Verwaltungsrecht

Patent, Bescheid, Wiedereinsetzung, Verwertungsgesellschaft, Verfahren, Urheberrecht, Akteneinsicht, Internet, Amtshandlung, Schiedsstelle, Glaubhaftmachung, Frist, Markenamt, Aufhebung, gerichtliche Entscheidung, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Antrag auf Wiedereinsetzung

Aktenzeichen  102 VA 119/21

Datum:
22.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35536
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Gegen Entscheidungen der beim DPMA gebildeten Schiedsstelle nach dem VGG ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG statthaft.

Tenor

I. Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist gewährt.
II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
III. Der Geschäftswert wird auf 250.000,00 € festgesetzt.
IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Verwertungsgesellschaften (vgl. § 2 des Gesetzes über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaften, Verwertungsgesellschaftengesetz – VGG vom 24. Mai 2016 [BGBl. I S. 1190]) sind grundsätzlich verpflichtet, aufgrund der von ihnen wahrgenommenen Urheberrechte und verwandten Schutzrechte jedermann auf Verlangen zu angemessenen Bedingungen Nutzungsrechte einzuräumen (Einzelverträge, vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 VGG) und über die von ihnen wahrgenommenen Rechte mit Nutzervereinigungen Gesamtverträge zu angemessenen Bedingungen abzuschließen (vgl. § 35 VGG). Erzielen die Beteiligten keine Einigung, können sie die beim Deutschen Patent- und Markenamt gebildete (vgl. § 124 Abs. 1 i. V. m. § 75 Abs. 1 VGG) Schiedsstelle anrufen (vgl. § 92 Abs. 1 Nr. 1 VGG für Einzelverträge und § 92 Abs. 1 Nr. 3 VGG für Gesamtverträge), die einen Einigungsvorschlag unterbreitet (vgl. § 105 Abs. 1 VGG); dieser gilt als angenommen und eine dem Inhalt des Vorschlags entsprechende Vereinbarung als zustande gekommen, wenn ihm von den Parteien nicht fristgerecht widersprochen wird (vgl. § 105 Abs. 3 VGG). Eine Klage auf Abschluss eines Nutzungsvertrags ist erst zulässig, wenn ein Verfahren vor der Schiedsstelle vorausgegangen oder nicht innerhalb einer bestimmten Frist abgeschlossen worden ist (vgl. § 128 Abs. 1 Satz 1 VGG).
Die Antragstellerin ist ein Telekommunikationsunternehmen, das bundesweit Telefonie- und Internetdienstleistungen für Privatkunden sowie kleine und mittlere Geschäftskunden anbietet. Neben dem Angebot von Telefonie- und Internetzugängen betreibt sie eine Plattform zur IP-basierten Weiterverbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen auf der Grundlage ihrer eigenen, geschlossenen Netzinfrastruktur auf der Netzebene 3. Sie ist Mitglied des Branchenverbands ANGA Verband Deutscher Kabelnetzbetreiber e. V. (im Folgenden: ANGA).
Die an den Ausgangsverfahren beteiligte Verwertungsgesellschaft der privaten Hörfunk- und Fernsehsender (im Folgenden: Verwertungsgesellschaft) nimmt die Urheber- und Leistungsschutzrechte für die Weitersendung der von ihr vertretenen privaten Fernseh- und Radiosender sowie zahlreicher Verlagsunternehmen wahr. Seit 2003 bestand zwischen ihr und dem ANGA ein Gesamtvertrag über die Einräumung von Kabelweitersendungsrechten.
Seit 2010 bestand zwischen ihr und der Antragstellerin ein Einzelvertrag über die Kabelweitersendung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen. Nach Kündigung des Vertrags durch die Verwertungsgesellschaft zum 31. Dezember 2017 konnten die ehemaligen Vertragspartner keine Einigung über die Höhe der ab dem 1. Januar 2018 zu entrichtenden Vergütung erzielen; sie schlossen daher eine Interimsvereinbarung.
Am 13. Dezember 2017 veröffentlichte die Verwertungsgesellschaft eine Neufassung ihres Tarifs „Weitersendung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen“ mit Gültigkeit vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Oktober 2019 (im Folgenden: Tarif „Weitersendung [2018]“), den sie im Oktober 2019 durch einen Tarif mit Gültigkeit ab dem 1. November 2019 (im Folgenden: Tarif „Weitersendung [2019]“) ersetzte.
