Verwaltungsrecht

Nationales Abschiebungsverbot, Ärztliches Attest, Entscheidungszeitpunkt, Prozeßbevollmächtigter, Flüchtlingseigenschaft, Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Befähigung zum Richteramt, Qualifikationsrichtlinie, Subsidiärer Schutzstatus, Bundesamt für Migration, Verwaltungsgerichte, mündlich Verhandlung, Asylanerkennung, Vorverfolgung, Aufenthaltsverbot, Abschiebungsandrohung, Wesentliche Verschlechterung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Wahrscheinlichkeitsgrad, Behördenakten

Aktenzeichen  W 8 K 19.31780

Datum:
19.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6953
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 101 Abs. 2
AsylG § 3
AsylG § 4
AsylG § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis mit den Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist nicht begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. August 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat insbesondere keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG), Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 AsylG), des subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 AsylG) oder die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ferner ist auch das in Nr. 6 des Bescheides angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot einschließlich dessen Befristung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Gericht nimmt zunächst Bezug auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. August 2019, macht sich diese aus eigener Überzeugung zu eigen und sieht von einer weiteren Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen decken sich mit der Erkenntnislage des Gerichts (vgl. insbesondere Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, 27.4.2020; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Armenien, 2.10.2020). Das Vorbringen des Klägers führt zu keiner anderen Sichtweise.
Ergänzend ist im Einzelnen auszuführen:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesener-maßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie), oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1.) beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; siehe hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Qualifikationsrichtlinie).
Zudem müssen die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d Qualifikationsrichtlinie (vgl. jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32 m.w.N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu bereits BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris; BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asyl- bzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 -, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Der Kläger hat zu seinen Ausreisegründen bei der informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen angegeben, er habe Armenien erstmals 2008 in Richtung Russland verlassen, nachdem er von Unterstützern des R. K. bedroht und auf ihn geschossen worden sei. Auch nach seiner Rückkehr nach Armenien sei er weiter bedroht worden. Er habe zudem Probleme mit Ho. A1. gehabt. In dessen Amtszeit als Premierminister sei er Gemeindevorstand gewesen und habe alle Machenschaften mitbekommen. Er habe sich gegenüber A1. verweigert, eine Unterschrift wegen der Heizölverteilung an die Bevölkerung zu leisten. Seitdem werde er von A1. als Feind angesehen. Ferner habe er sich im Jahr 2007 geweigert ein Grundstück an A1. zu verkaufen, weshalb dieser auf dem Grundstück Schäden angerichtet habe. 2018 sei er nach Deutschland gekommen, da seine Wohnung von Wachpersonal des Ho. A1. observiert worden sei und dieses im klipp und klar gesagt habe, wenn er den Mund aufmache, würden er und seine Angehörigen getötet. Bei einer Rückkehr nach Armenien fürchte er auch Repressalien seitens R. K., da gegen diesen ein Strafverfahren anhängig sei und man verhindern wolle, dass der Kläger als Zeuge aussage. An die Polizei könne er sich nicht wenden, da diese in Armenien große Angst vor den mächtigen Personen habe.
Zu diesem Vorbringen ist zunächst anzumerken, dass es für das Gericht nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist, inwieweit der Kläger allein aufgrund seiner zeitweisen Tätigkeit als Gemeindevorstand derart vertiefte Kenntnisse etwaiger illegaler Machenschaften zweier ehemaliger armenischer Präsidenten bzw. Ministerpräsidenten erhalten haben soll. Dass der Kläger über diese Position hinaus eine besonders herausgehobene Stellung innerhalb des armenischen Staats innehatte ist weder vorgetragen noch für das Gericht sonst erkennbar. Zudem enthält das in der mündlichen Verhandlung Vorgetragene erhebliche Widersprüche zu den Angaben des Klägers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. So hat der Kläger etwa in der mündlichen Verhandlung den angeblichen Rechtsstreit um sein Grundstück und insbesondere eine von ihm angebliche verbüßte Haftstrafe (vgl. Bl. 102 der Behördenakte) mit keinem Wort erwähnt und die Probleme aufgrund des Grundstücks überhaupt erst auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts angegeben und diesbezüglich vorgebracht, das Grundstück sei von Ho. A1. zerstört worden (S. 4 des Protokolls). Diese Angaben fehlen wiederum im Protokoll zur Anhörung beim Bundesamt.
