Verwaltungsrecht

Kostentragungspflicht des vollmachtlosen Vertreters

Aktenzeichen  10 ZB 20.1736

Datum:
12.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24571
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 67 Abs. 6, § 173 S. 1
ZPO § 89

 

Leitsatz

Fehlt es im Verwaltungsprozess an der Prozessvollmacht und somit an der Vertretungsmacht des Klägervertreters, ist die von dem vollmachtlosen Vertreter erhobene Klage im Rahmen eines Prozessurteils als unzulässig abzuweisen; die Kosten des Verfahrens sind dem vollmachtlosen Vertreter gem. § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 898 ZPO aufzuerlegen.  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 K 19.2224 2020-06-09 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung wendet sich der Kläger gegen das Prozessurteil des Verwaltungsgerichts vom 9. Juni 2020, mit dem seine gegen den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2019 gerichtete Klage wegen fehlender Prozessvollmacht als unzulässig abgewiesen worden ist. Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 12. November 2019 ordnete die Beklagte gegen den Kläger aufgrund der vollzogenen Abschiebung in die Türkei ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an, das auf drei Jahre und zehn Monate befristet wurde.
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.) noch wegen der geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; 2.), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; 3.) oder eines Verfahrensmangels im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (4.) zuzulassen.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist von der Unzulässigkeit der Klage ausgegangen, weil der den Kläger vertretende Rechtsanwalt trotz Aufforderung durch das Gericht keine schriftliche Prozessvollmacht (§ 67 Abs. 6 Satz 1 VwGO) eingereicht habe. Die Vorlage dieser Vollmacht sei Voraussetzung für die Wirksamkeit der betreffenden Prozesshandlung (Klage). Der Mangel der Vollmacht sei durch die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich gerügt worden. Da der Vertreter des Klägers im Klageschriftsatz vom 23. Dezember 2019 mitgeteilt habe, dass das Mandat des Klägers zwischenzeitlich beendet sei und er die Behörde (Beklagte) davon unterrichtet habe, habe ihn das Gericht mit Schreiben vom 11. Mai 2020 aufgefordert, bis spätestens 29. Mai 2020 die erforderliche Prozessvollmacht vorzulegen. Dieser gerichtlichen Aufforderung sei der Vertreter des Klägers aber auch bis zur mündlichen Verhandlung, zu der auf Klägerseite niemand erschienen sei, nicht nachgekommen. Die im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren (Au 1 K 19.52) vorgelegte schriftliche Prozessvollmacht sei mit rechtskräftiger Beendigung dieses Verfahrens (BayVGH, B.v. 17.3.2020 – 10 ZB 20.21) erloschen und wirke daher nicht für das vorliegende Gerichtsverfahren fort. Die Kosten des Verfahrens seien nach dem sogenannten Veranlassungsprinzip ausnahmsweise nicht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO vom unterlegenen Kläger, sondern von seinem vollmachtlosen Vertreter als Verursacher zu tragen.
Demgegenüber wird im Zulassungsverfahren unter Vorlage einer unterzeichneten Prozessvollmacht vorgetragen, der in die Türkei abgeschobene Kläger habe die erforderliche Vollmacht nicht (rechtzeitig) persönlich unterschreiben können. Wie sich aus § 179 BGB ergebe, hafte der Vertreter ohne Vertretungsmacht, aber nicht ein Vertreter, der seine Vollmacht nicht (rechtzeitig) vorgelegt habe. Entscheidend sei, ob ein Auftrag für die Klageeinreichung erteilt worden sei, was unstreitig der Fall sei. Jedenfalls hätte die Klage aber nicht auf Kosten des Prozessbevollmächtigten, sondern vielmehr auf Kosten des Klägers als unzulässig abgewiesen werden dürfen. Das Gericht vermenge die Frage der Zustellungsvollmacht mit der eines Prozessauftrags bzw. der Prozessvollmacht. Das Verwaltungsgericht hätte in der konkreten Situation des abgeschobenen Klägers auch keine Frist setzen dürfen.
Damit wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts jedoch nicht mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt. Vielmehr verkennt der Kläger die Bedeutung des § 67 Abs. 6 VwGO, der allgemein für alle Prozesse vor den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, also Verfahren mit und ohne Vertretungszwang, das Bestehen einer Prozessvollmacht, die dem Gericht schriftlich vorzulegen ist, als Voraussetzung für die Wirksamkeit des Vertretungsverhältnisses und der betreffenden Prozesshandlung regelt (vgl. Czybulka/Siegel in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 67 Rn. 11, 60 ff.; Hartung in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand 1.4.2015, § 67 Rn. 68 ff.). Unabhängig von der Wirksamkeit der Vertretungsmacht