeitlich und gegenständlich einheitlichen) Sachverhaltes wurde dem Kläger von den vor Ort anwesenden Polizeibeamten bereits dadurch tatsächlich der Eindruck vermittelt, die (zwangsweise) Durchsuchung zur Feststellung der Identität diene im Schwerpunkt Zwecken der Strafverfolgung. Jedenfalls musste sich ihm dies nach einer dahingehenden polizeilichen „Kontrolle“ bzw. Feststellung drogentypischer Ausfallerscheinungen und einem Nystagmustest wegen des Verdachts auf Drogenkonsum geradezu aufdrängen, zumal sich des Weiteren POM … laut seiner Zeugeneinvernahme vor dem AG … sicher war, dass der Kläger Drogen dabei hatte (Bl. 115 der Strafakte) und dies nach vorstehenden Ausführungen für den Kläger entsprechend zutage trat. Dass die Polizei zu der Zeit, als sie den Kläger zur Identitätsfeststellung (zwangsweise) durchsuchte, schwerpunktmäßig im Rahmen der Strafverfolgung tätig war, ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln eingeleitet wurde. In einer Gesamtschau erweist sich nach alledem eine etwaig ausgesprochene präventive Fahrtunterbindung als lediglich untergeordnete Begleit-/ Annexmaßnahme, die aus Sicht eines verständigen Bürgers in der Lage des Betroffenen in unmittelbaren Zusammenhang mit einem strafermittelnden bzw. -verfolgenden Tätigwerden der Polizei wegen des Verdachts auf Drogenkonsum bzw. eines BTM-Delikts stand.
c) Auch aus der Vorschrift des Art. 93 Satz 2 PAG a.F. ergibt sich nichts anderes. Eine Kostenerhebung kommt bei schwerpunktmäßig repressiv-polizeilichen Handeln wie bereits ausgeführt (vgl. oben Rn. 23) nicht in Betracht. Eine lediglich untergeordnete präventive Begleit- bzw. Annexmaßnahme der Polizei ändert hieran nichts. Denn die Vorschrift des Art. 93 Satz 2 PAG a.F. verlangt eine eigen- bzw. selbstständige, also gleichrangige, präventive und repressive Stoßrichtung. Bereits der Wortlaut „neben“ bzw. „auch“ ergibt das. Die Begründung der Gesetzgebungsmaterialien (vgl. LT-Drs. 17/20425, S. 93) bestätigt dies ebenfalls. Für ein solches Verständnis streitet nicht zuletzt auch, dass sich andernfalls in (so gut wie) jede schwerpunktmäßig repressiv-polizeiliche Maßnahme eine auch noch so untergeordnete Vorbeugung von künftigen Verletzungen der öffentlichen Sicherheit finden ließe und damit die gesetzgeberisch eröffnete Möglichkeit einer Erhebung von Kosten unterlaufen würde.
d) Im Hinblick auf Art. 16 Abs. 5 KG kommt es damit weder auf das Vorliegen der allgemeinen noch auf das der besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen an.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung über die sofortige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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