Verwaltungsrecht

Mangelnde Glaubhaftmachung der Homosexualität als Fluchtgrund

Aktenzeichen  Au 4 K 18.30358

Datum:
29.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14210
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4 Abs. 1 Nr. 4 lit. a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Beweisvereitelndes Verhalten zeigt, wer sich trotz Aufforderung durch das Bundesamt nicht um die Beschaffung einer Geburtsurkunde aus dem Heimatland bemüht.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung subsidiären Schutzes; er hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts 2. Februar 2018 ist insgesamt – auch in Bezug auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
In dem streitgegenständlichen Bescheid wird zutreffend davon ausgegangen, dass die Angaben des Klägers nicht den Anforderungen an einen schlüssigen Sachvortrag erfüllen; erforderlich ist insoweit, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 4.4.2012 – 14 ZB 12.30101 – juris Rn. 8; BVerwG, B.v. 19.10.2001 – 1 B 24/01 – juris Rn. 5 m.w.N.). Dem genügt das Vorbringen des Klägers nicht; das Gericht folgt insgesamt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (vgl. insbesondere S. 4 bis 6), nimmt hierauf gem. § 77 Abs. 2 AsylG Bezug und macht sie sich zu Eigen.
Hieran ändert das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung nichts. Vielmehr sind dort ähnliche bzw. weitere Widersprüche, Unstimmigkeiten, nicht nachvollziehbare Abläufe und Steigerungen (vgl. zu diesen Kriterien etwa VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v.4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris) zu Tage getreten.
Das Gericht ist daher nicht der erforderlichen Überzeugung, dass das vom Kläger behauptete individuelle Schicksal der Wahrheit entspricht; es geht vielmehr umgekehrt davon aus, dass der Kläger eine Homosexualität und die im Zusammenhang damit stehenden Erlebnisse in Marokko nur angegeben hat, um eine positive Verbescheidung seines Asylantrag zu erreichen.
Zu Lasten des Klägers ist es bereits zu werten, dass er sich – trotz entsprechender Aufforderung durch das Bundesamt (vgl. Anhörungsniederschrift, S. 3) – nicht weiter um die Beschaffung einer Geburtsurkunde bemüht und damit beweisvereitelndes Verhalten gezeigt hat. Nachdem auch sonst keine die Identität des Klägers betreffende Papiere vorliegen, steht bereits nicht fest, dass der Kläger tatsächlich aus Marokko stammt. Auch sein genaues Alter ist ungewiss, was jedoch vor dem Hintergrund, dass der Kläger als minderjähriger Schüler eine homosexuelle Beziehung mit seinem Schuldirektor geführt haben will, gerade im vorliegenden Fall ein wesentliches Identitätsmerkmal ist. Nachdem der Kläger, wie er weiter beim Bundesamt angegeben hat (Anhörungsniederschrift, S. 8), mit seiner Familie in Marokko in Kontakt steht, ist auch davon auszugehen, dass es jedenfalls Möglichkeiten gegeben hätte, sich um die Geburtsurkunde zu bemühen; selbst solche Möglichkeiten hat der Kläger – was zu seinen Lasten zu werten ist – nicht genutzt. Die behauptete Homosexualität des Klägers spielt insoweit keine Rolle; wenn die Familie – wie vom Kläger angegeben – davon ausgeht, er habe Marokko aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, könnte der Kläger seiner Familie ohne weiteres nachvollziehbar verdeutlichen, dass er seine Geburtsurkunde für seinen Aufenthalt in Europa benötigt; seine angebliche Homosexualität müsste er hierfür nicht gegenüber seiner Familie offen legen.
Weiterhin sind folgende Widersprüche und Unschlüssigkeiten im Vortrag des Klägers festzustellen:
– Beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, die Beziehung mit dem Schuldirektor habe vom Jahr 2014 bis Mai 2017 gedauert (vgl. Anhörungsniederschrift, S. 5, 6 und 7); hieraus ergäbe sich eine Dauer der Beziehung von jedenfalls deutlich über zwei Jahren. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger demgegenüber angegeben, die Beziehung habe zwischen eineinhalb und zwei Jahren gedauert. Diese erhebliche Diskrepanz – sie betrifft den Kern des Asylvorbringens des Klägers, nämlich die homosexuelle Beziehung mit dem Direktor – ist nicht erklärbar. Vielmehr hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung weiter angegeben, die Beziehung habe begonnen, kurz nachdem er an die Schule gekommen sei (also 2014) und habe kurz vor seiner Ausreise (im Mai 2017) geendet. Damit hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung kurz hintereinander vollkommen widersprüchliche Angaben zur Dauer der Beziehung gemacht.
– Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, Marokko im Mai 2017 verlassen zu haben. Dies widerspricht seiner Angabe vor dem Bundesamt, er habe sein Heimatland am 17. August 2017 verlassen (Anhörungsniederschrift, S. 3). Im Übrigen waren bereits die Angaben des Klägers vor dem Bundesamt widersprüchlich; so lässt sich seinem späteren Vorbringen vor dem Bundesamt ebenfalls ein Verlassen Marokkos im Mai 2017 entnehmen (Anhörungsniederschrift, S. 7). Da der Kläger geltend gemacht hat, seine Ausreise hänge damit zusammen, dass andere Personen und auch die Polizei von der homosexuellen Beziehung erfahren hätten (vgl. Anhörungsniederschrift Bundesamt, S. 7), handelt es sich, was das Ende der Beziehung und das Ausreisedatum angeht, ebenfalls um Widersprüche in wesentlichen Bereichen des Klägervortrags.
