Verwaltungsrecht

Kostenerstattung eines privaten Pkw, Besondere Gefährlichkeit des Schulwegs (bejaht)

Aktenzeichen  M 3 K 16.5316

Datum:
17.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49633
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SchKfrG Art. 2 Abs. 1
SchBefV § 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Anerkennungsbescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2016 wird aufgehoben, soweit er die Benutzung des privateigenen Pkw im Schuljahr 2015/2016 für die Fahrt I. Bushaltestelle – K.  zur Abholung der Tochter der Klägerin nach verpflichtendem Nachmittagsunterricht am W.-gymnasium Sch. am Montag nicht anerkennt.
Der Beklagte wird verpflichtet, die Benutzung des privateigenen Pkw für die Abholung von D. … von der Bushaltestelle I. nach K. … für das gesamte Schuljahr 2015/2016 zur Abholung der Tochter der Klägerin nach verpflichtendem Nachmittagsunterricht am W.-gymnasium Sch. am Montag anzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten trägt die Klägerin ¾, der Beklagte ¼.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung
in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und im Hilfsantrag begründet, im Übrigen unbegründet.
Der streitgegenständliche ablehnende Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2016 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), als die Anerkennung der Nutzung des privateigenen Pkw im Schuljahr 2015/2016 für die kürzeste Fahrstrecke I. Bushaltestelle – K.  auf die Wintermonate (1. Dezember 2015 bis 31. März 2016) beschränkt wird; die Klägerin hat einen Anspruch auf Anerkennung der Nutzung des privateigenen Pkw im Schuljahr 2015/2016 für die kürzeste Fahrstrecke I. Bushaltestelle – K.  nach verpflichtendem Nachmittagsunterricht ihrer Tochter am W.-Gymnasium Sch. am Montag für das gesamte Schuljahr. (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Einzelheiten des Anspruchs auf Übernahme der notwendigen Beförderung der Schüler auf dem Schulweg ergeben sich aus der Schülerbeförderungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. September 1994 (GVBl. S. 953,), zuletzt geändert durch Verordnung vom 12. Februar 2020 (GVBl. S. 144) (SchBefV).
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SchBefV besteht die Beförderungspflicht zur nächstgelegenen Schule; diese ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV diejenige Schule der gewählten Schulart (z.B. Gymnasium, Realschule), Ausbildungs- und Fachrichtung (bei Realschulen: mathematisch-naturwissenschaftlicher, wirtschaftlicher oder fremdsprachlicher Bereich), die mit dem geringsten Beförderungsaufwand erreichbar ist. Nächstgelegene Schulen in diesem Sinne ist für den Wohnort der Tochter der Klägerin unstreitig das W.-Gymnasium Sch..
Die Beförderungspflicht besteht, soweit der Weg zu dem Ort, an dem regelmäßig Unterricht stattfindet, für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 mit 4 länger als zwei Kilometer, für Schülerinnen und Schüler ab der Jahrgangsstufe 5, also für die Tochter der Klägerin, länger als drei Kilometer ist und den Schülerinnen und Schülern die Zurücklegung des Schulwegs auf andere Weise nach den örtlichen Gegebenheiten und nach allgemeiner Verkehrsauffassung nicht zumutbar ist.
Bei der Ermittlung der Schulweglänge ist die kürzeste zumutbare Wegstrecke zwischen der Wohnung der Schülerin oder des Schülers und der Schule zugrunde zu legen. In der Praxis wird in der Regel die Länge des Schulwegs von dem Punkt aus gemessen, an dem der Schüler aus dem Wohnhaus kommend auf die öffentliche Straße tritt, bis zu dem Punkt, an dem er das Schulgrundstück betritt.
Dass der Schulweg der Tochter der Klägerin von ihrem W.  bis zum W.-Gymnasium Sch. mit ca. 12 km grundsätzlich unter die Beförderungspflicht fällt, ist zwischen den Parteien unstreitig.
