Verwaltungsrecht

Normenkontrolle gegen einzuhaltende Ruhefrist bei Urnenbestattung

Aktenzeichen  4 N 17.1197

Datum:
31.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2018, 536
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1
BV Art. 3, Art. 100, Art. 101, Art. 118 Abs. 1, Art. 149 Abs. 1 S. 1
BestG Art. 5, Art. 10
StGB § 168 Abs. 1, Abs. 2
FS § 6 Abs. 1 S. 1, § 11 S. 1, § 17 Abs. 11, § 18 Abs. 1 S. 2, § 19 Abs. 2
BayGO Art. 21 Abs. 1 S. 1, Art. 23 S. 1, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Das postmortale Persönlichkeitsrecht kann schon vor dem Tod des Rechtsinhabers („prämortal“) von diesem geltend gemacht werden. (Rn. 14)
2. Die verfassungsrechtlich gebotene Totenruhe begründet kein absolutes Verbot jeglicher Störung; sie muss mit gegenläufigen Rechtsgütern oder rechtlich schützenswerten Belangen abgewogen werden und kann im Einzelfall hinter diesen zurücktreten. (Rn. 22)
3. In der Festlegung einer Ruhezeit bei Urnenbestattungen liegt kein mittelbarer Eingriff in das grundrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht über postmortale Angelegenheiten. (Rn. 27)
4. Die unterschiedliche Länge der Ruhezeiten für Leichen und für Urnen verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. (Rn. 28)
5. Die Verpflichtung zur Gewährleistung einer den Pietätsvorstellungen der Gesellschaft angemessenen Bestattung steht einer Ruhezeit von lediglich zwei Jahren bei Urnenbestattungen nicht entgegen. (Rn. 31)

Tenor

I. Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten des Verfahrens vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Der Antrag, § 18 Abs. 1 Satz 2 der Satzung über die Benutzung der städtischen Friedhöfe Olching (Friedhofssatzung – FS) vom 24. Juni 2016 für unwirksam zu erklären, ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
1. Gegen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
a) Bei der auf Art. 23 Satz 1 und Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GO gestützten Friedhofssatzung der Antragsgegnerin handelt es sich im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. Art. 5 Satz 1 AGVwGO um eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift. Der am 23. Juni 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangene Antrag hält auch die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ein.
b) Die Antragstellerin ist für den Antrag auf Unwirksamerklärung des § 18 Abs. 1 Satz 2 FS antragsbefugt, da sie geltend machen kann, durch die Anwendung der Vorschrift zwar nicht schon gegenwärtig, aber möglicherweise in absehbarer Zeit in eigenen Rechten verletzt zu werden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Sie ist im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin wohnhaft und gehört damit zu denjenigen Personen, die sich auf einem der von der Satzung erfassten Friedhöfe bestatten lassen können (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GO; § 6 Abs. 1 FS). In der mündlichen Verhandlung hat sie auf Befragen des Gerichts erklärt, dass sie jedenfalls nicht ausschließen könne, von der angegriffenen Regelung künftig selbst betroffen zu sein. Die Antragstellerin hält es demnach für möglich, nach ihrem Tod – aufgrund eines zuvor geäußerten letzten Willens oder auf Veranlassung ihrer totenfürsorgeberechtigten Angehörigen – feuerbestattet und in einem Urnengrab oder einer Urnennische beigesetzt zu werden. Dieser zwar nicht sicher feststehende, aber nach allgemeiner Lebenserfahrung auch nicht völlig fernliegende künftige Geschehensablauf genügt hier zur Darlegung der eigenen rechtlichen Betroffenheit, da sich der Kreis der potentiellen Normadressaten angesichts der Ungewissheit über die zum jeweiligen Todeszeitpunkt bestehenden Wünsche und Vorstellungen hinsichtlich der Form der Bestattung nicht genauer eingrenzen lässt.
