Aktenzeichen 12 ZB 16.1982
BaySchFG Art. 34a
SGB VIII § 10 Abs. 1 S. 1, § 35, § 35a, § 36 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, § 78b ff., § 90
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 4, § 152 Abs. 1, § 154 Abs. 2, § 188 S. 2, 1
SGB XII § 53, § 54
Leitsatz
1 Soweit § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII einen Vorrang der „Verpflichtungen“ der Schulen gegenüber denjenigen der Jugendhilfe anordnet, bezieht sich dies allein auf das öffentliche Schulwesen, nicht hingegen auf private (Ersatz-)Schulen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wenn aufgrund der Ausgestaltung der „offenen Ganztagsbetreuung“ sich diese als integraler Bestandteil von „Schule“ erweist, da sie der Erreichung der schulischen Lernziele dient und pädagogisch auf die besonderen Bedürfnisse des einzelnen Schülers eingeht, umfasst der Anspruch des zu fördernden Schülers – mangels Bedarfsdeckungsmöglichkeit im öffentlichen Schulwesen – nicht nur die Übernahme des Schulgelds für den eigentlichen Pflicht- und Wahlunterricht, sondern auch die Übernahme des „Schulgelds“ für die Nachmittagsbetreuung im Rahmen der „offenen Ganztagsschule“. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 6 K 15.647 2016-07-21 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Kosten der sog. „offenen Ganztagsbetreuung“ an der R.-S.-Schule in N. für den Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) im Schuljahr 2014/2015.
I.
1. Der 2004 geborene Kläger leidet an einer seelischen Behinderung, die ihm die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in Form der für sein Alter typischen Schulbesuchs- und Freizeitgestaltung unmöglich macht. Auf Antrag seiner Eltern vom 30. Dezember 2009, dem eine ärztliche Stellungnahme von Dr. G.-W. zugrunde lag, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Oktober 2010 Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII in Verbindung mit §§ 53, 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Form der Übernahme des Schulgelds für die Beschulung an der R.-S.-Schule im Zeitraum September 2010 bis Juli 2012. Bei der R.-S.-Schule handelt es sich um eine private Förderschule mit dem Förderschwerpunkt „emotionale und soziale Entwicklung“.
Nachdem die Mutter des Klägers darüber hinaus am 1. Juni 2012 auch die Erstattung der Kosten der (nachmittäglichen) Hausaufgabenbetreuung an der R.-S.-Schule im Rahmen der Eingliederungshilfe sowie mit Antrag vom 28. Juni 2012 die Verlängerung der Schulgeldübernahme beantragt hatte und entsprechende ärztliche Stellungnahmen den Eingliederungshilfebedarf des Klägers einschließlich der Notwendigkeit der Hausaufgabenbetreuung bestätigten, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juli 2012 ab 1. September 2012 zeitlich unbefristet Eingliederungshilfe durch (weitere) Beschulung des Klägers in der privaten R.-S.-Schule unter Einschluss der Hausaufgabenbetreuung.
2. Aufgrund einer Mitteilung der Mutter des Klägers mit Email vom 20. September 2013, wonach dieser nunmehr anstelle der Hausaufgabenbetreuung die „offene Ganztagsgruppe“ der R.-S.-Schule besuche, hob die Beklagte mit Bescheid vom 7. November 2013 die für die Hausaufgabenbetreuung bewilligte Eingliederungshilfe mit Wirkung ab 1. September 2013 auf und wies zugleich darauf hin, dass eine vollständige oder teilweise Erstattung der für die „offene Ganztagsschule“ erhobenen Teilnehmerbeiträge bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nach § 90 SGB VIII in Betracht komme. In der Folge stellte die Mutter des Klägers am 3. Juni 2014 bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kostenbeiträge nach § 90 SGB VIII, den die Beklagte jedoch mit Bescheid vom 1. September 2014 aufgrund der Einkommenssituation der Eltern des Klägers ablehnte.