Dessen ungeachtet droht dem Kläger bei einer Rückkehr nach Armenien zur Überzeugung des Gerichts keine Verfolgung aufgrund seiner politischen Überzeugung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Dabei ist zunächst zu beachten, dass eine befürchtete Verfolgung nicht (mehr) von staatlichen Akteuren ausgeht, denn weder R. K. noch Ho. A1. haben im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) noch ein politisches oder sonst staatliches Amt in Armenien inne. Vor diesem Hintergrund hält es das Gericht bereits nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass seine früheren Widersacher überhaupt von einer Rückkehr des Klägers nach Armenien erfahren sollten.
Ferner ist eine möglicherweise drohende Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure nur in flüchtlingsschutzrelevanter Weise anzunehmen, wenn die in § 3d Abs. 2 AsylG genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, § 3c Nr. 3 AsylG. Hierfür bestehen nach der derzeitigen Erkenntnislage aber keine greifbaren Anhaltspunkte. Insbesondere ist der armenische Staat grundsätzlich als schutzfähig und schutzwillig in Bezug auf kriminelles Unrecht anzusehen. Dem Kläger ist es möglich und zumutbar, sich an die armenischen Polizei- und Sicherheitsbehörden zu wenden, um im Bedarfsfalle Schutz vor weiteren Bedrohungen nachzusuchen. Von der grundsätzlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des armenischen Staates ist insbesondere auch gegenüber einflussreichen Personen, wie hier vorgebracht, auszugehen.
Denn durch die friedlich verlaufende „Samtene Revolution“ im Jahr 2018 haben sich in Armenien völlig neue Rahmenbedingungen ergeben. Seit der Wahl von Nikol Pashinyan zum neuen Premierminister hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert. Die Regierung Pashinyan geht bestehende Menschenrechts-Defizite deutlich engagierter an als die Vorgängerregierung. Nach bisher vorliegenden Erkenntnissen hat sich die Strafverfolgungspraxis seit Mitte 2018 verbessert und eine Justiz-Reform wird vorangetrieben. Insbesondere ist die Korruption in Armenien nach den politischen Ereignissen im Jahr 2018 deutlich zurückgegangen und die Regierung unternimmt Schritte zur Beseitigung oligarchischer Strukturen und Hindernissen. Dass diese Maßnahmen auch bereits Erfolge zeigen, lässt sich daran ablesen, dass Armenien im Korruptionswahrnehmungsindex 2019 von Transparency International auf dem 77. Platz liegt im Vergleich zu Platz 105 im Jahr 2018. Im November 2019 wurde vom Parlament eine neue Kommission zur Vorbeugung von Korruption gewählt. Die Regierung plant im Jahr 2021 die Gründung einer Sonderermittlungsbehörde für Korruptionsbekämpfung (vgl. zu alldem Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 27.4.2020, Stand: Februar 2020, S. 7 f.). Insbesondere steht den Bürgern auch gegen einflussreiche Persönlichkeiten, sog. Oligarchen, der Rechtsweg offen. Sollte sich die Polizei dennoch als untätig erweisen, besteht die Möglichkeit sich an Gerichte, den vom Parlament gewählten und als unabhängige Institution in der Verfassung verankerten Menschenrechtsverteidiger (im Volksmund „Ombudsmann“ genannt) sowie an Menschenrechtsorganisationen zu wenden (vgl. Anfragebeantwortung des Auswärtigen Amtes vom 9.3.2018; sowie Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 27.4.2020, Stand: Februar 2020, S. 7). Es ist nicht ersichtlich, dass der armenische Staat generell von Strafverfolgung absieht, wenn es sich bei den angeschuldigten Personen um einflussreiche oder vor der Revolution mächtige Personen handelt. Vielmehr zeigen gerade die Erkenntnismittel der jüngeren Vergangenheit, dass seitens des armenischen Staates gerade auch gegen einflussreiche Personen strafrechtlich vorgegangen wird, wie beispielsweise den Oligarchen Gagik Tsarukyan oder die Parlamentsabgeordnete Naira Zohrabyan (vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung, Länderbericht, Innenpolitischer Brandbeschleuniger: Corona in Armenien, Juni 2020, S. 3 f.).
