Verwaltungsrecht

Lebensmittelüberwachung – Auskunftserteilung

Aktenzeichen  W 8 S 17.1396

Datum:
8.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 386
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VlG § 2, § 3, § 5

 

Leitsatz

1 Die Antragsbefugnis eines Unternehmers gegen staatliche Informationstätigkeit, die sich nachteilig auf den Marktanteil oder die Chancen im Wettbewerb auswirken kann, folgt auch aus den Grundrechten. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Gegenstand des Informationsanspruchs aus § 2 Abs. 1 S. 1 VlG ist nicht auf produktbezogene Informationen beschränkt, sondern erfasst auch die Feststellungen von Abweichungen im Prozess der Herstellung, Verarbeitung, Lagerung und Lieferung. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch Informationen über beseitigte Mängel aus der jüngeren Vergangenheit sind geeignet, zur Transparenz am Markt beizutragen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der … wird zum Verfahren beigeladen.
II. Der Antrag wird abgelehnt.
III. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
IV. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Eilantrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners (vertreten durch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Erlangen – LGL) vom 17. November 2017, in dem einem Antrag des Beigeladenen auf Gewährung von Verbraucherinformationen nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) stattgegeben wurde.
1. Im Unternehmen der Antragstellerin wird Bier hergestellt. Im Zuge der amtlichen Lebensmittelüberwachung wurde das Lebensmittelunternehmen der Antragstellerin am 13. September 2016 von Mitarbeitern des LGL kontrolliert. Dabei wurden Abweichungen von Anforderungen des Lebensmittelrechts festgestellt.
Am 8. August 2017 beantragte der Beigeladene beim LGL die umfassende Erteilung von Auskünften mit Bezug auf das Verbraucherinformationsgesetz zu dem Kontrollschwerpunkt „Betriebe mit ehemals gravierenden Mängeln aus dem Jahr 2016“, auch unter Angabe des vollständigen Betriebsnamens, der Untersuchungsergebnisse sowie von Maßnahmen und Sanktionen.
Mit Schreiben vom 17. August 2017 informierte das LGL die Antragstellerin von dem Auskunftsersuchen, kündigte eine antragsgemäße Bescheidung an und räumte ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme ein.
Hiervon machte die Antragstellerin mit Schreiben vom 15. September 2017 Gebrauch. Sie widersprach der Bekanntgabe der Informationen und führte im Wesentlichen aus, die in der Kontrolle am 13. September 2016 vorgefundenen Mängel seien inzwischen beseitigt. Weiter wurde dann im Einzelnen dargestellt, welche Mängel durch welche Maßnahmen behoben worden sein sollen. Zur Beseitigung dieser Mängel seien erhebliche Investitionen getätigt worden. Die vom Beigeladenen geforderten Daten gehörten der Vergangenheit an und beschrieben nicht mehr einen vorhandenen Zustand. Die Herausgabe der Daten werde die Antragstellerin extrem schädigen und alle Bemühungen der Vergangenheit sowie der Zukunft infrage stellen, zu dem viele Arbeitsplätze gefährden und stehe daher in keinem Verhältnis zudem Informationsbedürfnis der Verbraucher.
