Verwaltungsrecht

Nigeria, Ablehnung eines Zweitantrags als unzulässig, erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in Italien, keine Wiederaufgreifensgründe geltend gemacht, Abschiebungsverbote (verneint)

Aktenzeichen  Au 9 K 22.30073

Datum:
7.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5091
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AsylG § 71a
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2022 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 7. März 2022 form- und fristgerecht geladen worden.
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und es liegen zu seinen Gunsten auch keine nationalen Abschiebungsverbote i.S.d. § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid des Bundesamts vom 10. Januar 2022 (Gz.: …) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
1. Zu Recht ist die Beklagte davon ausgegangen, dass der vom Kläger in der Bundesrepublik Deutschland am 28. Juni 2019 gestellte Asylantrag gemäß § 71a AsylG als Zweitantrag zu werten ist, weil der Kläger bereits in einem sicheren Drittstaat – hier der Republik Italien – ein Asylverfahren erfolglos abgeschlossen hat.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Andernfalls ist der Antrag als unzulässig abzulehnen, §§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 31 Abs. 3 AsylG.
§ 71a AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Asylzweitanträgen aus. Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst – im ersten Prüfungsschritt – darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wiederaufgegriffen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft der Erstentscheidung erfüllt sind. § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe (dazu BVerfG, B. v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32). Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens dagegen nicht vor, darf kein weiteres Asylverfahren durchgeführt werden und dem Kläger steht – weil § 71a Abs. 1 AsylG den § 51 Abs. 5 VwVfG nicht in Bezug nimmt – auch kein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über die Eröffnung eines neuen Asylverfahrens nach den §§ 48, 49 VwVfG zu (BVerwG; U.v. 15.12.1987 – 9 C 285.86 – juris Rn. 21). In diesem Fall ist zwingend der Asylantrag in der Form des Zweitantrags gemäß §§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 31 Abs. 3 AsylG als unzulässig abzulehnen.
Ein erfolgloser Abschluss des in einem sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers – eingestellt worden ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 29 ff.). Dabei muss sich das im sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossene Asylverfahren auch auf die Gewährung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes beziehen (ebenso: VG München, B. v. 3.4.2017 – M 21 S 16.36125 – juris Rn. 18 m.w.N.). Maßgeblich für die entsprechende Beurteilung ist die Rechtslage in dem betreffenden sicheren Drittstaat (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 33 ff.). Diese Voraussetzungen müssen feststehen – bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N). Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem sicheren Drittstaat nicht bekannt, muss es diesbezüglich zunächst weitere Ermittlungen anstellen, insbesondere im Rahmen der für den Informationsaustausch vorgesehenen sog. Info- Request (vgl. Art. 34 Dublin III -VO; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 39 ff.; U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris Rn. 42 ff.). Das Bundesamt muss damit Kenntnis von der verfahrensbeendenden Entscheidung und deren Unanfechtbarkeit bzw. Unrevidierbarkeit haben (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 33; VG München, U.v.30.8.2017 – M 1 K 16.35575 – juris Rn. 11 f.). Die Klärung des Vorliegens eines erfolglosen Abschlusses des Asylverfahrens im sicheren Drittstaat ist aber nicht nur Sache des Bundesamts, sondern auch des Ausländers, den gemäß §§ 15, 25 Abs. 2 Satz 2 AsylG eine Mitwirkungspflicht trifft (Camerer in BeckOK MigR, 7.Ed. 1.1.2021, AsylG § 71a Rn. 8 und 9; Dickten in BeckOK AuslR, 28. Ed. 1.1.20211, AsylG § 71a Rn. 3; Houben in BeckOK AuslR, 28. Ed. 1.1.2021, AsylG § 15 Rn. 8 und 12; Schönenbroicher/Dickten in BeckOK AuslR, 28. Ed. 1.1.2021, AsylG § 25 Rn. 5), ebenso wie gemäß § 71a Abs. 2 AsylG entsprechend bei der Klärung, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist (siehe obige Kommentarzitate).
Nach diesen Maßstäben liegt ein endgültig erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren des Klägers in Italien zur Überzeugung des Gerichts vor. Im Rahmen des Informationsaustausches des Art. 34 der VO (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III) haben die zuständigen italienischen Behörden unter dem 30. November 2021 (Behördenakte Blatt 470) gegenüber dem Bundesamt ausgeführt, dass der Kläger am 13. September 2016 erkennungsdienstlich in Italien erfasst worden sei. Am 23. Juli 2018 sei sein Asylantrag zurückgewiesen worden, wogegen er Rechtsmittel am 10. Oktober 2018 eingelegt habe. Unter dem 15. März 2019 wurde das Asylbegehren des Klägers endgültig zurückgewiesen. Seine Aufenthaltsgestattung sei am 17. September 2019 abgelaufen. Das Asylverfahren in Italien sei gesetzlich endgültig am 20. Mai 2019 abgeschlossen worden. Eine Wiederaufnahme sei nicht mehr möglich. Einen Widerspruch zur Erklärung des Präfekts der Provinz … (Italien) vermag das Gericht nicht zu erkennen, da auch dort von einer ablehnenden Entscheidung im Asylverfahren, die dem Kläger am 20. März 2019 bekannt gegeben worden ist, die Rede ist. Auch das vorbezeichnete Dekret vom 13. Mai 2019 verweist darauf, dass das Aufenthaltsrecht des Klägers widerrufen werde aufgrund der gegen ihn ergangenen ablehnenden Entscheidung.
Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger auf ausdrückliche Nachfrage nochmals bestätigt, dass sein Asylverfahren in Italien abgeschlossen sei. Er habe zunächst eine ablehnende Entscheidung erhalten, gegen die er Rechtsmittel eingelegt habe. Durch Verschulden seines damaligen Anwalts sei jedoch auch das Rechtsmittel erfolglos geblieben. Es sei ihm dann gesagt worden, dass er aufgrund der gegen ihn ergangenen bestandskräftigen bzw. rechtskräftigen Entscheidung im Asylverfahren das Land Italien verlassen müsse. Auch vor diesem Hintergrund hat das Gericht keine Zweifel, dass die Aussagen des italienischen Innenministeriums vom 30. November 2021 gegenüber dem Bundesamt zutreffend sind. Es bestand daher für die Beklagte keinerlei Veranlassung, an den Ausführungen in diesem Schreiben zu zweifeln, bzw. in weitergehende eigene Ermittlungen einzutreten.