Nach Vorstehendem muss sich der Kläger auf innerstaatlichen Schutz im Sinne des § 3 d Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 d Abs. 2 AsylG verweisen lassen, sollte tatsächlich seitens R. K. und Ho. A1. weiterhin ein Interesse daran bestehen, den Kläger aufzuspüren und zu bedrohen. Eine Inanspruchnahme der Schutzmöglichkeiten des armenischen Staates ist dem Kläger möglich und zumutbar. Dass dies von vorneherein aussichtlos wäre, wie von ihm vorgebracht, lässt sich den vorstehenden Erkenntnismitteln in dieser Form nicht entnehmen. Insbesondere lässt ein etwaiges Untätigbleiben der armenischen Sicherheitsbehörden in den Jahren 2007 und 2008 also mehr als zehn Jahre vor oben genannter „Samtener Revolution“ keine Rückschlüsse darauf zu, dass auch im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) ein genereller Unwille seitens des armenischen Staates besteht, gegen ehemals einflussreiche Personen vorzugehen. Dies ist wie dargestellt den vorliegenden Erkenntnismitteln gerade auch in dieser Pauschalität nicht zu entnehmen.
Das Gericht geht zudem davon aus, dass für den Kläger eine inländische Aufenthaltsalternative im Sinne des § 3e Abs. 1, Abs. 2 AsylG in zumutbarer Weise zur Verfügung steht. Zwar besteht eine solche in Armenien aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus und der geringen territorialen Ausdehnung nur begrenzt gegenüber den Zentralbehörden. Bei Problemen mit Dritten kann jedoch ein Umzug Abhilfe schaffen (so ausdrücklich Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 27.4.2020 Stand: Februar 2020, S. 15). Eine etwaige Relokation des Klägers innerhalb Armeniens kann auch vernünftigerweise erwartet werden (vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Der 44-jährige Kläger ist lebenserfahren und mangels entgegenstehender Anhaltspunkte trotz seiner gesundheitlichen Beschwerden arbeitsfähig, weshalb davon auszugehen ist, dass er in der Lage sein wird, nach einer Rückkehr – wie bisher auch – seinen Lebensunterhalt gegebenenfalls an einem anderen Ort in Armenien zu bestreiten. Dies gilt auch für den Fall, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in Armenien aufgrund der im Zuge der weltweiten COVID-19-Pandemie getroffenen Maßnahmen verschlechtern bzw. verschlechtert haben. Für eine Verschlechterung der Verhältnisse dahingehend, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könnte, dass der Kläger in der Lage sein wird sich seinen Unterhalt zu erwirtschaften, hat das Gericht vor dem Hintergrund der in Armenien bereitgestellten Unterstützungsmaßnahmen (vgl. WKO, Wirtschaftskammer Österreich, Coronavirus: Situation in Armenien, Aktuelle Lage und Info-Update, Stand: 13.1.2021) und dem grundsätzlich vorhandenen Sozialsystem (vgl. im Einzelnen: vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 2.10.2020, S. 40 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, Stand: Februar 2020, vom 27.4.2020, S. 18 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 21.12.2017) im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs.2 AsylG) keine greifbaren Anhaltspunkte. Zudem verfügt der Kläger über diverse Familienangehörige in Armenien, die ihn ggf. ebenfalls unterstützen können (vgl. Bl. 99 f. der Behördenakte).
Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder der Asylantragstellung in Deutschland. Fälle von Festnahmen oder Misshandlungen von Rückkehrern sind nicht bekannt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, Stand: Februar 2020, vom 27.4.2020, S. 21).
Demgemäß scheidet auch ein Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG aus, zumal der Kläger aus der Tschechischen Republik nach Deutschland eingereist ist (Bl. 99 der Behördenakte), weshalb Art. 16a Abs. 2 GG einem Anspruch auf Asylanerkennung bereits entgegensteht.
2. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG berufen. Das Gericht folgt insoweit den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid, macht sich diese aus eigener Überzeugung zu Eigen und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird zudem auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Der Kläger muss sich insbesondere auf innerstaatliche Schutzmöglichkeiten verweisen lassen (§ 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3d und e AsylG).
Die zwischenzeitlichen Entwicklungen im Bergkarabach-Konflikt führen diesbezüglich nicht zu einer abweichenden Sichtweise. Ein landesweiter innerstaatlicher oder internationaler bewaffneter Konflikt in Armenien im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG liegt derzeit nicht vor und erstreckt sich insbesondere nicht auf die Region in der der Kläger vor seiner Ausreise seinen dauerhaften Lebensmittelpunkt hatte (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, AsylG, 13. Aufl. 2020, § 4 Rn. 16). Eine ernsthafte Gefahr aufgrund des Bergkarabach-Konflikts droht dem Kläger jedenfalls dann nicht, wenn er die unmittelbare Konfliktregion meidet und sich an einem anderen Ort in Armenien niederlässt, zumal sich die Lage nach dem Waffenstillstandsabkommen vom 9. November 2020 und dem Eintreffen russischer Soldaten in der Region deutlich entspannt hat und der Waffenstillstand trotz vereinzelter Zwischenfälle insgesamt eingehalten wird (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing-Notes, 23.11.2020; 11.1.2021).