Bereits mit Schreiben vom 26. Mai 2014 hatte die Mutter des Klägers bei der Beklagten erneut die „Kostenübernahme von Ds Betreuung für die offene Ganztagsbeschulung“ ab dem Schuljahr 2013/2014 bzw. ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 2014 ab. Bei dem offenen Ganztagsangebot der R.-S.-Schule handele es sich um eine nach §§ 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorrangig schulische Leistung, die zugleich geeignet sei, auf etwaige vorhandene Defizite im Bereich der seelischen Gesundheit eines jungen Menschen therapeutisch und pädagogisch einzuwirken. Eine Übernahme der Kosten im Wege der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII komme daher nicht in Betracht.
Sowohl gegen den Bescheid vom 9. Juli 2014 wie auch gegen den Bescheid vom 1. September 2014 ließ die Mutter des Klägers Widerspruch einlegen, den die Regierung von Mittelfranken jeweils mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2015 zurückwies.
3. Daraufhin erhob der Kläger gegen den Bescheid vom 9. Juli 2014 und vom 1. September 2014 Klage mit dem Antrag, die Beklagte unter Aufhebung der jeweiligen Bescheide zu verurteilen „die Kosten der offenen Ganztagesschule seit 1. September 2013 in Höhe von monatlich 200,- € zu tragen, mit Ausnahme jeweils des Monats August“. Den gegen den Bescheid vom 1. September 2014 (Kostenübernahme nach § 90 SGB VIII) gerichteten Klageantrag nahm er in der Folge mit Schriftsatz vom 31. Mai 2016 zurück, woraufhin das Verwaltungsgericht das Verfahren insoweit mit Beschluss vom 31. Mai 2016 einstellte.
Mit Urteil vom 21. Juli 2016 verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte, unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide über den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für das Schuljahr 2014/2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wies es die Klage ab.
Ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten seiner Teilnahme an der offenen Ganztagsbetreuung an der R.-S.-Schule im Rahmen der Eingliederungshilfe bestehe im Schuljahr 2013/2014 nicht. Einen Antrag auf Kostenübernahme habe er erst am 20. September 2013, mithin nach Beginn des Schuljahres 2013/2014 gestellt, sodass als Anspruchsgrundlage nur § 36a Abs. 3 SGB VIII in Betracht komme. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung lägen jedoch nicht vor. Es habe insbesondere an einem Bedarf für die „offene Ganztagsbetreuung“ im Schuljahr 2013/2014 gefehlt, dessen Deckung nach § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII unaufschiebbar gewesen wäre. Denn der beim Kläger bestehende, auf Beschulung in der R.-S.-Schule einschließlich der Hausaufgabenbetreuung gerichtete Hilfebedarf sei durch den unbefristet ab 1. September 2012 geltenden Bescheid der Beklagten abgedeckt gewesen. Ob und gegebenenfalls inwieweit die „offene Ganztagsbetreuung“ zusätzliche Hilfen für den Kläger beinhaltet hätte, deren er auf Grund seiner seelischen Behinderung bedurft hätte, habe der Kläger weder dargelegt noch sei dies sonst ersichtlich.
Demgegenüber habe für das Schuljahr 2014/2015 ein rechtzeitiger Antrag auf Übernahme der Kosten für die offene Ganztagsbetreuung vorgelegen, den die Beklagte abgelehnt habe. Insoweit könne jedoch keine Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines positiven Bescheids ausgesprochen werden. Denn bei der Entscheidung des Jugendamts über das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII wie auch bei der Auswahl der notwendigen und geeigneten Hilfen im Einzelfall handele es sich um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Antragstellers und mehrerer Fachkräfte, das keinen Anspruch auf objektive Richtigkeit erhebe und das auch nicht durch eine gerichtliche Bewertung ersetzt werden könne. Die vom Jugendamt beanspruchte Maßnahme müsse ferner als angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation geeignet sein.
