Verwaltungsrecht

Landesinterne Umverteilung

Aktenzeichen  Au 6 K 16.1658, Au 6 S 16.1659

Datum:
21.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDVAsyl BayDVAsyl § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2, Abs. 6
AsylG AsylG § 50, § 55 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tägliche Pendelzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln von 25 bis 40 Minuten einfacher Fahrt zwischen Gemeinschaftsunterkunft und Arbeitsplatz sind im Umkreis von Großstädten üblich; sie sind auch für einen Asylbewerber, der seine Erwerbstätigkeit nur ausnahmsweise ausüben darf, zumutbar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
III.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird für das Antrags- wie für das Klageverfahren abgelehnt.

Gründe

II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den angefochtenen Bescheid der Regierung von … vom 18. November 2016 hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung, sofern diese nicht kraft Gesetzes (hier: Art. 10 Abs. 1 Satz 2 AufnG, § 75 Abs. 1 AsylG) oder aufgrund einer Anordnung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entfällt. Ob ein hiernach erforderliches besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht, hat das Gericht – hier: der Einzelrichter nach § 76 Abs. 1 i. V. m. § 50 AsylG – auf Antrag des Betroffenen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu prüfen.
Lässt sich bei summarischer Überprüfung die Rechtswidrigkeit des sofort vollziehbaren angefochtenen Bescheids ohne Weiteres feststellen, ist er also offensichtlich rechtswidrig, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen bzw. anzuordnen, weil an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich dagegen der Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, so kann in der Regel ohne Verfassungsverstoß davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung das private Aufschubinteresse überwiegt. Lässt sich schließlich bei summarischer Prüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die evidente Rechtswidrigkeit feststellen, weil der Sachverhalt weiterer Aufklärung bedarf oder sich schwierige und nicht eindeutig höchstrichterlich geklärte Rechtsfragen stellen, bedarf es einer Abwägung der Interessen im Einzelfall. Dabei sind die Folgen, die eintreten, wenn die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte, den Auswirkungen gegenüberzustellen, die entstünden, wenn die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt bzw. angeordnet würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg versagt würde.
Im vorliegenden Fall erweist sich der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, so dass ein überwiegendes Interesse am Fortbestand des gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs gegeben ist.
1. Die angefochtene Zuweisungsentscheidung, die auf § 50 AsylG, § 9 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl, § 1 Abs. 1 AsylbLG, Art. 1, Art. 3 und Art. 5 Abs. 2 AufnG beruht, ist formell rechtmäßig.
Die Regierung von … ist nach § 9 Abs. 2 Satz 2 DVAsyl für die Zuweisungsentscheidung zuständig. Die Antragstellerin ist – ungeachtet ihrer Erwerbseinkünfte – dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, so dass hinsichtlich Form, Begründung und Bekanntgabe der Zuweisungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 Satz 5 DVAsyl die Regelungen des § 50 Abs. 4 und Abs. 5 AsylG Anwendung finden. Eine Anhörung und Begründung sind demnach entbehrlich (§ 50 Abs. 4 Satz 3 und 4 AsylG). Der angefochtene Bescheid ist schriftlich erlassen, die Rechtsbehelfsbelehrung ist beigefügt (§ 50 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
2. Die Zuweisung ist im hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nach derzeitiger Aktenlage auch materiell rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 9 Abs. 1 Satz 2 DVAsyl. Es handelt sich um eine von der Antragstellerin selbst beantragte landesinterne Umverteilung in Form einer Umzugsaufforderung, da sie lediglich einer anderen Unterkunft in demselben Landkreis zugewiesen worden ist. Dass sie nicht einer ihr genehmeren Unterkunft zugewiesen wurde, ändert nichts an der Umzugsaufforderung auf eigenen Antrag (Schreiben vom 15. November 2016). Schon deswegen scheidet hier eine Rechtsverletzung aus.
b)Der Antragstellerin stehen darüber hinaus aber auch keine familiären oder sonstigen humanitären Gründe von vergleichbarem Gewicht im Sinne von § 9 Abs. 6 DVAsyl zur Seite, denen derart Rechnung zu tragen wäre, dass sich der streitgegenständliche Bescheid dennoch als rechtswidrig erweisen würde. Im Gegenteil ist die mit ihrem Freund in der vormaligen Familienunterkunft geführte Lebensgemeinschaft beendet, so dass ihr als alleinstehende Frau eine Unterkunft für Einzelpersonen zugewiesen werden konnte. Da ihr bisheriger Unterkunftsplatz neu vergeben wurde und Familienunterkünfte vorrangig Familien zur Verfügung stehen sollen, ist ihre Umzugsaufforderung auch aus diesem Grund nicht zu beanstanden. Daneben rechtfertigt das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Unterkunftsbetriebs ihre Umverteilung zusätzlich, da sie und ihr Freund zuletzt immer heftiger miteinander stritten und deswegen getrennt werden wollten (Schreiben vom 15. November 2016), wie der Antragsgegner weiter anführt. Schließlich stützt auch die gesetzgeberische Wertung in § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG, wonach Asylbewerber keinen Anspruch darauf haben, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten, die hier getroffene Entscheidung.
