Verwaltungsrecht

Nigeria, Ablehnung eines Zweitantrags als unzulässig, erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in Italien, keine Wiederaufgreifensgründe geltend gemacht, Abschiebungsverbote (verneint)

Aktenzeichen  Au 9 S 22.30074

Datum:
3.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5015
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AsylG § 71a
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat.
Der am * 1983 in * (Nigeria) geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger mit Volkszugehörigkeit der Yoruba und christlichem Glauben (Pfingstbewegung).
Seinen Angaben zufolge reiste der Antragsteller erstmalig am 6. Juni 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 28. Juni 2019 einen Asylantrag stellte.
Unter dem 30. November 2021 teilte die Republik Italien dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) mit, dass der Antragsteller bereits in Italien einen Asylantrag gestellt habe, der am 23. Juli 2018 abgelehnt worden sei. Hiergegen habe der Antragsteller am 10. Oktober 2018 Berufung eingelegt, die am 15. März 2019 zurückgewiesen wurde. Die dem Antragsteller erteilte Aufenthaltsgestattung für die Republik Italien ist seit dem 17. September 2019 erloschen. Das Asylverfahren ist seit dem 20. Mai 2019 abgeschlossen.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 10. Januar 2022 (Gz: *) wurde der vom Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheides). In Nr. 2 des vorbezeichneten Bescheids wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) beim Antragsteller nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde in Nr. 3 des Bescheids aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Antragsteller die Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. In Nr. 4 des Bescheids wird das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt u.a. aus, dass der Asylantrag unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn im Fall eines Zweitantrages nach § 71a Asylgesetz (AsylG) ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ein weiteres Asylverfahren gemäß § 71a Abs. 1 AsylG sei nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Zugunsten des Ausländers müssten Wiederaufgreifensgründe vorliegen. Vorliegend sei davon auszugehen, dass der Antragsteller bereits in Italien abschließend erfolglos ein Asylverfahren betrieben habe. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG lägen zugunsten des Antragstellers nicht vor. Eine Änderung der Sach- oder Rechtslage sei nicht zu erkennen. Im Rahmen seiner Anhörung habe der Antragsteller ausschließlich Asylgründe vorgetragen, die zeitlich vor der Ausreise aus seinem Heimatland gelegen hätten. Die Umstände, aufgrund derer der Antragsteller Nigeria verlassen habe, hätten sich seit seiner Ausreise aus Nigeria im Juni 2016 nicht verändert. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Eine Abschiebung sei gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergebe. Bei Wahrunterstellung des Sachvortrags des Antragstellers sei vorliegend keine landesweite Bedrohung des Antragstellers durch Angehörige eines Kultes erkennbar. Ein Verbot aufenthaltsbeendender Maßnahmen aus Art. 3 EMRK bestehe nicht. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschlich oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Der Antragsteller sei volljährig, jung, gesund und erwerbsfähig. Es drohe dem Antragsteller auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führe. Die Abschiebungsandrohung sei nach § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Diese Befristung sei vorliegend angemessen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristfestsetzung, aufgrund schutzwürdiger Belange, sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Auf die weiteren Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 10. Januar 2022 wird ergänzend verwiesen.
Der Antragsteller hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 25. Januar 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 10. Januar 2022 aufzuheben (Az: Au 9 K 22.30073). Über die vorbezeichnete Klage ist noch nicht entschieden worden.
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 25. Januar 2022 hat der Antragsteller im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die unter Ziff. 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 10. Januar 2022 verfügte Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Innerhalb der Frist des § 71a Abs. 4, § 36 Abs. 3 Satz 5 AsylG in entsprechender Anwendung erfolgte keine Begründung des gestellten Eilantrags.
Das Bundesamt ist dem Antrag mit Schriftsatz vom 28. Januar 2022 entgegengetreten und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung unter Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts vom 10. Januar 2022 (Gz: *) anzuordnen, ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Insbesondere ist der Antrag gemäß §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft, soweit er sich gegen kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat richtet, und wurde auch fristgerecht gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Gericht gestellt.
