Verwaltungsrecht

Missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft durch nigerianischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  19 CS 21.1772

Datum:
7.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 27759
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 85a Abs. 1, Abs. 2 S. 1
VwGO § 80 Abs. 7
BGB § 1597a Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Vaterschaft, die allein deswegen anerkannt wird, um die rechtlichen Voraussetzungen für einen anderweitig nicht erreichbaren rechtmäßigen Aufenthalt zu schaffen, ist als missbräuchlich anzusehen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die aus der Vaterschaftsanerkennung resultierende elterliche Verantwortung als ein Grundrecht im Interesse des Kindes muss der Anerkennende auch tatsächlich wahrnehmen wollen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Ausländerbehörde trifft – unter umfassender Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls – die Darlegungs- und Beweislast, ob die Voraussetzungen einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung gegeben sind. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Nichtvorliegen der abschließend aufgezählten Regelvermutungstatbestände in § 85a Abs. 2 S. 1 AufenthG schließt eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls nicht zwingend aus, wenn anderweitige konkrete Anhaltspunkte nach Gewicht und Aussagekraft den Schluss rechtfertigen, dass eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung vorliegt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 6 S 20.989 2021-06-14 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragsteller werden die Nrn. 1 und 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 14. Juni 2021 aufgehoben und der Antrag des Antragsgegners auf Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 23. Juli 2020 (Az. B 6 S 20.525) abgelehnt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
Die Antragsteller wenden sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Juni 2021, mit dem die Nr. 2 des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 23. Juli 2020 (Az. B 6 S 20.525; Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21.4.2020) aufgehoben und der Antrag der Antragsteller vom 16. Juli 2020 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 20. Mai 2020 (B 6 K 20.460) abgelehnt worden ist. Mit dem Bescheid vom 21. April 2020 hat der Beklagte die missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft des am 19. Dezember 2019 geborenen Antragstellers zu 2, einem deutschen Staatsangehörigen, durch den am 3. April 1989 geborenen, nach eigenen Angaben am 6. Dezember 2016 in das Bundesgebiet eigereisten und im Asylverfahren erfolglosen Antragsteller zu 1, einem nigerianischen Staatsangehörigen, festgestellt.
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es lägen nach der gebotenen summarischen Prüfung – nunmehr – hinreichende Anhaltspunkte für die Missbräuchlichkeit der Anerkennung der Vaterschaft durch den Antragsteller zu 1 vor. Da bereits mehrere Ausländer afrikanischer Herkunft eine Vaterschaft bezüglich der insgesamt acht Kinder der Kindesmutter anerkannt hätten, stelle der vorliegende Sachverhalt einen, von Schweregrad und Auswirkung dem Regelbeispiel nach § 85a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vergleichbaren Fall dar. Es könne keinen Unterschied machen, ob der Vater durch die Anerkennung den Müttern der Kinder ein Aufenthaltsrecht verschaffe oder der Vater selbst durch die Anerkennung erst zu einem Aufenthaltsrecht komme. Es könne letztlich dahinstehen, ob allein die vergleichbare