Verwaltungsrecht

Personen mit jüdischer Religionszugehörigkeit sind in der Ukraine keiner Verfolgung ausgesetzt

Aktenzeichen  W 6 K 17.31239

Datum:
20.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146410
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 5, § 3b Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Antisemitische Vorfälle sind in der Ukraine seit Jahren rückläufig und bewegen sich auf einem stabilen niedrigen Niveau. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 3. März 2017 nicht rechtswidrig ist und die Kläger dadurch (schon deswegen) nicht in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 5 VwGO). Denn die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder Asylanerkennung gemäß Art. 16a Abs. 1 GG (1.). Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG bzw. auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (2.).
1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S. des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S. des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 -, BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 -, BVerwGE 1979, 143 f.).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asyl- bzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 -, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Entgegen der Darstellung in der Klagebegründung haben die Kläger keine Verfolgungshandlungen in ihrem Herkunftsland zu befürchten.
Die Tatsache dass sich der Ehemann der Klägerin zu 1) bzw. der Vater des Klägers zu 2) der Heranziehung zum Wehrdienst entzogen hatte, führt zu keiner begründeten Furcht vor Verfolgung der Kläger im hier zu entscheidenden Verfahren. Zwar wurde vorgetragen, dass die Klägerin zu 1) ihren Ehemann dahingehend unterstützt habe, dass sie ein Schreiben an das Militärkommissariat verfasst habe, in dem sie der Einziehung ihres Ehemannes widersprochen hatte, da es sich nach ihrer Auffassung bei dem bewaffneten Konflikt in der Ostukraine nicht um einen Krieg im eigentlichen Sinne gehandelt habe. Die Schlussfolgerung, dass sie sich durch diese Aussage politisch positioniert und wegen Beihilfe zur Wehrdienstentziehung strafrechtliche Konsequenzen zu fürchten habe, ist aus Sicht des Gerichts nicht haltbar. Eine konkrete politische Positionierung ist schon nicht erkennbar und wurde nicht näher vorgetragen. Auch wenn es als glaubhaft unterstellt werden kann, dass die Klägerin zu 1) ein solches Schreiben mit dem Inhalt, dass ihr Ehemann nicht Militärdienst leisten würde, an das Militärkommissariat geschickt hat, erschließt sich nicht, weshalb sie deswegen wegen Beihilfe zur Wehrdienstentziehung gesucht werden würde. Dies gilt schon deshalb, weil sich im ukrainischen Strafgesetzbuch lediglich Regelungen mit Strafandrohung nur für den Wehrdienstverweigerer selbst finden. Zum anderen hat die Klägerin selbst in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass ihr Ehemann die Mitteilung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Wehrdienstentziehung erhalten habe, und sogar eine Geldbuße in Höhe von drei Monatsgehältern zu zahlen hatte, jedoch gegen die Klägerin zu 1) selbst nicht ermittelt wurde (vgl. Niederschrift, S. 3). Eine zeitliche Verzögerung kommt insoweit auch nicht in Betracht, weil ihr Ehemann im März 2014 die erste Ladung vom Wehrdienstamt bekommen hatte, sie jedoch mit ihrer Familie erst im September 2015 nach Deutschland ausgereist war. Wenn sich die Klägerin zu 1) folglich wie behauptet strafbar gemacht hätte, so wäre jedenfalls auch gegen sie ermittelt worden. Auch gab die Klägerin zu 1) an, dass sie bei ihrer Rückkehr in die Ukraine nur befürchten würde, dass die Angestellten vom Militärkommissariat ihre neue Adresse erfahren würden und dann alles von vorn beginnen würde. Obwohl sie nach wie vor Kontakt zu ihrer Mutter zu haben scheint, die ihr darüber berichtete, dass Vertreter des Militärkommissariats sogar bei der Mutter der Klägerin zu 1) vorstellig geworden seien, wurde hier auch nichts vorgetragen, dass ein etwaiges Strafverfahren gegen die Klägerin zu 1) eröffnet worden sei. Das Gericht kommt nach Würdigung des Sachverhaltes zu der Überzeugung, dass der Klägerin zu 1) keine strafrechtlichen Konsequenzen im Falle einer Rückkehr in die Ukraine drohen.