Die Antragstellerin hat auch ein ihr zustehendes Recht geltend gemacht, das durch die angegriffene Vorschrift möglicherweise verletzt wird. Es bedarf insoweit keiner Entscheidung, ob sich bereits aus der in Art. 5 Satz 1 BestG normierten gesetzlichen Verpflichtung der Friedhofsträger, mit Aschenresten Verstorbener so zu verfahren, dass deren Würde nicht verletzt wird, subjektive Rechte Einzelner ergeben können. Die Antragstellerin kann sich jedenfalls auf den ihr auch nach dem Tod zustehenden Achtungsanspruch berufen, der in der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) wurzelt. Dieses sog. postmortale Persönlichkeitsrecht, das nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht identisch ist mit den Schutzwirkungen des aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BVerfG, B.v. 5.4.2001 – 1 BvR 932/94 – NJW 2001, 2957/2959; krit. u. a. Dreier in ders., GG, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Rn. 76 f.), bewahrt den Verstorbenen insbesondere davor, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden; es schützt außerdem den durch die eigene Lebensleistung erworbenen sittlichen, personalen und sozialen Geltungswert (BVerfG, a.a.O; B.v. 9.5.2016 – 1 BvR 2202/13 – NVwZ 2016, 1804 Rn. 56 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 25.9.2012 – Vf. 17-VI-11 – NVwZ-RR 2013, 1; BGH, B.v. 29.10.2014 – XII ZB 20/14 – NJW 2014, 3786 Rn. 31; BVerwG, U.v. 29.6.2017 – 7 C 24.15 – NVwZ 2017, 1862 Rn. 53). Ob und inwieweit die daraus sich ergebenden Individualrechtspositionen in der Zeit nach dem Tod von den nächsten Angehörigen des Verstorbenen gleichsam treuhänderisch wahrgenommen werden können (so BGH, U.v. 4.6.1974 – VI ZR 68/73 – NJW 1974, 1371; BayVerfGH, a.a.O.; Stern, StaatsR III/1, 1988, 1053; ders., StaatsR III/2, 1994, 1308; krit. Enders in Stern/Enders, Grundrechte-Kommentar, 2. Aufl. 2016, Art. 1 Rn. 91), kann hier offenbleiben. Jedenfalls dem Betroffenen muss es zu Lebzeiten möglich sein, sich gegen bereits absehbare Verletzungen seines Persönlichkeitsrechts vorbeugend zur Wehr zu setzen, auch wenn der Verletzungserfolg erst nach seinem Ableben eintritt (vgl. BVerfG, B.v. 28.2.1979 – 1 BvR 317/74 – BVerfGE 50, 256/262; Klinge, Todesbegriff, Totenschutz und Verfassung, 1996, 226). In solchen Fällen kann das aus der Menschenwürde folgende postmortale Persönlichkeitsrecht also bereits „prämortal“, d. h. vor dem Tod des Rechtsinhabers, von diesem geltend gemacht werden.
Dass die Antragstellerin im Falle einer künftigen Urnenbestattung durch die Anwendung der angegriffenen Satzungsbestimmung in ihrem nach dem Tod fortwirkenden personalen Achtungsanspruch verletzt werden könnte, erscheint nach ihrem Sachvortrag möglich. Zwar wird die in § 18 Abs. 1 Satz 2 FS normierte zweijährige Ruhefrist für Urnen in Grabstätten häufig überlagert durch die Vorschrift des § 19 Abs. 2 FS, wonach die Nutzungszeit bei Gräbern mit dem Tag der Beisetzung beginnt und nach zwölf Jahren endet. Hiernach kann bei erstmaliger Belegung einer Grabstätte die von der Antragstellerin als Verstoß gegen das postmortale Persönlichkeitsrecht angesehene Möglichkeit, eine Urne schon nach Ablauf der zweijährigen Ruhefrist aus der Grabstelle zu entfernen, nicht zum Tragen kommen. Die Friedhofssatzung der Antragsgegnerin erlaubt jedoch auch die Bestattung in einem bereits seit längerem bestehenden Familiengrab (§ 17 Abs. 5 FS). Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, so kann sich für die nachträglich aufgenommene Urne eine deutlich kürzere Belegungsdauer als zwölf Jahre ergeben, wenn zu dem betreffenden Zeitpunkt die Nutzungszeit für die Grabstätte bereits weitgehend abgelaufen ist und die nutzungsberechtigten Angehörigen von der Verlängerungsoption des § 20 FS keinen Gebrauch machen. Falls diese zusätzlichen Voraussetzungen bei einer künftigen Urnenbestattung der Antragstellerin vorliegen, kann es somit auch bei ihr schon nach einer Ruhezeit von zwei (oder wenig mehr) Jahren zu einer Umbettung der Urne aus der bisherigen Grabstätte in ein anonymes Erdurnengrab kommen (§ 17 Abs. 11 Satz 3 FS).
