Verwaltungsrecht

Polizeiliche Aufforderung zur Löschung von Lichtbildern

Aktenzeichen  M 7 K 17.2116

Datum:
6.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1978
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 11 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Nr. 3
VwGO § 43 Abs. 1, § 113 Abs. 1 S. 4

 

Leitsatz

1. Der Begriff des berechtigten Interesses ist bei einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO genauso auszulegen wie bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO; es ist deshalb insoweit nicht entscheidungserheblich, ob gegenüber dem Kläger eine polizeiliche Anordnung in Form eines Verwaltungsaktes ergangen ist (ebenso BayVGH BeckRS 2015, 46454 Rn. 7).  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein schutzwürdiges Rehabilitationsinteresse ist anzunehmen, wenn die begehrte Feststellung, dass der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig war, als „Genugtuung“ und/oder zur Rehabilitierung erforderlich ist, weil der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte und sich aus ihm eine objektive Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen ergeben hat, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder in seinem sozialen Umfeld herabzusetzen und in der Gegenwart noch fortbesteht (vgl. BayVGH BeckRS 2015, 46454 Rn. 13). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Stellt ein polizeiliches Handeln nach Intensität und Nachhaltigkeit schon keinen gewichtigen Grundrechtseingriff dar, kommt es für ein berechtigtes (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse nicht mehr darauf an, ob es sich möglicherweise um einen Eingriffsakt handelt, der wegen seiner typischerweise kurzfristigen Erledigung kaum einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden kann (ebenso BayVGH BeckRS 2017, 105395 Rn. 10 mwN). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Anscheinsgefahr, bei der zwar objektiv die Schadensneigung fehlt, die Gefahreinschätzung aber dem aufgrund verständiger Würdigung der erkennbaren Umstände getroffenen Urteil eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Amtswalters entspricht, steht einer objektiven Gefahr gleich und genügt deshalb als Anlass zum polizeilichen Einschreiten so lange, bis über die wirkliche Sachlage Klarheit geschaffen ist (vgl. BayVGH BayVBl. 1993, 429). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Dies Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Eine Entscheidung in der Sache ohne vorhergehende mündliche Verhandlung war nach § 101 Abs. 2 VwGO zulässig, da beide Parteien auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.
Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Das Gericht weist vorab darauf hin, dass seine örtliche Zuständigkeit aus der Regelung des § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO folgt, nicht hingegen aus § 52 Nr. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 52 Nr. 5 VwGO unter Anknüpfung an den Wohnort des Klägers. Das Gericht folgt nicht der Ansicht des Verwaltungsgerichts Bayreuth (vgl. B.v. 5.11.2018 – B 1 K 17.313), welches bei einer Klage gegen eine polizeiliche Maßnahme (Identitätsfeststellung) die Regelung des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO für einschlägig hält, da die handelnde Behörde in jedem Fall für mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke, nämlich für das ganze bayerische Staatsgebiet zuständig sei. Dem steht bereits entgegen, dass es sich bei dem handelnden Polizeivollzugsbeamten nicht um eine „Behörde“ im Sinne des Verwaltungsverfahrensrechts handelt.
Die Klage, die sich ausschließlich auf die Feststellung richtet, dass die „am … Mai 2016 angeordnete Löschung von Fotos auf dem Handy des Klägers“ rechtswidrig war, ist bereits unzulässig. Dem Kläger fehlt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung das erforderliche Feststellungs- bzw. Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
Erforderlich ist hierfür ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung und nicht nur einen abstrakter Klärungsbedarf. Der Begriff des berechtigten Interesses ist bei einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO genauso auszulegen wie bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Damit ist es auch nicht entscheidungserheblich, ob gegenüber dem Kläger – was vorliegend streitig ist – eine polizeiliche Anordnung in Form eines Verwaltungsaktes ergangen ist (vgl. auch BayVGH, B.v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.629 – juris Rn. 7).
