Verwaltungsrecht

notwendige Antragstellung auf Erlass des Verwaltungsakts bei der Behörde vor Erhebung der Verpflichtungsklage

Aktenzeichen  2 L 10/21

Datum:
20.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 2. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0120.2L10.21.00
Normen:
§ 68 Abs 2 VwGO
§ 75 S 1 VwGO
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage hängt grundsätzlich von einem vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts ab.(Rn.10)
2. Eine Ausnahme von der Verweisung auf die Durchführung eines (erneuten) Antragsverfahrens kommt in Betracht, wenn das Beharren auf einer Vorbefassung der Verwaltung als bloße Förmelei erscheinen würde, insbesondere wenn die Behörde vorprozessual bereits klar und eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass sie einen solchen Antrag definitiv ablehnen wird. Voraussetzung für die Entbehrlichkeit einer vorherigen Antragstellung ist jedenfalls, dass die Behörde mit dem Sachverhalt bereits befasst war und allenfalls unwesentliche Änderungen in den Streitstoff eingeführt werden.(Rn.11)

Verfahrensgang

vorgehend VG Halle (Saale), 9. Dezember 2020, 8 A 325/18 HAL, Urteil

Tenor

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle – 8. Kammer – vom 9. Dezember 2020 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Streitwert für das Rechtsmittelverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger sind seit dem Jahr 1976 Eigentümer eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks in A-Stadt. Bestandteil des Grundstücks ist eine nördlich des Hauses gelegene Fläche von ca. 60 m2. Diese Fläche wurde im Jahr 2000 in Straßenbaumaßnahmen der Beklagten einbezogen. Dabei wurde die Fläche mit Verbundpflaster befestigt. Es wurden zwei Stellplätze für Pkw eingerichtet. Die Beklagte erklärte mit Schreiben an die Kläger vom 27. August 2001, dass sie sich nicht darüber bewusst gewesen sei, dass sich die Fläche im Eigentum der Kläger befinde, und bat die Kläger um einen Gesprächstermin zur Bereinigung der Situation. Die Kläger beanspruchten die Fläche für eigene Pkw-Stellplätze und forderten die Beklagte mit Schreiben vom 26. April 2002 auf, dafür zu sorgen, dass ihr Grundstück nicht mehr durch Fahrzeuge Dritter belegt werde. Nachdem die Beklagte hierauf nicht reagiert hatte, erhoben die Kläger am 26. August 2002 beim Verwaltungsgericht Halle Untätigkeitsklage (1 A 235/02 HAL) mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichteten, die Störung ihres Grundeigentums zu beseitigen, hilfsweise, ihnen die ausgebaute Fläche auf ihrem Grundstück zur alleinigen Nutzung als Parkfläche für Kraftfahrzeuge zuzuweisen. Im Termin der mündlichen Verhandlung nahmen die Kläger die Klage zurück. Daraufhin wurde das Verfahren eingestellt.
Am 5. Dezember 2006 erhoben die Kläger erneut Klage bei dem Verwaltungsgericht Halle (1 A 387/06 HAL) mit dem Antrag, festzustellen, dass auf ihrem Grundstück keine Grundstücksteilfläche öffentlich gewidmet sei, hilfsweise, dass die Widmung rechtswidrig erfolgt sei. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. Dezember 2008 als unzulässig ab. Das beschließende Gericht wies die Berufung der Kläger mit Urteil vom 20. Oktober 2010 (3 L 156/09) mit der Begründung zurück, dass die Klage zwar zulässig, aber nicht begründet sei. Bei der fraglichen Grundstücksfläche handele es sich um eine öffentliche Verkehrsfläche im Sinne der Vorschriften des Straßengesetzes.