c)Die vom Antragsgegner getroffene Entscheidung leidet auch nicht an Ermessensfehlern. Die Ermessensentscheidung ist im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar. Die gerichtliche Prüfungsdichte bemisst sich nach der Regelung des § 114 VwGO, so dass die Entscheidung lediglich daraufhin zu überprüfen ist, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, ob in diese alle maßgeblichen und keine unzulässigen Erwägungen Eingang gefunden haben und ob einzelne Belange entgegen ihrer objektiven Wertigkeit in die Abwägung eingestellt worden sind. Nach diesem Maßstab ist die Ermessensentscheidung des Antragsgegners nicht zu beanstanden.
Es ist nicht erkennbar, dass sich der Antragsgegner von sachfremden Erwägungen leiten ließ oder wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen hat. Im Gegenteil hat der Antragsgegner dem Wunsch der Antragstellerin nach einem Umzug gerade entsprochen. Dass er demgegenüber das Interesse der Antragstellerin am weiteren Verbleib in der Unterkunft in … als weniger schutzwürdig gegenüber dem öffentlichen Interesse an der inneren Ordnung der bisherigen Gemeinschaftsunterkunft gewertet hat, ist angesichts des eigenen Umzugswunsches der Antragstellerin nicht zu beanstanden. Auch hat er ihr Interesse, ihren Arbeitsplatz noch erreichen zu können, berücksichtigt. Tägliche Pendelzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln von 25 bis 45 Minuten einfacher Fahrt sind im Großraum … üblich; von vielen Beschäftigten werden täglich weit längere Fahrzeiten in Kauf genommen. Dass ihre Fahrzeiten der Antragstellerin im Vergleich zu anderen Beschäftigten unzumutbar wären, ist weder aufgezeigt noch ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als ihr Aufenthalt in Deutschland der Prüfung ihres Schutzgesuchs nach § 13 AsylG dient, aber nicht einer Erwerbstätigkeit, die sie nur ausnahmsweise ausüben darf (§ 61 Abs. 2 AsylG) und die für sie eine deutliche Vergünstigung gegenüber anderen Asylbewerbern bedeutet.
d) Die Umverteilung ist auch nicht unverhältnismäßig. Sie ist geeignet, die Störung der inneren Ordnung in der Unterkunft in … durch die Streitigkeiten zwischen der Antragstellerin und ihrem Freund zu beseitigen. Die Umverteilung ist erforderlich, da sie zum Einen der Antragstellerin selbst als Mittel ihrer Wahl erschien, zum Anderen weder ersichtlich noch vorgetragen ist, dass kurzfristig auch eine Umverteilung in eine nähergelegene Unterkunft möglich gewesen wäre. Ein milderes Mittel ist daher nicht ersichtlich. Die Umverteilung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Rechte der Antragstellerin, die über die mit jeder Umverteilungsentscheidung verbundene Einschränkung hinausgeht, ist nicht zu erkennen. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf das Vorbringen der Antragstellerin bezüglich ihrer Erwerbstätigkeit aus den o.g. Gründen. Sie bleibt weiterhin in demselben Landkreis und in einer benachbarten Unterkunft wohnen. Insbesondere im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin den Anlass für die Umverteilung durch ihren Antrag und ihr Verhalten in der bisherigen Unterkunft selbst herbeigeführt hat, beeinträchtigt die weitere Entfernung zum Arbeitgeber sie nicht unangemessen.
e) Auch unter Berücksichtigung der Interessen der Antragstellerin überwiegt demnach das öffentliche Interesse am gesetzlich angeordneten Sofortvollzug.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG; BayVGH, B.v. 17.10.2016 – 21 C 16.30043 – juris).
III.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die Erfolgsaussichten des Antrags- und des Klageverfahrens bereits vor Durchführung der mündlichen Verhandlung nicht mehr wenigstens offen sind, wie sich aus o.g. Ausführungen ergibt.
Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a. a. O., Rn. 38).
Vorliegend wird die Klage jedoch voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben, da sich der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig zeigt, so dass auch im Eilverfahren ein überwiegendes Interesse am Fortbestand des gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs gegeben ist.
Auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zur Bestreitung der Prozesskosten kommt es daher nicht mehr an.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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