Verwaltungsrecht

Nachträgliche Überprüfung einer polizeilichen Maßnahme – Rechtsweg und Gerichtszuständigkeit

Aktenzeichen  M 7 K 16.3568

Datum:
10.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 40 Abs. 1, § 173
GVG GVG § 17a Abs. 2 S. 1
EGGVG EGGVG §§ 23 ff.
StPO StPO § 98 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Der Rechtsweg gegen polizeiliche Maßnahmen richtet sich danach, ob die Polizei im konkreten Fall repressiv zum Zwecke der Strafverfolgung oder präventiv zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig geworden ist (vgl. auch BVerwG BeckRS 2011, 51728). (redaktioneller Leitsatz)
Dient die angegriffene polizeiliche Maßnahme (hier Anhalten von Personen zur Identitätsfeststellung nach tumultartigen Ausschreitungen von Fußballfans in einem Regionalzug) im Schwerpunkt einem repressiven Zweck, ist der Verwaltungsrechtsweg auch dann nicht eröffnet, wenn sie auch zur Gefahrenabwehr (hier Schutz von Polizeivollzugskräften) durchgeführt wurde. (redaktioneller Leitsatz)
Zur nachträglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer strafprozessualen Maßnahme der Polizei ist nicht gemäß §§ 23 ff. EGGVG das Oberlandesgericht, sondern das gemäß § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog zuständige (Amts-) Gericht berufen (Anschluss an OLG Karlsruhe BeckRS 2013, 17552; OLG Hamburg BeckRS 2004, 10974 Rn. 3; entgegen OVG Lüneburg BeckRS 2012, 45679). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II.
Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht München verwiesen.
III.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich gegen polizeiliche Maßnahmen bei einer Rückreise mit der Regionalbahn von einem Fußballspiel.
Am … Februar 2014 fand um 18.30 Uhr die Begegnung der 2. Bundesliga zwischen dem FC Ingolstadt 04 und dem TSV 1860 München im Stadion in Ingolstadt statt. Aufgrund der guten Bahnverbindung rechnete die Bundespolizei mit einer hohen Anzahl bahnreisender Gästefans. Sie stellte sowohl für die Anreise wie für die Rückreise polizeiliche Zugbegleitkräfte. Nach den Stellungnahmen der Einsatzkräfte kam es bereits auf der Hinreise im Zug zu massiven Ordnungsstörungen, welche sich als Verstöße gegen das Nichtraucherschutzgesetz, als Verunreinigungen, als Sachbeschädigungen und als Beleidigungen darstellten. Bei der Ankunft in Ingolstadt kam es zu einem massiven Einsatz von Pyrotechnik durch die Fans von 1860 München. Bei der Fahrt der Fans zum Stadion wurden in drei Bussen Scheiben mit dem Nothammer eingeschlagen. Auch während der Spielphase kam es zu Ausschreitungen der Fans des TSV 1860, wobei das Spiel aufgrund des Einsatzes von Pyrotechnik und dem Werfen von mehreren Gegenständen auf das Spielfeld – darunter kleine gläserne Schnapsflaschen und Feuerzeuge – zweimal unterbrochen wurde. Nach dem Spiel war die Stimmung der Fans aufgrund Alkoholkonsums und der Niederlage äußerst gereizt. Etwa 600 Fans traten die Rückreise von Ingolstadt mit dem bereitgestellten Zug RB … an. Nach Abreise gab es im vorletzten Waggon Schwierigkeiten. Die eingesetzten Kräfte der Bundespolizei wollten mit Gefährderansprachen gegen rauchende und gegen die Deckenverkleidung schlagende Fans tätig werden. In der Folge wurden Polizeibeamte von einem Fan auch tätlich angegriffen. Es kam zuletzt zu tumultähnlichen Szenen, die von den Beteiligten jeweils unterschiedlich geschildert werden. Dabei wurde von einem Polizeibeamten auch Pfefferspray eingesetzt. Die Polizeibeamten verließen am Bahnhof Petershausen den Zug, um sich zu schützen und eine weitere Eskalation im Zug zu verhindern. Als es aus dem stehenden Zug heraus zu Glasflaschenwürfen auf Polizeivollzugsbeamte kam, wurde erneut Pfefferspray eingesetzt. Es wurde von der Einsatzleitung beschlossen, Personalienfeststellungen nicht am Bahnhof Petershausen vorzunehmen, da die Örtlichkeit hierfür ungeeignet war. Die Personalien sollten am Münchner Hauptbahnhof bzw. Starnberger Flügelbahnhof mit Hilfe einer Bearbeitungsstraße festgestellt werden. Da die dort gebildete Polizeikette aufgrund des großen Drucks der Fans nicht zu halten war, wurden die Absperrungen wieder aufgehoben und lediglich selektiv Kontrollen durch die Polizei durchgeführt. Es kam nachfolgend zu einer Reihe von Strafverfahren.