Bereits 2018 hatte der ANGA vor der Schiedsstelle ein Gesamtvertragsverfahren (SchUrh 04/18, im Folgenden: ANGA-Verfahren) gegen die Verwertungsgesellschaft eingeleitet. Darin wurde um die angemessene Vergütung und weitere Lizenzbedingungen für die Weitersendung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen durch Mitglieder des ANGA für die Zeit ab dem 1. Januar 2018 gestritten. Mit Einigungsvorschlag vom 21. Dezember 2020 schlug die Schiedsstelle den dortigen Beteiligten einen Gesamtvertrag vor. Der Einigungsvorschlag ist mit Unkenntlichmachungen auf der Internetseite der Schiedsstelle abrufbar (https://www.dpma.de/docs/dpma/schiedsstelle_vgg/sch_urh_04-18_ev_21122020.pdf). Diesem Einigungsvorschlag widersprachen beide Seiten.
Die Antragstellerin leitete gegen die Verwertungsgesellschaft vor der Schiedsstelle ein Verfahren ein (Az. Sch-Urh 12/18) und beantragte festzustellen, dass die Tarife „Weitersendung (2018)“ und „Weitersendung (2019)“ auf ihre Produkte unanwendbar seien – hilfsweise, dass diese Tarife unangemessen seien – sowie dass ein auf ihre Produkte anwendbarer und angemessener Tarif bestimmte, von ihr näher angegebene Elemente aufweise.
Am 16. Februar 2021 erließ die Schiedsstelle einen Einigungsvorschlag (vgl. Anl. AST 5). Danach seien die Tarife „Weitersendung (2018)“ und „Weitersendung (2019)“ auf die Produkte der Antragstellerin anwendbar, soweit diese die IP-basierte Weitersendung von linearem Fernsehen beträfen, jedoch nicht angemessen. In der Begründung des Einigungsvorschlags nahm die Schiedsstelle mehrfach Bezug auf ihren Einigungsvorschlag im ANGA-Verfahren. Auch diesem Einigungsvorschlag widersprachen beide Seiten.
Mit Schriftsatz vom 24. März 2021 (Anl. AST 9) hat die Antragstellerin bei der Schiedsstelle beantragt, ihr Einsicht in die gesamte Akte des ANGA-Verfahrens zu gewähren. Zur Begründung hat sie sich darauf berufen, ein erhebliches rechtliches Interesse an der Akteneinsicht zu haben. Sowohl im ANGA-Verfahren als auch in ihrem eigenen Verfahren gehe es um die angemessene Vergütung und weitere Lizenzbedingungen für die Weitersendung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen, für die die Verwertungsgesellschaft gegenüber dem ANGA und ihr gleichlaufende Forderungen geltend mache. In dem in ihrem Verfahren unterbreiteten Einigungsvorschlag nehme die Schiedsstelle an vielen Stellen auf den Einigungsvorschlag im ANGA-Verfahren Bezug; teilweise führe sie sogar aus, sie erspare sich unter Verweis auf das ANGA-Verfahren Ausführungen im Verfahren der Antragstellerin. Die Akteneinsicht sei rechtlich erforderlich, damit sie – die Antragstellerin – den Inhalt und die Hintergründe des Einigungsvorschlags in ihrem eigenen Verfahren umfassend nachvollziehen könne, insbesondere ob der Sachverhalt des ANGA-Verfahrens mit dem ihres Verfahrens identisch sei. Außerdem bedürfe sie der Akteneinsicht, um die Argumentation in beiden Verfahren vergleichen zu können und auch insofern den ihr gegenüber ergangenen Einigungsvorschlag zu prüfen. Ihre Rechte seien aufgrund des ihr unterbreiteten Einigungsvorschlags und der Bezugnahmen darin auf das ANGA-Verfahren unmittelbar berührt; ein entgegenstehendes Interesse der Verwertungsgesellschaft oder des ANGA sei nicht ersichtlich.
Die Verwertungsgesellschaft hat beantragt, das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 14. Mai 2021 (Anl. AST 1) hat die Schiedsstelle den Antrag auf Einsichtnahme in die Akte des ANGA-Verfahrens zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie Folgendes ausgeführt:
Sie treffe ihre Entscheidung nach § 95 VGG i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO. Zwar sei der im früheren Recht enthaltene Verweis auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung für die Gestaltung des Verfahrens vor der Schiedsstelle entfallen; das bedeute jedoch nicht, dass sie sich im Rahmen des ihr durch § 95 VGG eingeräumten Ermessens nicht trotzdem an diesen Vorschriften orientieren dürfe, soweit das sachgerecht erscheine. Da das Verwertungsgesellschaftengesetz keine besondere Regelung zur Akteneinsicht in die bei ihr geführten Verfahren enthalte, ergehe die Entscheidung in Anlehnung an die Regelung des § 299 Abs. 2 ZPO, da eine vergleichbare Interessenlage bestehe.
