Verwaltungsrecht

Notwendigkeit der Durchführung eines Vorverfahrens auch für Klagen vorbeamtlicher Art

Aktenzeichen  5 A 180/21 MD

Datum:
27.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 5. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0127.5A180.21MD.00
Normen:
§ 54 BeamtStG
§ 54 BeamtStG
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Ein Kläger unterliegt der Pflicht zur Durchführung eines Vorverfahrens nach § 54 Abs. 2 BeamtStG vor Klageerhebung, auch wenn er nicht im Beamtenverhältnis steht.(Rn.22)

2. Denn § 54 Abs. 1 BeamtStG – ebenso wie § 126 Abs. 1 BBG und § 126 Abs. 1 BRRG – erfasst auch Klagen vorbeamtenrechtlicher Art, wenn der Kläger seine Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch aus dem Beamtenverhältnis herleitet (hier: Schadensersatz wegen unterbliebener Ernennung).(Rn.22)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird auf 52.826,34 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger, technischer Geschäftsführer eines privatrechtlich organisierten Unternehmens, begehrt mit seiner Klage Schadensersatz wegen unterbliebener Ernennung.
Die Beklagte schrieb im Jahr 2020 die Stelle eines „Beigeordnete/-n für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit (m/w/d)“, besoldet nach B4 LBesO LSA, zum 1. August 2020 in Interamt – dem Stellenportal des öffentlichen Dienstes – aus.
Am 31. Januar 2020 bewarb sich der Kläger auf die ausgeschriebene Stelle.
Mit E-Mail vom 26. März 2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass erste Gespräche mit Bewerbern am 17. April 2020 stattfinden würden. Auf der für diese Gespräche bestimmten Vorauswahlliste habe die Bewerbung des Klägers keine Berücksichtigung gefunden. Den Wahltermin für die Wahl zum Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit habe der Stadtrat bereits per Beschluss auf den 14. Mai 2020 festgelegt. Ob diese Termine bei den aktuellen Gegebenheiten der Corona-Pandemie eingehalten werden könnten, sei jedoch nicht sicher.
Mit weiterem Schreiben vom 23. April 2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er die formalen Voraussetzungen für das weitere Bewerbungsverfahren erfülle. In Anwendung der Kommunalverfassung des Landes Sachsen-Anhalt und der Geschäftsordnung des Stadtrates der Beklagten werde der Kläger in die öffentliche Wahlliste für die Entscheidung des Stadtrates am 14. Mai 2020 aufgenommen. In diesem Verfahren sei keine Vorauswahl vorgesehen.
Am 14. Mai 2020 wählte der Stadtrat der Beklagten die Mitbewerberin Frau S. zur Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit, welches die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 18. Mai 2020 mitteilte.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2020 äußerte der Kläger – vertreten durch seine Bevollmächtigte – gegenüber der Beklagten, dass das Auswahlverfahren fehlerhaft gewesen sei und ihm deshalb Schadensersatzansprüche zustünden. Da der Kläger nicht in der Lage sei, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst vorzutragen, habe er ein Auskunftsanspruch gegen die Behörde über Namen und Qualifikation der Mitbewerber. Ihm sei binnen einer Frist von zwei bis vier Wochen vor der Stellenbesetzung mitzuteilen, aufgrund welcher Umstände die Wahl nicht auf ihn gefallen sei. Komme der Dienstherr seiner Darlegungslast nicht nach und gebe er keine oder keine vollständige Auskunft über seine Erwägungen betreffend der Auswahl, könne der Bewerber seiner Substantiierungspflicht nicht genügen. In diesem Fall sei der der fehlenden Kenntnis des Mitbewerbers entsprechende Vortrag, es seien keine stärkeren Mitbewerber als er vorhanden, schlüssig und ausreichend. Im Arbeitsrecht sei der Vortrag, der Arbeitgeber habe soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend beachtet, unstreitig, wenn der Arbeitgeber seine Auskunft verweigere, da der Vortrag nicht hinreichend bestritten werde. Folglich habe der öffentliche Arbeitgeber im Konkurrentenstreitverfahren konkret zu dem Auswahlverfahren und den Auswahlgründen vorzutragen und sein Vorbringen glaubhaft zu machen. Geschehe dies nicht, sei der Vortrag des Bewerbers, die Durchführung des Verfahrens sei fehlerhaft gewesen, als zutreffend zu unterstellen. Der Kläger verlange, dass die Beklagte denjenigen Zustand wiederherstelle, der bestehen würde, wenn sie ihn rechtzeitig über sein Unterliegen im Bewerbungsverfahren unterrichtet hätte. Dann hätte der Kläger einstweiligen Rechtsschutz erwirken können und die Stelle des Beigeordneten wäre nicht besetzt worden.
