Verwaltungsrecht

Löschungsanspruch bei Speicherung personenbezogener Daten im Kriminalaktennachweis

Aktenzeichen  M 7 K 15.4839

Datum:
9.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
PAG Art. 31 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2, Art. 45 Abs. 2
VwGO VwGO § 75, § 113 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 1 GG) folgt grundsätzlich ein Anspruch auf Löschung der im Kriminalaktennachweis der Bayerischen Polizei gespeicherten personengebundenen Daten, etwa auch des Hinweises auf psychische Erkrankungen. Die Aufbewahrung und Speicherung dieser Daten kann aber auf gesetzlicher Grundlage gerechtfertigt sein, so gemäß Art. 38 Abs. 2 S. 1 PAG. (redaktioneller Leitsatz)
2 Dass eine Person psychiatrische Gutachten grundsätzlich nicht anerkennt, führt nicht zu einem Anspruch auf Löschung der über sie gespeicherten Hinweise auf psychische Verhaltensstörungen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Kläger hat am 20. Juli 2016 beim Polizeipräsidium Oberbayern Süd einen Antrag auf Löschung seines im Kriminalaktennachweis der Bayerischen Polizei (KAN) gespeicherten personengebundenen Hinweises gestellt. Über diesen Antrag hat der Beklagte im Hinblick auf das laufende Klageverfahren nicht mehr entschieden. Der Kläger hat damit mittlerweile ein berechtigtes Interesse, dass über seinen Klageantrag entschieden wird (vgl. § 75 VwGO).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Löschung des gespeicherten personengebundenen Hinweises „psychische und Verhaltensstörung (PSYV)“ (§ 113 Abs. 5 VwGO). Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG noch aus Art. 45 Abs. 2 PAG.
Aus dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) folgt grundsätzlich ein Anspruch auf Löschung der über ihn gespeicherten Polizeidaten, soweit deren Aufbewahrung und Speicherung nicht auf gesetzlicher Grundlage gerechtfertigt ist. Diesen im Verfassungsrecht wurzelnden Rechtsanspruch hat der Bayerische Gesetzgeber einfachrechtlich für den Bereich der Polizeidaten in Art. 38 Abs. 2 Satz 2 und Art. 45 Abs. 2 PAG ausgestaltet (vgl. BayVGH, U.v. 21.1.2009 – 10 B 07.1382 – juris Rn. 35). Nach Art. 38 Abs. 2 Satz 1 PAG kann die Polizei insbesondere personenbezogene Daten, die sie im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder von Personen gewonnen hat, die verdächtigt sind, eine Straftat begangen zu haben, speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Die Daten sind nach Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG zu löschen, wenn der der Speicherung zugrundeliegende Verdacht entfällt. Nach Art. 45 Abs. 2 PAG sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis zur Erfüllung der der Polizei obliegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist. Diese Löschungsvoraussetzungen liegen jedoch nicht vor.
Der Beklagte hat den personengebundenen Hinweis „psychische und Verhaltensstörung“ im Zusammenhang mit dem Eintrag im KAN „Verdacht der Bedrohung am 27.6.2006 in W…“ gespeichert. Der Kläger hat nach einem Familienstreit seiner Ehefrau gedroht, sie zu töten. Es kam zu einem Polizeieinsatz, die Ehefrau und die beiden kleinen Kinder blieben unversehrt. Der Kläger wurde am 27. Juni 2006 durch die Polizeibeamten in das Bezirksklinikum gebracht. Mit Beschluss vom 28. Juni 2006 ordnete das Amtsgericht Rosenheim die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses an. Im Zusammenhang mit der Speicherung dieses Sachverhalts im KAN speicherte der Beklagte zu Recht den personengebundenen Hinweis „psychische und Verhaltensauffälligkeit“, da sich aus dem Unterbringungsbeschluss auch ergibt, dass nach dem vorliegenden ärztlichen Zeugnis der Kläger an einer akuten Psychose aus dem schizophrenen Personenkreis leidet.
Rechtsgrundlage für die Erhebung und Speicherung der personenbezogenen Hinweise ist Art. 31 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 und 2 Satz 1 PAG. Zweck der gespeicherten personengebundenen Hinweise ist die Eigensicherung einschreitender Beamter, die Einleitung gezielter Fahndungsmaßnahmen, die Unterstützung von Ermittlungen sowie der Schutz Betroffener bei polizeilichen Maßnahmen (vgl. 3.2.2.1 der Errichtungsanordnung für die polizeilichen Dateien, Personen- und Fallauskunftsdatei – EA-PFAD). Voraussetzung für die Speicherung des personengebundenen Hinweises „psychische und Verhaltensauffälligkeit“ ist die ärztliche Feststellung einer psychischen Krankheit. Diese Voraussetzung ist gegeben. Neben dem genannten Unterbringungsbeschluss hat der Kläger selbst eine ärztliche Stellungnahme vom 28. Juni 2011 vorgelegt, die bei ihm „paranoide Schizophrenie“ diagnostiziert. Soweit der Kläger auf sein Verfahren in der 18. Kammer verweist, ergibt sich aus dem Verweisungsbeschluss vom 9. März 2015 (Az.: M 18 K 15.213), dass sich der Kläger seit 2006 wiederholt in stationärer psychiatrischer Behandlung wegen einer mehrfach diagnostizierten paranoiden Schizophrenie befunden hat. Wie der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, erkennt er psychiatrische Gutachten grundsätzlich nicht an. Dies führt aber nach den gesetzlichen Regelungen nicht zu einem Löschungsanspruch.
Die Speicherung des personengebundenen Hinweises ist auch weiterhin erforderlich (Art. 45 Abs. 2 Nr. 2 PAG). Wie der Beklagte vorgetragen hat, läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Beleidigung. Dabei bestreitet der Kläger den zugrundeliegenden Sachverhalt nicht, sieht seine Handlung allerdings als gerechtfertigt an. Mit dem neuen Ermittlungsvorgang verlängert sich nach Art. 38 Abs. 1 Satz 6 PAG die Speicherungsfrist für den Vorgang aus 2006 und damit auch für den damit verbundenen personenbezogenen Eintrag. Ein vorzeitiger Löschungsanspruch besteht nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei dem Kläger 2011 das Vorliegen einer psychischen Krankheit diagnostiziert wurde und er es ablehnt, zu einem Gutachter zu gehen. Mit der polizeiinternen Speicherung des personengebundenen Hinweises entstehen für den Kläger keine Nachteile im Erwerbsleben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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