Verwaltungsrecht

Offensichtlich unbegründete Asylklage eines marokkanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  Au 4 K 17.33684

Datum:
12.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 843
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Lediglich exponierte Verfechter einer unabhängigen Westsahara sind Repressionen durch den marokkanischen Staat ausgesetzt. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist offensichtlich unbegründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) offensichtlich keinen Anspruch auf Asyl, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 8. Juni 2017 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
Die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet mit der Folge der Unanfechtbarkeit der Entscheidung setzt voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei diesem Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsaufassung die Abweisung der Klage für das Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 12.7.1983 – 1 BvR 1470/82 – BVerfGE 65, 76/95 ff.; U.v. 11.12.1985 – 2 BvR 361/83 – BVerfGE 71, 276/293 ff.). Diese Grundsätze gelten nicht nur für das in Art. 16a Abs. 1 GG verankerte Asylgrundrecht und für Verfahren, die auf internationalen Schutz nach § 3 AsylG und § 4 AsylG gerichtet sind (zur Vorgängervorschrift des § 60 Abs. 1 AufenthG vgl. BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146/148), sondern auch für Klagen, soweit sie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zum Gegenstand haben (BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – NVwZ 2007, 1046).
Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für internationalen Schutz offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Aus den Gründen muss sich klar ergeben, weshalb dieser Ausspruch in Betracht kommt, insbesondere, warum der Asylantrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 3.9.1996 – 2 BvR 2353/95 – BayVBl 1997, 15; BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris Rn. 27).
1. Der Kläger hat offensichtlich keinen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16aGG.
Dies liegt schon allein daran, dass der Kläger nach eigenen Angaben auf dem Landweg und damit über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 Grundgesetz (GG) kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen durch Gesetz zu bestimmenden Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger hat angegeben, über Österreich eingereist zu sein. Da somit alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland entweder aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft oder aufgrund der Anlage I zu § 26 a AsylG sichere Drittstaaten sind, hat jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, den Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat verwirklicht (BVerwG, U.v. 7.11.1995, Inf AuslR 1996, 152). Auf den genauen Reiseweg kommt es dabei nicht an.
2. Die Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zuerkennung der Eigenschaft eines Flüchtlings i.S.v. § 3 AsylG und § 60 Abs. 1 AufenthG liegen beim Kläger offensichtlich nicht vor (§ 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Ein unbegründeter Asylantrag ist dabei bereits dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn das Vorbringen des Ausländers offenkundig den Tatsachen nicht entspricht (§ 30 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 AsylG). Dies ist der Fall, wenn der Widerspruch zu bekannten und anderweitig gesicherten Fakten deutlich zu Tage tritt (VG Düsseldorf BeckRS 2016, 41607). Danach genügt es nicht, wenn einzelne seiner Sachangaben nicht besonders wahrscheinlich erscheinen (VG Düsseldorf BeckRS 2016, 41607; sa VG München BeckRS 2016, 55045). Tatsachen sind konkrete Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die einer Beweiserhebung grundsätzlich zugänglich sind. Dies können auch innere Tatsachen, wie etwa persönliche Vorstellungen, politische Ansichten oder Absichten des Antragstellers sein; nicht hingegen künftige Ereignisse, sondern allenfalls deren gegenwärtigen Grundlagen (vgl. Heusch in BeckOK, AsylG, Stand 1.11.2017 – § 30 Rn. 39). Ein Vortrag ist auch dann als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist (§ 30 Abs. 3 Nr. 1 Alt.1 AsylG). Das Gericht kann dabei auch die Begründung des Bescheides für die offensichtliche Unbegründetheit auswechseln (vgl. VG München, B. v. 29.8.2013 – M 24 S. 13.30753 – juris Rn. 27).