2. Der Antrag bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg, weil die Entscheidung des Bundesamts, zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote zugunsten des Antragstellers nicht festzustellen und ihm die Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat anzudrohen, keinen ernstlichen Zweifeln begegnet (§ 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG).
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 und 4 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, der nach § 71a Abs. 4 AsylG entsprechende Anwendung findet, darf die aufschiebende Wirkung der Klage nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Nach diesem Maßstab darf die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme im maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – DVBl. 1996, 729, juris). Dabei genügt auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine summarische Prüfung, weil mit dem Vollzug einer rechtswidrigen Abschiebungsandrohung Grundrechtsverletzungen verbunden sind und effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren wegen der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung nicht mehr möglich ist (vgl. BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris Rn. 18). Es gelten deshalb auch im vorliegenden Fall einer Ablehnung des Zweitantrags gemäß § 71a Abs. 4 AsylG auch für den Fall, dass auf einen Zweitantrag ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird die Kriterien, welche das Bundesverfassungsgericht zur Offensichtlichkeitsprüfung im Rahmen eines Eilverfahrens gegen eine Abschiebungsandrohung aufgrund der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet aufgestellt hat. Danach darf sich das Verwaltungsgericht nicht mit einer bloßen Prognose der voraussichtlichen Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils begnügen, sondern muss die Frage der Offensichtlichkeit, wenn es sie bejahen will, erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren klären und insoweit über eine lediglich summarische Prüfung hinausgehen (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris Rn. 18; B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21). Allerdings bleiben bei dieser Prüfung von den Beteiligten nicht angegebene und nicht gerichtsbekannte Tatsachen und Beweismittel gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG unberücksichtigt (vgl. BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris Rn. 18). Das Vorbringen, welches nach § 25 Abs. 3 AsylG im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt geblieben ist, sowie dort nicht angegebene Tatsachen und Umstände im Sinne des § 25 Abs. 2 AsylG kann das Gericht gemäß § 36 Abs. 4 Satz 3 AsylG unberücksichtigt lassen, wenn anderenfalls die Entscheidung verzögert würde.
Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung zur Unzulässigkeit des Asylantrages und zu den zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG.
Zu Recht ist die Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass der vom Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland am 28. Juni 2019 gestellte Asylantrag gemäß § 71a AsylG als Zweitantrag zu werten ist, weil der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat – hier der Republik Italien – ein Asylverfahren erfolglos abgeschlossen hat. Dies hat der Antragsteller bei seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 4. Juli 2019 auch eingeräumt (Behördenakte Bl. 85). Des Weiteren hat die Republik Italien unter dem 30. November 2021 auf Nachfrage der Antragsgegnerin ausgeführt, dass der Asylerstantrag des Antragstellers in Italien am 23. Juli 2018 zurückgewiesen wurde. Das vom Antragsteller angestrengte Rechtsmittelverfahren sei ebenfalls erfolglos geblieben. Am 15. März 2019 sei die Berufung zurückgewiesen worden. Das Asylverfahren des Antragstellers in Italien sei mit dem 20. Mai 2019 rechtskräftig abgeschlossen worden. Die Aufenthaltsgestattung des Antragstellers in Italien sei zum 17. September 2019 ausgelaufen. Damit liegen aber wie von der Antragsgegnerin zutreffend angenommen, die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG vor, wonach im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland nicht durchzuführen ist.
Nach § 71a AsylG ist in Fällen, in denen ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) im Bundesgebiet einen weiteren Asylantrag (Zweitantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen.
Mit der Antragsgegnerin ist das Gericht der Auffassung, dass im Falle des Antragstellers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorliegen. Zu Recht führt der streitgegenständliche Bescheid aus, dass der Antragsteller ausschließlich Ereignisse in seinem Heimatland vor seiner Ausreise im Juni 2016 und damit vor Asylantragstellung in Italien angeführt hat. Nach dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens in Italien hat sich der Antragsteller – soweit ersichtlich – nicht mehr in seinem Heimatland aufgehalten. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.
Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass es sich bei dem Vortrag des Antragstellers zu seinem Asylbegehren bereits nicht um relevante Verfolgungsgründe im Sinne der §§ 3, 3b AsylG handelt. Soweit der Antragsteller auf eine vermeintliche Verfolgung durch einen nigerianischen Kult verweist, handelt es sich allenfalls um kriminelles Unrecht, welches asylrechtlich ohne Relevanz bleibt. Der Antragsteller ist insoweit verpflichtet, staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Selbst bei Wahrunterstellung wäre der Antragsteller jedenfalls auf die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG zu verweisen.
Auch an der Rechtmäßigkeit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) keine ernstlichen Zweifel.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 25).
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 – 8319/07 und 11449/07 – NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (VGH BW, U.v. 24.7.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 79 ff.).
Schlechte humanitäre Verhältnisse können somit nur in ganz „besonderen Ausnahmefällen“ Art. 3 EMRK verletzen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26).
Dabei können Ausländer aber grundsätzlich kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Denn Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten nicht, Unterschiede im Fortschritt in der Medizin sowie Interschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23). Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie beispielsweise im Fall einer tödlichen Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat diesbezüglich keine Unterstützung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff.).
Dies zugrunde gelegt, ist zugunsten des Antragstellers kein Abschiebeverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben. Das Gericht ist mit der Antragsgegnerin der Auffassung, dass der volljährige Antragsteller durchaus erwerbsfähig ist. So kann der Antragsteller nach seinen Angaben zumindest einen sechsjährigen Schulbesuch in Nigeria vorweisen. Auch hat er bereits erste berufliche Erfahrungen als Lkw-Fahrer gemacht. Auch verfügt der Antragsteller offensichtlich noch über mehrere Familienangehörige in Nigeria. Deshalb ist beim Antragsteller davon auszugehen, dass dieser bei einer Rückkehr nach Nigeria durchaus in der Lage sein sollte, ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Bei einer aktuellen Analphabetenquote in Nigeria bei Männern von etwa 30% erweist sich auch der Schulbesuch des Antragstellers als überdurchschnittlich. Nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen sind beim Antragsteller nicht bekannt geworden. Die beim Antragsteller vormals vorliegende Asthma-Erkrankung bzw. die bei ihm immer wieder auftretenden Beinschmerzen, können jedenfalls ein gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Insoweit handele es sich bereits um keine lebensbedrohlichen Erkrankungen, die einer Abschiebung nach Nigeria entgegenstehen könnten. Überdies kann allgemein festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, bei einer Rückkehr keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Derartige Personen können ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn im Konventionsstaat – Bundesrepublik Deutschland – Rückkehrhilfe angeboten wird (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA – Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 20. Mai 2020, Nr. 22, S. 62).
Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für ein Abschiebeverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Diesbezüglich fehlt es bereits an einem berücksichtigungsfähigen Vortrag des Antragstellers. Nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen sind im Verfahren nicht geltend gemacht worden. Überdies gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
Weiter ist auch die sich wohl auch in Afrika ausbreitende Corona-Pandemie nicht geeignet, zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 1 AufenthG zu führen. Insoweit gilt es die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zu beachten. Danach sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige allgemeine Entscheidung hinsichtlich des Zielstaats Nigeria i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt derzeit nicht vor. Eine persönliche Betroffenheit von der Krankheit selbst hat der Antragsteller bereits nicht aufgezeigt.
3. Hinsichtlich der übrigen Entscheidungen des streitgegenständlichen Bescheids sind Rechtsfehler weder vorgetragen noch ersichtlich; das Gericht folgt der Begründung des Bescheids und nimmt hierauf gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug.
4. Der Antrag war nach allem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80b AsylG).


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