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Armenien.
a.) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegt nicht vor. Dem Kläger droht zur Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Armenien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
Das Gericht nimmt zunächst Bezug auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. August 2019, in welchem dieses insbesondere bereits ausführlich die generellen humanitären Verhältnisse in Armenien gewürdigt hat, macht sich diese zu Eigen und sieht von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Vorbringen des Klägers sowie etwaige negative Auswirkungen der weltweiten COVID-19-Pandemie führen zu keiner abweichenden Sichtweise.
Lediglich ergänzend ist auszuführen:
Die humanitären Verhältnisse in Armenien stellen sich nicht generell als derartig defizitär dar, als dass aufgrund dessen unterschiedslos für alle Personen bzw. den Personenkreis, dem der Kläger angehört, von einer Verletzung von Art. 3 EMRK auszugehen ist. Insbesondere geht das Gericht im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt davon aus, dass der Kläger nach der Rückkehr in der Lage sein wird, sich eine Lebensgrundlage zumindest am Rande des Existenzminimums gegebenenfalls unter Inanspruchnahme des armenischen Sozialsystems sowie familiärer Unterstützung zu sichern. Der Kläger ist bei seiner Rückkehr nicht auf sich allein gestellt bzw. nicht allein und ohne Unterstützung, vielmehr kann er auf ein familiäres Netz zurückgreifen. Darüber hinaus ist der Kläger gehalten im Bedarfsfalle die Möglichkeiten des armenischen Sozialsystems auszuschöpfen (vgl. im Einzelnen: vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 2.10.2020, S. 40 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, Stand: Februar 2020, vom 27.4.2020, S. 18 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 21.12.2017).
Im Übrigen ist auf die möglichen Rückkehr- und Starthilfen für freiwillige Rückkehrer nach Armenien nach dem REAG/GARP-Programm hinzuweisen. Damit ist die Finanzierung eines einfachen Lebensunterhalts in den ersten Monaten nach der Rückkehr nach Armenien grundsätzlich möglich. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Armenien freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Armenien keine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht.
Hieran ändern auch die weltweite COVID-19-Pandemie und hiermit gegebenenfalls verbundene negative Auswirkungen nichts. Wie bereits oben näher ausgeführt, hat das Gericht im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) keine triftigen Anhaltspunkte geschweige denn konkrete Belege, dass sich die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen infolge der Pandemie in Armenien in der Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern werden, dass generell für jeden Rückkehrenden davon ausgegangen werden müsste, dass diesem bei einer Rückkehr eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht.
Denn schlechte humanitäre Verhältnisse können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe zwingend sind (vgl. OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N.). Dass etwaige negative wirtschaftliche Auswirkungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zu einer derart gravierenden Verschlechterung der humanitären Verhältnisse in Armenien führen werden, ist – auch vor dem Hintergrund der in Armenien ergriffenen Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen (vgl. WKO, Wirtschaftskammer Österreich, Coronavirus: Situation in Armenien, Aktuelle Lage und Info-Update, Stand: 13.1.2020) und dem grundsätzlich vorhanden Sozialsystem in Armenien für das Gericht im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) nicht ersichtlich.
b.) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Insbesondere ergibt sich ein solches auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie nicht aus seiner persönlichen gesundheitlichen Situation.
Auch diesbezüglich ist zunächst auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid zu verweisen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Erkrankungen rechtfertigen zudem grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Ausländer bzw. die Ausländerin muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.
Der Kläger macht hier unter Vorlage diverser ärztlicher Atteste insbesondere geltend: HIV-Infektion Stadium C3, Mundsoor, Hämorrhoiden dritten Grades, Vitamin-D Mangel. Eine Tuberkulose-Erkrankung des Klägers ist nach seinen eigenen Angaben derzeit ausgeheilt.