a) Die gerichtliche Beweisaufnahme hat ergeben, dass die vom Kläger vorgelegte gerichtliche Entscheidung, wonach er in Abwesenheit zu fünf Jahren Haft verurteilt worden sei, mit großer Wahrscheinlichkeit gefälscht ist und damit eine Verurteilung offenkundig den Tatsachen nicht entspricht. Es bestehen erhebliche Zweifel an der Echtheit des der Fotokopie zugrunde liegenden Originaldokuments, da Unterschiede zu üblichen marokkanischen Urteilen deutlich zutage treten. Die Fotokopie weist bezüglich der Formalien zahlreiche Auffälligkeiten auf. Wappen und Siegel am rechten Rand sind in die Länge gezogen, normalerweise sind die Löwen des Wappens gedrungener, und das Siegel ist exakt rund. Das Datum stimmt nicht mit dem üblichen arabischen Format überein, es müsste lauten: 2016– 20.12. Das Urteil ist nicht durch den Vorsitzenden Richter und den Urkundsbeamten unterschrieben. Auf der rechten Seite befindet sich ein Beglaubigungsstempel („Kopie stimmt mit Original überein“). Diese muss nach marokkanischem Recht zwingend unterschrieben werden. Vorliegend ist kein Grund ersichtlich, warum der Verwaltungsbeamte zwar den Stempel aufgebracht, aber nicht unterschrieben hat. Eine Rechtsbehelfsbelehrung:bzw. die Feststellung, dass das Urteil unanfechtbar ist, fehlt ebenfalls. Das Urteil erfüllt weiterhin nicht die Anforderungen des Art. 365 des Strafprozessgesetzes. Es fehlen unter anderem die Geburtsdaten und Nummern der Personalausweise (CIN) der Angeklagten, das Datum der Vorladung der Angeklagten, die Namen des Richters, der Beisitzer, der Staatsanwalt, des rechtlichen Beistand der Angeklagten, des Urkundsbeamten, Tathergang und Tatbeteiligung der Angeklagten mit Ort und Datum sowie die Nennung von Zeugen und gegebenenfalls Sachverständigen. Die Straftatbestände sind genannt, es fehlt aber die Nennung des jeweiligen Artikels des Strafgesetzes. Ungewöhnlich ist der Bezug auf ein Dekret des Königs (Nr. 1 –03– 140), welches lediglich die Veröffentlichung des Gesetzes 03 –03 zum Inhalt hat. Das Gesetz 03– 03 ergänzt das marokkanische Strafgesetz und Strafprozessrecht um neue Regelungen zur Bekämpfung des Terrorismus. Diese Regelungen waren zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs bereits in das Strafgesetz inkorporiert, sodass auf das Strafgesetzbuch hätte Bezug genommen werden müssen. Zudem fällt auf, dass beide Angeklagten zu exakt identischen Strafen verurteilt wurden, ohne dass ihre Tatbeteiligung im Einzelnen aufgeführt und eine entsprechende einzelfallbezogenen Tatwürdigung vorgenommen wurde. Nach Kenntnis des Auswärtigen Amts hat zu dem ausschließlich Berufungsgericht in Rabat – Salé National Zuständigkeit für Anklagen wegen Terrorismus (vgl. Auskunft Auswärtiges Amt an das Verwaltungsgericht Augsburg vom 4.12.2017). Hinzu kommt, dass nach der Auskunftslage ein Marokkaner für eine offizielle Ausreise einen Reisepass benötigt, der am Grenzübergang gestempelt wird. Der Stempel dokumentiert gleichzeitig, dass der Betroffene in Marokko nicht zur Strafverfolgung ausgeschrieben ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 10. März 2017, S. 24). Eine Strafverfolgung des Klägers kann damit offenkundig nicht den Tatsachen entsprechen.