Zwischenzeitlich hatten die Kläger auf der fraglichen Fläche einen Metallmast aufgestellt, an den sie ein Schild mit der Aufschrift „Privatgrundstück, Unberechtigtes Befahren ist verboten, widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt“ angebracht hatten. Mit Bescheid vom 5. November 2013 forderte die Beklagte die Kläger auf, das Schild zu entfernen. Den von den Klägern gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 18. Februar 2014 zurück. Ein gerichtliches Verfahren der Kläger auf vorläufigen Rechtsschutz verlief erfolglos (Beschluss des Verwaltungsgericht Halle vom 25. November 2013 – 6 B 218/13 HAL – und Beschluss des Senats vom 5. Februar 2014 – 2 M 179/13 -). Mit Schreiben an die Kläger ebenfalls vom 18. Februar 2014 erklärte die Beklagte, dass der Gemeinderat eine von den Klägern angeregte „Nutzungsregelung“ bezüglich der Parkflächen abgelehnt habe, weil dann noch mehrere Grundstückseigentümer derartige Regelungen beantragen und öffentliche Parkflächen zur privaten Nutzung beanspruchen könnten. Die Parkflächen sollten weiterhin der Allgemeinheit zur Verfügung stehen.
Am 21. November 2017 haben die Kläger erneut Klage beim Verwaltungsgericht Halle erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, das fragliche Teilstück ihres Grundstücks als Bestandteil der öffentlichen Gemeindestraße (mit Ausnahme des Gehwegs) einzuziehen und zu entwidmen. Sie haben im Wesentlichen geltend gemacht: Die Beklagte habe das Teilstück durch ihr fortgesetztes Handeln selbst de facto entwidmet, indem sie zunächst einem örtlichen Taxiunternehmer und seit Februar 2017 einem Anwohner der Straße gestattet habe, ihre Fahrzeuge darauf abzustellen und dort zu parken. Die Gestattung dieser Sondernutzungen verdeutliche, dass das Teilstück nicht als öffentlicher Verkehrsraum benötigt werde. Aus der Örtlichkeit sei nicht ersichtlich, dass es sich um einen öffentlichen Verkehrsraum handele. Das Teilstück sei weder als Straße noch als Parkraum erforderlich.
Mit Urteil vom 9. Dezember 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Es fehle an der Durchführung des Vorverfahrens nach § 68 VwGO. Die Kläger hätten den Erlass des mit ihrer Verpflichtungsklage begehrten Verwaltungsakts nicht bei der Beklagten beantragt. Auch sei ein entsprechender Antrag nicht beschieden worden. Daher komme es auch nicht auf die Frage an, ob die Durchführung des Vorverfahrens i.S. des § 68 VwGO ausnahmsweise als entbehrlich angesehen werden könne, wenn das Verhalten der Widerspruchsbehörde vor oder während des gerichtlichen Verfahrens mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten lasse, dass ein Widerspruch keinen Erfolg hätte. Die Klage sei auch nicht nach § 75 Satz 1 VwGO zulässig. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift sei nicht eröffnet, weil die Kläger bei der Beklagten keinen Antrag auf die begehrte Einziehung gestellt hätten.
II.
1. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
a) Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Solche Zweifel liegen nur dann vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2013 – 1 BvR 3057/11 – juris Rn. 36, m.w.N.). Das ist vorliegend nicht der Fall.
