Verwaltungsrecht

Missbräuchlichkeit der Vaterschaftsanerkennung

Aktenzeichen  M 24 K 18.2412

Datum:
19.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 42557
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 85a
BGB § 1597a, § 1598
VwGO § 42, § 74 Abs. 1, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1, § 124, § 124a Abs. 4, § 154, § 167
PStG § 49

 

Leitsatz

1. Die Gründe, die zur Unwirksamkeit einer Vaterschaftsanerkennung führen, sind in § 1598 Abs. 1 BGB abschließend aufgezählt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob der eine Vaterschaftsanerkennung beurkundende Notar gegen § 1597a Abs. 1 und Abs. 2 BGB verstoßen hat, weil er es unterlassen hat, im Hinblick auf eine gegebenenfalls missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft das Beurkundungsverfahren auszusetzen und die Ausländerbehörde entsprechend zu informieren, ist irrelevant, da ein solcher Verstoß nach dem ausdrücklichen Wortlaut des abschließenden § 1598 Abs. 1 BGB nicht zur Unwirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung führen würde. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 27. April 2018 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
1. Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
2. Die Klage ist zulässig. Bei dem streitgegenständlichen Bescheid handelt es sich um einen belastenden, feststellenden Verwaltungsakt, gegen den die Anfechtungsklage statthaft ist (§ 42 VwGO). Die Klage wurde rechtzeitig innerhalb der gesetzlichen Klagefrist von einem Monat (§ 74 Abs. 1 VwGO) erhoben. Der von der Klagepartei beim zuständigen Amtsgericht gegen die Entscheidung des Standesamts, das Beurkundungsverfahren auszusetzen, auf Grundlage des § 49 des Personenstandsgesetzes (PStG) gestellte Antrag lässt das Rechtsschutzbedürfnis der vorliegenden Anfechtungsklage nicht entfallen. Das in § 1597a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und § 85a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) geregelte Aussetzungs- und Prüfverfahren genießt als spezielleres Verfahren Vorrang gegenüber einem Verfahren nach § 49 PStG (Tewocht in BeckOK AuslR, 23. Ed. 1.8.2019, AufenthG § 85a Rn. 28a; Rundschreiben des Bundesministerium des Innern und des Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Anwendung der Gesetzesregelungen zur Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen vom 21.12.2017, Nr. 2.1.1).
3. Die Klage ist auch begründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 27. April 2018, mit dem der Beklagte die missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft für das am … … 2017 von der Klägerin geborene Kind durch Herrn F. festgestellt hat, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
3.1. Rechtsgrundlage für die Feststellung einer missbräuchlichen Vaterschaft ist § 85a Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1597a BGB.
Gemäß § 85a Abs. 1 AufenthG prüft die Ausländerbehörde, wenn ihr von einer beurkundenden Behörde oder einer Urkundsperson mitgeteilt wird, dass konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft im Sinne von § 1597a Abs. 1 BGB bestehen, ob eine solche vorliegt. Ergibt die Prüfung, dass die Anerkennung der Vaterschaft missbräuchlich ist, stellt die Ausländerbehörde dies durch Verwaltungsakt fest, andernfalls stellt die Ausländerbehörde das Verfahren ein. Es handelt sich hierbei um ein zweistufiges Verfahren. Im ersten Schritt prüft die beurkundende Behörde oder die Urkundsperson, ob konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft (§ 1597a Abs. 1 und Abs. 2 BGB) bestehen. Ist dies der Fall, hat sie dies der nach § 85a AufenthG zuständigen Ausländerbehörde nach Anhörung des Anerkennenden und der Mutter mitzuteilen und die Beurkundung auszusetzen. Im zweiten Schritt prüft dann die Ausländerbehörde gem. § 85a AufenthG, ob eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft vorliegt. § 85a Abs. 2 AufenthG zählt Tatbestände auf, bei denen eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft regelmäßig vermutet wird. Ergibt die Prüfung, dass die Anerkennung der Vaterschaft missbräuchlich ist, stellt die Ausländerbehörde dies durch schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt fest (§ 85a Abs. 1 Satz 2 AufenthG), andernfalls stellt die Ausländerbehörde das Verfahren ein (§ 85a Abs. 1 Satz 3 AufenthG).