b) Des Weiteren entspricht es offenkundig nicht den Tatsachen, dass es auch im Jahre 2012 Massenproteste der Bevölkerung in der Gegend um Gdim Izig gegeben habe. Dem Auswärtige Amt liegen hierzu keine vor Ort gewonnenen Informationen vor (vgl. Auskunft Auswärtiges Amt vom 4.12.2017). Im Gegenteil ist nach allen verfügbaren Informationen allein bekannt, dass es diese Proteste zu einer anderen Zeit (2010) und mit weitaus weniger protestierenden Sahraouis gegeben hat. Die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2017, wonach 100.000 Menschen am Camp teilgenommen hätten, entbehren jeder Grundlage. Das Gericht verweist insoweit auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 3. November 2016 (A 9 S 303/15), welches sich mit den beschriebenen Ereignissen auseinandergesetzt hat. Danach wurde das Protestlager bereits im Oktober 2010 eine längere Zeit betrieben, ehe es am 8./9. November 2010 gestürmt und geräumt wurde. In einer Information des Bundesamtes – Informationszentrum Asyl und Migration – heißt es zu den Vorkommnissen: „Zwischen dem 8. und 9. November 2010 kam es zu Zusammenstößen zwischen marokkanischen Sicherheitskräften und sahrauischen Zivilisten in Gdim Izik, einem Wüstengebiet 16 km von Al Aaiun entfernt, wo 20.000 Sahrauis friedlich für eine Verbesserung ihrer sozialen und ökonomischen Situation demonstrierten. Dabei wurden 4.500 Menschen verletzt, 2.000 festgenommen“ (Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Der Westsaharakonflikt, Juni 2014). In Presseberichten war auch von bis zu 14.000 Protestcamp-Teilnehmern (taz vom 23.10.2010), geschätzten 15.000 Bewohnern des Zeltlagers (NZZ vom 05.11.2010) beziehungsweise mehr als 10.000 demonstrierenden Saharauis (FAZ vom 10.11.2010) die Rede. Die Zeltstadt sei zunächst von marokkanischen Truppen umstellt worden, die Zugang und Versorgung kontrolliert hätten (FAZ vom 10.11.2010). Ein Jugendlicher sei getötet worden, nachdem das Fahrzeug, dessen Insasse er gewesen sei, an einem Kontrollpunkt nicht angehalten habe (FAZ vom 10.11.2010). Mit einer großangelegten Operation hätten marokkanische Sicherheitskräfte das Lager schließlich unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern angegriffen und zum Teil niedergebrannt. Die Saharauis hätten mit Molotowcocktails und Schlagstöcken geantwortet. Polizisten seien erstochen, gesteinigt oder verbrannt worden (FAZ vom 10.11.2010). Die Zahl der ums Leben gekommenen Sicherheitskräfte wurde später mit acht beziffert, während die Polisario von mindestens elf getöteten Saharauis sprach (FAZ vom 11.11.2010). Die Sicherheitskräfte versuchten durch Ausgangssperren, Zugangssperren für ausländische Journalisten sowie Repressalien gegen die Anführer der Demonstranten die Lage zu „stabilisieren“ (FAZ vom 11.11.2010) (vgl. zu allem VGH Mannheim, U.v. 3.11.2016 – A 9 S 303/15 – juris Rn. 39). Hätte es derart große Massenproteste auch im Jahre 2012 gegeben, wäre hierüber sicherlich berichtet worden.
c) Sowohl widersprüchlich als auch offenkundig den Tatsachen nicht entsprechend ist zudem folgender Punkt: Bei der Anhörung vor dem Bundesamt Dezember 2016 hatte der Kläger angegeben, mit seinem marokkanischen Reisepass in die Türkei geflogen zu sein. Er habe den Reisepass beantragt und nach einer Woche auch erhalten. In der mündlichen Verhandlung am 18. August 2017 äußerte der Kläger, dass er erst im Juni 2014 ausgereist sei. Es habe elf Monate lange gedauert, den Pass zu erhalten, nachdem er ihn beantragt habe. Dieser Widerspruch ist unauflöslich und steht zudem diametral der Aussage des Auswärtigen Amtes entgegen, wonach im Normalfall ein Reisepass bei vollständigem Antrag nach einer Bearbeitungsdauer von ca. zehn Tagen erteilt wird (vgl. Auskunft Auswärtiges Amt an das Verwaltungsgericht Augsburg vom 4.12.2017).
d) Damit war nicht einmal mehr eine weitergehende Einordnung der politischen Aktivitäten des Klägers in seinem Heimatland notwendig. Selbst wenn jedoch eine Teilnahme des Klägers an bestimmten Protesten im Gebiet der Westsahara unterstellt würde, so würde dies alleine und ohne weiteres noch nicht für eine Flüchtlingsanerkennung nach § 3 AsylG ausreichen. Eine Verfolgungsgefahr für den Kläger lässt sich nicht aus den allgemeinen Verhältnissen betreffend Sahraouis in Marokko ableiten.