Fallgestaltung zu § 85a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bereits ohne weiteres zu einem Eingreifen der gesetzlichen Vermutungswirkung führe, da jedenfalls in der Gesamtschau die Anerkennung der Vaterschaft für den Antragsteller zu 2 durch den Antragsteller zu 1 allem Anschein nach gezielt und gerade zu dem Zweck erfolgen solle, um die rechtlichen Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Antragstellers zu 1 zu schaffen. Bei dem Antragsteller zu 1 handle es sich um einen abgelehnten Asylbewerber, welcher nach Ablehnung seines Antrags auf Zulassung der Berufung seit 5. August 2019 vollziehbar ausreisepflichtig sei. Die Erlangung der rechtlichen Voraussetzungen für einen erlaubten Aufenthalt seien ohne die Anerkennung der Vaterschaft für den Antragsteller zu 2 nicht zu erwarten. Die vehemente Weigerung – trotz Behauptung der leiblichen Vaterschaft – ein Abstammungsgutachten einzuholen, lasse den Schluss zu, dass eine leibliche Vaterschaft nicht bestehe. Auch die Angabe des Antragstellers zu 1 bei einer Vorsprache am 14. Oktober 2020 bei dem Beklagten, er wolle nicht verraten, wo sich sein Reisepass befinde – dieser sei mittlerweile nicht mehr in Deutschland, weil er wisse, dass er nach Aushändigung abgeschoben würde – zeige, dass der Antragsteller zu 1 die Anerkennung der Vaterschaft für den Antragsteller zu 2 als realistische Möglichkeit sehe, sich eine Bleibeperspektive im Bundesgebiet zu verschaffen und im Übrigen seinen ausländerrechtlichen Mitwirkungsverpflichtungen offenbar nicht nachkomme, um eine ansonsten drohende Aufenthaltsbeendigung zu verhindern. Bestehe keine leibliche Vaterschaft – wofür im vorliegenden Fall alles spreche – und lägen weitere zureichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Anerkennung der Vaterschaft missbräuchlich erfolge, so könne sich eine abweichende Bewertung dann ergeben, wenn der anerkennende Vater nachweisbar eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind begründet habe oder sich außerhalb einer sozial-familiären Beziehung in vergleichbarer Weise um das Kind kümmere. Nach dem bisherigen Vortrag des Antragstellers zu 1 sei zumindest nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung, nicht von einer wirklichen sozialen Beziehung zwischen ihm und dem Antragsteller zu 2 auszugehen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Vortrag des Antragstellers zu 1 zunächst maßgeblich auf die behauptete leibliche Vaterschaft gestützt worden sei, sei das Vorbringen zu pauschal und unsubstantiiert. Zur Glaubhaftmachung einer sozialen Vaterschaft seien eidesstattliche Versicherungen der Kindesmutter vom 4. Oktober 2019 und 22. Juli 2020 vorgelegt worden. Sonstige Nachweise, etwa der Nachbarn oder Freunde der Kindesmutter als neutrale Dritte, die eine gelebte Vater-Kind-Beziehung trotz der eigentlich bestehenden Wohnsitzauflage in Bamberg glaubhaft erscheinen ließen, seien nicht vorgelegt worden. Auch etwaige Belege für die vom Antragsteller zu 1 (angeblich) gekauften Artikel oder Nachweise über gemeinsame Arztbesuche seien nicht vorgelegt worden. Vielmehr sei seitens des Antragsgegners ein Tätigkeitsbericht der Polizei Berlin vom 17. Juli 2020, wonach Polizeibeamte auf Ersuchen des Antragsgegners am 10. Juli 2020 die Wohnung der Kindesmutter in Berlin aufgesucht hätten, um den Reisepass des Antragstellers zu 1 sicherzustellen, vorgelegt worden. Hierbei sei nur die Kindesmutter angetroffen worden, welche angegeben habe, sie sehe den Antragsteller zu 1 unregelmäßig, er wohne bei einem Freund in Berlin, eine Adresse oder Telefonnummer wolle sie nicht