Als Dritter i. S. d. § 299 Abs. 2 ZPO könne der Antragstellerin Akteneinsicht nur gewährt werden, wenn und soweit sie ein rechtliches Interesse daran glaubhaft mache, da wegen des Widerspruchs der Verwertungsgesellschaft die Einwilligung aller betroffenen Beteiligten nicht vorliege.
An dieser Glaubhaftmachung fehle es. Der im Verfahren der Antragstellerin ergangene Einigungsvorschlag sei vollständig inhaltlich begründet und aus sich heraus schlüssig. Die Verweise auf den im ANGA-Verfahren ergangenen Einigungsvorschlag dienten der weiteren Begründung der Entscheidung. Die Verweise könnten ohne weiteres in dem veröffentlichten Einigungsvorschlag zum ANGA-Verfahren nachgelesen werden. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, inwiefern eine darüberhinausgehende Einsicht in die komplette Akte des ANGA-Verfahrens der Verbesserung ihrer Rechtsstellung dienen könnte. Soweit sie anführe, die Argumentationen in beiden Verfahren vergleichen zu wollen, werde auf die beiden Einigungsvorschläge verwiesen. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern es für die subjektive Rechtsposition der Antragstellerin von Belang sein könnte, ob die Sachverhalte in beiden Verfahren identisch seien oder nicht. Maßgeblich sei die rechtliche Bewertung des konkreten Sachverhalts, wie sie sich aus dem ihr gegenüber ergangenen Einigungsvorschlag ergebe. Der pauschale Vortrag, eine Einsicht in die Akten des Parallelverfahrens sei erforderlich, um den Inhalt und die Hintergründe des Einigungsvorschlags umfassend nachvollziehen zu können, komme vielmehr einem Ausforschungsantrag gleich. Ein nur allgemeines Ausforschungsinteresse begründe aber kein rechtliches Interesse i. S. d. § 299 Abs. 2 ZPO. Die Antragstellerin lasse offen, welche Informationen oder Unterlagen genau sie benötige, um ihre rechtlichen Interessen zu wahren oder zu verbessern. Unklar bleibe auch, in welchen Punkten sie eine Verbesserung ihrer Rechtsposition mittels Einsicht in die Akten des Parallelverfahrens verfolgen wolle. Allein die Tatsache, dass auch dem Parallelverfahren ein Streit über die angemessene Vergütung für die Weitersendung zugrunde liege und dieselbe Antragsgegnerin beteiligt sei, rechtfertige aus sich heraus noch keine umfassende Einsicht in die gesamte Verfahrensakte des Parallelverfahrens, zumal es sich dort um ein Gesamtvertragsverfahren gehandelt habe, dem umfangreiche Vertragsentwürfe zugrunde gelegen hätten, während sich das Verfahren der Antragstellerin auf eine Überprüfung der Anwendbarkeit und Angemessenheit der betreffenden Tarife bezogen habe. Mangels glaubhaft vorgebrachten rechtlichen Interesses sei eine Interessenabwägung nicht erforderlich gewesen.
Die in diesem Beschluss enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung weist auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG hin, der an das Oberlandesgericht München zu richten sei.
Gegen den ihr am 1. Juni 2021 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin zunächst mit Schriftsatz vom 1. Juli 2021 Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Oberlandesgericht München gestellt, wo der Schriftsatz am selben Tag eingegangen ist. Nachdem das Oberlandesgericht die Antragstellerin darauf hingewiesen hat, dass das Bayerische Oberste Landesgericht für die Entscheidung über Anträge nach § 23 Abs. 1 EGGVG zuständig sei, stellt die Antragstellerin mit an das Bayerische Oberste Landesgericht gerichtetem Schriftsatz vom 7. Juli 2021, dort am selben Tag eingegangen, Antrag auf gerichtliche Entscheidung und Wiedereinsetzung. Zur Begründung ihres Antrags auf gerichtliche Entscheidung führt sie Folgendes aus:
In dem in ihrem Verfahren ergangenen Einigungsvorschlag werde insgesamt zwölfmal auf den ANGA-Einigungsvorschlag, das ANGA-Verfahren und das Vorbringen der Beteiligten in jenem Verfahren im Zusammenhang mit der Angemessenheit der Bemessungsgrundlage und dem Vergütungssatz verwiesen. Darüber hinaus seien seitenweise ganze Textpassagen wortgleich übernommen. Die Einbindung des ANGA-Verfahrens und des dort ergangenen Einigungsvorschlags einschließlich des Vortrags der dort Beteiligten in den Einigungsvorschlag in ihrem Verfahren sei derart umfangreich, dass die Schiedsstelle im Ergebnis ihre Überlegungen zum ANGA-Verfahren und zum dortigen Vortrag der Beteiligten sowie ihren dortigen Einigungsvorschlag fast vollständig in den Einigungsvorschlag in ihrem Verfahren inkorporiert habe. Faktisch übernehme die Schiedsstelle das ANGA-Verfahren, den dortigen Einigungsvorschlag und das dortige Vorbringen der Beteiligten in den Einigungsvorschlag in ihrem Verfahren, ohne allerdings sie, die Antragstellerin, auf den gleichen Kenntnisstand zu bringen, wie ihn die Verwertungsgesellschaft als an beiden Verfahren Beteiligte habe. Auch ihr Status als Mitglied des ANGA biete ihr keine Möglichkeit, die Akten des von diesem geführten Verfahrens einzusehen.