nach außen im Verhältnis zum Gericht ist, in welchem Umfang nach dem Innenverhältnis zwischen dem vertretenen Prozessbeteiligten und dem Vertreter das Recht und die Pflicht zur Vertretung besteht; das Innenverhältnis beruht auf der materiellrechtlichen Vollmacht, die sich allein nach den Vorschriften des BGB richtet und deren Umfang sich von der prozessualen Vollmacht durchaus unterscheiden kann (Czybulka/Siegel, a.a.O., § 67 Rn. 64 m.w.N.). Gemäß § 67 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist das Bestehen einer schriftlichen Vollmacht durch das Verwaltungsgericht grundsätzlich von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen. Tritt wie hier ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter bzw. Vertreter auf, entfällt zwar gemäß § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO diese Pflicht, nicht aber die Befugnis des Gerichts, den Mangel der Vollmacht auch unabhängig von einer Rüge anderer Beteiligter zu prüfen (Czybulka/Siegel, a.a.O., § 67 Rn. 64 m. Rsprnachweiswen). Auch unabhängig von der zulässigen und im Übrigen ordnungsgemäß in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 9. Juni 2020 erfolgten Rüge des Mangels der Vollmacht (s. § 67 Abs. 6 Satz 3 VwGO) durch die Vertreterin der Beklagten (Prozessgegnerin) durfte das Verwaltungsgericht den Mangel der Vollmacht berücksichtigen. Denn der auftretende Rechtsanwalt, der in der Klageschrift selbst die erfolgte Mandatsbeendigung angegeben hat, hat trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderung weder innerhalb der gesetzten Frist noch bis zur anberaumten mündlichen Verhandlung die erforderliche Prozessvollmacht nachgereicht; zur mündlichen Verhandlung sind dann weder der Kläger noch sein Vertreter erschienen. Die Setzung einer Frist zur Vorlage der Prozessvollmacht steht im Übrigen in pflichtgemäßem Ermessen des Vorsitzenden bzw. des Berichterstatters; dieses Ermessen wurde mit Blick auf die begründeten Zweifel an der Wirksamkeit der Vertretungsmacht des für den Kläger auftretenden Rechtsanwalts in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
Fehlt wie im vorliegenden Fall die Prozessvollmacht und damit die Vertretungsmacht des Klägervertreters vor dem Verwaltungsgericht, so ist zwar die von dem Vollmachtlosen eingelegte Klage nicht gänzlich unbeachtlich, sondern im Rahmen eines Prozessurteils als unzulässig zu verwerfen bzw. abzuweisen; dem vollmachtlosen Vertreter sind in diesem Fall nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 89 ZPO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (vgl. BVerwG, B.v. 23.3.1982 – 1 C 63.79 – NVwZ 1982, 499; Czybulka/Siegel, a.a.O., § 67 Rn. 103 m.w. Rsprnachweisen).
Für die vom Vertreter des Klägers vermutete „innerlich ablehnende Haltung des Gerichts gegenüber den Belangen des Klägers“ sowie „gegenüber dem Klägerbevollmächtigten“ gibt es nach alledem keinerlei sachlichen Anhaltspunkt.
2. Die vom Kläger „vorsorglich“ geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten, die die Zulassung der Berufung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigen würden, sind im Zulassungsantrag weder hinreichend dargelegt, noch liegen sie vor. Entgegen dem Zulassungsvorbringen vermengt nicht das Verwaltungsgericht Fragen der Zustellungsvollmacht mit denen des Prozessauftrags bzw. der Prozessvollmacht, sondern verkennt vielmehr der Kläger die Bedeutung einer wirksamen schriftlichen Prozessvollmacht im Sinne von § 67 Abs. 6 VwGO; auf die Ausführungen unter 1. wird Bezug genommen.
3. Die vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtete Frage, „ob jemand, der aufgrund einer Abschiebung eine Vollmacht nicht vorab unterzeichnen kann, diese nachreichen kann – und bis zu welchem Zeitpunkt“ war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zum einen schon nicht entscheidungserheblich, zum anderen fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit der Frage, weil es sich letztlich um die einzelfallbezogene Anwendung von bereits grundsätzlich Geklärtem (siehe oben) handelt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 38).
4. Die Berufung ist schließlich nicht wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Die vom Kläger erhobene Gehörsrüge, weil die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nur „die fehlende Vertretungsbefugnis“ und nicht das Fehlen einer Prozessvollmacht gerügt habe und das Verwaltungsgericht daher „zu Unrecht von der Unzulässigkeit der Klage ausgegangen“ sei, beruht abgesehen davon, dass sie von vornherein nicht geeignet ist, eine vermeintlich fehlerhafte rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts zu beanstanden, auf der oben dargelegten Verkennung der Bedeutung des § 67 Abs. 6 VwGO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben