Verwaltungsrecht

Nutzungsuntersagung Wettbüro, Zwangsgeldandrohung

Aktenzeichen  9 ZB 19.1586

Datum:
9.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36719
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 2
VwZVG Art. 34

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 9 K 18.652 2019-07-10 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin ist Mieterin und Vermieterin von Räumen im Erdgeschoss des Anwesens F., FlNr. … Gemarkung T., im Stadtgebiet der Beklagten, in denen durch verschiedene B. GmbH‘s ein Wettbüro betrieben wurde/wird, was von der Beklagten mit teilweise bestandskräftigen Bescheiden untersagt wurde. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 4629 der Beklagten, der dort ein Kerngebiet unter Ausschluss von Vergnügungsstätten mit Ausnahme von Bars und Diskotheken ohne Darbietungen sexuellen Charakters, festsetzt. Mit Bescheid vom 21. März 2018 verpflichtete die Beklagte die Klägerin, dafür Sorge zu tragen, dass die Nutzung als Wettbüro im Erdgeschoss des Anwesens F. * beendet wird (Nr. 1 Satz 1), und ordnete an, dass eine Vermietung der Räumlichkeiten bzw. anderweitige Übergabe an Dritte für eine Nutzung als Wettbüro zu unterlassen ist (Nr. 1 Satz 2). Ferner wurde die sofortige Vollziehung mit einer Frist von einem Monat angeordnet (Nr. 1 Satz 3) und für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist ein Zwangsgeld in Höhe von 15.000 Euro angedroht (Nr. 2 des Bescheids vom 21. März 2018).
Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 10. Juli 2019 ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Nutzungsuntersagung rechtmäßig, das Vorhaben nicht offensichtlich genehmigungsfähig und auch die Zwangsmittelandrohung rechtmäßig sei. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Es liegen weder die von der Klägerin geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Rechtssache hat auch nicht die behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr.3 VwGO). Die geltend gemachte Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
Soweit die Klägerin die Beiziehung weiterer Gerichtsakten sowie Verwaltungsakten der Beklagten betreffend verschiedene Verfahren und Akteneinsicht in diese beantragt hat, ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht, dass diese entscheidungserheblich in Bezug auf die angefochtene Nutzungsuntersagung sein könnten. Den Anträgen war damit, soweit die Klägerin bzw. deren Bevollmächtigte nicht ohnehin teilweise in parallel anhängigen Streitverfahren Akteneinsicht erhalten hat, im Zulassungsverfahren nicht näher zu treten (vgl. BayVGH, Bv. 15.6.2021 – 9 ZB 19.50 – juris Rn. 10).
1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
a) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Erlass einer Nutzungsuntersagung grundsätzlich schon dann gerechtfertigt ist, wenn ein genehmigungspflichtiges Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird. Es hat ferner darauf abgestellt, dass eine rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht untersagt werden darf, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2021 – 9 CS 20.2376 – juris Rn. 13). Allein daraus, dass sich die Klägerin hier auf die unionsrechtlich gesicherte Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit (Art. 56, 49 AEUV) beruft, ergibt sich kein anderer Prüfungsmaßstab (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 ZB 18.2144 – juris Rn. 11). Das Verwaltungsgericht hat zudem ausgeführt, dass das Vorhaben auch im Falle der Unwirksamkeit des – Vergnügungsstätten ausschließenden – Bebauungsplans Nr. 4629 der Beklagten nicht offensichtlich genehmigungsfähig sei, da für eine Beurteilung nach § 34 Abs. 1 BauGB weitere Feststellungen und möglicherweise sogar eine Beweisaufnahme durch Augenschein erforderlich seien. Dem tritt die Klägerin, die u.a. selbst davon ausgeht, dass eine Abgrenzung insbesondere von Ladengeschäften, nicht störenden Gewerbebetrieben und Vergnügungsstätten angezeigt wäre, mit der nicht weiter dargelegten Behauptung, die Umgebung stelle ein Kerngebiet dar, nicht substantiiert entgegen.
b) Soweit die Klägerin ihre Inanspruchnahme als Adressatin der Nutzungsuntersagung beanstandet, bleibt der Antrag – unabhängig davon, wie die Ergänzung des Bescheids vom 21. März 2018 durch die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 21. Februar 2019 an das Verwaltungsgericht zu bewerten ist – ebenfalls erfolglos. Sie zeigt bereits nicht auf, dass ihre Inanspruchnahme nicht erforderlich gewesen wäre, um eine effektive Beseitigung des bau- und ordnungswidrigen Zustands zu erreichen. Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat die Beklagte auch eine Störerauswahl vorgenommen, indem die Klägerin – wie im Bescheid vom 21. März 2018 angeführt – zusätzlich als mitverantwortliche Störerin in Anspruch genommen wurde. Hieraus ergibt sich jedenfalls kein Ermessensmangel gegenüber der Klägerin, da es im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, wenn mehrere Störer gleichrangig in Anspruch genommen werden (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 ZB 19.50 – juris Rn. 26).