c) Für den Normenkontrollantrag fehlt es nicht am Rechtsschutzinteresse. Würde die angegriffene Vorschrift für unwirksam erklärt, hätte dies nicht eine – aus Sicht der Antragstellerin – noch ungünstigere Rechtslage zur Folge. Da die aktuelle Friedhofssatzung der Antragsgegnerin unter Aufhebung der früheren Satzung (§ 36 Satz 2 FS) insgesamt neu erlassen wurde, würde die vorhergehende Bestimmung über eine nur einjährige Ruhefrist für Urnen selbst dann nicht wiederaufleben, wenn die heutige Regelung als von Anfang an ungültig anzusehen wäre. Wenn der gegen § 18 Abs. 1 Satz 2 FS gerichtete Normenkontrollantrag aus den von der Antragstellerin vorgetragenen Gründen Erfolg hätte, könnte dies auch nicht dazu führen, dass für Urnenbestattungen auf Dauer gar keine Ruhefrist mehr vorgeschrieben wäre. Die Antragsgegnerin wäre dann vielmehr nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BestG verpflichtet, für die Aschenreste Verstorbener eine neue (längere) Ruhezeit zu bestimmen.
2. Der Normenkontrollantrag hat aber in der Sache keinen Erfolg, da die angegriffene Vorschrift des § 18 Abs. 1 Satz 2 FS nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Die Festlegung einer Ruhefrist von zwei Jahren bei Urnenbestattungen ist mit der Menschenwürde (a) ebenso vereinbar wie mit sonstigen Grundrechten und verfassungsrechtlichen Vorgaben (b). Einfachgesetzliche Bestimmungen des Bestattungsrechts und des Strafrechts stehen der Regelung ebenfalls nicht entgegen (c).
a) Die in § 18 Abs. 1 Satz 2 FS geregelte zweijährige Ruhezeit, nach deren Ablauf die Grabstätte neu belegt werden kann (§ 18 Abs. 4 FS), hat unter den oben genannten Voraussetzungen (Ablauf bzw. Nichtverlängerung der Nutzungszeit) zur Folge, dass die in Urnennischen oder Erdurnengräbern eingestellten Urnen mit den darin enthaltenen Aschenresten Verstorbener schon wenige Jahre nach der Bestattung – im Extremfall nach nur zwei Jahren – von der Friedhofsverwaltung in ein anonymes Erdurnengrab umgebettet werden (§ 17 Abs. 11 Satz 3 FS). Darin liegt weder unter dem Gesichtspunkt des postmortalen Persönlichkeitsschutzes (aa) noch im Hinblick auf die Wahrung der Totenruhe (bb) ein Verstoß gegen die Menschenwürde.
aa) Der aus der Würde des Menschen als elementarem Menschenrecht (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 100 BV) folgende postmortale Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, soll ihn über den Tod hinaus vor Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung oder Ächtung bewahren und davor schützen, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise ausgegrenzt, verächtlich gemacht, verspottet oder in anderer Weise herabgewürdigt zu werden (BVerfG, B.v. 9.5.2016, a.a.O., Rn. 56 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 4.7.1996 – Vf. 16-VII-94 – VerfGH 49, 79/92 = NVwZ 1997, 481). Dieser unantastbare Persönlichkeitsschutz ist durch die Begrenzung der Ruhefrist auf zwei Jahre und die damit eröffnete Möglichkeit der Umbettung in ein anonymes Erdurnengrab nicht tangiert. In der Herausnahme einer Urne aus einer – von den Angehörigen nicht weitergeführten – individuellen Grabstelle bzw. Urnennische zum Zweck der Einbringung in ein vom Friedhofsträger bereitgehaltenes Sammelgrab liegt, wenn dies in der nach Art. 5 Satz 2 BestG gebotenen pietätvollen Weise geschieht, kein entwürdigender Umgang mit den Aschenresten des Verstorbenen. Die nach Ablauf der Ruhe- und Nutzungszeit erfolgende Umbettung stellt vielmehr eine notwendige Voraussetzung für den dauerhaften Verbleib der Urne in der öffentlichen Bestattungseinrichtung dar und sichert damit eine würdevolle Aufbewahrung der sterblichen Überreste für die Zeit nach Beendigung der privaten Grabpflege (vgl. Barthel, WiVerw 2017, 28/33).