2. Mit Bescheid des LGL vom 17. November 2017, gerichtet an den Beigeladenen, wurde dem Antrag des Beigeladenen auf Auskunftserteilung stattgegeben (Nr. I.). Es wurde angeordnet, dass die Informationsgewährung 15 Tage nach Bekanntgabe dieses Bescheids an die betroffenen Unternehmen durch Übersendung von insgesamt 14 Gutachten des LGL per E-Mail als PDF-Datei erfolgen soll und dass personenbezogene Daten und Betriebsangaben ohne Bezug zu den festgestellten unzulässigen Abweichungen geschwärzt werden (Nr. II.). Stellungnahmen der Betriebe sollten – soweit vom Betrieb gewünscht – dem Antragsteller zusammen mit den unter Nr. II genannten Informationen übersandt werden (III.). Im Falle einer Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO durch das von der Informationserteilung betroffene Unternehmen innerhalb von 14 Tagen ab Bekanntgabe dieses Bescheids an das Unternehmen solle die Übersendung der Information innerhalb einer Woche nach einer eventuellen Ablehnung des Antrags durch das zuständige Verwaltungsgericht erfolgen (IV.). Zur Begründung der Informationsgewährung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beigeladene habe einen Informationsanspruch aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 VIG, da die Gutachten des LGL Informationen zu festgestellten nicht zulässigen Abweichungen von lebensmittelrechtlichen Vorschriften enthielten und Ausschluss- und Beschränkungsgründe nach § 3 VIG, die der Auskunftserteilung insgesamt entgegenstehen könnten, nicht vorlägen.
Mit Schreiben vom 20. November 2017, der Antragstellerin zugegangen am 22. November 2017, gab das LGL der Antragstellerin den Grundverwaltungsakt vom 17. November 2017 bekannt und kündigte die Herausgabe von Informationen zu der Antragstellerin an. Das LGL werde die in der Anlage des Anhörungsschreibens vom 17. August 2017 aufgeführten Informationen übersenden. Das VIG stelle einzig auf die Feststellung unzulässiger Abweichungen von den lebensmittelrechtlichen Vorschriften zum Kontrollzeitpunkt ab. Insoweit sei es für die Entscheidung zur Bekanntgabe unerheblich, ob die antragsgegenständlichen Mängel im Nachgang behoben worden seien. Die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse stünden der Informationserteilung nicht entgegen, da nach § 3 Nr. 2 Satz 5 VIG Informationen über unzulässige Abweichungen von lebensmittelrechtlichen Vorschriften nicht unter Berufung auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis zurückgehalten werden dürften.
3. Am 5. Dezember 2017 ließ die Antragstellerin beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Anordnung des Antragsgegners vom 17. November 2017 (Bekanntgabe an die Antragstellerin mit Schreiben des Antragsgegners vom 20. November 2017, zugegangen am 22. November 2017) wiederherzustellen, soweit die Anordnung auf die Gewährung von Information gerichtet ist, die die Antragstellerin betreffen.
Zur Begründung wurde der bereits dargestellte Sachverhalt vorgetragen und Bezug auf die Stellungnahme der Antragstellerin vom 15. September 2017 genommen.
4. Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2017, eingegangen bei Gericht am 27. Dezember 2017, den Antrag der Antragstellerin als offensichtlich unbegründet abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die sofortige Vollziehung der streitgegenständlichen Verwaltungsentscheidung beruhe auf der gesetzlichen Regelung des § 5 Abs. 4 VIG, nachdem – inhaltlich unstrittig – zu den vom Informationsbegehren erfassten fachlichen Feststellungen ein Informationszugang nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 VIG eröffnet sei. Mangels weiterer Antragsbegründung werde im Übrigen auf die Ausführungen des Antragsgegners in den Behördenschreiben vom 17. August 2017 (Anhörung, Blatt 16 der Akte) sowie 20. November 2017 (Bekanntgabe, Blatt 51 der Akte) verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten (insbesondere auch des Klageverfahrens W 8 K 17.1395) und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Nr. I des Beschlusses beruht auf § 65 Abs. 2 VwGO. Beantragt ein Dritter die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit dem die informationspflichtige Stelle einem Antrag auf Zugang zu ihn betreffenden Informationen stattgibt, ist der durch den Verwaltungsakt begünstigte Antragsteller notwendig beizuladen. Die mit einem solchen Antrag begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage kann nicht getroffen werden, ohne dass dadurch gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beigeladenen verändert oder aufgehoben werden. Damit kann die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich im Sinne des § 65 Abs. 2 VwGO ergehen. Durch die Beiladung wird die Sachentscheidung des Gerichts auch einem Beigeladenen gegenüber wirksam (§ 121 VwGO).
