Verwaltungsrecht

Landwirtschaftliche Subventionen, Klagefrist, Rechtsbehelfsbelehrung, Fakultatives Widerspruchsverfahren

Aktenzeichen  6 ZB 21.2271

Datum:
8.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6587
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 74 Abs. 1 S. 2
VwGO § 58
AGVwGO Art. 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 8 K 20.2655 2021-07-06 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Juli 2021 – Au 8 K 20.2655 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 52.083,44 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, dem Antrag zu entsprechen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Der Kläger wendet sich gegen den am 7. Januar 2020 versandten Bescheid des Beklagten vom 10. Dezember 2019, mit dem ihm die beantragten landwirtschaftlichen Subventionen (nur) unter einer Kürzung in Höhe von 35% gewährt worden sind. Seine hiergegen am 10. Dezember 2020 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, die Klage sei nicht fristgerecht gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben worden.
2. Die gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebrachten Einwände rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 VwGO.
a) Aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil und dem vorangegangenen Gerichtsbescheid, auf den das Urteil ausdrücklich Bezug nimmt (Rn. 15), mit überzeugenden Erwägungen festgestellt, dass die Klage bereits unzulässig ist, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben worden ist. Die Einwände des Klägers begründen keine Zweifel, denen in einem Berufungsverfahren weiter nachzugehen wäre.
Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO grundsätzlich nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung des Verwaltungsakts zulässig.
In der Belehrung muss der Rechtsbehelf, der gegen die Entscheidung gegeben ist, klar und eindeutig bezeichnet sein. Sind gegen eine Entscheidung mehrere Rechtsbehelfe möglich, so muss die Belehrung sich auf sämtliche statthaften Rechtsbehelfe erstrecken (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1988 – 5 C 9.85 – juris Rn. 15; U.v. 3.11.1992 – 9 C 6/92 – juris Rn. 15; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 58 Rn. 8; Kastner in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, VwGO, 5. Aufl. 2021, § 58 Rn. 14; Kluckert in Sodann/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 58 Rn. 51; Meissner/Schenk in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 58 Rn. 34 m.w.N.).
Die dem streitgegenständlichen Bescheid angefügte Rechtsbehelfsbelehrung genügt diesen Anforderungen mit der Folge, dass mit Bekanntgabe des am 7. Januar 2020 versandten Bescheids die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu laufen begonnen hat und nicht die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO maßgeblich ist. Die Abweisung der erst am 10. Dezember 2020 erhobenen Klage als verfristet und daher unzulässig ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Rechtsbehelfsbelehrung ist zu entnehmen, dass gegen den Bescheid innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe „entweder Widerspruch eingelegt (siehe 1.) oder unmittelbar Klage (siehe 2.) erhoben werden“ kann. Damit ist der Kläger hinreichend über das ihm gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO – zustehende Wahlrecht zwischen Widerspruchseinlegung mit gegebenenfalls anschließender Klageerhebung und (alternativ) unmittelbarer Klageerhebung belehrt worden.
aa) Soweit der Kläger einwendet, in der Rechtsbehelfsbelehrung werde nicht ausreichend erläutert, dass das Widerspruchsverfahren gegebenenfalls lediglich einem Klageverfahren vorgeschaltet ist, insbesondere, dass das Wort „unmittelbar“ hierfür nicht genüge, sondern allenfalls in diese Richtung deuten könne, vermag er damit keine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu begründen. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil (Rn. 17) überzeugend dargelegt, dass das Wort „unmittelbar“ als Synonym für „ohne Umweg“ oder „direkt“ verwendet wird, so dass aus der Formulierung „entweder Widerspruch eingelegt oder unmittelbar Klage erhoben“ auch für einen Laien deutlich wird, dass er entweder eine „Abkürzung“ nehmen und unmittelbar das Gericht anrufen oder – im Umkehrschluss – einen längeren Verfahrensweg einschlagen kann, indem er zunächst Widerspruch einlegt und erst nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens – eben „mittelbar“ – Klage erhebt. Diesen Ausführungen hält der Kläger nichts Stichhaltiges entgegen, sondern beschränkt sich auf die bloße Behauptung des Gegenteils, ohne sich mit den Ausführungen des Gerichts auseinanderzusetzen.
bb) Soweit der Kläger meint, es reiche in Fällen, in denen zwei Rechtsbehelfe in Betracht kommen, nicht aus, die statthaften Rechtsbehelfe nur zu benennen, vielmehr müsse der Betroffene, der als juristischer Laie keine Vorstellung von Widerspruch und Klage habe, aus der Rechtsbehelfsbelehrung erkennen können, welcher Weg für ihn „der richtige“ sei, kann er damit ebenfalls nicht durchdringen. Ein Gebot, nicht nur über die statthaften Rechtsbehelfe, sondern auch über deren Unterschiede bzw. Vor- und Nachteile zu belehren, lässt sich weder aus dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 58 VwGO herleiten.
Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass niemand aus Rechtsunkenntnis eines Rechtsbehelfs verlustig gehen soll. Dem Beteiligten muss also vor Augen geführt werden, dass und wie – insbesondere durch Einlegung welchen Rechtsbehelfs oder welcher Rechtsbehelfe – er den drohenden Rechtsverlust abwenden kann. Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss, um § 58 Abs. 1 VwGO zu genügen, aber nicht allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten Rechnung tragen und muss dem Beteiligten nicht jede eigene Überlegung ersparen (BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 4 C 2/18, 4 C 3/18 – juris Rn. 16 m.w.N.). Ob im Fall der Eröffnung des fakultativen Widerspruchsverfahrens – wie hier – auf dem Gebiet des Landwirtschaftsrechts einschließlich des Rechts landwirtschaftlicher Subventionen (Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO) dem Betroffenen vor Klageerhebung zunächst die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens oder die unmittelbare Klageerhebung anzuraten ist, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab (insbesondere dem Streitgegenstand, aber auch persönlichen Umständen wie der Bereitschaft, Zeit und Geld in den Rechtsstreit zu investieren) und kann letztlich nur vom Betroffenen selbst – ggf. nach Einholung von Rechtsrat – beurteilt werden. Eine Belehrung dahingehend, welcher Weg für den Beteiligten „der richtige“ ist, erscheint daher weder möglich noch geboten. Dass auch nach (erfolgloser) Durchführung eines Widerspruchsverfahrens Klage erhoben werden kann, mithin in jedem Fall die Möglichkeit besteht, sich gegen behördliche Maßnahmen vor einem Gericht zur Wehr zu setzen, geht hier jedenfalls aus der in der Rechtsbehelfsbelehrung gewählten – und dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO entsprechenden – Formulierung („entweder Widerspruch eingelegt […] oder unmittelbar Klage […] erhoben“) auch für einen rechtsunkundigen, aber mündigen Staatsbürger hinreichend deutlich hervor. Im Übrigen wird der Betroffene für den Fall einer Widerspruchseinlegung auch in der dem Widerspruchsbescheid anzufügenden Rechtsbehelfsbelehrung(nochmals) auf die dann (erneut) bestehende Möglichkeit einer Klageerhebung hingewiesen.
b) Die Rechtssache weist aus den oben genannten Gründen auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Soweit der Kläger besondere (rechtliche) Schwierigkeiten der Rechtssache damit zu begründen versucht, dass es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich bedenklich sei, dem Betroffenen mehrere Rechtsbehelfe zur Verfügung zu stellen, vermag er damit nicht zu überzeugen. Inwieweit der Kläger in seinem Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt sein soll, wenn ihm auf der Grundlage von § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO ein Wahlrecht zwischen zwei Rechtsbehelfen und damit zwischen einem längeren und einem kürzeren Verfahrensweg eingeräumt wird, erschließt sich dem Senat nicht. Indem dem Betroffenen zwei Verfahrenswege zur Verfügung gestellt werden, werden die Rechtsschutzmöglichkeiten nicht beschnitten, sondern erweitert. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich auch nicht aus der vom Kläger ins Feld geführten, aus der Wahlmöglichkeit (angeblich) folgenden Rechtsunsicherheit beim Betroffenen. Ob der Betroffene ausreichend über die hier zur Wahl stehenden Rechtsbehelfe belehrt worden ist oder nicht, ist keine Frage der Verfassungsmäßigkeit des fakultativen Widerspruchsverfahrens, sondern eine an § 58 Abs. 1 VwGO zu messende und im Einzelfall zu entscheidende Frage, die sich vorliegend – wie oben bereits ausgeführt – insbesondere unter Rückgriff auf die hierzu bereits vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt.
c) Die Berufung ist auch nicht wegen der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn das erstrebte weitere Gerichtsverfahren zur Beantwortung von entscheidungserheblichen konkreten Rechts- oder Tatsachenfragen mit über den Einzelfall hinausgehender Tragweite beitragen könnte, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts höhergerichtlicher Klärung bedürfen. Die Darlegung dieser Voraussetzungen verlangt vom Kläger, dass er unter Durchdringung des Streitstoffs eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird.
Die vom Kläger aufgeworfene Frage, „ob das fakultative Widerspruchsverfahren verfassungsgemäß ist und mit Bundesrecht – insbesondere mit § 58 VwGO – vereinbar ist“, bedarf nicht der höhergerichtlichen Klärung.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat auf eine Popularklage hin (Vf. 10-VII-07) bereits für alle bayerischen Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden bindend (Art 29 Abs. 1 des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof – VfGHG) entschieden, dass die seit 1. Juli 2007 in Bayern geltende Regelung zur teilweisen Abschaffung und im Übrigen fakultativen Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens nicht gegen Vorschriften der Bayerischen Verfassung verstößt. Die teilweise Abschaffung des Widerspruchsverfahrens verstößt insbesondere nicht gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG (VerfGH v. 23.10.2008 – Vf. 10-VII-07 – juris Rn. 58 f.). Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Einräumung eines Wahlrechts zwischen Widerspruchsverfahren und sofortiger Klage in den in Art. 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO aufgezählten Bereichen mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, wurde zwar – soweit ersichtlich – nicht thematisiert, bedarf aber aus dem oben unter b) bereits genannten Grund keiner weiteren Klärung.
Ob die fakultative Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens in Art. 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO mit Bundesrecht, insbesondere § 58 VwGO, vereinbar ist, bedarf deshalb keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, weil sich diese Frage ohne weiteres bejahen lässt. Denn die Vorschrift des § 58 VwGO trifft keine Regelung darüber, welche Rechtsbehelfe gegen staatliche Maßnahmen statthaft sind, enthält mithin auch keine Aussage darüber, inwieweit die (landesrechtliche) Einräumung eines Wahlrechts zwischen Widersprucheinlegung und (alternativ) unmittelbarer Klageerhebung zulässig ist, sondern verlangt zum Schutz des Betroffenen für den Fristenlauf lediglich, dass dieser über die in Betracht kommenden Rechtsbehelfe – wie hier – hinreichend belehrt worden ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.


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