Unter dem 22. Juni 2020 entgegnete die Beklagte, dass der Dienstposten des Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit noch nicht mit der Mitbewerberin besetzt worden sei. Die Mitbewerberin werde zum 1. August 2020 in die Planstelle des Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit eingewiesen. Der Kläger lasse außer Acht, dass es sich bei dem Amt des Beigeordneten um Wahlpositionen handele, die durch das Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt geregelt seien. Für die Bestellung der Beigeordneten sei ausschließlich der Stadtrat zuständig. Die Vorberatung der Angelegenheiten des Stadtrates obliege nach der Geschäftsordnung des Stadtrates im hier vorliegenden Fall dem Verwaltungsausschuss. Der Verwaltungsausschuss stelle, unterstützt durch den Oberbürgermeister bzw. die Verwaltung, sicher, dass bereits bei der Ausschreibung das Prinzip der Bestenauslese gewahrt werde. Als Findungskommission stelle sie außerdem sicher, dass nur Bewerber mit einem Bewerbungsverfahrensanspruch in das Auswahlverfahren des Stadtrates gelangten. Im hier vorliegenden Fall weise der vom Stadtrat beschlossene Ausschreibungstext im Anforderungsprofil zwei formale Kriterien auf, die der Kläger beide erfülle. Demzufolge sei der Kläger korrekt zur Aufnahme in die Wahlliste zugelassen worden. Der Verwaltungsausschuss könne gleichwohl Gespräche mit infrage kommenden Bewerbern führen und dem Stadtrat Empfehlungen für die zur Wahl stehenden Bewerber aussprechen. Diese Gespräche hätten deshalb nicht den Charakter eines Auswahlgespräches. Dem Stadtrat stehe in dem Wahlverfahren das organschaftliche Recht zu, sich über den Kreis aller Bewerber um das Amt im Vorfeld der Wahl zu erkundigen. Ob und in welcher Form er davon Gebrauch mache, sei dem Stadtrat überlassen. Allein der Stadtrat habe als Wahlgremium zu bestimmen, ob die politisch geprägten Merkmale des Wahlamtes nach Eignung, Leistung und Befähigung von den Bewerbern erfüllt werde. Die Wahlentscheidung des Stadtrates entziehe sich grundsätzlich einer gerichtlichen Bewertung und Kontrolle. Vielmehr habe sich eine solche Kontrolle im Rahmen des Bewerbungsverfahrensanspruchs auf die Prüfung zu beschränken, ob die der Wahlentscheidung vorausgegangenen Verfahrensschritte, soweit sie die von Art. 33 Abs. 2 GG gewollte Bestenauslese sicherstellten, Beachtung gefunden hätten und frei von Verfahrensfehlern seien. Ein Fehler im Auswahlverfahren könne danach nicht festgestellt werden.
Am 17. Juli 2020 hat der Kläger zunächst beim Arbeitsgericht A-Stadt um Rechtsschutz ersucht mit dem sinngemäßen Antrag, der Beklagten aufzugeben, die Auswahlentscheidung des Stadtrates zur Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit aufzuheben und bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € nicht mit einer anderen Bewerberin bzw. einem anderen Bewerber als den Kläger zu besetzen. Der Antrag wurde der Beklagten am 24. Juli 2020 zugestellt.
Am 28. Juli 2020 ernannte die Beklagte die ausgewählte Bewerberin zur hauptamtlichen Beamtin auf Zeit und wies sie in die Planstelle einer Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit ein.