An dieser rechtlichen Bewertung ändert sich auch dann nichts, wenn der Vorgang der Umbettung bereits zwei Jahre nach der Urnenbestattung stattfindet. Zwar gibt es danach für jene Verstorbenen, deren Urnen in bereits bestehenden, wenig später aufgegebenen Grabstätten beigesetzt wurden, schon nach kurzer Zeit keinen mit ihrem Namen versehenen, eindeutig lokalisierbaren Begräbnis- und Erinnerungsort mehr. Dies kann aber weder als Ausdruck einer Missachtung der Person verstanden werden, noch wird damit der fortbestehende Anspruch des Verstorbenen auf ein würdevolles Gedenken in Abrede gestellt. Anderenfalls dürfte es angesichts der Unverzichtbarkeit der Menschenwürde auch keine freiwilligen anonymen Bestattungen etwa in Form von Seebestattungen (Art. 12 Abs. 1 Satz 3 BestG) oder Bestattungen auf Grabfeldern geben.
bb) Einer Begrenzung der Ruhefrist für Urnen auf zwei Jahre steht auch die – im Kern ebenfalls über Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 100 BV geschützte (BVerfG, B.v. 9.5.2016, a.a.O., Rn. 60; BVerwG, U.v. 26.6.1974 – VII C 36.72 – BVerwGE 45, 224/230) – Totenruhe nicht entgegen.
Das Gebot der Totenruhe besagt, dass in den Leichnam oder in die Asche von Verstorbenen nicht unnötig eingegriffen werden darf und dass die sterblichen Überreste möglichst für einen längeren Zeitraum am Ort der Bestattung verbleiben sollen. Diesem Schutzzweck dienen neben der strafrechtlichen Verbotsnorm des § 168 StGB auch die bestattungsrechtlichen Vorschriften über (Mindest-)Ruhezeiten für Leichen und Urnen, die bei Erdwie bei Feuerbestattungen eine angemessene Totenehrung ermöglichen und darüber hinaus bei Erdbestattungen eine ausreichende Verwesung gewährleisten sollen (NdsOVG, B.v. 6.7.2012 – 8 LA 111/11 – juris Rn. 9; Gaedke, Hdb. d. Friedhofs- und Bestattungsrechts, 11. Aufl. 2016, 254, 256 f.; vgl. auch Spranger, NVwZ 1999, 856/857). Die Totenruhe begründet allerdings ungeachtet ihres Menschenwürdebezugs kein absolutes, unabänderliches Verbot jeglicher Störung; sie muss sowohl mit dem Willen des Verstorbenen in Einklang gebracht (vgl. BVerfG, B.v. 9.5.2016, a.a.O., Rn. 60; Spranger in ders./Pasic/Kriebel, Hdb. des Feuerbestattungswesens, 2014, 243) als auch mit eventuell gegenläufigen Rechtsgütern oder rechtlich schützenswerten Belangen abgewogen werden und kann daher im Einzelfall auch hinter diesen zurücktreten (vgl. zur Sektion BVerfG, B.v. 18.1.1994 – 2 BvR 1912/93 – NJW 1994, 783; zur Umbettung BayVGH, B.v. 27.7.2005 – 4 ZB 04.2986 – juris Rn. 8; OVG NW, U.v. 29.4.2008 – 19 A 2896/07 – juris Rn. 21 ff.; NdsOVG, a.a.O., Rn. 10; zur Plastination BayVGH, B.v. 21.2.2003 – 4 CS 03.462 – NJW 2003, 1618).
Hieran gemessen kann die nach nur zweijähriger Ruhezeit mögliche Verlegung von Urnen aus einem Erdurnengrab oder einer Urnennische in ein anonymes Gräberfeld auf einem öffentlichen Friedhof nicht als eine Verletzung der verfassungsrechtlich geforderten Totenruhe angesehen werden. Bei einer Feuerbestattung findet nach der Beisetzung kein natürlicher Verwesungsprozess mehr statt, der durch eine Umbettung gestört werden könnte. Da sich die Asche des Verstorbenen in einer fest verschlossenen, mit den Angaben zur Person versehenen Urne (§ 27 BestV) befindet, wird bei der Umsetzung des Totengefäßes in eine andere Grabstelle nicht unmittelbar physisch in die sterblichen Überreste eingegriffen. Die Überführung einer Urne aus einem Erdurnengrab oder einer Urnennische in ein Sammelgrab stellt daher schon äußerlich eine deutlich geringere Beeinträchtigung der Totenruhe dar als die Exhumierung und Umbettung der noch nicht (vollständig) verwesten Teile eines erdbestatteten Leichnams.