aushändigen. Bei einem erneuten Aufsuchen am 13. Juli 2020 seien durch die Polizeibeamten auch Nachbarn der Kindesmutter befragt worden, welche angegeben hätten, einen Mann, welcher dem Mann auf dem vorgelegten Foto ähnle, gelegentlich in den späten Abendstunden wahrzunehmen. Die Angaben gegenüber der Polizei am 10. Juli 2020 ließen sich nur schwer in Einklang mit dem Vorbringen in der eidesstattlichen Versicherung vom 22. Juli 2020 bringen. Während die Kindesmutter gegenüber den Polizeibeamten noch angegeben habe, den Antragsteller zu 1 nur unregelmäßig zu sehen, werde in der eidesstattlichen Versicherung angegeben, der Antragsteller zu 1 kümmere sich hingebungsvoll um den Antragsteller zu 2, füttere und bade diesen und gehe mit ihm spazieren. Dieses Vorbringen erscheine auch vor dem Hintergrund bereits zweifelhaft, dass Nachbarn der Kindesmutter gegenüber dem Polizeibeamten am 13. Juli 2020 angegeben hätten, (vermutlich) den Antragsteller zu 1 gelegentlich in den Abendstunden wahrzunehmen. Es erscheine fernliegend, dass im Falle der tatsächlichen Personensorge im genannten Umfang der Antragsteller zu 1 nicht zu anderen Zeiten und nicht mit dem Antragsteller zu 2 von Nachbarn wahrgenommen werde, insbesondere, wenn er – wie vorgetragen – mit dem Antragsteller zu 2 spazieren gehe. Die bereits am 14. April 2020 im Verwaltungsverfahren vorgelegten Fotos, auf denen die Antragsteller, die Kindesmutter sowie ein weiteres Kind zu sehen seien, könnten zwar einen stattgefundenen Kontakt belegen, nicht aber eine soziale Vaterschaft glaubhaft erscheinen lassen. Auch im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO seien seitens des Antragstellers zu 1 keine neuen Mittel zur Glaubhaftmachung vorgelegt worden, sondern lediglich darauf verwiesen worden, dass nach dem Vortrag im Eilverfahren keine Zweifel an einer bestehenden sozialen Vaterschaft bestehen könnten. Es erschließe sich dem Gericht nicht, warum der Antragsteller zu 1 sich – trotz Behauptung des Bestehens einer leiblichen Vaterschaft sowie der in Aussicht gestellten staatlichen Kostenübernahme – vehement weigere, ein Abstammungsgutachten vorzulegen und der Missbräuchlichkeit der Vaterschaftsanerkennung bereits vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren die Grundlage zu entziehen, das Verfahren damit zu beschleunigen und zu beenden, was seinem eigenen Interesse am ehesten entsprechen dürfte. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass mit Schriftsatz vom 16. Juni 2020 durch den vormaligen Prozessbevollmächtigten noch eine zeitnah beabsichtigte Durchführung eines Vaterschaftsgutachtens in Aussicht gestellt worden sei, welche lediglich aufgrund finanzieller Schwierigkeiten stocke. Auch die abschließend durchzuführende Interessenabwägung führe nicht zu einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses der Antragsteller. Zum einen habe es der Antragsteller zu 1 in der Hand, durch Vorlage eines genetischen Vaterschaftsgutachtens der Feststellung der Missbräuchlichkeit der Vaterschaftsanerkennung ein für alle Mal die Grundlage zu entziehen. Zum anderen sei der Antragsteller zu 1 seit 1. Juli 2020 unbekannten Aufenthalts. Zwar werde durch seine Prozessbevollmächtigten vorgetragen, er befinde sich in Berlin, um sich dort um sein Kind zu kümmern. Die Nennung einer ladungsfähigen Anschrift sei jedoch bislang nicht erfolgt. Auch das kurzzeitige Auftauchen bei Behörden habe zumindest nicht zur Folge gehabt, dass sich der Antragsteller zu 1 wieder dauerhaft in der ihm zugewiesenen Unterkunft befinde und sich wieder der ausländerbehördlichen Kontrolle unterstellt habe.