Die Kläger tragen vor: Sie hätten im Rahmen eines vorgerichtlichen Antragsverfahrens von vornherein mit einem abschlägigen Bescheid zu rechnen gehabt, der wegen der bisher starren Haltung der Beklagten aus ihrer Sicht auch im Widerspruchsverfahren aufgrund der Einflussnahme auf die nächsthöhere Behörde nicht anders ausgefallen wäre. Dies habe das Verwaltungsgericht nicht gewürdigt und sei deshalb zu einer fehlerhaften Entscheidung gekommen. In diesem Zusammenhang beziehen sich die Kläger auf die beim Verwaltungsgericht und beim Oberverwaltungsgericht geführten Verfahren sowie die Verwaltungsverfahren hinsichtlich der Ordnungsverfügung vom 5. November 2013 und hinsichtlich ihres Antrags auf Vereinbarung einer Nutzungsregelung. Sie hätten nichts unversucht gelassen, um Parkraum zur Eigennutzung auf ihrem Grundstück zu erhalten, während die Beklagte kein klärendes Gespräch mit ihnen geführt habe und auch nicht versucht habe, in der Angelegenheit zu einer vernünftigen Einigung zu kommen. Ein solches Einigungsstreben hätte seitens der Beklagten Sinn gemacht, weil diese es seinerzeit versäumt habe, die Nutzung im Rahmen des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes im Wege eines Ankaufs zu klären. Sie, die Kläger, hätten nach den verwaltungsgerichtlichen Urteilen erneut erfolglos versucht, die Angelegenheit einer einvernehmlichen Klärung zuzuführen. Die Kläger beziehen sich insoweit auf ihre Schreiben an die Beklagte vom 17. Dezember 2020 und 7. Januar 2021, in denen sie der Beklagten erfolglos einen Verkauf des Grundstücksteils zu einem symbolischen Preis von 1,00 € gegen die Einräumung von Sondernutzungsrechten oder zum Preis von 10.000 € unter Aufgabe von Nutzungsrechten angeboten haben.
Aus diesem Vorbringen ergeben sich keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage grundsätzlich von einem vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts abhängt. Die Zulässigkeitsvoraussetzung folgt aus § 68 Abs. 2, § 75 Satz 1 VwGO („Antrag auf Vornahme“) und zusätzlich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, nach dem es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden (BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 – 6 C 42.06 – juris Rn. 23 m.w.N.). Die Zulässigkeitsvoraussetzung der vorherigen Antragstellung bei der Verwaltungsbehörde steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass das einschlägige – bundesrechtlich geordnete – Verwaltungsverfahrensrecht keine abweichende Regelung trifft (BVerwG, a.a.O. Rn. 24). Solche abweichenden Regelungen greifen im vorliegenden Fall nicht ein.
Im Übrigen wird die Verweisung auf die Durchführung eines (erneuten) Antragsverfahrens dann als nicht gerechtfertigt angesehen, wenn das Beharren auf einer Vorbefassung der Verwaltung als bloße Förmelei erscheinen würde. Dies kommt in Betracht, wenn die Behörde vorprozessual bereits klar und eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass sie einen solchen Antrag definitiv ablehnen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. November 2021 – 6 VR 4.21 –, Rn. 10, juris). Voraussetzung für die Entbehrlichkeit einer vorherigen Antragstellung ist jedenfalls, dass die Behörde mit dem Sachverhalt bereits befasst war und allenfalls unwesentliche Änderungen in den Streitstoff eingeführt werden (vgl. VGH BW, Urteil vom 14. Juli 2010 – 11 S 2730/09 – juris Rn. 22).
Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Aus den von den Klägern vorgetragenen Umständen ergibt sich nicht, dass die Beklagte vor der Klageerhebung am 21. November 2017 eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass sie einen Antrag auf Einziehung und Entwidmung der fraglichen Grundstücksfläche ablehnen würde. Die beim Verwaltungsgericht und beim Oberverwaltungsgericht geführten Verfahren betrafen andere Streitgegenstände. In dem Verfahren 1 A 387/06 HAL bei dem Verwaltungsgericht Halle und dem anschließenden Berufungsverfahren vor dem beschließenden Gericht (3 L 156/09) haben die Kläger die Feststellung beantragt, dass auf ihrem Grundstück keine Grundstücksteilfläche öffentlich gewidmet sei bzw. dass eine etwaige Widmung rechtswidrig erfolgt sei. In den weiteren Verfahren (6 B 218/13 HAL und 2 M 179/13) ging es um die Entfernung eines von den Klägern angebrachten Schildes, mit denen die Kläger die Nutzung der Fläche durch Dritte unterbinden wollten. In all diesen Verfahren hat die Beklagte die Auffassung vertreten, dass die fragliche Fläche eine öffentliche Verkehrsfläche sei. Die von den Klägern nunmehr begehrte Einziehung und Entwidmung der Fläche stünde zu dieser Auffassung nicht in Widerspruch. Im Gegenteil: Die Einziehung, mit der die gewidmete Straße die Eigenschaft als öffentliche Straße verliert (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrG LSA) setzt gerade voraus, dass es sich um eine öffentliche Verkehrsfläche handelt. Die Voraussetzungen für eine Einziehung, die nach § 8 Abs. 2 StrG LSA zulässig ist, wenn die Straße keine Verkehrsbedeutung mehr hat oder überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, spielten in den gerichtlichen Verfahren keine Rolle.