Der durch die Schiedsstelle im Internet veröffentlichte ANGA-Einigungsvorschlag, auf den sie die Schiedsstelle verweise, reiche nicht aus, um die Bezugnahmen und Verweise in dem in ihrem Verfahren ergangenen Einigungsvorschlag nachvollziehen und bewerten zu können. Denn der im Internet veröffentlichte ANGA-Einigungsvorschlag sei in Bezug auf alle dafür erforderlichen Angaben „geschwärzt“ und weise insgesamt über 325 eingefügte Lücken auf. Die Informationen, die die Grundlage der Entscheidung der Schiedsstelle bildeten, insbesondere deren Sachkunde, blieben damit geheim.
Sie werde den Tarif der Verwertungsgesellschaft, insbesondere die darin geforderten Vergütungen, gerichtlich überprüfen lassen und seit dem 1. Januar 2018 unter Vorbehalt gezahlte Vergütungen zurückfordern. In einem solchen Klageverfahren könnten die Gerichte den ihr gegenüber ergangenen Einigungsvorschlag nicht einfach übergehen, denn der Bundesgerichtshof attestiere der Schiedsstelle eine besondere Sachkunde in Bezug auf die Überprüfung der Anwendbarkeit und Angemessenheit von Tarifen, da sie wesentlich häufiger als Gerichte mit der Überprüfung von Tarifen befasst sei. Ein „überzeugend begründeter Einigungsvorschlag der Schiedsstelle“ habe daher „eine gewisse Vermutung der Angemessenheit für sich“. Wenn aber ein Einigungsvorschlag im Rahmen eines Klageverfahrens gegen die Verwertungsgesellschaft auf Rückzahlung unter Vorbehalt gezahlter Vergütungen, bei dem es um die Anwendbarkeit und die Angemessenheit des Tarifs gehe, solche rechtlichen Wirkungen zu ihren Lasten entfalten könne und die Schiedsstelle in dem sie betreffenden Einigungsvorschlag in vielfältiger Hinsicht auf das ANGA-Schiedsstellenverfahren und den dortigen Vortrag der Beteiligten Bezug nehme sowie seitenweise den ANGA-Einigungsvorschlag wortgleich wiederhole, müsse ihr Einsicht in die Akte des ANGA-Schiedsstellenverfahrens gewährt werden, um die mögliche Vermutungswirkung des Einigungsvorschlags entkräften zu können und auch um diesbezüglich nicht gegenüber der Verwertungsgesellschaft benachteiligt zu sein. Die der Schiedsstelle vom Bundesgerichtshof zugesprochene Sachkunde dürfe schließlich keine „Geheimkunde“ sein, die sich der Kenntnis der Beteiligten – und der entscheidenden Gerichte – entziehe. Nur einer Sachkunde, die für beide Parteien und die Gerichte transparent und nachvollziehbar sei, dürfe eine rechtliche Wirkung zugesprochen werden. Dies gelte umso mehr, wenn es – wie in der Auseinandersetzung zwischen ihr und der Verwertungsgesellschaft – um die 102 VA 119/21 – Seite 8 – Rückzahlung überhöhter Vergütungen in Höhe von jährlich mehreren Millionen Euro gehe.