Mit Beschluss vom 2. September 2020 verwies das Arbeitsgericht A-Stadt das Verfahren an das zuständige Verwaltungsgericht M-Stadt (Az. 5 B 232/20 MD). Unter dem 8. Januar 2021 nahm der Kläger seinen Antrag zurück und erweiterte seinen Antrag um den späteren Klageantrag.
Mit Beschluss vom 27. Juli 2021 trennte das Verwaltungsgericht das Verfahren vom ursprünglichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ab und führte es unter dem jetzigen Aktenzeichen fort.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, dass ein ordnungsgemäßes Auswahlverfahren nicht durchgeführt worden sei. Er – der Kläger – erfülle sämtliche Anforderungen an die ausgeschriebene Stelle. Dem Kläger sei nicht mitgeteilt worden, warum und aufgrund welcher Umstände die Wahl nicht auf ihn gefallen sei, ein Vorstellungsgespräch habe nicht stattgefunden. Bisher habe die Beklagte zum Auswahlverfahren und den Auswahlgründen nichts vorgetragen. Die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, den Kläger vor der geplanten Ernennung der ausgewählten Mitbewerberin über den Ausgang des Verfahrens informieren und so unveränderbare Tatsachen geschaffen. Das Grundgesetz verbiete dem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber durch Schaffung vollendeter Tatsachen statusverändernde Maßnahmen zu treffen. Inwiefern die ausgewählte Mitbewerberin geeigneter, leistungsstärker oder befähigter als er – der Kläger – sei, könne er nicht erkennen. Aus diesem Grund sei die Beklagte ihm gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet. Die Erfolgsaussichten des Klägers seien bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Auswahl zumindest offen gewesen, d. h. seine Auswahl habe als möglich erschienen. Aus der Rechtsschutzgarantie würden sich Mitteilungs- und Wartepflichten des Dienstherrn ergeben, auf deren Erfüllung abgelehnte Bewerber einen Anspruch hätten. Insbesondere dürfe der Dienstherr eine Ernennung erst vornehmen, wenn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Rechtskraft abschließend abgelehnt worden sei. Der Dienstherr sei weiter verpflichtet, die seiner Auswahlentscheidung zugrundeliegenden wesentlichen Auswahlerwägungen im Rahmen der Auswahlentscheidung schriftlich zu fixieren. Sei eine Ernennung nicht anfechtbar, könne sich bei der Vergabe eines Amtes für die unterlegenen Bewerber ein beamtenrechtlicher Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des durch die Ernennung untergegangenen Bewerbungsverfahrensanspruch ergeben.
Die Durchführung eines Vorverfahrens sei vorliegend entbehrlich, insbesondere, weil die Beklagte sowohl im verwaltungsbehördlichen als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu erkennen gegeben habe, dass sie der Begehr des Klägers nicht stattgeben würde.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, den Kläger dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlich so zu stellen, als sei er am 1. August 2020 bei der A. zum Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit auf die Dauer von sieben Jahren als hauptamtlicher Beamter auf Zeit ernannt worden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Weiter äußerte sie sich nicht zur Sache.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen, diese war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig, darüber hinaus aber auch unbegründet.
1. Die Klage ist unzulässig, da der Kläger das nach § 54 Abs. 2 BeamtStG erforderliche Vorverfahren vor Erhebung seiner Klage nicht durchgeführt hat.
Gemäß § 54 Abs. 1 BeamtStG ist für alle Klagen der Beamtinnen, Beamten, Ruhestandsbeamtinnen, Ruhestandsbeamten, früheren Beamtinnen, früheren Beamten und der Hinterbliebenen aus dem Beamtenverhältnis sowie für Klagen des Dienstherrn der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Nach Abs. 2 ist vor allen Klagen ein Vorverfahren nach den Vorschriften des 8. Abschnitts der Verwaltungsgerichtsordnung durchzuführen. Dies gilt auch dann, wenn die Maßnahme von der obersten Dienstbehörde getroffen worden ist. Ein Vorverfahren ist lediglich dann nicht erforderlich, wenn ein Landesgesetz dieses ausdrücklich bestimmt.