Hieraus ergibt sich gemessen an obigen Vorgaben kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Die Behandlung von Erkrankungen ist in Armenien grundsätzlich gewährleistet. Sie erfolgt auf primärer Ebene auch kostenlos, wenngleich die Verfügbarkeit von Medikamenten problematisch sein kann (vgl. zur medizinischen Versorgung Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Armenien vom 27. April 2020, Stand: Februar 2020, S. 19 ff.; ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien Gesamtaktualisierung vom 2.10.2020; ebenso MedCOI Country Fact Sheet Armenien, 22.2.2018). Den vorgelegten ärztlichen Attesten ist nicht zu entnehmen, dass sich die Erkrankungen des Klägers, insbesondere auch die HIV-Infektion, bei einer Rückkehr nach Armenien unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Behandlung einer HIV-Infektion mittels ärztlicher Betreuung und antiretroviraler Therapie in Armenien möglich ist und insbesondere die vom Kläger eingenommenen Medikamente Dolutegravir, Darunavir und Ritonavir (vgl. Protokoll S. 5 unten) verfügbar sind (vgl. MedCOI, BMA-12669, 15.8.2019 zu Dolutegravir; MedCOI, Country Fact Sheet Access to Healthcare Armenien, 22.2.2018, S. 68, Anhang verfügbare Medikamente S. 18 lfd. Nrn. 287/290 zu Darunavir und Ritonavir). Die HIV-Behandlung wird zudem durch ein spezielles Programm abgedeckt und erfolgt kostenlos (BFA, a.a.O, S. 49). Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erkennen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Armenien alsbald eine erhebliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung seiner gesundheitlichen Situation droht, zumal ihm gegebenenfalls für einen Übergangszeitraum Medikamente mitgegeben werden können (vgl. OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris; BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136).
Auch die Behandlung einer Tuberkuloseerkrankung ist, ungeachtet dessen, dass diese beim Kläger nach eigenen Angaben, welche durch die vorgelegten Atteste gestützt werden, derzeit ausgeheilt ist, in Armenien möglich (MedCOI, BMA-12669, 15.8.2019).
Nach obigen Ausführungen geht das Gericht zudem davon aus, dass der Kläger ggf. unter Ausschöpfung des armenischen Sozialsystems und mit familiärer Unterstützung in der Lage sein wird, für die Kosten etwaiger Behandlungen, soweit diese nicht kostenlos in Anspruch genommen werden können, aufzukommen. Dass die Qualität der Behandlung unter Umständen hinter der in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt, vermag schon von Gesetzes wegen kein Abschiebungsverbot zu begründen (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
Ferner hat der Kläger innerhalb der ihm in der mündlichen Verhandlung gesetzten und zweimal verlängerten Frist zur Vorlage entsprechender ärztlicher Unterlagen keine Atteste zu der vorgebrachten Tumorerkrankung am Kopf vorgelegt, weshalb insoweit die Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) nicht widerlegt ist. Auch zu der Operation im Dezember hat der Kläger kein konkretes ärztliches Attest vorgelegt. Dem kommentarlos eingereichten Attest vom 26. Februar 2021 lässt sich entnehmen, dass eine Hämorrhoiden Operation im Dezember 2020 stattgefunden hat. Anderweitige Informationen diesbezüglich enthält das Attest nicht, weshalb Vorstehendes gleichermaßen gilt.
Eine abweichende Sichtweise ist nicht aufgrund der weltweiten COVID-19-Pandemie angezeigt.
Zunächst ist insoweit festzustellen, dass die Kläger mangels entgegenstehender Anhaltspunkte nicht mit dem neuartigen SARS-CoV-2 („Coronavirus“) infiziert ist bzw. nicht an der hierdurch hervorgerufenen Lungenerkrankung COVID-19 leiden.
Weiter ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Fehlt – wie hier – ein solcher Erlass kommt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG allenfalls ausnahmsweise in verfassungskonformer Auslegung in Betracht, wenn es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke, d.h. zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage erforderlich ist (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8). Allgemeine Gefahren können aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes grundsätzlich nicht rechtfertigen. Der Kläger hat aber keinen Anspruch wegen einer extremen Gefahrenlage. Eine verfassungswidrige Schutzlücke liegt nur dann vor, wenn der Schutzsuchende bei einer Rückkehr in das Aufnahmeland mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise Opfer einer extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Eine Abschiebung müsste dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schweren Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N., vgl. auch schon VG Würzburg, B.v. 27.3.2020 – W 8 S 20.30378).