Da vorliegend wesentlicher Bestandteil des Informationsbegehrens der Name der Antragstellerin ist und auch zum Teil aus den Ausführungen dieses Beschlusses des Eilverfahrens die gewünschten Informationen entnommen werden können, ist es ausnahmsweise nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten den Namen und die relevanten Betriebsinformationen zu anonymisieren. Um wiederum den Interessen des Beigeladenen und der Grundentscheidung des § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG – der die aufschiebende Wirkung bei Drittanfechtungsklagen im Bereich des Verbraucherinformationsgesetzes aussetzt – gerecht zu werden, wird dem Beigeladenen ein nicht anonymisierter Beschluss des einstweiligen Rechtsschutzes im vorliegenden Verfahren nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses zugeleitet. Da der Beschluss in diesem Verfahren den Beigeladenen begünstigt, ist dieses Vorgehen verhältnismäßig.
2. Der zulässige Antrag nach den §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg. Der an den Beigeladenen gerichtete Bescheid ist nach der im Eilrechtschutzverfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung rechtmäßig, weshalb die vom Gericht im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung zulasten der Antragstellerin ausfällt.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der Antragstellerin ist der Antrag dahingehend sachgerecht auszulegen (§ 88 VwGO), dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage W 8 K 17.1395 bezüglich der Nr. I, II und IV des Bescheids vom 17. November 2017 begehrt, soweit die Anordnungen auf die Gewährung von Informationen bezüglich der Antragstellerin gerichtet ist.
Statthaft ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, § 80 Abs. 5, VwGO i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG, da die in der Hauptsache statthafte Drittanfechtungsklage in den Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Vorliegend geht es um den Fall der festgestellten nicht zulässigen Abweichungen von Anforderungen unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c VIG. Die bei der Kontrolle des Unternehmens der Antragstellerin am 13. September 2016 festgestellten Mängel verstoßen laut der fachlichen Stellungnahme hauptsächlich gegen Hygienevorschriften für Lebensmittelunternehmer nach der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 und somit gegen einen unmittelbar geltenden Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches.
Die Antragstellerin ist nach § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt. Adressat des angegriffenen Bescheids ist zwar nur der Beigeladene und nicht die Antragstellerin, jedoch kann die Antragstellerin auf der Grundlage ihres Antragsvorbringens die Verletzung einer drittschützenden Norm geltend machen. § 3 Satz 1 Nr. 2 VIG sieht nach seinem ausdrücklichen Wortlaut auch den Schutz privater Belange vor. Hiernach entfällt der Anspruch auf Informationsgewährung, wenn die dort abschließend aufgezählten Belange berührt werden. Die Veröffentlichung von Informationen über inzwischen beseitigte Mängel in der Produktion der Antragstellerin kann möglicherweise dazu führen, dass Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen nach § 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c VIG offenbart werden. Im Übrigen folgt die Antragsbefugnis eines Unternehmers wie der Antragstellerin gegen staatliche Informationstätigkeit, die sich nachteilig auf den Marktanteil oder die Chancen im Wettbewerb auswirken kann, auch aus den Grundrechten, insbesondere aus Art. 12 Abs. 1 GG (BVerwG, U.v. 18.4.1985 – 3 C 34.84 – BVerwGE 71, 183; U.v. 18.10.1999 – 3 C 2.88 – BVerwGE 87, 37; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 42 Rn. 134 m.w.N.).
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. I, II und IV des Bescheids vom 11. November 2016 ist jedoch unbegründet.
Entfällt kraft Gesetzes die aufschiebende Wirkung, so kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wobei es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien trifft. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung der Antragstellerin auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt, dass die Klage voraussichtlich mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird. Es spricht vieles dafür, dass die in Nr. I, II und IV getroffenen Regelungen formell und materiell rechtmäßig sind und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der streitgegenständliche Bescheid ist in formeller und materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.