Am 15. Mai 2014 erhoben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragten:
Es wird festgestellt, dass die am … Februar 2014 durch die Bundespolizei München gegenüber den Klägern zu 2) und 3) angewendete körperliche Gewalt durch Einsatz von Reizstoff, Einsatzmehrzweckstöcken und die gegen sämtliche Kläger durchgeführten Gewahrsamnahmen rechtswidrig waren.
In der mündlichen Verhandlung vom 10. August 2016 wurde erklärt, dass der Einsatz von Pfefferspray von allen Klägern angegriffen werde und die Einsatzmehrzweckstöcke vor dem Halt in Petershausen gegenüber den Klägern zu 2) und 4) angewandt worden seien. Zu den polizeilichen Maßnahmen am Münchner Hauptbahnhof bzw. Starnberger Flügelbahnhof wurde schriftsätzlich vorgetragen, dass das gesamte Areal umstellt von Polizeibeamten und Polizeihunden ohne Maulkorb gewesen sei. Die gesamte Personengruppe sei eingekesselt worden; dies habe mindestens 30 Minuten gedauert. Es habe keine Rechtsgrundlage bestanden, hier ca. 600 Personen anzuhalten und an einem Weitergehen zu hindern. Eine richterliche Anordnung dieses Gewahrsams habe nicht bestanden. Die Polizei habe hier Panikreaktionen der Menschen riskiert. Es sei unmenschlich gewesen, die Personen, die zuvor stundenlang im Zug hätten ausharren müssen und teilweise durch Pfefferspray und Schlagstöcke verletzt worden seien, noch einmal zusammenzudrängen und festzuhalten.
Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 6. August 2014,
die Klage abzuweisen.
Die polizeilichen Maßnahmen seien rechtmäßig gewesen. Zu dem Komplex Münchner Hauptbahnhof wurde vorgetragen, dass sich die Polizeiführer entschieden hätten, die Identitätsfeststellungen im Münchner Hauptbahnhof durchzuführen. Bei der Ankunft in München hätten sich die Gefahrenverursacher wieder mit den Unbeteiligten vermischt und sich teilweise vermummt. Sichtbar Unbeteiligte hätten sich nach Ankunft in München unbehelligt entfernen können. Die abgesperrte Fläche habe ca. 800 m² betragen. Da es zu Durchbrechungen in den Absperrungen gekommen sei, die Stimmung immer aggressiver geworden sei und sich immer noch Unbeteiligte in der Absperrung befunden hätten, habe sich der Polizeiführer, um eine Gefährdung der Unbeteiligten zu verhindern, entschlossen, von der Identitätsfeststellung abzusehen und habe in Abstimmung mit den Entscheidungsbeamten des Landes die Absperrung geöffnet. Im Bereich des Münchner Hauptbahnhofs sei es nicht zum Einsatz von Pfefferspray gekommen. Als ein Polizeibeamter zu Boden gegangen sei und von drei oder vier Fans weiter bedrängt worden sei, sei der Schlagstock angedroht und eingesetzt worden.