Die in der Beschwerdebegründung angeführten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdegericht grundsätzlich zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Zur Begründung ihrer Beschwerde tragen die Antragsteller vor, nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage überwiege das Interesse der Antragsteller an der Aussetzung das öffentliche Interesse an der Vollziehbarkeit des Bescheides, weil allen Anhaltspunkten nach ausgehend von der Sach- und Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag die gegen den Bescheid vom 21. April 2020 gerichtete Klage Aussicht auf Erfolg habe. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestünden im Ergebnis summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von dem Antragsgegner mit dem streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Feststellung der Missbräuchlichkeit der Anerkennung der Vaterschaft. Es werde unstreitig gestellt, dass die Vorlage des Reisepasses eine aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflicht darstelle. Aus dem Umstand, dass es der Antragsteller zu 1 bis dato ablehne, seine leibliche Vaterschaft zum Antragsteller zu 2 nachzuweisen, lasse sich keine Schlussfolgerung dahingehend herleiten, dass die leibliche Vaterschaft nicht bestehe. Eine aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflicht bezüglich der Vorlage eines Abstammungsgutachtens bestehe nach aktueller Rechtslage nicht. Weiterhin könne die Tatsache, dass der Antragsteller zu 1 durch die Begründung einer schützenswerten familiären Beziehung zum Antragsteller zu 2 auch eine realistische Möglichkeit sehe, sich eine legale Bleibeperspektive im Bundesgebiet zu verschaffen, kein missbräuchliches Verhalten darstellen, sondern sei als aufenthaltsrechtlich begründeter Familiennachzug eine verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsfolge. Im Rahmen des Art. 6 GG komme es nicht darauf an, ob der Antragsteller zu 1 bei der Kindesmutter wohne oder wie das sonstige Verhältnis zwischen den Kindeseltern sei, obgleich es sich tatsächlich bei der Kindesmutter um seine Lebensgefährtin handle. Soweit eine substantielle und insofern schützenswerte soziale Vaterschaft nach dem hier lediglich summarischen Stand des Eilverfahrens glaubhaft gemacht werde, könne es ferner auf eine nicht nachgewiesene leibliche Vaterschaft bereits nicht ankommen. Denn auch eine solche könne im Rahmen von § 85a AufenthG in keinem Fall missbräuchlich sein. An einer schützenswerten sozial-familiären Beziehung zwischen dem Antragsteller zu 1 und dem Antragsteller zu 2 bestehe kein durchgreifender Zweifel. Jedenfalls spreche nach summarischer Prüfung im Eilverfahren weit Überwiegendes dafür. Soweit das Verwaltungsgericht den Polizeibericht vom 17. Juli 2021 heranziehe, sei bereits mehrfach substantiiert und unwidersprochen vorgetragen worden, dass der Antragsteller zu 1 im dort maßgeblichen Zeitpunkt zwischenzeitlich zur Übernachtung auf eine Wohnung eines Bekannten ausgewichen sei, weil die Wohnverhältnisse der Lebensgefährtin und Kindesmutter aufgrund ihrer Bedürftigkeit offensichtlich beschränkt seien. Im Rahmen erneuter Hausermittlungen durch die gleichen Polizeibeamten am 13. Juli 2020 hätten die Nachbarn der Kindesmutter den Beamten zu dem unter Vorlage eines Fotos des Antragstellers zu 1 bestätigt, diesen dennoch des Öfteren wahrzunehmen. Diese Ausführungen sprächen nicht gegen einen bestehenden Kontakt zwischen dem Antragsteller zu 1 und dem Antragsteller zu 2. Den beiden eidesstattlichen Versicherungen der Kindesmutter könne weiterhin nicht von vornherein jeder Wert zur Glaubhaftmachung abgesprochen werden. Auch die Erläuterung des Antragstellers zu 