Verwaltungsrecht

Löschung polizeilicher Daten (KAN und IGVP), Restverdacht

Aktenzeichen  10 ZB 21.3222

Datum:
17.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8516
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Art. 62 Abs. 2 S. 1
PAG Art. 54 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 15 K 20.528 2021-11-02 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose (erneute) Klage, mit der er die Verpflichtung des Beklagte erstrebt, unter Aufhebung des Bescheids vom 20. Februar 2020 im Bayerischen Kriminalaktennachweis (KAN) und im Integrationsverfahren Polizei (IGVP Vorgangsbearbeitung) gespeicherte Eintragungen (insgesamt acht) zu löschen, weiter. Eine frühere, im Wesentlichen auf das gleiche Ziel gerichtete Verpflichtungsklage (AN 15 K 19.01297, zuvor AN 15 K 16.01976) hatte der Kläger zurückgenommen, nachdem das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für diese Klage in Ermangelung hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt und der Senat die hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen hatte (10 C 17.1793).
Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht ergeben.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 10 ZB 20.104 – juris Rn. 3), wobei „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis bedeutet; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Gemessen daran werden mit dem Zulassungsantrag ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht aufgezeigt.
Nach Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, wenn (Nr. 1) ihre Erhebung oder weitere Verarbeitung unzulässig war, (Nr. 2) sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen, oder (Nr. 3) bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgabe nicht mehr erforderlich ist. Ferner sind nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG personenbezogene Daten, die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gewonnen wurden, unverzüglich zu löschen, wenn der der Speicherung zugrundeliegende Verdacht entfallen ist.
Der Tatverdacht ist entfallen, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist, der Betroffene nicht als Täter in Betracht kommt oder ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Dagegen reicht zur weiteren Speicherung ein weiterhin bestehender Anfangsverdacht im strafprozessualen Sinne aus, es muss sich nicht um einen hinreichenden Tatverdacht i.S.d. § 203 StPO handeln. Eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO lässt den Tatverdacht nicht entfallen. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO ist jeweils zu prüfen, ob die Einstellung wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist, oder ob ein „Restverdacht“ fortbesteht, wenn etwa ein Tatnachweis vor Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geführt werden kann (stRspr des Senats, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 30.1.2020 – 10 C 20.10 – juris Rn. 8 m.w.N.).
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze hat das Verwaltungsgericht in Bezug die Eintragung im Kriminalaktennachweis (KAN) zu Recht festgestellt, dass im Hinblick auf alle der insgesamt acht Eintragungen (mindestens) noch ein Restverdacht besteht. Insofern verweist der Senat zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat dabei das erstinstanzliche Vorbringen des Klägers, das er mit dem Zulassungsantrag im Grunde wiederholt, ausführlich und zutreffend gewürdigt.
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die umfangreichen Ausführungen im Zulassungsantrag zu Begründungsmängeln im Bescheid des Beklagten vom 20. Februar 2020 nicht geeignet sind, das entscheidungserhebliche Bestehen eines Löschungsanspruchs zu begründen. Im Übrigen setzt das Zulassungsvorbringen lediglich die eigene Auffassung des Klägers vom Bestehen eines Restverdachts an die Stelle der Auffassung des Verwaltungsgerichts, ohne substantiiert darzulegen, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts insofern fehlerhaft wäre. Insbesondere geht das Zulassungsvorbringen nicht auf die ausführliche weitere Begründung im Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts vom 7. August 2017 im früheren Klageverfahren (AN 15 K 16.01976 später AN 15 K 19.01297), auf die das Erstgericht im vorliegend streitgegenständlichen Urteil ergänzend Bezug genommen hat (S. 9 des UA) und der sich der Senat bereits in der Beschwerdeentscheidung vom 17. Juni 2019 (10 C 17.1793) angeschlossen hatte, ein.