Dass die Antragsgegnerin in Anbetracht dieser Unterschiede für Urnenbestattungen eine erheblich kürzere Ruhezeit bestimmt hat als für Erdbestattungen, lässt sich mit der Überlegung rechtfertigen, dass diese Mindestfrist nur dann Auswirkungen hat, wenn es keine totenfürsorgeberechtigten Angehörigen gibt oder diese nicht mehr an der Grabstelle interessiert sind. Wird bei einem schon länger bestehenden Familiengrab, in das die Urne wenige Jahre vor Ablauf der Nutzungszeit eingebracht worden ist, auf die mögliche Verlängerung verzichtet, so besteht erkennbar kein Bedürfnis mehr für einen individuellen Ort der Totenehrung und der Trauerbewältigung. In dieser Lage kann weder von den bisherigen Inhabern eine weitere Aufrechterhaltung der Grabstelle verlangt werden, noch muss die Antragsgegnerin als Friedhofsträger von einer Neubelegung bis auf weiteres absehen. Die verschlossene Urne kann dann vielmehr – gleichsam vorzeitig – dorthin umgebettet werden, wo sie auch bei Ausschöpfung der vollen (mindestens zwölfjährigen) Grabnutzungszeit ihren endgültigen Standort auf dem Friedhof finden würde, nämlich in ein anonymes Erdurnengrab (§ 17 Abs. 11 Satz 3 FS). Auch wenn es sich dabei um ein gemeinsames Urnengrabfeld für alle Friedhöfe desselben Trägers handelt, wie es bei der Antragsgegnerin laut deren Auskunft in der mündlichen Verhandlung der Fall ist, verbleibt die umzubettende Urne doch stets im öffentlich-rechtlichen Gewahrsam und ist damit vor möglichen Störungen der Totenruhe geschützt.
b) Der angegriffenen Regelung stehen auch keine sonstigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen entgegen.
aa) Das aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 101 BV) abzuleitende Selbstbestimmungsrecht über postmortale Angelegenheiten (dazu Klinge, a.a.O., 203 ff. m.w.N.), umfasst zwar die Befugnis, für die eigene Person den Ort und die Art der Beisetzung zu bestimmen (vgl. BVerfG, U.v. 28.2.1979 – 1 BvR 317/74 – BVerfGE 50, 256/262; BVerwG, U.v. 26.6.1974 – VII C 36.72 – BVerwGE 45, 224/227; Gaedke, a.a.O., 181 m.w.N.). Es vermittelt aber keinen einklagbaren Anspruch auf Erlass einer bestimmten Satzungsregelung in Bezug auf die Mindestruhezeit. Selbst wenn eine vom Friedhofsträger festgelegte Ruhefrist wie hier einem (möglicherweise) künftig Betroffenen als zu kurz erscheint, wird er dadurch rechtlich nicht gehindert anzuordnen, was nach seinem Tod mit dem Leichnam geschehen soll.
Die Norm des § 18 Abs. 1 Satz 2 FS führt auch nicht zu faktischen bzw. mittelbaren Eingriffen in das Recht auf Selbstbestimmung über postmortale Angelegenheiten, da die Regelung sich nach ihrer Zielsetzung und ihren Wirkungen nicht als funktionales Äquivalent für einen unmittelbaren Eingriff darstellt (vgl. BVerfG, B.v. 26.2.2002 – 1 BvR 670/91 – BVerfGE 105, 279/303). Die Beschränkung der Ruhezeit auf lediglich zwei Jahre verfolgt ersichtlich keinen verhaltenssteuernden Zweck. Sie hat, wie oben dargelegt, auch nicht regelmäßig und typischerweise, sondern nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen zur Folge, dass bereits nach wenigen Jahren eine Umbettung in ein anonymes Erdurnengrab erfolgen kann. Wer sich zu Lebzeiten für eine Feuerbestattung auf einem der Friedhöfe der Antragsgegnerin entscheidet und dabei sicherstellen will, dass die Urne mit seinen sterblichen Überresten dort längere Zeit verbleibt, kann verfügen, in einem Einzelgrab bestattet zu werden; die Urne kann dann frühestens nach Ablauf der vorgeschriebenen Mindestnutzungszeit von zwölf Jahren (§ 19 Abs. 2 FS) aus der Grabstätte entfernt werden.