Hierzu lässt sich – bezugnehmend auf den VGH Mannheim – dem Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschieberelevante Lage im Königreich Marokko vom 25.01.2016, Stand: Dezember 2015, – soweit hier von Bedeutung – entnehmen:
„Meinungs- und Pressefreiheit sind ausgeprägt und werden in Anspruch genommen. Allerdings bestehen rechtliche Einschränkungen: Die Überschreitung „roter Linien“ (Person und Rolle des Königs, Islam als Staatsreligion, territoriale Integrität (Westsahara)) wird strafrechtlich geahndet. Einschränkungen der Versammlungs- und Vereinsfreiheit betreffen insbesondere diese Bereiche (Lagebericht, S. 4). … Staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen. Insbesondere gibt es keine Berichte zu extralegalen Tötungen, Verschwinden von Personen oder willkürlichen Verhaftungen. Offiziell und rechtlich gibt es keine politischen Gefangenen in Marokko (Lagebericht, S. 7). Mit Sanktionen für sich und teilweise auch seine Angehörigen muss jedoch rechnen, wer bei den verfassungsrechtlich geschützten und strafrechtlich bewehrten Tabuthemen Rolle der Monarchie, Islam als Staatsreligion und territoriale Integrität (gemeint ist die Zugehörigkeit der völkerrechtlich umstrittenen Westsahara zu Marokko) die offizielle Linie in Frage stellt. Marokkanische NROen sind der Auffassung, dass Strafverfahren zu anderen Tatbeständen (z.B. Ehebruch, Steuervergehen) oftmals nur als Deckmantel zur Verfolgung oder Einschüchterung politisch Andersdenkender sowie kritischer Journalisten dienen (Lagebericht, S. 8). … Kundgebungen in der Westsahara, die die Zugehörigkeit des Gebiets zu Marokko in Frage stellen, werden immer aufgelöst, auch unter Gewaltanwendung gegenüber den Demonstranten. NROen, die im Verdacht stehen, sich für die Unabhängigkeit der Westsahara einzusetzen, haben generell einen schwierigen Stand (Lagebericht, S. 9). … Nach dem Abzug der spanischen Kolonialmacht besetzte Marokko 1975 das südlich angrenzende Territorium der Westsahara, das nach marokkanischer Auffassung Teil des Staatsgebietes ist. Etwa 80.000 Sahraouis (Einwohner der Westsahara) flüchteten daraufhin 1976 nach Algerien (Tindouf), gründeten dort eine Exilregierung und führten mit Unterstützung Algeriens und Libyens bis 1991 einen Guerillakrieg gegen die marokkanischen Streitkräfte. Am 6. September 1991 schlossen Marokko und die Befreiungsbewegung Frente Polisario einen durch die VN vermittelten Waffenstillstand. Seitdem gibt es keinen offenen bewaffneten Konflikt mehr. Im weit überwiegenden Teil der Westsahara übt Marokko die effektive Staatsgewalt aus. Die Vereinten Nationen bemühen sich bislang ohne Erfolg, die Parteien zu einer Einigung über die Zukunft des Gebietes zu bewegen. Sahraouis genießen innerhalb Marokkos uneingeschränkte Bewegungsfreiheit. Mit Ausnahme von Polisario-Angehörigen und Personen, die sich für die Unabhängigkeit der Westsahara einsetzen, können sie Pässe erhalten und das Land verlassen. Auch Kontakte zu westlichen politischen Beobachtern und Botschaftsvertretern sind möglich. Die Behörden überwachen die politische Betätigung von Sahraouis allerdings enger als die anderer marokkanischer Staatsangehöriger. Sympathisanten der Polisario bzw. politisch aktive Unterstützer der Unabhängigkeit der Westsahara werden immer wieder schikaniert. Polizei und paramilitärische Einheiten gehen unvermindert gegen Personen vor, die der Unterstützung der Unabhängigkeit des Territoriums oder der Polisario verdächtigt werden (Lagebericht, S. 16).“
Bereits der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hatte entschieden, dass unter diesen Umständen lediglich exponierte Verfechter einer unabhängigen Westsahara – unter Umständen auch asylrelevanten – Repressionen durch den marokkanischen Staat ausgesetzt sein können (VGH Mannheim, U.v. 3.11.2016 – A 9 S 303/15 – juris Rn. 41 –43). Nach dem Vortrag des Klägers zu urteilen fällt dieser allerdings nicht unter diese Gruppe. Wäre er tatsächlich Mitglied des Polisario, hätte er nach der Auskunftslage das Land gar nicht erst verlassen können, noch einen Reisepass beantragen können. Er hat zudem selbst angegeben, keine übergeordnete Funktion bei den Polisario innezuhaben.