Eine solche konkrete außergewöhnliche Gefahrenlage für den Kläger ist vorliegend im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Hinblick auf die Verbreitung des Corona-Virus (SARS-CoV-2) auch vor dem Hintergrund des erforderlich hohen Wahrscheinlichkeitsgrades für das Gericht nicht erkennbar.
Im Übrigen genügt nicht die allgemeine Behauptung mit Hinweis auf die Corona-Pandemie, dass eine Gefahr bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen. Erforderlich ist, durch die Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstige Erkenntnisquellen, zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende etwa zu einer Risikogruppe gehört und in seinem speziellen Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, zu rechnen ist. Anzugeben ist dabei weiter, wie viele Personen im Zielland konkret infiziert sind, einen schweren Verlauf haben und gestorben sind, ob landesweit eine betreffende Gefahr besteht bzw. konkret an dem Ort, an dem der Betreffende zurückkehrt und auch welche Schutzmaßnahmen der Staat mit welcher Effektivität getroffen hat (vgl. OVG NW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris). An einem entsprechenden substantiierten Vorbringen des Klägers fehlt es. Die Ausführungen der Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 erschöpfen sich in der allgemeinen Beschreibung der Lage in Armenien bezogen auf die COVID-19-Pandemie, zudem unter Zugrundelegung von Infektionszahlen vom 6. Juli 2020 und sind somit im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht mehr aussagekräftig.
Der allgemeine Verweis, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankungen zu einer Risikogruppe für einen möglicherweise schwerwiegenden Krankheitsverlauf bei einer COVID-19-Erkrankung gehöre, führt zu keiner abweichenden Sichtweise.
Denn auch die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe stellt eine medizinische Frage dar und muss deshalb mit entsprechenden ärztlichen Attesten nachgewiesen werden (so auch VG Würzburg, U.v. 2.2.2021 – W 8 K 19.31056; U.v. 24.7.2020 – W 8 K 20.30188; B.v. 3.12.2020 – W 8 E 20.1838 – juris Rn. 32 ff. allgemein zu den Anforderungen an ein entsprechendes ärztliches Attest), was sich letztlich schon aus der Pflicht zur Vorlage qualifizierter ärztlicher Atteste nach § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG ergibt. Dies gilt umso mehr, als dass auch das Robert-Koch-Institut selbst auf der von der Klägerbevollmächtigten zitierten Homepage (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html; zuletzt abgerufen am 19.3.2021) darauf hinweist, dass eine generelle Einstufung in eine Risikogruppe nicht möglich ist und eine individuelle Risikofaktoren-Bewertung, im Sinne einer medizinischen Begutachtung erfordert. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der in das Verfahren eingeführten Stellungnahme der Deutschen Aidshilfe (https://www.aidshilfe.de/corona-hiv), dass Patienten unter wirksamer HIV-Therapie nach derzeitiger Kenntnislage kein erhöhtes Risiko eines schwerwiegenden COVID-19 Krankheitsverlaufes haben.
Qualifizierte ärztliche Atteste, welche die Zugehörigkeit des Klägers zu einer Risikogruppe im obigen Sinne nachweisen wurden nicht vorgelegt. Eine konkrete außergewöhnliche Gefahrenlage im obigen Sinne ist damit gerade auch unter Berücksichtigung des erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrades damit nicht erkennbar, zumal auch in Armenien die Möglichkeit besteht, das Ansteckungsrisiko durch zumutbare Eigenschutzmaßnahmen (z.B. Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Meiden von Menschenansammlungen, Desinfektion) zu minimieren und mit der Verabreichung von Schutzimpfungen gegen das SARS-CoV-2 Virus begonnen wurde (https://mirrorspectator.com/2021/03/15/covid-19-vaccination-campaign-begins-in-armenia-amid-rise-in-cases/; zuletzt abgerufen am 19.3.2021).
4. Hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids und die entsprechende Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid vom 27. August 2019 Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das in Nr. 6 des Bescheids angeordnete und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 AufenthG und ist auch im Übrigen rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 6.7.2020 – OVG 3 B 2/20 – juris Rn. 16 f.; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 11 AufenthG Rn. 133). Insbesondere sind hinsichtlich der Befristung, die sich innerhalb des gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG zulässigen Rahmen bewegt, keine Ermessensfehler ersichtlich (§ 114 VwGO), zumal diesbezüglich keine schützenswerten Belange (vgl. hierzu insbesondere BayVGH, B.v. 6.4.2017 – 11 ZB 17.30317 – juris Rn. 13) vorgetragen wurden.
5. Nach alledem war die Klage vollumfänglich mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.

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