Die Kläger tragen auch nicht vor, dass sich die Beklagte in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren oder in der weiteren Korrespondenz vor der Klageerhebung am 20. November 2017 zu einer möglichen Einziehung und Entwidmung der fraglichen Fläche und den tatsächlichen Grundlagen für eine solche Maßnahme geäußert hat. Soweit die Beklagte in dem Schreiben vom 18. Februar 2014 erklärt hat, die Parkflächen vor dem Wohnhaus der Kläger sollten „weiterhin der Allgemeinheit zur Verfügung stehen“, handelt es sich um Äußerungen im Zusammenhang mit dem Wunsch der Kläger, mit der Beklagten eine „Nutzungsregelung“ zu treffen. Die Kläger haben ihr Ausgangsschreiben an die Beklagte vom 28. Oktober 2013 nicht vorgelegt. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der darin angestrebten „Nutzungsregelung“ um eine Einziehung und Entwidmung handeln sollte, sind nicht ersichtlich. Mit den Voraussetzungen für eine Einziehung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 StrG LSA hat sich die Beklagte in ihrem Schreiben vom 18. Februar 2014 nicht befasst. Dem Vorbringen der Kläger lässt sich auch nicht entnehmen, dass sie in dem Ausgangsschreiben hierzu etwas vorgetragen haben. Eine eindeutige und klare Aussage, aus der sich ergeben könnte, dass die Beklagte eine Einziehung und Entwidmung der Fläche ablehnen werde, lässt sich dem Schreiben vom 18. Februar 2014 nicht entnehmen.
Hinzu kommt, dass die Kläger ihre Klage wesentlich auf Umstände gestützt haben, mit denen sie vor Klageerhebung nicht an die Beklagte herangetreten sind. Den im vorliegenden Klageverfahren – offenbar erstmals – geltend gemachten Verlust der Verkehrsbedeutung i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 1 StrG LSA haben die Kläger wesentlich damit begründet, dass die Beklagte zunächst einem örtlichen Taxiunternehmer und seit Februar 2017 einem Anwohner der Straße gestattet habe, ihre Fahrzeuge auf der fraglichen Fläche abzustellen und dort zu parken. Diese Umstände haben in den vorangegangenen Verfahren offensichtlich keine Rolle gespielt. Auch deshalb kann von einer nur unwesentlichen Änderung des Streitstoffs keine Rede sein.
Aus dem Schriftverkehr zwischen den Beteiligten nach der am 20. November 2017 erfolgten Klageerhebung lässt sich für die Zulässigkeit der Klage nichts ableiten. Wie bereits ausgeführt, setzt die Verpflichtungsklage grundsätzlich einen vor Erhebung der Klage im Verwaltungsverfahren gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 – 5 C 11.94 – juris Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 8. Juni 2018 – 20 D 81/15.AK – juris Rn. 467 ff.; Brenner, in: Sodann/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 75 Rn. 25). Selbst wenn man davon ausginge, dass es sich bei dem Antragserfordernis um eine bloße Sachentscheidungsvoraussetzung handeln sollte, die erst im Zeitpunkt der abschließenden gerichtlichen Entscheidung vorliegen muss (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28. November 2007, a.a.O. Rn. 32), ergibt sich aus den fraglichen Schreiben vom 17. Dezember 2020 und 7. Januar 2021 – nach der erstinstanzlichen Entscheidung – nicht, dass die Kläger das Antragsverfahren nachgeholt hätten. Die Kläger haben in den Schreiben lediglich – zur einvernehmlichen Lösung der Angelegenheit – angeboten, das Grundstück unter bestimmten Bedingungen zu verkaufen. Daraus ergibt sich kein Antrag auf Einziehung und Entwidmung der Fläche.