bb) Mit der unterschiedlichen Länge der Ruhezeiten für Leichen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 FS) und für Urnen (§ 18 Abs. 1 Satz 2 FS) wird nicht gegen das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) verstoßen. Im Grundsatz genießen zwar Aschenreste den gleichen Anspruch auf pietätvolle Behandlung und auf Wahrung der Totenruhe wie erdbestattete Leichen (vgl. Gaedke, a.a.O., 373; OVG RhPf, B.v. 4.2.2001 – 7 A 11390/09 – juris Rn. 7; so auch RG, U.v. 5.4.1937 – IV 18/37 – RGZ 154, 269/274; BGH, U.v. 30.6.2015 – 5 StR 71/15 – NJW 2015, 2901 Rn. 12 jeweils mit Blick auf die einfachgesetzliche Rechtslage). Dies zwingt jedoch bei der Bemessung der Mindestruhezeiten nicht zu einer schematischen Gleichbehandlung von Urnen- und Erdbestattungen, da nur für letztere das zusätzliche Erfordernis besteht, eine ausreichende Verwesung zu ermöglichen (Gaedke, a.a.O., 254; vgl. auch Art. 10 Abs. 1 Satz 2 BestG). In den Bestattungsgesetzen einiger Bundesländer sind daher verschieden lange Mindestruhezeiten für Leichen und Aschenreste ausdrücklich vorgesehen (§ 32 Abs. 1 BrbBestG; § 5 Abs. 1 Satz 1 BrFriedhG; § 31 Abs. 1 Satz 1 ThürBestG). Steht die entsprechende Regelungsbefugnis wie in Bayern dem jeweiligen Friedhofsträger zu, darf dieser ebenfalls zwischen den Bestattungsformen unterscheiden und für Urnenbestattungen eine kürzere Ruhezeit festlegen. In der gesetzlichen Ermächtigungsnorm des Art. 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 BestG ist die Möglichkeit einer Ungleichbehandlung bereits angelegt.
cc) Eine zwingende Verpflichtung zur Festlegung einer längeren Ruhezeit bei Urnenbestattungen folgt auch nicht aus dem in der Bayerischen Verfassung verankerten Kulturstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BV). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat dieser Staatszielbestimmung, deren Verletzung in einem Verfahren bezüglich der Zulassung privater Feuerbestattungsanlagen gerügt worden war (Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur in der grundgesetzlichen Ordnung, 1995, 50 ff.), keinen eigenständigen Bedeutungsgehalt neben der Menschenwürde (Art. 100 BV) und dem Gebot einer schicklichen Beerdigung (Art. 149 Abs. 1 Satz 1 BV) beigemessen (BayVerfGH, E.v. 4.7.1996 – Vf. 16-VII-94 u.a. – VerfGH 49, 79/92).
Aufgrund der Schutzpflicht aus Art. 100 BV muss allerdings der Gesetzgeber über den individuellen postmortalen Persönlichkeitsschutz hinaus auch allgemein eine den jeweiligen Pietätsvorstellungen der Gesellschaft und der herrschenden Kultur angemessene Bestattung gewährleisten (BayVerfGH, a.a.O.), während die Gemeinden nach der speziellen Norm des Art. 149 Abs. 1 Satz 1 BV für einen angemessenen und würdigen Umgang mit den sterblichen Überresten zu sorgen haben (vgl. Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Bayerische Verfassung, 2. Aufl. 2017, Art. 149 Rn. 7 m.w.N.; Gaedke, a.a.O., 240 f.). Das in Art. 5 BestG formulierte Gebot, beim Umgang mit Leichen und Aschenresten das „sittliche Empfinden der Allgemeinheit“ nicht zu verletzen, lässt sich hiernach auf die genannten Bestimmungen der Bayerischen Verfassung zurückführen, wohingegen dem Grundgesetz keine verfassungsrechtliche Abstützung des allgemeinen Pietätsgefühls entnommen werden kann (so BVerfG; B.v. 9.5.2016, a.a.O., Rn. 62).