Durch die Nichtgewährung der Akteneinsicht werde sie in Rechten aus Art. 12 und Art. 14 GG sowie aus Art. 3, Art. 103 und Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Auch der Grundsatz der Waffengleichheit sei verletzt; denn während sie – wenn überhaupt – nur lückenhafte Kenntnis vom Parteivortrag im ANGA-Verfahren und der dort vorgebrachten Argumentation habe, die von der Schiedsstelle zur Grundlage der Entscheidung im Verfahren der Antragstellerin gemacht würden, habe die Verwertungsgesellschaft als Beteiligte an beiden Verfahren einen umfassenden Überblick und könne sich die Lücken in ihrer – der Antragstellerin – Kenntnis so in einem etwaigen anschließenden Gerichtsverfahren zunutze machen. Die Schiedsstelle habe ihren Antrag zwar zutreffend am Maßstab des § 299 Abs. 2 ZPO gemessen, dann aber verkannt, dass sie – die Antragstellerin – ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht habe; deshalb habe die Schiedsstelle zu Unrecht keine Interessenabwägung mehr vorgenommen.
Die Antragstellerin beantragt,
ihr Wiedereinsetzung in die am 1. Juli 2021 abgelaufene Antragsfrist zu gewähren;
die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses der Schiedsstelle vom 14. Mai 2021 anzuweisen, ihr Einsichtnahme in die Verfahrensakte SchUrh 04/18 zu gewähren;
hilfsweise: die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses der Schiedsstelle vom 14. Mai 2021 anzuweisen, ihr Einsichtnahme in die Verfahrensakte Sch-Urh 04/18 unter Ausnahme der Teile, die Geschäftsgeheimnisse seien, zu gewähren;
weiter hilfsweise: die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses der Schiedsstelle vom 14. Mai 2021 anzuweisen, ihren Antrag auf Bewilligung von Einsichtnahme in die Verfahrensakte Sch-Urh 04/18 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.
I. Er ist zulässig.
1. Gegen den Bescheid ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gemäß § 23 Abs. 1 EGGVG eröffnet.
a) Nach dieser Vorschrift entscheiden die ordentlichen Gerichte auf Antrag über die Rechtmäßigkeit der Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten unter anderem auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts getroffen werden.
Eine solche Maßnahme liegt vor, wenn die in Rede stehende Amtshandlung in Wahrnehmung einer Aufgabe vorgenommen wird, die der jeweiligen Behörde als ihre spezifische Aufgabe auf diesem Gebiet zugewiesen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2007, IV AR [VZ] 6/07, NJW-RR 2008, 717 Rn. 11 m. w. N.).
b) Danach stellt die Entscheidung der Schiedsstelle über die Gewährung oder Versagung der Einsicht in Akten der vor ihr geführten Verfahren eine Maßnahme einer Justizbehörde auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts i. S. d. § 23 EGGVG dar.
aa) Bei dem Verfahren vor der Schiedsstelle handelt es sich nicht um eine rechtsprechende Tätigkeit, die den Gerichten vorbehalten ist (Art. 92 GG) und nicht der Überprüfung im Verfahren gemäß §§ 23 ff. EGGVG unterliegt, sondern um ein solches vor einem Verwaltungsorgan (vgl. BT-Drs. 10/837 S. 24; Freudenberg in BeckOK Urheberrecht, 31. Ed. Stand: 1. Mai 2021, VGG § 124 Rn. 1; Staats in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 5. Aufl. 2019, VGG § 124 Rn. 2; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, VGG § 124 Rn. 1; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 2016, 1 BvR 1567/16, juris Rn. 10; BGH, Urt. v. 26. November 2013, X ZR 3/13 – Profilstrangpressverfahren, GRUR 2014, 357 Rn. 25 f. [zur ebenfalls beim Deutschen Patent- und Markenamt errichteten Schiedsstelle nach dem Gesetz über Arbeitnehmererfindungen]).
bb) Nach der Wertung des Gesetzgebers ist das Verfahren vor der Schiedsstelle als ein solches der Justizverwaltung anzusehen.
Das ergibt sich aus der Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, nach der das Verwaltungsverfahrensgesetz nicht auf das Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt und den bei diesem errichteten Schiedsstellen gilt. Grund für die Ausnahme ist, dass diese Verfahren justizförmig geregelt sind und einen mit anderen Verwaltungsgebieten nicht vergleichbaren Bereich der Justizverwaltung betreffen (vgl. BT-Drs. 7/910 S. 33 re. Sp.). Die Begründung des Entwurfs für ein Verwaltungsverfahrensgesetz spricht zwar an dieser Stelle nur von einer Ausnahme für das Patentrecht, der Gesetzeswortlaut nennt indes die bei dem – damals so genannten – Deutschen Patentamt errichteten Schiedsstellen in der Mehrzahl und erfasst damit auch die – neben der Schiedsstelle nach dem Gesetz über Arbeitnehmererfindungen – bereits bei der Schaffung des Verwaltungsverfahrensgesetzes bestehende Schiedsstelle nach dem Urheberrechtswahrnehmungsgesetz vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1294), deren Einrichtung und Verfahren seit dem 1. Juni 2016 in den §§ 92 ff. VGG geregelt sind.