Demzufolge werde die Beklagte, sofern sich aus den vorliegenden Gutachten eine Abweichung von der alterstypischen seelischen Gesundheit oder eine Teilhabebeeinträchtigung nicht feststellen lasse, gegebenenfalls für zurückliegende Zeiträume ein psychologisches Gutachten einzuholen haben, um dann unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts der Eltern des Klägers über die notwendigen und geeigneten Hilfen zu entscheiden. Dabei müsse die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts beachtet werden, „dass unter Berücksichtigung von § 10 Abs. 1 SGB VIII Eingliederungshilfe im Zusammenhang mit schulischen Veranstaltungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen“ sei. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 15. November 2012 (BSG, U.v. 15.11.2012 – B 8 SO 10/11 R – BSGE 112, 196), das seinerseits auf die vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung bestätigte Ausnahme vom Vorrang der schulischen Bedarfsdeckung hinweise, wonach die Übernahme von Kosten einer privaten Schule jedenfalls dann in Betracht komme, wenn der Besuch einer öffentlichen Grundschule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Die Beklagte habe in zahlreichen Einzelfällen über einen längeren Zeitraum das Schulgeld der privaten R.-S.-Schule übernommen, da dort der seelischen Behinderung eines Kindes u.a. wegen kleiner Klassen und des Vorhandenseins von Fachpersonal habe Rechnung getragen und Teilhabebeeinträchtigungen dort hätten vermindert oder verhindert werden können. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte in der Vergangenheit auch während des Zeitraums, in dem an der R.-S.-Schule Unterricht im „pädagogischen Kernbereich“ erbracht worden sei, Eingliederungshilfe geleistet habe. Für behinderungsbedingt erforderliche Betreuung am Nachmittag gelte umso mehr der Grundsatz, dass der Besuch der offenen Ganztagsbetreuung Eingliederungshilfemaßnahmen nicht grundsätzlich ausschließe. Angesichts dessen sei die Beklagte, da über den rechtzeitigen Antrag des Klägers bisher nicht abschließend entschieden worden sei, zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hierüber neu zu entscheiden.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte – soweit sie zur Neuverbescheidung verpflichtet wurde – mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sowie besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO geltend macht.
Demgegenüber verteidigt der Kläger das verwaltungsgerichtliche Urteil.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten, ferner auf die Parallelverfahren 12 ZB 16.1920 und 12 ZB 16.1967 verwiesen.
II.
Der Zulassungsantrag der Beklagten hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht entsprechend § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt sind.
1. Die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten in der Zulassungsbegründung nicht im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstlich zweifelhaft. Dem Kläger kommt vorbehaltlich der noch zu klärenden Tatbestandsvoraussetzungen grundsätzlich ein Anspruch auf Übernahme der Kosten der „offenen Ganztagsbetreuung“ auch dann zu, wenn diese als Bestandteil von „Schule“ begriffen wird, wie es die Beklagte selbst postuliert (1.1). Darüber hinaus scheidet ein Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme im Wege der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII nicht deshalb aus, weil die R.-S.-Schule bzw. deren Trägerverein mit der Beklagten im Schuljahr 2014/2015 keine Leistungsvereinbarung nach § 78b Abs. 1 SGB VIII geschlossen hatte. Insoweit legt die Beklagte nicht substantiiert und nachvollziehbar dar, dass die „offene Ganztagsbetreuung“ an der R.-S.-Schule überhaupt nach § 78a SGB VIII in den Anwendungsbereich der §§ 78b ff. SGB VIII fällt.
1.1 Der Kläger besitzt vom Grundsatz her einen Anspruch auf Kostenübernahme für die „offene Ganztagsbetreuung“ der R.-S.-Schule als Eingliederungshilfeleistung nach § 35a SGB VIII. In diesem Zusammenhang interpretiert die Beklagte zunächst den in § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII normierten Nachrang von Jugendhilfeleistungen gegenüber den Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger und der Schulen unzutreffend.
Denn soweit § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII einen Vorrang der „Verpflichtungen“ der Schulen gegenüber denjenigen der Jugendhilfe anordnet, bezieht sich dies allein auf das öffentliche Schulwesen, nicht hingegen auf private (Ersatz-)Schulen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61.14 – BeckRS 2015, 43210, Rn. 4), der der Senat folgt (vgl. BayVGH, B.v.18.10.2016 – 12 CE 16.2064 – BeckRS 2016, 55019 Rn. 3 ff. mit weiteren Nachweisen), ist insoweit geklärt, dass kein Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen für seelisch behinderte junge Menschen nach § 35a SGB VIII besteht, wenn der Förderbedarf des jungen Menschen im Rahmen des öffentlichen Schulwesens gedeckt werden kann. Umgekehrt kann ein Anspruch auf Übernahme selbst des Schulgelds für Privatschulen dann bestehen, wenn die Bedarfsdeckung im öffentlichen Schulwesen objektiv nicht möglich oder dem Hilfebedürftigen subjektiv nicht zumutbar ist. Auf die Frage, ob die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, U.v. 15.11.2012 – B 8 SO 10/11 R – BSGE 112, 196 = BeckRS 2013, 67081) betreffend Eingliederungshilfeleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch für geistig oder körperlich Behinderte, die jedenfalls im „pädagogischen Kernbereich“ der Schule einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Übernahme des Schulgelds ablehnt aber zugleich auch auf die vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen „Ausnahmen“ hinweist, im vorliegenden Fall Anwendung findet, kommt es nicht entscheidungserheblich an, da der Kläger seelisch behindert bzw. von einer seelischen Behinderung bedroht ist und ihm daher gegebenenfalls Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII zu gewähren ist.
