Verwaltungsrecht

Nichtzulassung der Berufung in asylrechtlicher Streitigkeit

Aktenzeichen  9 ZB 20.30470

Datum:
10.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9673
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 86 Abs. 1, § 138
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Aus den asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe nach § 86 Abs. 1 VwGO ergeben sich keine weitergehende Anforderungen an die gerichtliche Hinweispflicht. Dass es im Asylverfahren stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht, ist selbstverständlich und bedarf grundsätzlich keines besonderen Hinweises. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 17.41810 2019-12-10 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO), weil das Verwaltungsgericht den Vortrag des Klägers zu dessen Homosexualität als unglaubhaft bewertet habe, ohne dies in der mündlichen Verhandlung zu erörtern oder auf von ihm angenommene Widersprüche hinzuweisen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8 m.w.N.). Solches kann der Fall sein, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2019 – 15 ZB 19.34099 – juris Rn. 9 m.w.N.). Aus dem Zulassungsvorbringen geht danach nicht hervor, dass die Voraussetzungen eines Gehörsverstoßes vorliegend gegeben sein könnten. Insbesondere ist ein Gehörsverstoß wegen einer vom Kläger geltend gemachten unzulässigen Überraschungsentscheidung nicht substantiiert dargelegt.
Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist anzunehmen, wenn das Gericht einen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der der Beteiligte nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (vgl. BVerfG, B.v. 13.2.2019 – 2 BvR 633/16 – juris Rn. 24 m.w.N.). Sie liegt dagegen nicht vor, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten – wie hier – äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entspricht oder die von ihm für unrichtig gehalten wird (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5.17 D – juris Rn. 9 m.w.N.).
Ausweislich des angefochtenen Bescheids hat schon das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Verfolgungsgeschichte des Klägers nicht geglaubt und dem vorgelegten angeblich polizeilichen Dokument („release on bond“) keinen Beweiswert beigemessen, worauf der Kläger in seiner Klagebegründung auch eingegangen ist. Zudem musste sich der Kläger aufgrund der an ihn gerichteten gerichtlichen Aufforderung im schriftlichen Verfahren, sich im Hinblick auf die behauptete Homosexualität zu der dem Verwaltungsgericht bekannt gewordenen beabsichtigten Eheschließung mit einer Frau zu äußern, sowie der diesbezüglichen und der weiteren Fragen des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung darüber im Klaren sein, dass der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags wesentliche Bedeutung für den Ausgang des gerichtlichen Verfahrens zukommen würde. Nach ständiger Rechtsprechung besteht keine, auch nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG abzuleitende, generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, zumal sich die tatsächliche oder rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt (s. z.B. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 6; BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11). Ebenso wenig folgen aus den asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe nach § 86 Abs. 1 VwGO weitergehende Anforderungen an die gerichtliche Hinweispflicht. Dass es im Asylverfahren, soweit entscheidungserheblich, stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht, ist selbstverständlich und bedarf grundsätzlich nicht des besonderen Hinweises durch das Gericht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 9 ZB 19.33518 – juris Rn. 4).
Soweit der Kläger noch rügt, das Verwaltungsgericht habe eine in Uganda drohende Todesstrafe für homosexuelle Handlungen nicht erörtert, kann darauf ein die Zulassung der Berufung begründender Gehörsverstoß auch mangels Entscheidungserheblichkeit nicht gestützt werden, nachdem das Verwaltungsgericht dem Kläger weder dessen Homosexualität noch dessen Verfolgungsgeschichte zur Verhaftung wegen ebensolcher Handlungen geglaubt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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