c) Schließlich ist auch die Zwangsgeldhöhe nicht zu beanstanden. Da der Bescheid vom 21. März 2018 Ausführungen zum Zwangsmittel enthält, ist nicht von einem Ermessensausfall auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 ZB 19.50 – juris Rn. 7). Bei der Bestimmung der Höhe des Zwangsgeldes ist nach Art. 31 Abs. 2 Satz 4 VwZVG das wirtschaftliche Interesse des Pflichtigen zu schätzen. Um den nötigen Nachdruck zu erzielen, soll das Zwangsgeld so bemessen werden, dass der Pflichtige keinen Vorteil aus der Nichterfüllung der Anordnung ziehen kann. Hierbei steht der Behörde innerhalb des gesetzlichen Rahmens (15 Euro bis 50.000 Euro) ein weiter Entscheidungsspielraum zu, bei dem die Umstände des Einzelfalls und die persönlichen Verhältnisse des Pflichtigen zu berücksichtigten sind. Eine besondere Begründung für die geschätzte Höhe des wirtschaftlichen Interesses ist regelmäßig nicht erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2010 – 1 CS 10.1803 – juris Rn. 23). Das Verwaltungsgericht hat hierzu auf den sich aus Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG ergebenden Rahmen sowie den Umfang der durchgeführten unzulässigen Nutzung hingewiesen. Die unterschiedliche Höhe festgesetzter Zwangsgelder gegenüber Betreibern, Eigentümern, Mietern sowie Vermietern sowie die Berücksichtigung verschiedener Verfahrensstufen ist hierbei regelmäßig nicht zu beanstanden (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 ZB 19.2484 – juris Rn. 23).
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die im Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen lassen sich, soweit sie entscheidungserheblich sind, zweifelsfrei im Zulassungsverfahren klären. Besondere Schwierigkeiten im Sinn offener Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens haben sich nach den obigen Ausführungen nicht ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 15.2637 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Die Rechtssache weist keine entscheidungserheblichen Fragen auf, die in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereiten, sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren herausheben (vgl. BayVGH, B.v. 2.2.2021 – 9 ZB 18.1513 – juris Rn. 12 m.w.N.). Dies gilt sowohl für die unionsrechtlichen Einwände der Klägerin als auch für die Einstufung der ausgeübten und untersagten Nutzung als Wettbüro. Die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und die Klägerin genügt nicht, besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten zu begründen (BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 9 ZB 18.2339 – juris Rn. 17 m.w.N.).
3. Die Rechtssache hat nicht die von den Klägern geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2019 – 9 ZB 18.1261 – juris Rn. 17). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Hinsichtlich der aufgeworfenen Fragen nach den „unionsrechtlichen Auswirkungen stadtweiter Planungspolitik im Glücksspielbereich“, der gewerberechtlichen Behördenpraxis im Bereich der Spielhallen und ihren Auswirkungen auf das Baurecht, dem Offensichtlichkeitsgrundsatz und den „Anforderungen an eine zur Vermeidung des Willkürvorwurfs notwendige konzeptionelle Aufsichtspraxis im Spannungsfeld staatlicher und privater Wettanbieter“ fehlt es bereits an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Soweit die Klägerin darüber hinaus noch die Abgrenzungskriterien für Vergnügungsstätten und Ladengeschäfte bei Wettvermittlungsstellen klären lassen möchte, ist von ihr nicht dargelegt, inwiefern durch das vorliegende Verfahren fallübergreifende Fragen aufgeworfen werden, die sich auf der Grundlage der bisher ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung nicht oder nicht mit der erforderlichen Sicherheit beantworten lassen (vgl. BVerwG, B.v. 24.11.2020 – 9 B 58.19 – juris Rn. 6).
4. Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.
Der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21.16 – juris Rn. 5). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt.
Im Hinblick auf die von der Klägerin – auch an verschiedenen Stellen des Zulassungsvorbringens – benannten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Januar 2012 (Az. 7 C 6.11) und 20. Juni 2013 (Az. 8 C 46.12) legt diese jeweils keinen divergierenden Rechtssatz des Verwaltungsgerichts dar, sondern zielt auf dessen Subsumtion des konkreten Falles ab. Die Rüge einer lediglich fehlerhaften Rechtsanwendung, einer abweichenden Beurteilung des Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht oder einer Ergebnisdivergenz vermag eine Divergenzrüge aber nicht zu begründen (vgl. BVerwG, B.v. 6.4.2016 – 1 B 22.16 – juris Rn. 7).
Soweit das Zulassungsvorbringen zahlreiche Entscheidungen des EuGH anführt, gehört der Gerichtshof schon nicht zu den in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO benannten Gerichten. Sofern bis zu einer Umsetzungsentscheidung eines divergenzfähigen Gerichts von einer Regelungslücke auszugehen wäre, fehlt es jedenfalls an der hinreichenden Darlegung einander sich widersprechender Rechtssätze (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2021 – 1 B 2.21 – juris Rn. 9).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit dieser Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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