1, zwischenzeitlich zur Übernachtung auf eine Wohnung eines Bekannten ausgewichen zu sein, weil die Wohnverhältnisse der Kindesmutter aufgrund ihrer Bedürftigkeit offensichtlich beschränkt seien, sei angesichts der familiären Konstellation nicht als fernliegend anzusehen. Auch nach dem Bericht der Familienhelfer sprächen nach dem hier hinreichend summarischen Prüfstand des Eilverfahrens eher Anhaltspunkte für als gegen eine schützenswerte sozial-familiäre Beziehung. Den Antragstellern dürfe die Möglichkeit zur Vertiefung nicht genommen werden, die sozial-familiäre Beziehung der Vaterschaft und damit das Nichtvorliegen einer missbräuchlichen Vaterschaft auch ohne Vaterschaftstest vertiefend nachzuweisen. Es handle sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht um einen Zirkelschluss oder um eine schlichte Behauptung. Nur auf diesem Weg könne in der Hauptsache gewährleistet werden, dass der verfassungsrechtlich zu garantierende Schutz der sozialen Vaterschaft im Prüfverfahren bei Vaterschaftsanerkennungen nach § 85a AufenthG respektive § 1597a BGB gewährleistet sei. Es spreche zudem Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller zu 1 zusätzlich zum Antragsteller zu 2 auch für die weiteren Kinder der Kindesmutter sorge. Die vorgelegten Lichtbilder dokumentierten zahlreiche, vielfältige und völlig unterschiedliche Alltagsabschnitte aus verschiedenen Jahreszeiten. Der Vorlage der Stellungnahme des sozialpädagogischen Dienstes des Bezirksamtes Spandau von Berlin vom 20. Juli 2021 hätte es vor dem Hintergrund der lediglich summarischen Prüfungsdichte im Eilverfahren und der bereits beigebrachten eidesstattlichen Versicherungen nicht bedurft. Liege eine – wie hier – schützenswerte gelebte sozial-familiäre Beziehung vor, diene die Vaterschaft eben nicht „gezielt gerade dem Zweck“, die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt der betroffenen Person zu ermöglichen, sondern der Vater-Kind-Beziehung und damit dem Kindeswohl.
Die Rügen greifen durch.
Das Verwaltungsgericht hat seinen Beschluss vom 23. Juli 2020 zu Unrecht gemäß § 80 Abs. 7 VwGO auf Antrag des Antragsgegners dahingehend abgeändert, dass der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt wird. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zum hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt BVerwG, U.v. 24.6.2021 – 1 C 30/20 – juris Rn. 12) und unter Zugrundelegung des nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu berücksichtigenden Beschwerdevorbringens sind die Erfolgsaussichten der Klage zumindest als offen zu bewerten, sodass das Interesse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheids überwiegt.
Der verwaltungsgerichtlichen Auffassung, die im Bescheid vom 21. April 2020 ausgesprochene Feststellung, die Vaterschaftsanerkennung für den Antragsteller zu 2 durch den Antragsteller zu 1 sei missbräuchlich i.S.d. § 85a Abs. 1 AufenthG, dürfte materiell rechtmäßig sein, ist im Hinblick auf die Ausführungen im – nach dem angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Beschluss ergangenen – Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2021 (Az. 1 C 30/20 – juris) nicht zu folgen.
Nach § 85a Abs. 1 AufenthG hat die Ausländerbehörde die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer – noch nicht wirksam gewordenen – Anerkennung einer Vaterschaft zu treffen, wenn diese i.S.d. § 1597a Abs. 1 BGB „missbräuchlich“ ist. Nach § 1597a Abs. 1 BGB darf die Vaterschaft nicht gezielt gerade zu dem Zweck anerkannt werden, die rechtlichen Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt insbesondere des Anerkennenden zu schaffen (missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft).