In formeller Hinsicht ist der Bescheid rechtmäßig. Insbesondere ist eine Anhörung der Antragstellerin erfolgt. Die Behörde hat grundsätzlich vor Erteilung der Verbraucherinformationen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 VIG einen Dritten, dessen rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, nach dem BayVwVfG anzuhören.
Auch in materieller Hinsicht ist die Informationsgewährung nicht zu beanstanden. Dem Beigeladenen steht der geltend gemachte Informationsanspruch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c VIG zu. Die bei der Kontrolle am 13. September 2016 festgestellten Mängel verstoßen laut der fachlichen Stellungnahme gegen Hygienevorschriften für Lebensmittelunternehmer nach der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 und somit gegen einen unmittelbar geltenden Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des Lebensmittelrechts, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c VIG.
Die Informationen, die das LGL dem Beigeladenen zur Verfügung stellen möchte, sind auch sachlich vom Informationsanspruch umfasst.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG umfasst der Anspruch auf freien Zugang alle Daten über von den nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stellen „festgestellten nicht zulässige Abweichungen“ von Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) und des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSiG), der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen und unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze sowie „Maßnahmen und Entscheidungen“, die im Zusammenhang mit den genannten Abweichungen getroffen worden sind.
Der Gegenstand des Informationsanspruchs nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG ist nicht auf produktbezogene Informationen beschränkt, sondern erfasst auch die in diesem Fall streitgegenständlichen Feststellungen von Abweichungen von Hygienevorschriften. Weder im Gesetzeswortlaut noch in der Systematik, Teleologie und Entstehungsgeschichte des § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG finden sich hinreichende Anhaltspunkte für eine derart weitgehende Einschränkung. Erfasst werden daher auch Abweichungen im Prozess der Herstellung, Verarbeitung, Lagerung und Lieferung (BayVGH, U. v. 16.2.2017 – 20 BV 15.2208 – juris Rn. 36 – 38, m.w.N.).
Des Weiteren handelt es sich bei den festgestellten Mängeln in der fachlichen Stellungnahme – zu der am 13. September 2016 stattgefundenen Kontrolle – auch um festgestellte nicht zulässige Abweichungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c VIG. Nicht ausreichend für die Annahme von festgestellten nicht zulässigen Abweichungen ist die bloße Feststellung von naturwissenschaftlich-analytischen Abweichungen. Vielmehr bedarf es auch einer juristisch-wertenden Einordnung (Schulz in PdK, K 6 c Bund, VIG, Stand Dezember 2015, § 2 Rn. 5.1.1; BT-Drs. 17/7374 S. 14/15). Notwendig und auch ausreichend ist für das Vorliegen einer festgestellten Abweichung, dass die zuständige Behörde eine rechtliche Subsumtion der Kontrollergebnisse vornimmt (BayVGH, U. v. 16.2.2017 – 20 BV 15.2208 – juris Rn. 47). Die fachliche Stellungnahme, die das LGL zur Offenbarung der beantragten Informationen überstellen möchte, enthält nicht nur naturwissenschaftlich-analytische Feststellungen, sondern darüber hinaus auch die erforderliche juristisch-wertende Einordnung dieser Feststellungen. Denn in der fachlichen Stellungnahme zu der Kontrolle am 13. September 2016 wird in den einzelnen Kontrollbereichen jeweils zuerst ausgeführt, welche genauen Feststellungen bei der Kontrolle in bestimmten Räumlichkeiten gemacht wurden. Sodann werden in einem zweiten Schritt die einzelnen Feststellungen den gesetzlichen Vorgaben zugeordnet. Mit dieser Zuordnung wird dann die Subsumption vorgenommen, dass die naturwissenschaftlich-analytischen Fest-stellungen von bestimmten gesetzlichen Vorgaben abweichen.