Es ist auch unerheblich, ob sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 21. Januar 2021 schlussfolgern ließe, dass die Beklagte bereits vor der Klageerhebung am 20. November 2017 einen Antrag auf Einziehung und Entwidmung der streitgegenständlichen Grundstücksfläche abgelehnt hätte. Eine Ausnahme vom Erfordernis der Antragstellung vor Klageerhebung, wenn es sich dabei um eine bloße Förmelei handeln würde, setzt – wie ausgeführt – voraus, dass die Behörde vorprozessual klar und eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass sie den auf Vornahme des begehrten Verwaltungsakts gerichteten Antrag ablehnen wird. Auf einen mutmaßlichen Willen der Behörde, insbesondere wenn er sich erst aus nachträglichen Umständen ergeben soll, kommt es deshalb nicht an.
b) Entgegen der Ansicht der Kläger liegt auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, weil das Verwaltungsgericht seine Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) verletzt und infolge dessen ein „Überraschungsurteil” gefällt hätte. Die Kläger tragen hierzu vor, sie hätten angesichts der Anberaumung eines Ortstermins damit gerechnet, dass sich das Gericht ernsthaft mit den Zuständen vor Ort und der geltend gemachten Teilentwidmung ihres Grundstücks beschäftigten würde. Erst in der mündlichen Verhandlung habe die Vorsitzende gegenüber der kurzfristig eingesprungenen Rechtsanwältin, die nicht „in Gänze im Stoff“ gestanden habe, darauf hingewiesen, dass der Ortstermin nicht erforderlich sei und die Klage abgewiesen werde.
Nach § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Die gerichtlichen Hinweise sollen zum einen dazu beitragen, die Voraussetzungen für eine richtige, dem Gesetz entsprechende Sachentscheidung zu schaffen. Darüber hinaus soll die Vorschrift als eine verfahrensspezifische einfachgesetzliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör einer Überraschungsentscheidung vorbeugen. Ein Überraschungsurteil liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen war. Die Hinweispflicht bezieht sich auf die tragenden („wesentlichen“) Erwägungen des Gerichts (vgl. Beschluss des Senats vom 14. März 2019 – 2 L 120/16 – juris Rn. 32 m.w.N.).
Aus dem Vorbringen der Kläger geht nicht hervor, dass die Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung am 9. Dezember 2020 nicht darauf hingewiesen hat, dass die Klage wegen des Fehlens einer vorherigen Antragstellung auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts unzulässig sein könnte. Die Kläger berichten in ihrem Schriftsatz vom 19. April 2021, die Einzelrichterin sei auf die örtliche Situation nicht eingegangen und habe sich bezüglich der Entscheidung darauf zurückgezogen, dass es an einem verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren gemangelt habe. Dies spricht dafür, dass die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte durchaus in der mündlichen Verhandlung angesprochen wurden. Zudem konnte die Prozessbevollmächtigte der Kläger schon aufgrund der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Aufhebung des Beweisbeschlusses davon ausgehen, dass es für die Entscheidung möglicherweise nicht auf die Zustände vor Ort ankommen würde.
Die Kläger können die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs auch nicht mit Erfolg darauf stützen, dass sie keine hinreichende Gelegenheit hatten, auf die offenbar erstmals in der mündlichen Verhandlung angesprochenen wesentlichen Gesichtspunkte zu reagieren.