Jedenfalls eine Vaterschaft, die allein deswegen anerkannt wird, um die rechtlichen Voraussetzungen für einen anderweitig nicht erreichbaren rechtmäßigen Aufenthalt zu schaffen, ist als missbräuchlich anzusehen. Weder die Vaterschaftsanerkennung durch einen Mann, der nicht der leibliche Vater des Kindes ist (§ 1597a Abs. 5 BGB), noch die aus einer solchen Anerkennung resultierenden aufenthaltsrechtlichen Folgen indizieren aber für sich betrachtet die Missbräuchlichkeit der Vaterschaftsanerkennung. Der Wortlaut des § 1597a Abs. 1 BGB, dass die Vaterschaft „nicht gezielt gerade zu dem Zweck“ anerkannt werden darf, diese aufenthaltsrechtlichen Folgen zu bewirken, unternimmt die Abgrenzung der missbräuchlichen von einer nichtmissbräuchlichen Anerkennung nach deren Zweckrichtung. Die Feststellung des mit der Anerkennung verfolgten Zwecks wird indes dadurch erschwert, dass weder die Handlung (Vaterschaftsanerkennung) noch der erstrebte Erfolg (Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für eine erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt) als solche missbräuchlich sind (BVerwG, U.v. 24.6.2021 – 1 C 30/20 – juris Rn. 26). Die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen, welche die Anerkennung der Vaterschaft zeitigt, darf ein die Vaterschaft Anerkennender auch gezielt wollen und bezwecken, etwa um Eltern-Kind-Beziehungen zu begründen, fortzusetzen oder zu vertiefen. Von § 85a AufenthG erfasst sind nur Vaterschaften, die zur Umgehung gesetzlicher Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts anerkannt wurden. Im Sinne des § 1597a Abs. 1 BGB „nicht gezielt gerade zu dem Zweck“ solcher aufenthaltsrechtlichen Wirkungen erfolgt eine Vaterschaftsanerkennung mithin jedenfalls dann, wenn mit ihr ein über die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen hinausgehender, rechtlich anzuerkennender Zweck verfolgt wird (BVerwG, U.v. 24.6.2021 – 1 C 30/20 – juris Rn. 28 m.w.N.). Die hinzutretenden Zwecke müssen auf die Anerkennung einer Vaterschaft selbst bezogen sein, also der Begründung, Fortsetzung oder Vertiefung einer Eltern-Kind-Beziehung dienen. Die aus der Vaterschaftsanerkennung resultierende elterliche Verantwortung als ein Grundrecht im Interesse des Kindes muss der Anerkennende auch tatsächlich wahrnehmen („leben“) wollen; eine Anerkennung ist jedenfalls dann missbräuchlich, wenn weder eine persönliche Beziehung mit dem Kind oder dessen Mutter angestrebt wird noch die Bereitschaft besteht, ohne persönlichen Kontakt mögliche Rechte oder Pflichten, die mit der rechtlichen Elternschaft verbunden sind, wahrzunehmen (BVerwG, U.v. 24.6.2021 – 1 C 30/20 – juris Rn. 29 m.w.N.). In Bezug auf die „gelebte“ Intensität einer grundrechtlich geschützten Eltern-Kind-Beziehung sind vielfältige Ausformungen und Abstufungen möglich (BVerwG, U.v. 24.6.2021 – 1 C 30/20 – juris Rn. 30 m.w.N.). Nicht alle in der elterlichen Sorge gebündelten Rechte und Pflichten müssen durch den Anerkennenden in eigener Person oder gar in optimaler Weise wahrgenommen werden wollen. Erforderlich, aber hinreichend ist eine – angestrebte oder bereits wahrgenommene – tatsächliche Betätigung in Bezug auf einzelne Elemente der elterlichen Verantwortung wie z.B. die Gewährung von Sach- oder Barunterhalt. Die elterliche Verantwortung setzt eine häusliche Gemeinschaft nicht zwingend voraus; auch das Bestehen einer geistig-emotionalen Nähebeziehung kann ausreichen. Umgekehrt ist eine besondere geistig-emotionale Nähebeziehung nicht erforderlich, wenn andere aus der elterlichen Sorge folgende Pflichten erfüllt werden (sollen und können); so ist etwa das Fehlen einer sozial-familiären Beziehung im Sinne des § 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB zwischen Vater und Kind kein zuverlässiger Indikator dafür, dass eine den Aufenthaltsstatus der Beteiligten objektiv verbessernde Vaterschaftsanerkennung gerade auf aufenthaltsrechtliche Vorteile zielt (BVerwG, U.v. 24.6.2021 – 1 C 30/20 – juris Rn. 31 m.w.N.).