Nicht erforderlich ist hingegen, dass die nicht zulässigen Abweichungen durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt festgestellt sind. Ausreichend sind für die Annahme von festgestellten nicht zulässigen Abweichungen bereits die subsumierten Feststellungen in der fachlichen Stellungnahme. Weder den Gesetzesmaterialien noch der Gesetzessystematik oder dem Sinn und Zweck der Norm lassen sich entsprechende Anhaltspunkte für ein Erfordernis eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes entnehmen (BayVGH, U. v. 16.2.2017 – 20 BV 15.2208 – juris Rn. 48). Vor allem könnte aber ein Bestandskrafterfordernis auch dem gesetzgeberischen Anliegen einer umfassenden Information des Verbrauchers nicht gerecht werden. Denn der Informationszugang kann seinen Zweck nur erreichen, wenn er die relevanten Vorgänge auch zeitnah erfasst. Müsste erst die Bestandskraft entsprechender Verwaltungsakte abgewartet werden und damit unter Umständen auch die Rechtskraft einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, wäre eine zeitnahe Verbraucherinformation nicht mehr gewährleistet (vgl. die überzeugenden Ausführungen des BayVGH, U. v. 16.2.2017 – 20 BV 15.2208 – juris Rn. 48). Die Antragstellerin hat die Abweichungen in der Vergangenheit als solche in der Sache auch nicht bestritten.
Entgegen den Ausführungen der Antragstellerseite ist es nicht Voraussetzung des Informationszugangs, dass die festgestellten Abweichungen noch andauern. Denn auch Informationen über beseitigte Mängel aus der jüngeren Vergangenheit sind geeignet, zur Transparenz am Markt beizutragen (OVG Saarland, B.v. 3.2.2011 – 3 A 270/10 – juris Rn. 40 – 42). Des Weiteren wird auch nicht der Eindruck erweckt, dass die festgestellten Mängel noch fortbestehen. In dem Bescheid vom 17. November 2017 wird der Beigeladene am Ende der Begründung eindeutig darauf hingewiesen, dass die in den Gutachten getroffenen Feststellungen nur den zurückliegenden Kontrollzeitpunkt abbilden und keinen Rückschluss auf den Fortbestand etwaig bemängelter Umstände zulassen (OVG Saarland, B.v. 3.2.2011 – 3 A 270/10 – juris Rn. 43). Zudem hat die Antragstellerin die Möglichkeit, aus ihrer Sicht darzustellen, dass die festgestellten Mängel inzwischen behoben sind, indem eine entsprechende Stellungnahme mit den Informationen an den Beigeladenen übersandt wird. Diese Möglichkeit ist ausdrücklich in Nr. III des Bescheids vom 17. November 2017 vorgesehen.
Der Informationsanspruch ist auch nicht gemäß § 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c VIG ausgeschlossen, weil durch die Erteilung der beantragten Informationen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenbart werden. Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse liegen dann vor, wenn Tatsachen, die im Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb stehen, nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind und nach dem erkennbaren Willen des Inhabers sowie dessen berechtigten wirtschaftlichen Interessen geheim gehalten werden sollen (Zilkens, NVwZ 2009, 1465 – 1469; Schulz in PdK, K 6 c Bund, VIG, Stand Dezember 2015, § 3 Rn. 5.1.3). Der Vortrag der Antragstellerin eine Informationserteilung dürfe nicht erfolgen, da die Mängel inzwischen beseitigt, zur Beseitigung der Mängel erhebliche Investitionen getätigt worden seien und daher die Herausgabe der Daten die Antragstellerin extrem schädigen würde, bezieht sich auf die Offenbarung ihrer Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse. Denn die festgestellten Mängel sind grundsätzlich nur den Vertretern der Antragstellerin, zum Teil ihren Angestellten und der für die Überprüfung zuständigen Behörde, somit folglich nur einem begrenzten Personenkreis bekannt. Nach dem erkennbaren Willen der Antragstellerin sollen diese Mängel aus wirtschaftlichen Gründen geheim gehalten werden, da ansonsten in der Folge der Offenbarung der Informationen finanzielle Einbußen zu befürchten sind.