Voraussetzung einer begründeten Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist die (erfolglose) vorherige Ausschöpfung sämtlicher verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (Beschluss des Senats vom 15. Februar 2021 – 2 L 26/20 – juris Rn. 8 m.w.N.). Soweit sich die in der mündlichen Verhandlung anwesende Prozessbevollmächtigte der Kläger angesichts der ihres Erachtens unerwarteten Wendung der Rechtsauffassung des Gerichts und ihrer nur geringen Einarbeitung in den Fall nicht in der Lage gesehen hat, auf Rechts- oder Tatsachenfragen – insbesondere zum „Inhalt der Vorverfahren“ – einzugehen, hätte sie die Möglichkeit gehabt, die Einräumung einer Frist zur Stellungnahme und eine Vertagung zu beantragen. Auch aus der Erwägung der Kläger, sie hätten, wenn sie „zeitnah“ von der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts gewusst hätten, ein Vorverfahren einleiten und ggf. einen Antrag auf Ruhen des Verfahrens stellen können, lässt sich keine Gehörsverletzung ableiten. Dabei kann dahinstehen, ob die Nachholung eines solchen Antrags überhaupt geeignet gewesen wäre, das Ergebnis der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu beeinflussen. Wie ausgeführt, wird in der Rechtsprechung vertreten, dass die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage einen vor der Klageerhebung gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts voraussetzt. Jedenfalls hatte die Prozessbevollmächtigte der Kläger die Möglichkeit, in der mündlichen Verhandlung eine entsprechende Antragstellung bei der Beklagten anzukündigen und das Ruhen des Verfahrens zu beantragen. Die angesprochenen prozessualen Möglichkeiten, sich in der mündlichen Verhandlung Gehör zu verschaffen, mussten der Prozessbevollmächtigten der Kläger auch unabhängig vom Umfang der Einarbeitung in den Fall bekannt gewesen sein.
c) Die Berufung ist auch nicht wegen der von den Klägern geltend gemachten besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
Besondere Schwierigkeiten liegen nach der Rechtsprechung des Senats vor bei erheblich über dem Durchschnitt liegender Komplexität der Rechtssache, im Tatsächlichen besonders bei wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen, wenn der Sachverhalt schwierig zu überschauen oder zu ermitteln ist, im Rechtlichen bei neuartigen oder ausgefallenen Rechtsfragen (Beschluss des Senats vom 20. März 2017 – 2 L 84/16 – juris Rn. 17). Die besonderen Schwierigkeiten müssen sich auf Fragen beziehen, die für den konkreten Fall und das konkrete Verfahren entscheidungserheblich sind (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 17. Dezember 2021 – 1 LA 91/20 – juris Rn. 41, BayVGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 23 ZB 17.2446 – juris Rn. 65). Die Kläger tragen zur Geltendmachung besonderer Schwierigkeiten im Wesentlichen vor, mit welchen Nachteilen und Schwierigkeiten die Situation des strittigen Grundstücksteil als öffentlich-rechtlich gewidmete Verkehrsfläche für sie verbunden sei, dass ihres Erachtens die begehrte Entwidmung nicht zu einer Beeinträchtigung des öffentlichen Verkehrs verbunden sei und die Parkplätze auf dem Grundstück nicht für die Öffentlichkeit benötigt würden. Sie meinen, es gebe in der Gesamtproblematik rechtliche Schwierigkeiten in der Abwägung „Eigentum“ zu „Verkehrsbedeutung und Bequemlichkeiten Dritter“ zur Nutzung naheliegender Parkräume. Diese Gesichtspunkte sind nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht die Klage mangels eines vorherigen Antrags auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts als unzulässig abgewiesen hat.
d) Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Das Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO verlangt für die Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, dass diese für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 2. August 2021 – 3 L 141/21 – juris Rn. 5). Dem genügt das Vorbringen der Kläger nicht, weil es bereits an der Formulierung einer entsprechenden Fragestellung mangelt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).


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