Ob die Voraussetzungen einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung gegeben sind, hat die Ausländerbehörde aufgrund einer umfassenden Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalles zu beurteilen (BVerwG, U.v. 24.6.2021 – 1 C 30/20 – juris Rn. 32 m.w.N.). Die Ausländerbehörde trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die aus der Vaterschaftsanerkennung folgende elterliche Verantwortung tatsächlich nicht wahrgenommen werden soll (BVerwG, U.v. 24.6.2021 – 1 C 30/20 – juris Rn. 33 m.w.N.).
Die ausländerbehördliche Prüfung hat umfassend alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, welche die Missbräuchlichkeit einer Vaterschaftsanerkennung zu be- oder widerlegen geeignet sind. Sie ist weder auf die in § 1597a Abs. 2 Satz 2 BGB nicht abschließend („insbesondere“) aufgezählten Anzeichen für konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung (Verdachtstatbestände) noch auf die Regelvermutungstatbestände des § 85a Abs. 2 Satz 1 AufenthG beschränkt. Die – hier nicht vorliegenden (insbesondere nicht § 85a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) – Regelvermutungstatbestände enthalten indes eine Beweiserleichterung für die Ausländerbehörde, weil diese bei Vorliegen von einem oder mehreren Regelvermutungstatbeständen grundsätzlich von einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung ausgehen darf, wenn nicht Umstände erkennbar oder vorgetragen sind, welche die Vermutungswirkung entkräften oder gar widerlegen (BVerwG, U.v. 24.6.2021 – 1 C 30/20 – juris Rn. 34). Umgekehrt schließt das Nichtvorliegen von Regelvermutungstatbeständen eine Bewertung der Umstände des Einzelfalles dahin nicht zwingend aus, wenn anderweitige konkrete Anhaltspunkte nach Gewicht und Aussagekraft den Schluss rechtfertigten, dass eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung vorliegt. In diese Gesamtwürdigung können auch die in § 1597a Abs. 2 Satz 2 BGB genannten Verdachtstatbestände herangezogen werden, die indes nicht geeignet sind, die in § 85a Abs. 2 Satz 1 AufenthG abschließend aufgezählten Regelvermutungstatbestände zu erweitern (BVerwG, U.v. 24.6.2021 – 1 C 30/20 – juris Rn. 35).
Nach diesem Maßstab überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, weil der angegriffene Bescheid zum maßgeblichen Zeitpunkt einer summarischen Prüfung nicht standhält und (derzeit) nicht von einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung i.S.d. § 85a Abs. 1 AufenthG durch den Antragsteller zu 1 ausgegangen werden kann.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass ein Regelvermutungstatbestand gem. § 85a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht gegeben ist. Aufgrund der (bislang) vom Antragsgegner vorgetragenen Umstände bestehen keine anderweitigen konkreten Anhaltspunkte nach Gewicht und Aussagekraft, die den Schluss rechtfertigen, dass eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung vorliegt.
Dem Verwaltungsgericht ist zwar zuzustimmen, dass sich die Angaben der Kindesmutter gegenüber der Polizei am 10. Juli 2020 nur schwer mit ihrem Vorbringen in der eidesstattlichen Versicherung vom 22. Juli 2020 in Einklang bringen lassen. Der Antragsgegner hat aber im Hinblick auf den Zeitablauf keine konkreten und aktuellen Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass die aus der Vaterschaftsanerkennung folgende elterliche Verantwortung tatsächlich nicht wahrgenommen werden soll. Zwar liegt aufgrund der Umstände nahe, dass sich der Antragsteller zu 1 durch die Vaterschaftsanerkennung ein Bleiberecht in der Bundesrepublik verspricht. Auch lässt der Umstand, dass die Kindsmutter bereits sieben weitere Kinder hat, als deren Väter sechs verschiedene – dem Namen nach afrikanische – Männer eingetragen sind (drei sind im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, einer ist geduldet, einer konnte nicht ermittelt werden, einer ist unbekannt), und die Mitwirkungsverweigerung des Antragstellers zu 1 in der Vergangenheit (seinen nigerianischen Reisepass, mit dem er sich am 28.1.2020 im Verfahren der Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung ausgewiesen hat, hat Antragsteller zu 1 bislang bei der Ausländerbehörde nicht vorgelegt), Bedenken an dem aufrichtigen Willen des Antragstellers zu 1 aufkommen, ob er die elterliche Verantwortung nach der Vaterschaftsanerkennung tatsächlich wahrnehmen wird.