Der Kläger unterliegt vorliegend der Pflicht zur Durchführung eines Vorverfahrens vor Klageerhebung, auch wenn er nicht im Beamtenverhältnis steht. Denn mit der Regelung in § 54 Abs. 1 BeamtStG bezweckt der Gesetzgeber, dass beamtenrechtliche Fragen möglichst einheitlich entschieden werden. Maßgebend ist dafür allein, dass der geltend gemachte Anspruch seine Grundlage in einem Beamtenverhältnis hat (BVerwG, Beschluss vom 17. März 2021 – 2 B 3.21 -, juris Rn. 10 m.w.N.). Aus diesem Grund erfasst § 54 Abs. 1 BeamtStG – ebenso wie § 126 Abs. 1 BBG und § 126 Abs. 1 BRRG – auch Klagen vorbeamtenrechtlicher Art. Voraussetzung für die Annahme einer beamtenrechtlichen Streitigkeit ist, dass der mit der Klage geltend gemachte Anspruch das Beamtenverhältnis betrifft, wobei ausreichend ist, dass ein Bezug zu einem konkreten, auch zu einem erst noch zu begründenden Beamtenverhältnis besteht (OVG Magdeburg, Beschluss vom 19. Dezember 2014 – 3 O 428/14, juris Rn. 5). Dies ist vorliegend gegeben. Rechtsgrundlage für den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch, dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlich so gestellt zu werden, als ob er am 1. August 2020 zum Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit auf die Dauer von sieben Jahren als hauptamtlicher Beamter auf Zeit ernannt worden wäre, ist das Beamtenverhältnis. Aus diesem heraus kann ein Beamter Ersatz des ihm durch die Nichternennung entstandenen Schadens verlangen (vgl. zu §§ 126, 127 BRRG: BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1967 – VI C 73.64 -, juris Rn. 28).
Daraus folgt für die Erhebung einer Schadensersatzklage aus dem Beamtenverhältnis, dass ein entsprechender, an den Dienstherrn gerichteter Widerspruch gegen die Nichtgewährung von konkretisiert geltend gemachtem Schadensersatz und die Durchführung des Widerspruchsverfahrens eine im Prozess nicht nachholbare Klagevoraussetzung ist (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2001 – 2 C 48.00 -, juris Rn. 15 m.w.N.; OVG Saarland, Urteil vom 14. Mai 2019 – 1 A 102/16 -, juris Rn. 47). Daran fehlt es aber vorliegend.
Das Vorverfahren war auch nicht entbehrlich. Entbehrlich ist die Durchführung eines Vorverfahrens zunächst bei der Erhebung einer Untätigkeitsklage. Dies setzt aber ebenso die Erhebung eines Widerspruches voraus, woran es vorliegend mangelt (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. Juli 2020 – 1 E 185/19 -, juris Rn. 13).
Ausnahmsweise entbehrlich ist das Widerspruchsverfahren auch dann, wenn feststeht, dass der Widerspruch unabhängig von der Begründung keinen Erfolg haben würde. Denn auch in beamtenrechtlichen Angelegenheiten dient das Widerspruchsverfahren der Selbstkontrolle der Verwaltung, dem individuellen Rechtsschutz und der Entlastung der Verwaltungsgerichte. Sind diese Ziele vor der Klageerhebung schon auf andere Weise erreicht worden oder können sie nicht mehr erreicht werden, ist ein Widerspruchsverfahren sinnlos. Seine Durchführung würde einen sachlich nicht zu rechtfertigenden Formalismus darstellen, der die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes unnötig verzögert (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – 2 C 23.12 – juris Rn. 35). Dabei kommt es vor allem auf den Inhalt der vorgerichtlichen Erklärungen der Beklagten an. Ergibt deren Gesamtwürdigung, dass sich die Beklagte endgültig darauf festgelegt hat, das Rechtsschutzbegehren abzulehnen, ist ein Widerspruchsverfahren sinnlos. Eine derartige Festlegung setzt voraus, dass die Beklagte zu erkennen gegeben hat, sie habe sich ihre Auffassung gebildet und gedenke daran auf jeden Fall festzuhalten. Hat der Betroffene Klage erhoben, ohne dass ihm die Beklagte hierzu Anlass gegeben hat, kann diese das Widerspruchsverfahren entbehrlich machen, wenn sie sich im Klageverfahren vorbehaltlos zur Sache einlässt. Dagegen bringt sie in diesen Fällen durch eine nur hilfsweise Einlassung regelmäßig zum Ausdruck, dass sie den Kläger an der Durchführung des Widerspruchsverfahrens festhalten will. Dieses Verhalten ist dann auch nicht widersprüchlich, weil sich die Beklagte vorgerichtlich gerade nicht endgültig auf die Ablehnung des Klagebegehrens festgelegt hat (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – 2 C 23.12 -, juris Rn. 37 f.).