Eine Verfolgungsgefahr resultiert auch nicht daraus, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wird. Dies ist in Marokko nicht strafbar und wird nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 10. März 2017, S. 22).
e) Somit steht zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) fest, dass der Kläger sein Herkunftsland nicht wegen begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat und dass sein Vortrag offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechen kann (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Der Aussagewert der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Augsburg vom 4. Dezember 2017 steht nicht in Zweifel. Selbst wenn das Königreich Marokko schärfere Strafen als auf Grundlage des Art. 267-5 des marokkanischen Strafgesetzbuches am 19. Juli 2017 gegen insgesamt 23 Personen im Zusammenhang mit den Unruhen im Protestcamp verhängt haben mag, bedeutet das noch nicht, dass dadurch die gerichtliche Einschätzung zur Verfolgungsintensität von Bewohnern der Westsahara und des Klägers infrage gestellt wird. Die Urteile betreffen namentlich nicht näher bekannte Angeklagte und gerade nicht den Kläger. Der Kläger hat selbst angegeben, bei den Protesten keine größere Rolle gespielt zu haben. Eine Verfolgungsgefahr des Klägers lässt sich aus diesen härteren Urteilen allein nicht ablesen. Ebenfalls ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass die Westsahara derart unzugänglich ist, dass nicht nach Jahren einer Niederschlagung von Protesten, hier konkret aus dem Jahr 2012, diese der Öffentlichkeit bekannt werden. Der Vortrag, dass alle Studierenden in Agadir oder Marrakesch verfolgt würden, entbehrt jeder Grundlage. Hierfür wird nochmals die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Augsburg vom 4. Dezember 2017 bemüht (Antwort auf Fragen 9 und 10). Bessere Forschungsmittel sind nicht greifbar.
3. Im Hinblick auf den Antrag auf Gewähr von subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) ergibt sich nichts anderes. Der Kläger hat auch offensichtlich keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Abschiebung nach Marokko ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht. Plausible Anhaltspunkte dafür gibt es nach dem Gesagten nicht. Gerade im Gegenteil liegt ein widersprüchlicher Vortrag vor, der weitgehend offenkundig nicht den Tatsachen entspricht (s.o.). Insoweit wird auf den Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls offensichtlich nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend zu § 60 Abs. 7 AufenthG ausgeführt: Soweit der Kläger ein medizinisches Attest vorlegt, welches ihm Palpitationen und Hashimoto-Thyreoditis bescheinigt, ist eine zielstaatsbezogene Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 ff. AufenthG nicht anzunehmen. Eine „erhebliche konkrete Gefahr“ durch eine zielstaatsbezogene Verschlimmerung einer Erkrankung ist nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, gegeben (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG); Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Entsprechend der Gesetzesbegründung zu der mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. 2016 I, 390 ff.) eingeführten Präzisierung in den Sätzen 2 bis 4 wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen. Eine solche schwerwiegende Erkrankung wurde hier ärztlicherseits nicht diagnostiziert. Es ist nicht einmal eine Dauermedikation erforderlich.
5. Auch die weiteren Nebenentscheidungen wie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG erweisen sich als rechtmäßig. Insoweit wird auf den Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Damit war die Klage im Ergebnis mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 AsylG).


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