Dabei ist es entgegen der Ansicht der Klägerin anerkannt, dass ein gesunder Schüler grundsätzlich keinen Anspruch darauf hat, auf Kosten des jeweiligen Aufgabenträgers von der Haustüre bis zur Schultüre befördert zu werden, wenn dies vernünftigen und wirtschaftlichen Überlegungen widerspricht. Die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 SchBefV schließt nämlich nicht aus, dass auch bei bestehender Beförderungspflicht auf dem Schulweg unter Umständen Restwege von und zu Haltestellen verbleiben können und hinzunehmen sind, wie dies üblicher Weise auch bei jeglicher Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel der Fall ist. Ob es sich um einen – hinzunehmenden – Restweg zur nächstgelegenen Haltestelle handelt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (BayVGH, U.v. 07.04.2015 – 7 B 14.1636 – juris).
Entgegen der Ansicht der Klägerin hat diese keinen Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten für den privaten Pkw für die Strecke Sch. – Kr. 31. Gemäß § 3 Abs. 2 SchBefV erfüllen die Aufgabenträger ihre Beförderungspflicht vorrangig mit Hilfe des öffentlichen Personenverkehrs. Andere Verkehrsmittel, z. B. Schulbus, privates Kraftfahrzeug, Taxi oder Mietwagen, sind nur einzusetzen, soweit dies notwendig oder insgesamt wirtschaftlicher ist. Insoweit hat der Beklagte nachgewiesen, dass entgegen dem Vorbringen der Klägerin auch Montagnachmittag eine Linienbusverbindung von Sch. nach I. besteht, die die Tochter der Klägerin hätte nutzen können.
Allerdings hat die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten mit privatem Pkw während des gesamten Schuljahres von I. Bushaltestelle bis … … wegen besonderer Gefährlichkeit dieses Restweges.
Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SchBefV kann bei besonders beschwerlichen oder besonders gefährlichen Schulwegen auch bei kürzeren Wegstrecken in widerruflicher Weise die Notwendigkeit der Beförderung anerkannt werden. Diese Frage ist auch bei verbleibenden Reststrecken zu prüfen.
Vorliegend kann es dahingestellt bleiben, ob der verbleibende Restweg von der Bushaltestelle in Ingenried nach Krottenhill 31 genau 3 km lang ist oder möglicherweise länger. Dieser restliche Schulweg ist jedenfalls als „besonders beschwerlich“ bzw. „besonders gefährlich“ i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 2 der Schülerbeförderungsverordnung anzusehen, da sich die Gefahren oder Erschwernisse von den Umständen, die Schüler auf Schulwegen normalerweise zu bewältigen haben, bei objektiver Betrachtungsweise erkennbar abheben. Der Begriff der besonderen Gefährlichkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung vollständiger gerichtlicher Nachprüfung unterliegt, ohne dass dem Träger der Schülerbeförderung bei Anwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ein eigener, der gerichtlichen Kontrolle nicht mehr zugänglicher Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (OVG Lüneburg, U.v. 19.08.2015 – 2 LB 317/14 – juris). Die besondere Gefährlichkeit kann sich zum einen aus der Verkehrslage, zum anderen aus sonstigen zu befürchtenden Schadensereignissen ergeben.
Unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit ist der Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 2 Satz 2 SchBefV nur begründet, wenn der Schulweg aufgrund der örtlichen Gegebenheiten für die Schüler Gefahren mit sich bringt, die über die im Straßenverkehr üblicherweise auftretenden Gefahren hinausgehen. Hierbei ist auf Gefahren, Erschwernisse und sonstige Umstände abzustellen, die die Schüler normalerweise zu bewältigen haben. Auf gelegentlich auftretende extreme Straßenverhältnisse – etwa infolge von Schneefall oder Eisregen – kommt es dagegen nicht an. Eine gesteigerte verkehrsrechtliche Gefahrenlage kann beispielsweise aus dem Fehlen von Gehwegen oder einer Notwendigkeit der Querung höher frequentierter Straßen ohne zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen begründet sein. Auch die auf einem Verkehrsweg zugelassene Höchstgeschwindigkeit, Art und Frequenz der Verkehrsbelastung, die Übersichtlichkeit des fraglichen Straßenbereichs sowie Breite und Beleuchtung der jeweiligen Straße können von Bedeutung sein (vgl. OVG Lüneburg aaO).