Angesichts des Umstands, dass privaten Förderschulen nach Art. 33 Abs. 2 BayEUG ein Vorrang vor staatlichen Schulen zukommt und daher in Bayern kein flächendeckendes Netz öffentlicher Förderschulen besteht (vgl. hierzu LT-Drucks. 17/7806 S. 4 zum Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung zur Änderung des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes) und die Beklagte im Übrigen bis zum Schuljahr 2013/2014 beim Kläger das Schulgeld der privaten R.-S.-Schule als Eingliederungshilfeleistung nach § 35a SGB VIII übernommen hat, ist davon auszugehen, dass der beim Kläger diagnostizierte Hilfebedarf offenkundig durch öffentliche Förderschulen nicht gedeckt werden kann. Dass dies anders als bis zum Schuljahr 2013/2014 im Schuljahr 2014/2015 möglich gewesen wäre, legt die Beklagte weder dar noch ist es sonst in irgendeiner Weise ersichtlich. Demzufolge greift hier der „Vorrang“ der schulischen Bedarfsdeckung gegenüber der Jugendhilfe aus § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gerade nicht ein. Es liegt vielmehr eine Fallgestaltung vor, in der der Jugendhilfeträger als „Ausfallbürge“ (vgl. Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 10 Rn. 35; ferner Schönecker/Meysen in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 10 Rn. 26; Bieritz-Harder in Hauck/Noftz, SGB VIII Stand Dezember 2015, § 10 Rn. 9) die Privatschulkosten des Klägers im Rahmen der Eingliederungshilfe – vorbehaltlich der Erfüllung der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen – grundsätzlich übernehmen muss.
Legt man zudem die von der Beklagten und auch vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung zugrunde, dass aufgrund der Ausgestaltung der „offenen Ganztagsbetreuung“ an der R.-S.-Schule auf der Basis der Vorgaben des Bayerischen Kultusministeriums sich diese als integraler Bestandteil von „Schule“ erweist, da sie der Erreichung der schulischen Lernziele dient und pädagogisch auf die besonderen Bedürfnisse des einzelnen Schülers eingeht, umfasst der Anspruch des Klägers – mangels Bedarfsdeckungsmöglichkeit im öffentlichen Schulwesen – nicht nur die Übernahme des Schulgelds für den eigentlichen Pflicht- und Wahlunterricht an der R.-S.-Schule, sondern auch die Übernahme des „Schulgelds“ für die Nachmittagsbetreuung im Rahmen der „offenen Ganztagsschule“.
Aufgrund des bereits dargelegten Umstands, dass es sich bei Förderschulen in Bayern überwiegend um Privatschulen handelt, und angesichts der ebenfalls zitierten bundessozialgerichtlichen Rechtsprechung zur Eingliederungshilfe bei körperlich oder geistig behinderten jungen Menschen, hat im vorliegend streitgegenständlichen Schuljahr 2014/2015 der Freistaat Bayern, wie auch von der Beklagten angeführt, das Schulgeld für den Pflicht- und Wahlunterricht privater Förderschulen als „freiwillige Leistung“ übernommen (vgl. hierzu auch LT-Drucks. 17/7806 S. 4). Mit der Änderung des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes durch Neueinführung von Art. 34a BaySchFG mit Wirkung zum 1. August 2015 trägt der Freistaat nunmehr den gesamten Personal- und Schulaufwand privater Förderschulen unter der Voraussetzung, dass bei Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf der „unentgeltliche Besuch des Pflicht- und Wahlunterrichts sowie die unentgeltliche Teilnahme am schulischen Ganztagsangebot“ (Hervorhebung durch den Senat) gesichert ist. Angesichts dieser Gesetzeslage erfolgt die Teilnahme an der „offenen Ganztagsbetreuung“ an der R.-S.-Schule nunmehr ebenfalls kostenlos (vgl. hierzu den Internetauftritt der R.-S.-Schule https://www.privatschule-regina-stein.de/kosten/).