Der sinngemäße Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht hätte die Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft noch einmal genau daraufhin überprüfen müssen, ob eine Täterschaft des Klägers überhaupt in Betracht gekommen wäre, greift nicht durch. Der Kläger selbst zeigt mit dem Zulassungsvorbringen nicht auf, wie der vom Beklagten und vom Verwaltungsgericht jeweils dargelegte Restverdacht durch solch eine Überprüfung hätte ausgeräumt werden sollen. Dass die Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO aufgrund erwiesener Unschuld erfolgt wären, wird vom Kläger selbst nicht substantiiert dargelegt. Dementsprechend geht auch der Vortrag, das Verwaltungsgericht habe insofern seine Amtsermittlungspflicht verletzt, ins Leere.
Gleiches gilt letztlich gilt für die vom Verwaltungsgericht ausführlich begründete Widerholungsgefahr (S. 22 f. des UA) sowie hinsichtlich der Auffassung des Verwaltungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit (S. 23 f. des UA). Auch hier setzt das Zulassungsvorbringen lediglich die Auffassung des Klägers an die des Verwaltungsgerichts, ohne substantiiert aufzuzeigen, dass die Erwägungen des Verwaltungsgerichts fehlerhaft wären. Auch vermengt das Zulassungsvorbringen insofern Fragen des Restverdachts und der zulässigen Speicherfristen mit Fragen der Verhältnismäßigkeit der Speicherung. Insbesondere erschließt sich dem Senat nicht, welche Relevanz die ursprünglich möglicherweise fehlerhafte Annahme des Beklagten einer 20-jährigen Speicherfrist hinsichtlich des Verdachtes des Besitzes kinderpornographischen Materials für die Frage der Verhältnismäßigkeit haben soll (vgl. S. 12 der Zulassungsbegründung), wenn der Beklagte nunmehr von der Regelspeicherfrist von 10 Jahren ausgeht und diese unstreitig noch nicht abgelaufen ist.
Aus dem vom Kläger in der Zulassungsbegründung mehrfach angeführten Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) folgt kein weiter gehender Löschungsanspruch. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt vor der unbegrenzten Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten. Es ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Die Regelungen der jeweiligen Landespolizeigesetze für den Bereich der Polizeidaten und Kriminaldaten in Art. 54 Abs. 2 Satz 2 und Art. 62 Abs. 2 PAG stellen eine solche verfassungsmäßige Schranke dar (BayVGH, B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 22; B.v. 1.8.2012 – 10 ZB 11.2438 – juris Rn. 7 m.w.N.; U.v. 21.1.2009 – 10 B 07.1382 – juris Rn. 35). Aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergäbe sich ein Anspruch auf Löschung der über den Betroffenen gespeicherten polizeilichen Daten daher nur, soweit deren Aufbewahrung und Speicherung nicht durch diese gesetzlichen Grundlagen gerechtfertigt wäre. Dies ist jedoch bezüglich der im KAN gespeicherten persönlichen Daten und des personengebundenen Hinweises nicht der Fall.
Ein Löschungsanspruch besteht auch nicht hinsichtlich der (nicht mit der Eintragung im Kriminalaktennachweis korrespondierenden) sonstigen Eintragungen in der polizeilichen Vorgangsverwaltung IGVP, die allesamt eine Anzeigeerstattung durch den Kläger oder eine Zeugen- bzw. Geschädigteneigenschaft des Klägers dokumentieren. Ein Löschungsanspruch nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG besteht schon deswegen nicht, weil der Kläger in diesen Fällen nicht der Tatverdächtige gewesen ist. Ein Löschungsanspruch kann auch nicht auf Art. 62 PAG gestützt werden, weil die Daten im Sinne von Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PAG rechtmäßig erhoben wurden. Die Anzeigen sind in den Fällen, in denen der Kläger Anzeigeerstatter war, auf seinen Wunsch hin von der Polizei registriert worden und werden (insgesamt) bis zum Zeitpunkt der regelmäßigen Aussonderung auch im Sinne des Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PAG für die weitere Aufgabenerfüllung der Polizei benötigt (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2020 – 10 C 20.2308 – juris Rn. 9; U.v. 21.1.2009 – 10 B 07.1382 – juris Rn. 43).
Ausführungen zum vom Verwaltungsgericht abgelehnten Anspruch auf einen sog. Satzschutz enthält das Zulassungsvorbringen nicht.
Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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