Das Vorbringen in der Klagebegründung, der Kläger zu 2) würde in der Ukraine aufgrund seiner jüdischen Religionszugehörigkeit Verfolgungshandlungen ausgesetzt sein, greift nicht durch. Zum einen ist anzumerken, dass die genauen Umstände, die der Kläger zu 2) im Kindergarten möglicherweise erlebt hat, unklar sind, da der 2011 geborene Kläger zu 2) mit seinen – bei der Ausreise – vier Jahren denklogisch nicht dieselben Wahrnehmungen wie ein Erwachsener haben und sich insbesondere nicht so deutlich ausdrücken kann. Zum anderen ist das Gericht jedenfalls der Auffassung, dass wenn es Vorfälle im Kindergarten gegeben habe, diese lediglich mit dieser konkreten Erzieherin zu tun haben und es sich nicht um eine systematische Diskriminierung handelt. Die Tatsache, dass der Kläger zu 2) nicht in eine andere Gruppe verlegt werden konnte, um dadurch aus dem Einflussbereich dieser einen Erzieherin zu gelangen, erklärte die Klägerin zu 1) selbst in der mündlichen Verhandlung damit, dass bei diesem Kindergarten keine andere Gruppe vorhanden war, in der ihr Sohn hätte betreut werden können. In einem anderen Kindergarten hätten sie keinen Platz gefunden. Auch aus der Aussage der Leiterin des Kindergartens, diese Erzieherin sei die beste, die sie habe, könne noch nicht gefolgert werden, dass die Leiterin etwaiges Mobbing des Klägers zu 2) gutgeheißen hätte oder zumindest untätig geblieben wäre. Zwar spricht die Klagebegründung davon, dass nach der allgemeinen Auskunftsklage Personen mit jüdischer Religionszugehörigkeit Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt seien (Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 28. April 2017, S. 2), unterlässt es aber, hierfür konkrete Nachweise vorzulegen. Da jedoch die allgemeine Auskunftslage das genaue Gegenteil aussagt, nämlich dass antisemitische Vorfälle seit Jahren rückläufig seien und sich auf einem stabilen niedrigen Niveau bewegten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 7.2.2017, S. 8), wäre erforderlich gewesen, hier weitere Nachweise vorzulegen. Der pauschale Verweis im letzten Schriftsatz vom 19. Dezember 2017 auf Vorfälle wie den Brandbombenanschlag auf eine Synagoge in Lviv am 30. Juni 2017, eignet sich mangels Sachzusammenhangs zum hiesigen Verfahren nicht als solcher Nachweis. Am Rande ist darauf hinzuweisen, dass der seit April 2014 amtierende Premierminister der Ukraine jüdischer Religionszugehörigkeit ist.
Da es an Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG fehlt, scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus. Nachdem die Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllen, liegen die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG ebenfalls nicht vor.
2. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf subsidiären Schutz berufen.
Die Ausführungen der Kläger vermögen eine subsidiäre Schutzberechtigung nicht zu begründen; stichhaltige Gründe i.S. von § 4 AsylG wurden nicht vorgebracht. Im Übrigen sind auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG), sowie auf die Ausführungen unter (1.) verwiesen.
Im Hinblick auf den Einwand, dass bei einer Rückkehr der Kläger in die Ukraine der (sich momentan noch in Deutschland befindliche) Ehemann der Klägerin zu 1) den gemeinsamen Sohn nicht mehr sehen könnte, sei angemerkt, dass es sich hierbei um kein zielstaatsbezogenes Hindernis handelt und somit nicht Gegenstand dieses Verfahrens sein kann. Darüber hinaus wird auf § 43 Abs. 3 AsylG verwiesen.
Die vorgetragenen Integrationsbemühungen und Integrationsleistungen der Kläger verdienen sicherlich Anerkennung, sind jedoch für die Entscheidung über die Zuerkennung von flüchtlingsrechtlichem Schutz ohne Belang.
3. Daher sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in die Ukraine rechtmäßig. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung bestehen keine Bedenken. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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