Der Charakter als Justizverwaltungsverfahren erstreckt sich auch auf das Nebenverfahren über die Einsicht in entsprechende Akten der Schiedsstelle (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 21. November 2016, 10 AV 1/16, BVerwGE 156, 320 Rn. 9; BGH, Beschluss vom 27. November 2013, III ZB 59/13, BGHZ 199, 159 Rn. 12 a. E.).
cc) Das Verfahren vor der Schiedsstelle hat urheberrechtliche Ansprüche zum Gegenstand und ist damit dem Gebiet des bürgerlichen Rechts i. S. d. § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG zuzuordnen. Denn dieser Begriff umfasst auch Sondergebiete des Privatrechts, wie die ausdrückliche Einbeziehung des Handelsrechts zeigt; mithin unterfällt ihm auch das Urheberrecht (vgl. auch Pabst in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, GVG § 13 Rn. 7 zum Begriff der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit in § 13 GVG), weil es die Rechtsbeziehungen Privater im Gleichordnungsverhältnis regelt.
2. Die Antragstellerin rügt auch in ausreichender Weise, durch die Versagung der Akteneinsicht in ihrem Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch verletzt zu sein.
3. Der Zulässigkeit des Antrags steht die Versäumung der Einlegungsfrist nicht entgegen, weil gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 EGGVG Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
a) Der das gerichtliche Verfahren einleitende Schriftsatz vom 7. Juli 2021 ist erst nach Ablauf der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG und somit verspätet bei dem im ersten Rechtszug zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen. Denn die einmonatige Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG war mit dem Ablauf des 1. Juli 2021 verstrichen. Dass die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft ist, ändert am Fristbeginn und -ablauf nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2003, IX ZB 36/03, NJW-RR 2004, 408 [juris Rn. 7 ff.]).
b) Der Antragstellerin ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die Versäumung der Frist ihre Ursache darin hat, dass die Rechtsbehelfsbelehrung inhaltlich unrichtig ist und zugunsten der anwaltlich vertretenen Antragstellerin einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.
aa) Die Rechtsbehelfsbelehrung in dem angegriffenen Beschluss ist inhaltlich fehlerhaft, weil sie das Gericht, bei dem der Antrag auf gerichtliche Entscheidung anzubringen ist, unrichtig bezeichnet.
Die ausschließliche sachliche Gerichtszuständigkeit für Verfahren über die Anfechtung von Justizverwaltungsakten auf den in § 23 Abs. 1 EGGVG genannten Gebieten folgt aus § 25 EGGVG. In Bezug auf in Bayern belegene Justizverwaltungsbehörden ergibt sich aus der seit dem 1. Februar 2019 geltenden Bestimmung in Art. 12 Nr. 3 BayAGGVG, mit der von der Konzentrationsermächtigung des § 25 Abs. 2 EGGVG Gebrauch gemacht worden ist, die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts anstelle der Oberlandesgerichte München, Nürnberg und Bamberg. Bei diesem Gericht ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG anzubringen.
Deshalb ist die Angabe in der Rechtsbehelfsbelehrung des angegriffenen Beschlusses unzutreffend, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei an das Oberlandesgericht München zu richten.
bb) Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19. August 2021, 102 VA 56/21, juris Rn. 38 m. w. N.) ist im Streitfall gegeben.
cc) An der Versäumung der Frist trifft die Antragstellerin kein Verschulden.
Das Fehlen des Verschuldens an der Fristversäumung wird gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 EGGVG vermutet, wenn die Fristversäumung ihren Grund darin hat, dass in dem Bescheid der Justizverwaltung eine Belehrung über die Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung sowie über das Gericht, bei dem er zu stellen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Form und Frist unterblieben oder unrichtig erteilt ist.
Durch die unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung ist ein Vertrauenstatbestand dahin geschaffen worden, dass der Antrag beim Oberlandesgericht München wirksam und unter Einhaltung der Frist gestellt werden könne.