Insoweit ergibt sich bereits aus der Stellungnahme der Polizeiinspektion Sch. vom 21. Dezember 2016, dass seitens der Polizei die zu bewältigende Strecke als gefährlich angesehen wird. Der größte Teil der gemeindlichen Straße befindet sich außerorts, ohne Straßenbeleuchtung und sichere Gehwegführung auf teilweise kurvigen Streckenbereichen mit 10% Steigung/Gefälle. Ein Teilstück befindet sich im Waldgebiet. Die Fahrbahn ist asphaltiert, jedoch in den schmaleren Bereichen nur mit Gesamtbreite von 3,40 m.
Wegen fehlender Beleuchtung und fehlendem sicheren Fußgängerbereich besteht nach der Stellungnahme der Polizei zumindest im Winterhalbjahr auf jeden Fall sowie bei widrigen Witterungsverhältnissen (Regen, Nebel) immer erhöhtes Gefahrenpotential für Fußgänger. Im außerörtlichen Bereich müssen sich Fußgänger und Fahrzeugverkehr den öffentlichen Verkehrsraum teilen. Auch in den Sommermonaten in schmalen Fahrbahnbereichen wird seitens der Polizei Gefahr erkannt. Bei der Begegnung mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen mit der zulässigen Gesamtbreite von 3 m ist ggf. kein sicherer Abstandsbereich gegeben, bedingt durch die angrenzenden unbefestigten Seitenbereiche oder Einzäunung der Wiesenflächen am Fahrbahnrand. Die Streckenbewältigung zwischen Ingenried und Krottenhill ist nach der Stellungnahme der Polizei aufgrund der Polizei und der Geländegegebenheiten, insbesondere 10% Steigung, allgemein beschwerlich. Die Polizei sieht die Strecke als gefährlich an. Auch in den Sommermonaten kann die Strecke nicht mit dem Fußgängerverkehr im innerörtlichen Bereich verglichen werden.
Bei ihrer Stellungnahme berücksichtigt die Polizei auch, dass die minderjährigen Schüler den einsamen Weg alleine bewältigen müssen.
Insoweit ist in der Rechtsprechung des BayVGH (B.v. 29.03.2007 – 7 ZB 06.1874 – juris; U.v. 30.01.2003 – 7 B 02.1135 – juris;) sowie anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. z.B. OVG Lüneburg U.v. 19.08.2015 – 2 LB 317/14 – juris) anerkannt, dass ein Schulweg nicht nur wegen einer möglichen Gefährdung von Schülern durch den motorisierten Straßenverkehr, sondern auch wegen sonstiger denkbarer Schadensereignisse, die mit der Benutzung eines Schulweges verbunden sein können, wie z.B. krimineller Übergriffe von Sexualstraftätern oder sonstiger Gewalttäter, als besonders gefährlich angesehen werden kann. Eine die besondere Gefährlichkeit begründende gesteigerte Wahrscheinlichkeit, dass Schulkinder Opfer von Gewalttaten werden, ist grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der betreffende Schüler (z.B. aufgrund seines Alters und/oder seines Geschlechts) zu einem risikobelasteten Personenkreis gehört und wenn er sich darüber hinaus auf seinem Schulweg in einer schutzlosen Situation befindet, insbesondere weil nach den örtlichen Verhältnissen eine rechtzeitige Hilfestellung durch Dritte nicht gewährleistet ist.
Dies ist vorliegend der Fall.