Hat der Freistaat Bayern im Schuljahr 2014/2015 somit für den Kläger zwar das Schulgeld für den Pflicht- und Wahlunterricht an der R.-S.-Schule übernommen, nicht jedoch die Kosten der „offenen Ganztagsbetreuung“, bestand für ihn ein entsprechender Bedarf an Eingliederungshilfe für die als „schulische“ Leistung anzusehende Teilnahme an der „offenen Ganztagsbetreuung“ fort, der von der Beklagten als „Ausfallbürge“ hätte gedeckt werden müssen, sofern die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen für Eingliederungshilfeleistungen vorgelegen haben. Für die Behauptung der Beklagten, die Leistungen des Freistaats Bayern an die R.-S.-Schule hätten bereits im Schuljahr 2014/2015 auch die Kosten der „offenen Ganztagsbetreuung“ abgedeckt, bestehen keine Anhaltspunkte. Folglich hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu Recht auf Neuverbescheidung des Antrags des Klägers unter Beachtung seiner Rechtsauffassung verpflichtet.
1.2 Der Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme im Wege der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII scheitert entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht daran, dass die R.-S.-Schule bzw. deren Trägerverein für das Schuljahr 2014/2015 keine Leistungsvereinbarung nach § 78b Abs. 1 SGB VIII mit der Beklagten abgeschlossen hatte. Denn die Anwendung von § 78b Abs. 1 SGB VIII würde voraussetzen, dass das Angebot der „offenen Ganztagsbetreuung“ der R.-S.-Schule nach § 78a SGB VIII in den Anwendungsbereich der Regelungen über Leistungsvereinbarungen fiele. Dies wäre nur dann der Fall, wenn mit der „offenen Ganztagsbetreuung“ nach § 78a Abs. 1 Nr. 5 lit. a SGB VIII Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche in anderen teilstationären Einrichtungen im Sinne von § 35a Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. SGB VIII erbracht würde.
Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. BayVGH, U.v. 15.4.2014 – 12 BV 12.1786 – BeckRS 2014, 50249 Rn. 25 ff.), steht der Besuch einer Schule nicht von vornherein der Aufnahme in eine teilstationäre Einrichtung gleich. Ob eine Einrichtung eine teilstationäre Betreuung erbringt oder ob diese als ambulante Leistung einzustufen ist, hängt von der Art der jeweiligen Hilfemaßnahme und dem Konzept der in Anspruch genommenen Einrichtung ab. Insoweit wird wesentlich auf das Kriterium der „Aufnahme“ in die Einrichtung und in diesem Zusammenhang auf ein zeitliches Moment abgestellt, wonach sich die Betreuung des Leistungsberechtigten nicht nur auf einen unbedeutenden Teil des Tages, wie bei der Ambulanz, beziehen darf. Zum anderen setzt sie für die Bejahung einer teilstationären Betreuung die Erweiterung des Verantwortungsbereichs für den Träger der Einrichtung voraus, der nicht nur die Pflicht zur eigentlichen Hilfeleistung erfüllen muss, sondern darüber hinaus noch die Verantwortung für die gesamte Betreuung des Berechtigten trägt, solange sich dieser innerhalb der Einrichtung befindet. Danach kann eine Schule nicht schon allein deshalb als teilstationäre Einrichtung angesehen werden, weil Schüler darin nicht nur unterrichtet, sondern im Rahmen des Unterrichts auch beaufsichtigt, versorgt und beraten werden. Schulen bieten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine teilstationäre Betreuung nur dann, wenn dem Schüler über die bloße Vermittlung des Lernstoffs und die damit zwangsläufig verbundene Betreuung hinaus ein besonderes Maß physischen und psychischen Rüstzeugs zur Verfügung gestellt wird, das eine wenigstens zeitweise Integration in die Schule erfordert, damit die gesteigerte Verantwortung des Einrichtungsträgers insbesondere hinsichtlich der Betreuung bis zum Wechsel der Obhut getragen werden kann. Eine Hilfe in einer Einrichtung setzt, wenn sie den Charakter einer teilstationären Leistung haben soll, mithin voraus, dass der Einrichtungsträger von der Aufnahme des Leistungsberechtigten bis zu seiner Entlassung nach Maßgabe des angewandten Konzepts die Gesamtverantwortung für dessen tägliche Lebensführung übernimmt.