Dass die Antragstellerin anwaltlich vertreten ist und sich ein anwaltliches Verschulden nach § 11 Satz 5 FamFG i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste, ändert daran nichts. Auch ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich auf die Richtigkeit einer (behördlich) erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Belehrung gesetzlich vorgeschrieben ist oder nicht; denn durch eine Rechtsbehelfsbelehrung:, deren Unrichtigkeit für einen Rechtsanwalt nicht ohne weiteres, das heißt nicht ohne nähere Rechtsprüfung erkennbar ist, wird auch für ihn ein Vertrauenstatbestand geschaffen. Der inhaltlich fehlerhaften, aber nicht offensichtlich unrichtigen Belehrung darf ein Rechtsanwalt vertrauen, so dass er sich mangels konkreter entgegenstehender Umstände nicht veranlasst sehen muss, sich mit der einschlägigen gesetzlichen Regelung und ihrer Interpretation durch Rechtsprechung und Literatur näher zu befassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19. August 2021, 102 VA 56/21, juris Rn. 44 m. w. N.). Nach diesem auch im Streitfall anzulegenden Maßstab durfte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin auf den Inhalt der Belehrung vertrauen. Sie entsprach bis zum 31. Januar 2019 der Rechtslage; ihre Unrichtigkeit ist deshalb nicht offenkundig. Dass von einem Anwalt, der ein Mandat annimmt, Kenntnis der Grundzüge des jeweiligen Verfahrensrechts erwartet werden kann und muss (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Mai 2021, 101 VA 44/21, juris Rn. 32 m. w. N.), rechtfertigt keine andere Bewertung.
dd) Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind gegeben, insbesondere hat die Antragstellerin die Wiedereinsetzung innerhalb der Zweiwochenfrist des § 26 Abs. 3 Satz 1 EGGVG beantragt und gleichzeitig ihren Antrag auf gerichtliche Entscheidung nachgeholt.
II. In der Sache ist der Rechtsbehelf unbegründet.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 VGG bestimmt die Schiedsstelle das Verfahren nach billigem Ermessen, soweit dieses Gesetz keine abweichenden Regelungen enthält. Danach hat sie über die Gewährung von Akteneinsicht nach billigem Ermessen zu entscheiden, da das Verwertungsgesellschaftengesetz insoweit keine Sonderregelungen kennt. Dieses Ermessen hat die Schiedsstelle vorliegend sowohl bei der Bestimmung des Ermessensmaßstabs als auch bei dessen Anwendung auf das Akteneinsichtsersuchen der Antragstellerin fehlerfrei ausgeübt.
1. Nicht zu beanstanden ist die Entscheidung der Schiedsstelle, über das Akteneinsichtsersuchen in Anlehnung an die Regelung des § 299 Abs. 2 ZPO zu befinden. Die Übernahme des in dieser Vorschrift enthaltenen Entscheidungsprogramms ist sachgerecht, weil die zu regelnden Sachverhalte vergleichbar sind; wie im Zivilprozess sind von der Schiedsstelle gegenläufige Interessen der Beteiligten in einem justizförmigen Verfahren zum Ausgleich zu bringen. Auch die Antragstellerin erinnert nichts gegen die entsprechende Anwendung des § 299 Abs. 2 ZPO.
2. Die Zurückweisung des Akteneinsichtsgesuchs auf der Grundlage der Vorschrift des § 299 Abs. 2 ZPO ist rechtsfehlerfrei erfolgt.
a) Nach dieser Vorschrift setzt die Gewährung von Akteneinsicht für Dritte ohne Einwilligung der Parteien voraus, dass ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird, und steht im Ermessen der aktenführenden Stelle.
aa) Im Streitfall fehlt es an der Einwilligung der Parteien, da die Verwertungsgesellschaft als Beteiligte an dem Verfahren, dessen Akten die Antragstellerin einsehen will, dem Einsichtsgesuch entgegengetreten ist.
bb) Das deshalb erforderliche rechtliche Interesse hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.
(1) Die Annahme eines rechtlichen Interesses setzt voraus, dass persönliche Rechte des Antragstellers durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand für die rechtlichen Belange des Antragstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2020, IX AR [VZ] 2/19, NZI 2021, 123 Rn. 14; BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2021, 102 VA 66/21, juris Rn. 26; Beschluss vom 24. Oktober 2019, 1 VA 92/19, NZI 2020, 491 Rn. 22 [juris Rn. 27] jeweils m. w. N.).
(2) Daran fehlt es im Streitfall. Insbesondere beruft sich die Antragstellerin ohne Erfolg darauf, dass die Bezugnahmen in dem Einigungsvorschlag der Schiedsstelle in ihrem Verfahren auf den Einigungsvorschlag im ANGA-Verfahren ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht begründeten.