2. Die Voraussetzung des § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG liegen zugunsten des Klägers ebenfalls nicht vor.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Ein weiteres Asylverfahren ist durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen (§ 71a Abs. 1 AsylG). Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müsste sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Klägers geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). § 51 Abs. 1 VwVfG fordert, wie oben schon ausgeführt, einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (dazu BVerfG, B. v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32). Außerdem ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen.
Der Kläger hat zur Begründung seines Zweitantrags keine in diesem Sinne rechtlich relevanten neuen Gründe vorgetragen. Soweit überhaupt asylrechtlich relevante Umstände vorliegen, hätte der Kläger diese bereits im Rahmen des in Italien durchgeführten Asylverfahren vortragen können bzw. müssen. Gründe, die dem entgegenstehen wurden nicht geltend oder glaubhaft gemacht. Die dem angegriffenen Bescheid zugrundeliegende Sachlage hat sich demnach nicht gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nachträglich zugunsten des Klägers geändert.
Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass es sich bei dem Vortrag des Klägers zu seinem Asylbegehren bereits nicht um relevante Verfolgungsgründe im Sinne der §§ 3, 3b AsylG handelt. Soweit der Kläger auf eine vermeintliche Verfolgung durch einen nigerianischen Kult verweist, handelt es sich allenfalls um kriminelles Unrecht, welches asylrechtlich ohne Relevanz bleibt. Der Kläger ist insoweit verpflichtet, staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Selbst bei Wahrunterstellung wäre der Kläger jedenfalls auf die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG zu verweisen.
3. Auch an der Rechtmäßigkeit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keine ernstlichen Zweifel.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 25).
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 – 8319/07 und 11449/07 – NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (VGH BW, U.v. 24.7.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 79 ff.).
Schlechte humanitäre Verhältnisse können somit nur in ganz „besonderen Ausnahmefällen“ Art. 3 EMRK verletzen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26).
Dabei können Ausländer aber grundsätzlich kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Denn Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten nicht, Unterschiede im Fortschritt in der Medizin sowie Interschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23). Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie beispielsweise im Fall einer tödlichen Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat diesbezüglich keine Unterstützung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff.).
Dies zugrunde gelegt, ist zugunsten des Klägers kein Abschiebeverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben. Das Gericht ist mit der Beklagten der Auffassung, dass der volljährige Kläger durchaus erwerbsfähig ist. So kann der Kläger nach seinen Angaben zumindest einen sechsjährigen Schulbesuch in Nigeria vorweisen. Auch hat er bereits erste berufliche Erfahrungen als Lkw-Fahrer gemacht. Auch verfügt der Kläger offensichtlich noch über mehrere Familienangehörige in Nigeria. Deshalb ist beim Kläger davon auszugehen, dass dieser bei einer Rückkehr nach Nigeria durchaus in der Lage sein sollte, ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Bei einer aktuellen Analphabetenquote in Nigeria bei Männern von etwa 30% erweist sich auch der Schulbesuch des Klägers als überdurchschnittlich. Nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen sind beim Kläger nicht bekannt geworden. Die beim Kläger vormals vorliegende Asthma-Erkrankung bzw. die bei ihm immer wieder auftretenden Beinschmerzen, können jedenfalls ein gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Insoweit handele es sich bereits um keine lebensbedrohlichen Erkrankungen, die einer Abschiebung nach Nigeria entgegenstehen könnten. Überdies kann allgemein festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, bei einer Rückkehr keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Derartige Personen können ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn im Konventionsstaat – Bundesrepublik Deutschland – Rückkehrhilfe angeboten wird (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA – Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 20. Mai 2020, Nr. 22, S. 62).
Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für ein Abschiebeverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Diesbezüglich fehlt es bereits an einem berücksichtigungsfähigen Vortrag des Klägers. Nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen sind im Verfahren nicht geltend gemacht worden. Überdies gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
Weiter ist auch die sich wohl auch in Afrika ausbreitende Corona-Pandemie nicht geeignet, zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 1 AufenthG zu führen. Insoweit gilt es die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zu beachten. Danach sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nur bei einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige allgemeine Entscheidung hinsichtlich des Zielstaats Nigeria i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegt derzeit nicht vor. Eine persönliche Betroffenheit von der Krankheit selbst hat der Kläger bereits nicht aufgezeigt.
4. Die gegenüber dem Kläger erlassene Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG. Die einwöchige Ausreisefrist ergibt sich aus § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG. Auch das gegenüber dem Kläger verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG und dessen Befristung nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Solche wurden auch vom Kläger bereits nicht aufgezeigt.
5. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit erfolgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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