Die Beklagte hat sich im vorliegenden Fall zwar auf § 78b Abs. 1 SGB VIII berufen, indes nicht dargelegt, dass es sich bei der „offenen Ganztagsbetreuung“ der R.-S.-Schule überhaupt um die Leistungserbringung in einer teilstationäre Einrichtung gemäß den vorstehend dargelegten Kriterien handelt, für die die Vorschriften über Leistungsvereinbarungen gelten. Zugleich hat sie in Erwiderung auf einen Schriftsatz der Klägerseite ausdrücklich betont, dass „das Angebot, das von der Klägerseite als ‚Schule‘ bezeichnet wird, nicht unter den Begriff der anderen teilstationären Einrichtung i.S.d. § 35 SGB VIII fällt“ (Bl. 56 der Gerichtsakte). Demzufolge kommt bereits nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten die Anwendung von § 78b Abs. 1 SGB VIII nicht in Betracht. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Senat (BayVGH, U.v. 15.4.2014 – 12 BV 12.1786 – BeckRS 2014, 50249; ferner B.v. 18.12.2007 – 12 CE 07.2800, 12 C 07.2901 – BeckRS 2010, 56565 Rn. 27) in den bislang entschiedenen Einzelfällen die in Rede stehende schulische Betreuung des Hilfebedürftigen nicht der Leistung in einer „anderen teilstationären Einrichtung“ zugeordnet hat. Auch das Bundessozialgericht (BSG, a.a.O, Rn. 12) hält es für zweifelhaft, ob „eine Schule (anders als etwa die der Schule angegliederte Behinderteneinrichtung) eine teilstationäre Einrichtung“ ist.
Dass § 78b Abs. 1 SGB VIII im vorliegenden Fall einen Anspruch des Klägers auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII ausschließt, hat die Beklagte daher nicht substantiiert dargelegt, sodass auch dieses Vorbringen die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht rechtfertigt.
2. Eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache scheidet ebenfalls aus.
Insoweit erachtet die Beklagte die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob bei Besuch einer staatlich geförderten Schule mit offenem Ganztagsbetrieb entsprechend den Fördervoraussetzungen des Kultusministeriums noch Platz für eine Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII ist, wenn sich die Eingliederungshilfe darauf beschränkt, dass der von den Eltern zu entrichtende Teilnahmebeitrag vom Jugendamt übernommen wird.“
Diese Frage stellt sich indes im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich. Denn das Verwaltungsgericht begreift – insoweit der Auffassung der Beklagten folgend – die offene Ganztagsbetreuung als Bestandteil der von der privaten R.-S.-Schule erbrachten Leistung „Schule“ und bejaht mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats vom Grundsatz her einen Anspruch des Klägers auf Übernahme des von der privaten Förderschule erhobenen Schulgelds, soweit die Betreuung außerhalb des Pflicht- und Wahlunterrichts im Rahmen der offenen Ganzttagsbetreuung erfolgt und nicht durch Leistungen des Freistaats Bayern an die privaten Förderschulen abgedeckt ist. Ein „zusätzlicher Bedarf“, dessen Kostentragung die Beklagte geklärt wissen möchte, steht daher nicht in Rede.
3. Soweit die Beklagte schließlich die Zulassung der Berufung wegen besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erstrebt und zur Begründung lediglich auf eine Kommentardefinition der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten verweist, ohne vorzutragen, weshalb diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sein sollen, genügt sie dem Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.
Demzufolge kommt dem Antrag auf Zulassung der Berufung insgesamt kein Erfolg zu.
4. Die Beklagte trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Kinder- und Jugendhilferechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das verwaltungsgerichtliche Urteil nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.