Aufgrund der derzeitigen Umstände kann aber eine bestehende sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Antragsteller zu 1 und dem Antragsteller zu 2 nicht ausgeschlossen werden. Dies ergibt sich daraus, dass mangels entgegenstehender Anhaltspunkte von einem Aufenthalt des Antragstellers zu 1 am Wohnort der Kindsmutter bereits seit dem Zeitpunkt auszugehen ist, ab dem dem Antragsgegner der Aufenthalt des Antragstellers zu 1 unbekannt ist (seit dem 1.6.2020). Zwar ist zu sehen, dass die Verlagerung des Wohnsitzes in zeitlich nachfolgendem Zusammenhang mit dem Bescheid vom 21. April 2020, also mithin 5 Monate nach der Geburt des Antragstellers zu 2. erfolgt ist. Gleichwohl sind vom Antragsgegner keine weiteren Umstände vorgetragen worden oder anderweitig ersichtlich, die darauf schließen lassen würden, dass der Antragsteller zu 1 seinen Aufenthaltsort aus einem anderen Grund als zur Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu 2 gewechselt hat. Insoweit ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung nicht von Belang, dass der Antragsteller zu 1 (zunächst) wohl zu einem Freund und (wegen der beengten Wohnverhältnisse) nicht in die Wohnung der Kindsmutter gezogen ist (laut amtlicher Meldebestätigung vom 3.9.2021 hat der Antragsteller zu 1 den Einzug in die Wohnung der Kindsmutter nunmehr rückwirkend zum 19.8.2021 gemeldet). Zudem wird in dem Schreiben des Bezirksamts Spandau von Berlin (Abteilung Bürgerdienste, Ordnung und Jugend – Regionaler Sozialpädagogischer Dienst 2) vom 20. Juli 2021 – wobei diesem nicht entnommen werden kann, auf welcher Grundlage eine solche Aussage getroffen worden ist und getroffen werden konnte – bestätigt, dass sich der Antragsteller zu 1 seit der Geburt des Antragstellers zu 2 „um diesen kümmert und versorgt“. Für eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Antragsteller zu 1 und dem Antragsteller zu 2 spricht derzeit darüber hinaus, dass Nachbarn der Kindsmutter am 13. Juli 2020 auf Nachfrage und unter Vorlage eines Fotos des Antragstellers zu 1 gegenüber der Polizei erklärt haben, sie hätten einen Mann, der dem auf dem vorgelegten Foto ähnle, gelegentlich in den späten Abendstunden wahrgenommen. Der Senat hat daher nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1 die Vaterschaft für den Antragsteller zu 2 „nicht gezielt gerade zu dem Zweck“, die rechtlichen Voraussetzungen für einen erlaubten Aufenthalt zu schaffen, anerkennen will, sondern zumindest auch, um eine Eltern-Kind-Beziehung fortzusetzen und zu vertiefen. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der Weigerung des Antragstellers zu 1, ein Abstammungsgutachten vorzulegen. Zudem kann den Antragstellern wohl auch nicht angelastet werden, dass sie einen (angekündigten) Bericht der Familienhelfer bislang nicht vorgelegt haben. Der Antragsgegner, dem insoweit die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, dass die aus der Vaterschaftsanerkennung folgende elterliche Verantwortung tatsächlich nicht wahrgenommen werden soll, hat (bislang) keine aktuellen Umstände vorgetragen, die auf eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung schließen ließen.
Durch die Aufhebung der Nr. 1 des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 14. Juni 2021 (Az. B 6 S 20.989) wird die Nr. 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. Juli 2020 (B 6 S 20.525) wiederhergestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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