Nach diesen Grundsätzen war das Widerspruchsverfahren vorliegend nicht entbehrlich. Auf den Schriftsatz der Bevollmächtigen des Klägers vom 16. Juni 2020, in welchem der Kläger seine Auffassung mitteilte, dass die ausgewählte Mitbewerberin bereits zur Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit ernannt worden sei und ihm ein Schadensersatzanspruch zustünde, weil die Beklagte Vorschriften über das Verfahren außer Acht gelassen habe – insbesondere ihm mitzuteilen, dass die Mitbewerberin ernannt worden sei -, teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 22. Juni 2020 mit, dass eine Ernennung der ausgewählten Mitbewerberin noch nicht erfolgt sei. Im Weiteren schilderte sie den Ablauf des Auswahlverfahrens und kam zu dem Ergebnis, dass sie einen Fehler im Auswahlverfahren nicht feststellen könne. Vor dem Hintergrund, dass – wie die Beklagte dem Kläger mitteilte – eine Ernennung der ausgewählten Mitbewerberin noch nicht erfolgt war, konnte der Kläger rechtlich auch noch kein Schadensersatzanspruch herleiten. Aus diesem Grund bezogen sich die Ausführungen der Beklagten auf einen anderen Sachverhalt, nämlich auf einen Sachverhalt vor der Ernennung der ausgewählten Mitbewerberin. Nachdem die Mitbewerberin ernannt worden ist, hat sich die Beklagte zur Sache nicht weiter geäußert, weder im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes noch im vorliegenden Klageverfahren, sodass der Kläger vor der Klageerhebung nicht davon ausgehen durfte, dass sich die Beklagte endgültig darauf festgelegt habe, das Begehren des Klägers abzulehnen und sich auch während des Klageverfahrens nicht auf die Sache eingelassen hat.
Das Vorverfahren war vorliegend auch nicht ausdrücklich durch Landesrecht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 3 VwGO nicht erforderlich. Soweit der Kläger hierzu anführt, dass in den Landesbeamtengesetzen anderer Bundesländer – beispielsweise in § 93 Landesbeamtengesetz Berlin – ein Vorverfahren im vorliegenden Fall entbehrlich sei, kann dieser Rechtsgedanke aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 54 Abs. 2 Satz 3 VwGO nicht auf das hier einschlägige Landesrecht übertragen werden. Eine vergleichbare Regelung enthält das Landesbeamtengesetz Sachsen-Anhalt nicht.
2. Daneben ist die Klage aber auch unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz bereits dem Grunde nach nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO analog).
Rechtsgrundlage für den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch, dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlich so gestellt zu werden, als ob er am 1. August 2020 zum Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit ernannt worden wäre, ist das Beamtenverhältnis. Aus diesem heraus kann ein Beamter Ersatz des ihm durch die Nichtbeförderung entstandenen Schadens verlangen, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch des Beamten auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt hat, den Beamten das Amt ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden wäre und er es nicht schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 – 2 C 36.04 -, juris Rn. 16 m.w.N.).