Solange die Beurkundung gemäß § 1597a Abs. 2 Satz 1 BGB ausgesetzt ist, kann die Anerkennung der Vaterschaft auch von einer anderen beurkundenden Behörde oder Urkundsperson nicht wirksam beurkundet werden (§ 1597a Abs. 3 Satz 1 BGB). Das gleiche gilt, wenn die Voraussetzungen des § 1597a Abs. 2 Satz 4 BGB vorliegen, d. h. wenn die Ausländerbehörde durch unanfechtbare Entscheidung das Vorliegen einer missbräuchlichen Anerkennung der Vaterschaft festgestellt hat (§ 1597a Abs. 3 Satz 2 BGB). Gemäß § 1598 Abs. 1 Satz 2 BGB ist eine entgegen § 1597a Abs. 3 BGB erfolgte Beurkundung unwirksam. Demnach ist die Vaterschaftsanerkennung unwirksam, wenn sie erfolgt, nachdem eine Urkundsperson die Beurkundung wegen Missbrauchsverdachts ausgesetzt (§ 1597a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 BGB) hat oder nachdem die nach § 85a AufenthG zuständige Behörde gemäß § 85a Abs. 1 AufenthG das Vorliegen einer missbräuchlichen Anerkennung unanfechtbar festgestellt hat (§ 1597a Abs. 3 Satz 2 BGB). Eine Rückwirkung der Wirksamkeitssperre auf eine Vaterschaftsanerkennung, die bereits vor dem in § 1597a Abs. 3 BGB genannten Zeitpunkt liegt, sieht das Gesetz nicht vor. Einer solchen Rückwirkung steht der eindeutige Wortlaut der Vorschrift ebenso entgegen wie der Gesetzeszweck. Der Gesetzgeber verfolgt mit der getroffenen Regelung nunmehr einen präventiven Ansatz zur Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen im Vorfeld der Beurkundung, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B.v. 17.12.2013 – 1 BvL 6/10) die frühere Regelung eines behördlichen Vaterschaftsanfechtungsrechts für Missbrauchsfälle für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat (vgl. BT-Drs. 18/12415 S. 15 f.).
3.2. Im vorliegenden Fall wurde die Vaterschaft bereits mit notarieller Urkunde vom 16. November 2017 wirksam anerkannt, ohne dass seitens des Notars die Beurkundung wegen Missbrauchsverdachts ausgesetzt worden wäre. Die spätere Aussetzung des Beurkundungsverfahrens durch das Standesamt R.… am 21. Dezember 2017 und die Feststellung des Missbrauchs durch die ZAB mit Bescheid vom 27. April 2018 lässt die Wirksamkeit der zeitlich vorausgegangenen notariell beurkundeten Vaterschaftsanerkennung unberührt.
Die Gründe, die zur Unwirksamkeit einer Vaterschaftsanerkennung führen, sind in § 1598 Abs. 1 BGB abschließend aufgezählt. Die §§ 1594 ff. BGB sind als geschlossenes System ausgestaltet, um der Vaterschaftsanerkennung einen erhöhten Bestandsschutz zu gewährleisten. Sonstige, in § 1598 Abs. 1 BGB nicht genannte Gründe können die Wirksamkeit der Anerkennung nicht beeinträchtigen (BeckOGK/Balzer, 1.8.2019, BGB § 1598 Rn. 2).
3.2.1. Im vorliegenden Fall liegt keiner der in § 1598 Abs. 1 Satz 1 BGB genannten Unwirksamkeitsgründe vor. Die Vaterschaftsanerkennung genügt den Erfordernissen nach § 1594 Abs. 2 bis 4 BGB und §§ 1595 bis 1597 BGB. Eine notarielle Beurkundung der Erklärung des Vaters sowie der Zustimmung der Mutter ist insbesondere bereits vor der Geburt des Kindes möglich (§ 1594 Abs. 4 BGB). Eine anderweitige Vaterschaft für das Kind der Klägerin ist nicht ersichtlich (§ 1594 Abs. 2 BGB).
3.2.2. Die Vaterschaftsanerkennung ist auch nicht gemäß § 1598 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen Missbrauchs oder Missbrauchsverdachts unwirksam. Wie oben erörtert ist eine missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung dann gemäß § 1598 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, wenn sie erfolgt, nachdem eine Urkundsperson die Beurkundung wegen Missbrauchsverdachts ausgesetzt hat (§ 1597a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 BGB) oder die nach § 85a AufenthG zuständige Behörde gemäß § 85a Abs. 1 AufenthG das Vorliegen einer missbräuchlichen Anerkennung unanfechtbar festgestellt hat (§ 1597a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 BGB). Im vorliegenden Fall ist allerdings eine wirksame Vaterschaftsanerkennung durch die notarielle Beurkundung am 16. November 2017 zustande gekommen, bevor das Standesamt im Dezember 2017 eine Beurkundung wegen Missbrauchsverdachts ausgesetzt hat und ein Überprüfungsverfahren durch die zuständige Ausländerbehörde eingeleitet wurde bzw. bevor eine unanfechtbare Missbrauchsfeststellung durch die Ausländerbehörde erfolgt ist. Der vorliegende Fall einer vorangegangenen wirksamen Vaterschaftsanerkennung durch notarielle Beurkundung wird von § 1598 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht erfasst (s.o; vgl. auch VG Magdeburg, B.v. 16.11.2018 – 4 B 328/18 – juris Rn. 19 ff.).