(a) Zwar hat ein überzeugend begründeter Einigungsvorschlag der Schiedsstelle eine gewisse Vermutung der Angemessenheit für sich, weil die Schiedsstelle wesentlich häufiger als die Gerichte mit Gesamtvertragsverfahren und der Überprüfung von Tarifen befasst und daher besonders sachkundig ist (vgl. BGH, Urt. v. 20. März 2013, I ZR 84/11 – Gesamtvertrag Hochschul-Intranet, GRUR
2013, 1220 Rn. 21; Urt. v. 25. Oktober 2012, I ZR 162/11 – Covermount, GRUR 2013, 717 Rn. 18; Urt. v. 27. Oktober 2011, I ZR 175/10 – Bochumer Weihnachtsmarkt, GRUR 2012, 715 Rn. 22; Urt. v. 27. Oktober 2011, I ZR 125/10 – Barmen live, GRUR 2012, 711 Rn. 18; Urt. v. 5. April 2001, I ZR 132/98 – Gesamtvertrag privater Rundfunk, GRUR 2001, 1139 [juris Rn. 64, 82]; vgl. auch vgl. BT-Drs. 10/837, S. 12 u. BGH, Urt. v. 1. April 2021 I ZR 45/20 – Gesamtvertrag USB-Sticks und Speicherkarten, GRUR 2021, 1181 Rn. 50). Abweichungen von einem solchen Vorschlag müssen daher gleichfalls überzeugend begründet werden (vgl. BGH GRUR 2013, 1220 – Gesamtvertrag Hochschul-Intranet Rn. 21).
Die Vermutungswirkung entfällt jedoch, wenn der Einigungsvorschlag nicht aufzeigt, dass die ihm zugrundeliegenden Annahmen eine verlässliche tatsächliche Grundlage haben; dann kann nicht von einer überzeugenden Begründung gesprochen werden (vgl. etwa BGH GRUR 2013, 1220 – Gesamtvertrag Hochschul-Intranet, Rn. 21).
Einem Einigungsvorschlag kann daher eine Vermutung der Angemessenheit nur zukommen, wenn er aus sich heraus tragfähig begründet ist; dazu kann auch auf veröffentlichte Teile anderer Einigungsvorschläge Bezug genommen werden. Sind dagegen die tatsächlichen Grundlagen des Einigungsvorschlags weder in diesem selbst dargelegt noch den veröffentlichten Teilen der in Bezug genommenen anderen Einigungsvorschläge zu entnehmen, so fehlt es an einer überzeugenden Begründung.
(b) Davon ausgehend kann die Antragstellerin aus den Bezugnahmen in dem sie betreffenden Einigungsvorschlag auf den ANGA-Einigungsvorschlag kein rechtliches Interesse herleiten.
Dass sich in beiden Einigungsvorschlägen textgleiche Passagen befinden mögen, ist insoweit gänzlich ohne Belang.
Soweit sich die Bezugnahmen auf solche Teile des ANGA-Einigungsvorschlags beziehen, die die Schiedsstelle ohne Unkenntlichmachungen veröffentlicht hat, bedarf die Antragstellerin nicht der Kenntnis des Inhalts der Akte des ANGA-Verfahren zur Begründung einer Abweichung von dem sie betreffenden Einigungsvorschlag.
Soweit sich dagegen der sie betreffende Einigungsvorschlag auf im ANGA-Einigungsvorschlag dargestellte Umstände bezieht, die dessen veröffentlichter Fassung nicht entnommen werden können, fehlt es dem Einigungsvorschlag an einer überzeugenden Begründung, so dass er insoweit im Rahmen der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen keine rechtlichen Wirkungen zeitigt. Damit fehlt es auch in diesem Fall an einem rechtlichen Interesse der Antragstellerin an der Einsicht in die Akte des ANGA-Verfahrens.
(3) Da die Schiedsstelle zutreffend davon ausgegangen ist, dass der Antragstellerin kein rechtliches Interesse zur Seite steht, begegnet es auch keinen Bedenken, dass sie auf eine Interessenabwägung verzichtet hat.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil die Antragstellerin die gerichtlichen Kosten des Verfahrens bereits nach den gesetzlichen Bestimmungen zu tragen hat (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 19 GNotKG i. V. m. § 22 Abs. 1 GNotKG).
Die nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 19, § 3 Abs. 1 und 2 GNotKG i. V. m. Nr. 15300 KV GNotKG erforderliche Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 36 Abs. 1 GNotKG. Der Senat bemisst den Geschäftswert auf ein Zehntel des Werts des Interesses der Antragstellerin, dessen Förderung das Einsichtsgesuch dient (vgl. BayObLG, Beschluss vom 27. Januar 2021, 101 VA 168/20, juris Rn. 10, 17). Bei dessen Bemessung legt der Senat die Festsetzung des Streitwerts für das Verfahren vor der Schiedsstelle auf 2.500.000,00 € zugrunde.
Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, liegen nicht vor.


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