– In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angegeben, vor der Beziehung mit dem Direktor bereits zwei andere homosexuelle Beziehungen gehabt zu haben. Dies widerspricht seinen – ohnehin bereits widersprüchlichen – Angaben vor dem Bundesamt, Gedanken an Homosexualität erst gehabt zu haben, als er den Direktor näher kennen gelernt habe (Anhörungsniederschrift, S. 6) bzw. vor der Zeit mit dem Direktor einen sexuellen Kontakt mit einem Jungen gehabt zu haben (Anhörungsniederschrift, S. 7).
– Wie bereits im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt (S. 5) erscheint es nicht nachvollziehbar, dass der Kläger den vollen Namen des Schuldirektors, mit dem er eine längere Beziehung geführt haben will und der ihm die Flucht ermöglicht und finanziert haben soll, nicht kennt, sondern nur dessen Vornamen.
– Nicht nachvollziehbar ist ferner, dass der Kläger keinen Kontakt mit seinem Schuldirektor, insbesondere hinsichtlich seiner Reise bis nach Deutschland, haben will. Der Kläger hat auf die Frage, weshalb er gerade nach Deutschland gekommen sei, beim Bundesamt geantwortet, dies sei der Rat des Direktors gewesen (Anhörungsniederschrift, S. 8). Vor diesem Hintergrund erscheint es völlig unglaubwürdig, dass der Schuldirektor die Information ausgereicht haben soll, dass es der Kläger bis nach Spanien geschafft habe.
– In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angegeben, er habe dem Direktor berichtet, dass man sie bei der Polizei angezeigt habe. Beim Bundesamt hat er demgegenüber – umgekehrt – vorgebracht, der Direktor habe ihm mitgeteilt, dass die Polizei von der Homosexualität erfahren habe (vgl. Anhörungsniederschrift, S. 7). Damit liegt, da insoweit eine Gefahr durch staatliche Stellen angegeben wird, ein weiterer erheblicher Widerspruch bei einem für die vom Kläger vorgebrachten Fluchtgründe wesentlichen Umstand vor.
Die genannten Widersprüche sind mit den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung angeführten Verdolmetschungsproblemen bei der Anhörung vor dem Bundesamt nicht erklärbar. Für derartige Probleme enthält die hierzu aufgenommene Niederschrift keinerlei Anhaltspunkte, obwohl die Anhörung über drei Stunden gedauert hat. Der Kläger ist sogar ausdrücklich gefragt worden, ob er – wegen der von ihm angeführten Homosexualität – einen anderen, männlichen Dolmetscher wünsche (vgl. Anhörungsniederschrift, S. 6). Der Kläger hat bei einer Frage auch selbst eine Antwort korrigiert, als Grund hierfür hat er aber nicht Verdolmetschungsprobleme, sondern eine Unkonzentriertheit seinerseits angegeben (vgl. Anhörungsniederschrift, S. 7). Zudem wurde der Kläger bei der Anhörung von seinem Vormund begleitet; jedenfalls diesen hätte er auf eventuelle Schwierigkeiten bei der Verdolmetschung hinweisen können. Dies ist nicht geschehen. Vielmehr hat der Kläger gegenüber dem Bundesamt selbst bestätigt, dass keine Verständigungsschwierigkeiten bestanden (Bundesamtsakte, Bl. 41). Angesichts dessen stellt sich das Vorbringen des Klägers bezüglich Verdolmetschungsproblemen als reine Schutzbehauptung und damit als weiterer Umstand dar, der geeignet ist, den klägerischen Vortrag maßgeblich in Zweifel zu ziehen.
Da angesichts der dargestellten Widersprüche nicht davon auszugehen ist, dass das Vorbringen des Klägers, insbesondere sein Vorbringen, homosexuell zu sein, zutrifft, kommt es auf die in der Klagebegründung aufgeworfenen Fragen einer staatlichen oder quasi-staatlichen Verfolgung Homosexueller in Marokko nicht an. Die vom Kläger angeführte Entscheidung des VG Düsseldorf betraf einen Fall, in dem – anders als hier – zur Überzeugung des Gerichts feststand, dass der dortige Kläger homosexuell war (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 21.12.2016 – 23 K 8700/16.A – juris Rn. 35).
Abschiebungsverbote, insbesondere gem. § 60 Abs. 5 AufenthG, bestehen zu Gunsten des Klägers ebenfalls nicht. Das Gericht folgt auch insoweit der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und nimmt hierauf gem. § 77 Abs. 2 AsylG Bezug. Insbesondere verfügt der Kläger nach eigenen Angaben über mannigfaltige familiäre Bindungen (vgl. Anhörungsniederschrift Bundesamt, S. 4); er ist ferner jung, gesund und erwerbsfähig, dementsprechend hat er bereits in Marokko im Verkauf von Lebensmitteln gearbeitet (vgl. Anhörungsniederschrift Bundesamt, S. 5). Insofern ist ohne weiteres davon auszugehen, dass der Kläger das erforderliche Existenzminimum bei einer Rückkehr erhalten bzw. erwirtschaften könnte.
Auch die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, weist keine Rechtsfehler auf. Die Länge der Frist liegt im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Dass insoweit besondere Umstände vorlägen, die eine Verkürzung der Frist als zwingend erscheinen ließen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Die Klage war damit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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