3.2.3. Ob der beurkundende Notar gegen § 1597a Abs. 1 und Abs. 2 BGB verstoßen hat, indem er es unterlassen hat, im Hinblick auf eine gegebenenfalls missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft das Beurkundungsverfahren auszusetzen und die Ausländerbehörde entsprechend zu informieren, kann offenbleiben, da ein solcher Verstoß nach dem ausdrücklichen Wortlaut des abschließenden § 1598 Abs. 1 BGB nicht zur Unwirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung führen würde. Es handelt sich insoweit um einen Verfahrensverstoß ohne Außenwirkung (BeckOGK/Balzer, 1.8.2019, BGB § 1598 Rn. 46; so auch VG Magdeburg, B.v. 16.11.2018 – 4 B 328/18 – juris Rn. 19 ff.).
3.2.4. Auch die Frage, ob die Anerkennung den tatsächlichen Abstammungsverhältnissen entspricht, hat keine Auswirkung auf die Wirksamkeit der Anerkennung. Auch eine bewusst wahrheitswidrige missbräuchliche Anerkennung entfaltet zunächst volle statusrechtliche Wirkung und kann nur durch Vaterschaftsanfechtung gemäß § 1599 Abs. 1 BGB beseitigt werden, wobei allerdings kein behördliches Vaterschaftsanfechtungsrecht mehr besteht, nachdem das Bundesverfassungsgericht dieses für verfassungswidrig erklärt hat (s.o.). Eine bewusst unwahre Vaterschaftsanerkennung kann auch nicht etwa wegen Rechtsmissbrauchs für unwirksam erachtet werden, da andernfalls die abschließende gesetzliche Regelung der Unwirksamkeitsgründe ausgehöhlt würde. Das Gesetz nimmt aus Gründen der Statusklarheit und Statussicherheit in Kauf, dass auch die bewusst wahrheitswidrige Anerkennung wirksam ist. Insoweit greift die präventiv ausgestaltete Missbrauchskontrolle nicht durch (vgl. BeckOGK/Balzer, 1.8.2019, BGB § 1598 Rn. 48, 49).
3.2.5. Der Einwand, es bestünden „Zweifel an der Richtigkeit der Beurkundung“ ist dem Beklagten nach der vom Gesetzgeber gewählten Regelungssystematik verwehrt. Auf die Frage, ob die beurkundete Vaterschaft inhaltlich der Wahrheit entspricht, ob also Herr F. tatsächlich der Vater des Kindes der Klägerin ist, kommt es nicht an, da die notariell beurkundete Vaterschaftsanerkennung wirksam ist. Eine Nachfrage durch das Gericht beim beurkundenden Notar, wie sie der Beklagte angeregt hat, ist daher nicht veranlasst. Das Gericht hat auch keine Zweifel an der Echtheit der in beglaubigter Kopie vorgelegten notariellen Urkunde. Eine Urkunde ist im Rechtssinne nicht etwa unecht, wenn sie inhaltlich unrichtig ist, sondern dann, wenn sie nicht von demjenigen herrührt, der sich aus der Urkunde als Aussteller ergibt. Für Letzteres bestehen aber im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte, zumal seitens des Notariats die Existenz der Urkunde bestätigt wurde. Dies wird auch vom Beklagten nicht angezweifelt.
3.3. Nachdem die Vaterschaftsanerkennung somit bereits wirksam war, bevor überhaupt ein Missbrauchsverfahren eingeleitet wurde, ging das vom Beklagten betriebene Missbrauchsverfahren ins Leere. Ist die Vaterschaftsanerkennung bereits auf anderem Wege zeitlich vorausgehend wirksam zustande gekommen, besteht für ein Missbrauchsverfahren gemäß § 85a Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 1597a BGB kein Raum, weil der vom Gesetz verfolgte Zweck einer präventiven Missbrauchskontrolle von vorneherein nicht erreichbar ist. Die Feststellung einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung ist im vorliegenden Fall rechtswidrig, da sie ihren gesetzlichen Zweck, eine wirksame Beurkundung zu verhindern, nicht erreichen kann.
3.4. Die Klägerin ist durch die im streitgegenständlichen Bescheid getroffene Feststellung in ihren Rechten verletzt. Zwar geht die Feststellung ins Leere, da die notariell beurkundete Vaterschaftsanerkennung wirksam bleibt, jedoch ist zu sehen, dass sich das Standesamt wegen der getroffenen Feststellung gehindert sieht, die Vaterschaft in das Geburtenregister einzutragen. Ob in der vorliegenden Konstellation dem Betroffenen ein Rechtsbehelf gegenüber dem Standesamt zusteht, mit dem er die Eintragung erzwingen könnte, ist zweifelhaft, da insoweit ein Vorrang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens angenommen wird (Tewocht in BeckOK AuslR, 23. Ed. 1.8.2019, AufenthG § 85a Rn. 28a). Wegen der gerade im vorliegenden Fall ins Auge tretenden Vollzugsprobleme darf dem Betroffenen ein effektiver Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch Anfechtung der rechtswidrig ergangenen Feststellung nicht verwehrt werden (Art. 19 Abs. 4 GG).
Der streitgegenständliche Bescheid war daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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