Der Kläger hat es aber schuldhaft unterlassen, einen möglichen Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Denn nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB tritt eine Ersatzpflicht nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels gegen das nunmehr als rechtswidrig beanstandete staatliche Verhalten abzuwenden. § 839 Abs. 3 BGB ist eine besondere Ausprägung des Mitverschuldensprinzips, das in allgemeiner Form in § 254 BGB niedergelegt ist und für das gesamte private und öffentliche Haftungsrecht anerkannt ist. Die Vorschrift ist zugleich Ausdruck des Grundsatzes, dass der Primärrechtsschutz Vorrang vor dem Sekundärrechtsschutz hat: Bei rechtswidrigem Handeln des Staates soll der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz im Vordergrund stehen. Dem Betroffenen soll die von der Rechtsordnung missbilligte Wahlmöglichkeit genommen werden, entweder den rechtswidrigen Hoheitsakt mit ordentlichen Rechtsschutzmitteln anzugreifen oder aber ihn hinzunehmen und zu liquidieren, d. h. untätig zu bleiben und sich den Schaden finanziell abgelten zu lassen. Der Rechtsgedanke des § 839 Abs. 3 BGB gilt auch beim Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs. Der zu Unrecht nicht einbezogene und nicht ausgewählte Bewerber kann Schadensersatz für die Verletzung seines Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG nur dann beanspruchen, wenn er sich bemüht hat, den eingetretenen Schaden dadurch abzuwenden, dass er rechtliche Schritte im Vorfeld der absehbaren Auswahlentscheidung – durch Erkundigung und Rüge der Nichteinbeziehung in den Bewerberkreis und der Nichtauswahl – oder nach deren Ergehen – durch die Beantragung von Primärrechtsschutz eingeleitet hat. Rechtsmittel im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB sind alle Rechtsbehelfe, die sich gegen eine Amtspflichtverletzung richten und sowohl deren Beseitigung oder Berichtigung als auch die Abwendung oder Verringerung des Schadens zum Ziel haben und herbeizuführen geeignet sind. Der Begriff des Rechtsmittels ist nicht auf die in den Verfahrensvorschriften vorgesehenen Behelfe beschränkt, sondern umfasst auch andere, rechtlich mögliche und geeignete – förmliche oder formlose – Rechtsbehelfe. Maßgeblich für die Einordnung einer Handlung als Rechtsbehelf in diesem Sinne ist es, ob sie potentiell geeignet ist, den bevorstehenden Schadenseintritt noch abzuwenden. Der Rechtsbehelf muss sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung selbst richten und ihre Beseitigung beziehungsweise Vornahme bezwecken und ermöglichen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2018 – 2 C 22.17 -, juris Rn. 24 ff. m.w.N.).
Rechtsmittel in diesem Sinne, die der Durchsetzung des Anspruches auf Ernennung dienen, sind zuvörderst, aber nicht nur die Rechtsbehelfe des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes gegen die Ernennungen. Um solchen Primärrechtsschutz gegen die vorgenommene Ernennung der ausgewählten Mitbewerberin zur Beigeordneten für Wirtschaft, Tourismus und regionale Zusammenarbeit hat der Kläger nicht nachgesucht. Genießt die Ernennung eines Konkurrenten wegen eines – wie der Kläger meint – Verstoßes gegen vorherige Informations- bzw. Wartepflichten keine Ämterstabilität, zählt zum Primärrechtsschutz die dagegen gerichtete Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. November 2010 – 2 C 16.09 -, juris Rn. 39), was wiederum grundsätzlich die vorherige (erfolglose) Durchführung des Widerspruchsverfahrens verlangt. Beide Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelfe hat der Kläger aber nicht erhoben. Gegen die Auswahlentscheidung selbst hat der Kläger lediglich einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gestellt, den er selbst am 8. Januar 2021 zurücknahm.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG. Da auch das Verfahren wegen Schadensersatzes wegen nicht erfolgter Ernennung die Verleihung eines anderen Amts betrifft, ist der Streitwert gemäß § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG die Hälfte des sich aus § 52 Abs. 6 Satz 1 bis 3 GKG ergebenden Betrags, also die Hälfte der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltfähiger Zulagen (vgl. § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG, vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 2020 – 2 B 39.19 -, juris Rn. 16). Der Streitwert berechnet sich damit aus dem zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblichen 6-fachen Wert der angestrebten Besoldungsgruppe B 4 LBesO LSA. Hieraus ergibt sich ein Streitwert in Höhe von 52.826,34 Euro (6 x 8.804,39 Euro), welcher nicht im Hinblick auf ein bloßes Neubescheidungsbegehren zu halbieren ist (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 15. April 2014 – 1 M 33/14 -, juris).


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