Dass die Tochter der Klägerin zu einem risikobelasteten Personenkreis gehört, dürfte unstreitig sein. Die zum größten Teil außerörtlich liegende Straße verläuft zum weit überwiegenden Teil abseits jeglicher Bebauung, zum Teil auch durch ein Waldstück. Selbst wenn zu Zeiten des Berufsverkehrs eine geringe verkehrliche Belastung gegeben sein mag, ist die Verkehrsbelastung im Übrigen eher gering und überwiegend von gelegentlichem landwirtschaftlichem Verkehr bestimmt. Insbesondere am Nachmittag ist die Strecke jedoch eher einsam und abgeschieden, so dass ein Schulkind überwiegend völlig auf sich allein gestellt ist.
Das Gericht verkennt nicht, dass es im ländlichen Bereich des Öfteren auch von Schülern zu bewältigende Strecken auch im außerörtlichen Bereich und abseits bebauter, belebter Bereiche gibt, bei denen nicht in jedem Fall die Schülerbeförderung durch die Aufgabenträger erforderlich ist. So ist auch in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt, allein die ländliche Prägung eines Gebietes mit dünner Besiedlung grundsätzlich noch nicht die Übernahme von Schülerbeförderungskosten rechtfertigt. Jedoch kommt die Übernahme von Schülerbeförderungskosten vor allem dann in Betracht, wenn weder durch anliegende Bewohner noch durch andere Verkehrsteilnehmer eine zureichende soziale Kontrolle ausgeübt werden kann vgl. OVG Lüneburg, U.v. 19.08.2015 – 2 LB 317/14).
Dies ist hier der Fall. Da auf der Strecke in den Nachmittagsstunden in aller Regel weitgehend kein Verkehr vorhanden ist, kann auch durch andere Verkehrsteilnehmer keine soziale Kontrolle hinsichtlich der Gefährdungen der allein die Straße passierenden Schüler getroffen werden. Hinzu kommt vorliegend, dass es sich bei der zurückzulegenden Strecke von der Entfernung her um eine Strecke handelt, die zumindest im Grenzbereich dessen liegt, was der Gesetzgeber Schülern noch als zurückzulegenden Schulweg zumutet. Zusätzlich wird die Strecke auch von der Polizei von ihrem Verlauf her als beschwerlich angesehen.
Aus dieser Gesamtschau ergibt sich nach Ansicht des Gerichts bei gebotener objektiver Betrachtungsweise unabhängig von der Jahreszeit auch eine besondere, d.h. im Vergleich zu sonstigen Schulwegen gesteigerte und überdurchschnittliche Gefährlichkeit des Schulwegs, weswegen die Schülerbeförderungskosten für den beantragten Fall des verpflichtenden Nachmittagsunterrichts zwischen Ingenried Bushaltestelle und Krottenhill 31 während des gesamten Schuljahres zu übernehmen sind.
Soweit der Beklagte eine Pkw-Anerkennung für die Fahrten im Zeitraum 22. Juli bis 29. Juli 2016 abgelehnt hat, kann dahingestellt bleiben, ob die zur Begründung dafür geäußerte Rechtsmeinung zutrifft, wogegen zumindest spricht, dass für die Schüler auch in diesem Zeitraum (letzte Schulwoche vor den Sommerferien) Schulpflicht besteht. Aus dem insoweit von der Klägerin bei dem Beklagten vorgelegten Programm der Schule für diesen Zeitraum ist jedenfalls kein verpflichtender Nachmittagsunterricht für Montag vorgesehen. Nur insoweit wurde von der Klägerin bei der Beklagten die Erstattung der Beförderungskosten beantragt, auch der Klageantrag erstreckt sich nur auf den verpflichtenden Nachmittagsunterricht am Montag.
Aus den dargestellten Gründen war der Klage im Hilfsantrag stattzugeben, im Übrigen war sie abzuweisen.
Gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO waren die Kosten verhältnismäßig zu teilen, wobei die unterschiedlichen Schulwegstreckenlängen der beantragten Beförderungskosten zugrunde gelegt wurden.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Ab. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den geltend gemachten sich aus der Streckenlänge ergebenden Erstattungsbeträgen.


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