Einer Abwägung der privaten Belange mit den öffentlichen Interessen, die grundsätzlich nach § 3 Satz 2 Alt. 2 VIG vorzunehmen ist, bedarf es im Falle von festgestellten nicht zulässigen Abweichungen von Anforderungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c VIG indes nicht. § 3 Satz 5 Nr. 1 VIG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c VIG bestimmt ausdrücklich, dass sich der von dem Informationsgesuch Betroffene nicht auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis berufen kann, wenn wie im vorliegenden Fall die beantragten Informationen festgestellte nicht zulässige Abweichungen von unmittelbar geltenden Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder Europäischen Union im Anwendungsbereich des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches – hier die VO (EG) Nr. 852/2004 (siehe oben) – betreffen. In Bezug auf die Informationen im Bereich des Lebensmittel- und Futtermittelrechts i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 VIG tritt der Schutz der Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse von Gesetzes wegen hinter dem Informationsinteresse des Antragstellers zurück.
Überdies würden innerhalb einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Informationsoffenbarung und dem privaten Interesse der Antragstellerin an der Geheimhaltung nicht die privaten Belange der Antragstellerin überwiegen, da das Geheimhaltungsinteresse letztlich allein mit befürchteten Umsatzeinbußen und den damit verbundenen weiteren nachteiligen Folgen begründet wurde (vgl. Schulz in PdK, K 6 c Bund, VIG, Stand Dezember 2015, § 3 Rn. 9; OVG Münster, U.v. 1.4.2014 – 8 A 654 /12 – LMuR 2014, 175, Leitsatz Nr. 5).
Gründe, die im Rahmen der vom Gericht eigenständig zu treffenden Abwägungsentscheidung bezüglich der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage dafür sprächen, trotz voraussichtlicher Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids dem Aussetzungsinteresse den Vorzug zu geben, sind nicht erkennbar. Zu berücksichtigen ist bei dieser Abwägung insbesondere die gesetzgeberische Grundentscheidung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG (Kopp/Schenke VwGO, 21. Aufl. 2016, § 80 Rn. 152, 152a). Aus dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung ist zu entnehmen, dass grundsätzlich dem Interesse der Verbraucherinformation der Vorrang gegenüber den privaten Belangen der betroffenen Unternehmen zukommt. Andernfalls könnte eine zeitnahe, die Entscheidung von Verbrauchern beeinflussbare, Informationsoffenbarung in den überwiegenden Fällen durch die Einlegung von Rechtsbehelfen derart verzögert werden, dass durch Zeitablauf die begehrten Informationen erheblich an Bedeutung verlieren würden. Dies widerspräche dem Zweck des Verbraucherinformationsgesetzes, weitgehend verbraucherfreundliche Regelungen zu treffen. Zudem erachtet der Gesetzgeber gemäß § 3 Satz 5 Nr. 1 VIG Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse bei Informationen über festgestellte nicht zulässige Abweichungen als grundsätzlich nicht schutzwürdig (vgl. BT-Drs. 17/7374, S. 16). Besondere Umstände des Einzelfalls, die ausnahmsweise das Überwiegen des Aussetzungsinteresses der Antragstellerin begründen könnten, sind weder vorgebracht noch sonst ersichtlich.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Der Beigeladene hat seine außergerichtlichen Kosten mangels Antragsstellung gemäß § 154 Abs. 3 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO selbst zu tragen.
4. Die Streitwertfestsetzung resultiert aus § 52 Abs. 1, § 52 Abs. 3 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Mangels konkreter Anhaltspunkte geht das Gericht im vorliegenden Fall im Hauptsacheverfahren vom Regelstreitwert aus, der nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist.


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