Dass die nach § 18 Abs. 1 Satz 2 FS unter bestimmten Voraussetzungen mögliche Umbettung von Urnen nach nur zwei Jahren aus einem nicht mehr weitergeführten Familiengrab in ein anonymes Erdurnenfeld mit den in der heutigen Gesellschaft vorherrschenden Pietätsvorstellungen oder mit dem allgemeinen Verständnis über einen würdigen Umgang mit der Asche Verstorbener unvereinbar wäre, vermag der Senat nicht festzustellen. Die aufgrund der Länderkompetenz für das Friedhofs- und Bestattungswesen schon von jeher bestehende Regelungsvielfalt in Bezug auf Urnenbestattungen hat sich durch eine Reihe neuerer Bestattungsformen (Friedwälder, Aschenverstreuung oder Urnenbeisetzung auf Privatgrundstücken) nochmals erhöht. Auch die subjektiven Vorstellungen darüber, was (noch) als pietätvoller Umgang mit der durch die Kremation entstandenen Asche anzusehen ist, entwickeln sich dadurch immer stärker auseinander. Angesichts der Tatsache, dass es einen Friedhofs- und Bestattungszwang für die Aschenreste Verstorbener europaweit fast nur noch in Deutschland gibt, wird die Notwendigkeit eines allgemein zugänglichen öffentlichen Orts der Totenruhe auch hierzulande zunehmend in Frage gestellt (vgl. nur Thimet/Hannemann-Heiter in Spranger/Pasic/Kriebel, a.a.O., 232). Ein aus gemeinsamen Grundwerten gespeister, weitgehend unangefochtener Konsens dahingehend, dass eine Urne nach der Bestattung auch dann, wenn zur Grabpflege bereite Angehörige nicht (mehr) vorhanden sind, noch bis zum Ende eines längeren Ruhezeitraums am ursprünglichen Begräbnisort verbleiben müsste, besteht danach erst recht nicht. Weder die aus der Verfassung abzuleitende Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die in der Gesellschaft bestehenden Pietätsvorstellungen noch das damit zusammenhängende Verbot einer Verletzung des sittlichen Empfindens der Allgemeinheit (Art. 5 BestG) stehen somit aus heutiger Sicht der angegriffenen Regelung entgegen.
c) Es sind auch sonst keine einfachgesetzlichen Normen ersichtlich, aufgrund derer eine längere Ruhefrist als zwei Jahre geboten sein könnte.
Die Vorschrift des § 1 Halbs. 1 des Gesetzes über die Feuerbestattung vom 15. Mai 1934 (RGBl I S. 380), wonach die Feuerbestattung der Erdbestattung grundsätzlich gleichgestellt war, und die dazu ergangene Ausführungsbestimmung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Feuerbestattungsgesetzes vom 10. August 1938 (RGBl I S. 1000), wonach die Ruhefrist für Aschenreste mindestens auf den als Ruhefrist bei Erdbestattungen am gleichen Ort vorgesehenen Zeitraum zu bemessen war, sind in Bayern mit Inkrafttreten des Bestattungsgesetzes vom 24. September 1970 (GVBl S. 417) am 1. Januar 1971 außer Kraft getreten (Art. 21 BestG). Da der seither geltende Art. 10 Abs. 1 BestG zur Frage der Ruhefristen eine abschließende landesgesetzliche Regelung trifft, besteht entgegen der Auffassung der Antragstellerin kein Grund, die früheren (reichs-)gesetzlichen Bestimmungen ergänzend heranzuziehen.
Ein rechtliches Hindernis für die mit der angegriffenen Satzungsbestimmung ermöglichte frühzeitige Umbettung von Urnen folgt schließlich auch nicht aus den in § 168 StGB normierten strafrechtlichen Verboten, die Asche eines verstorbenen Menschen unbefugt wegzunehmen (Abs. 1) oder eine Beisetzungsstätte zu zerstören bzw. zu beschädigen (Abs. 2). Die Versetzung einer Urne in ein anderes Grab stellt, wenn sie in einer Satzung des Friedhofsträgers vorgesehen ist, weder ein unbefugtes Handeln dar, noch kann in der Herausnahme der Urne eine Zerstörung oder Beschädigung der – von den Nutzungsberechtigten bereits aufgegebenen – Grabstelle gesehen werden (vgl. Spranger in ders./Pasic/Griebel, a.a.O., 321).
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht abschließend geklärte Frage der Reichweite des postmortalen Würdeschutzes im Bestattungsrecht grundsätzliche Bedeutung hat.


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