Zu dem Hinweis des Gerichts, dass im Hinblick auf das Anhalten von Personen zur Identitätsfeststellung eine Verweisung des Rechtsstreits an die ordentliche Gerichtsbarkeit in Betracht komme, äußerten sich die Beteiligten mit Schreiben vom 19. Mai 2016 und 3. Juni 2016. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger bat, eine Verweisung erst nach mündlicher Verhandlung vorzunehmen. In der mündlichen Verhandlung vom 10. August 2016 wies das Gericht darauf hin, dass es sich bei den angegriffenen polizeilichen Maßnahmen am Münchner Hauptbahnhof bzw. Starnberger Flügelbahnhof um strafprozessuale Maßnahmen handele. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger erklärte daraufhin, dass er beantrage, den Rechtsstreit insoweit an die ordentliche Gerichtsbarkeit zu verweisen. Das Gericht trennte daraufhin das Verfahren ab, soweit von den Klägern polizeiliche Maßnahmen nach Eintreffen des Zuges RB … in München am Münchner Hauptbahnhof/Starnberger Flügelbahnhof angegriffen werden.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Verwaltungsrechtsweg ist für den abgetrennten Teil des Rechtsstreits nicht eröffnet.
Gemäß § 40 Abs. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Bei Maßnahmen der Polizei ist für die Frage des Rechtswegs entscheidend, in welcher Funktion die Polizei im konkreten Fall tätig gewesen ist. Bei repressivem Handeln der Polizei zum Zwecke der Verfolgung strafbarer Handlungen ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Die Strafprozessordnung ermächtigt nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch die Beamten des Polizeidienstes zu strafprozessualen Maßnahmen. Sie haben, sobald sie von einer strafbaren Handlung erfahren, diese von sich aus zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1974 – I C 11.73 – juris Rn. 18 ff.). Die Polizei ist am Münchner Hauptbahnhof/Starnberger Flügelbahnhof zur Ermittlung und Erforschung strafbarer Handlungen nach den Vorschriften der Strafprozessordnung tätig geworden.
Aus den Stellungnahmen der Polizeikräfte in der Behördenakte ergibt sich eindeutig, dass sich die Einsatzkräfte dafür entschieden haben, am Münchner Hauptbahnhof/Starnberger Flügelbahnhof eine „Bearbeitungsstraße“ zur Aufklärung der begangenen Straftaten durchzuführen. Das zunächst verfolgte Ziel, diese Maßnahmen bereits bei dem Halt in Petershausen durchzuführen, wurde aufgegeben, da sich die Örtlichkeit als ungeeignet herausstellte, dort nicht genügend Polizeikräfte vor Ort waren und es nicht erfolgversprechend war, in Petershausen nur einen Waggon zu überprüfen, da sich die Fans bereits durchmischt hatten. Die Ungeeignetheit des Halts in Petershausen für die notwendigen strafprozessualen Maßnahmen erläuterten auch die in der mündlichen Verhandlung gehörten Zeugen. Die angegriffenen polizeilichen Maßnahmen in München, wie die Bildung einer Absperrkette, Anhalten der Personen, dienten dazu, die notwendigen strafprozessualen Maßnahmen, Identitätsfeststellungen und ggf. Anfertigen von Bildaufnahmen, zu treffen. Ein präventiver Zweck ist hier nicht erkennbar. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Kläger vorgetragen hatte, dass es überhaupt nur zu neun Identitätsfeststellungen gekommen sei, ist dies dem Umstand geschuldet, dass die Maßnahmen nicht wie geplant durchgeführt werden konnten. Auch wenn man davon ausgeht, dass eine einzelne polizeiliche Maßnahme am Münchner Hauptbahnhof bzw. Starnberger Flügelbahnhof zur Gefahrenabwehr durchgeführt wurde, um z. B. einen Kollegen zu schützen, wird dadurch der eindeutige repressive Schwerpunkt der polizeilichen Maßnahmen nicht aufgehoben.
Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG war nach Anhörung der Beteiligten festzustellen, dass der Verwaltungsrechtsweg unzulässig ist, und der Rechtsstreit an das Amtsgericht München zu verweisen. Zur nachträglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit strafprozessualer Maßnahmen der Polizei ist nicht das Oberlandesgericht gemäß §§ 23 ff. EGGVG berufen, sondern das gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog zuständige Gericht (vgl. OLG Karlsruhe, B.v. 18.4.2013 – 2 VAs 2/13 u. a. – juris Rn. 7; Hanseat. OLG, B.v. 28.10.2004 – 1 Ws 207/04 – juris Rn. 5 ff. m. w. N.; Lutz/Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 98 Rn. 23 m. w. N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG.


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