Für ein berechtigtes Interesse im Sinn eines Feststellungs- bzw. Fortsetzungsfeststellungsinteresses ist grundsätzlich jedes nach vernünftigen Erwägungen nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art ausreichend (vgl. BVerwG, U.v. 12.9.1989 – 1 C 40.88 – juris Rn. 10; BVerwG, B.v. 11.11.2009 – 6 B 22.09 – juris Rn. 4). Nach der Rechtsprechung kann sich ein solches Interesse insbesondere aus den Gesichtspunkten der konkreten Wiederholungsgefahr, der Rehabilitierung, der schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung sowie der Präjudizwirkung für einen beabsichtigten Schadensersatzanspruch ergeben. Die gerichtliche Feststellung muss geeignet sein, die betroffene Position des Klägers zu verbessern (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 27.15 – juris Rn. 3; U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 7.3.2018 – 3 BV 16.2040 – juris Rn. 28). Dabei obliegt es dem jeweiligen Kläger, die Umstände darzulegen, aus denen sich sein Feststellungsinteresse ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.1991 -1 C 42.90 – juris Rn. 13; Schmidt in Eyermann, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 85; BayVGH, B.v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.632).
Ein (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse folgt zunächst nicht aus der Fallgruppe der Präjudizialität. Denn nach dieser Fallgruppe besteht ein solches Interesse, wenn die Feststellung für die Geltendmachung von Ansprüchen aus Amtshaftung nach Art. 34 GG, § 839 BGB oder von sonstigen Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen erheblich ist und ein entsprechender Prozess mit hinreichender Sicherheit zu erwarten und nicht offensichtlich aussichtslos ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.8.1987 – 4 C 31.86 – juris Rn. 13 m.w.N.). Dies gilt jedoch nur, wenn die Erledigung erst nach Klageerhebung eingetreten ist. Nur dann rechtfertigt der bereits entfaltete prozessuale Aufwand die Fortführung der Anfechtungsklage, da die ordentlichen Gerichte ohne Weiteres von sich aus in der Lage sind, im Rahmen eines vor ihnen geltend gemachten Anspruchs aus Amtshaftung bzw. sonstiger Schadensersatzansprüche die Rechtswidrigkeit der Maßnahme festzustellen. Somit besteht im – vorliegenden – Fall einer Erledigung vor Klageerhebung kein Bedürfnis, die Feststellung der Rechtwidrigkeit der im Streit stehenden polizeilichen Maßnahme vor dem Verwaltungsgericht geltend zu machen.
Ein schützenswertes (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse folgt hier auch nicht aus der Fallgruppe der Wiederholungsgefahr. Erforderlich ist eine hinreichend bestimmte Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut eine gleichartige Maßnahme ergehen wird. Ist ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt der betreffenden Maßnahme, so kann ein Feststellungsinteresse nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.629 – juris Rn. 8 m.w.N.). Eine solch hinreichend bestimmte Gefahr ist im konkreten Fall jedoch nicht ersichtlich und wurde vom Kläger auch nicht dargelegt. So wurde nicht vorgetragen und es bestehen im Übrigen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger auf die von ihm aufgenommenen Fotos von dem Polizeigebäude und den Überwachungskameras in irgendeiner Weise angewiesen wäre bzw. er beabsichtigen würde, diese erneut anzufertigen. So hat der Kläger das Ergebnis seiner Recherchen bereits im Jahr 2016 in seinem Bericht „DE/Realität des Terrors – Eine stadträumliche Dokumentation von Blickachsen an ehemaligen Lebensmittelpunkten der Opfer des NSU Terrors“ (vgl. https://movements-journal.org/issues/03.rassismus/02.hielscher-de-realitaet.des.terrors.html, abgerufen zuletzt am 14. Januar 2019) mit Fotodokumentation und somit vor Klageerhebung veröffentlicht. Von einer hinreichend bestimmten Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne kann daher derzeit nicht ausgegangen werden.
Weiterhin kann sich der Kläger auch nicht auf ein (Fortsetzungs-) Feststellungsinteresse aus der Fallgruppe des Rehabilitationsbedürfnisses berufen. Danach besteht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, wenn ein Rehabilitierungsinteresse bei vernünftiger Würdigung der Umstände des Einzelfalls als schutzwürdig zu erachten ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 113 Rn. 142). Dies ist der Fall, wenn die begehrte Feststellung, dass der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig war, als „Genugtuung“ und/oder zur Rehabilitierung erforderlich ist, weil der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte und sich aus ihm eine objektive Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen ergeben hat (vgl. BVerwG, B.v. 4.10.2006 – 6 B 64.06 – juris Rn. 10). Die objektive Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts muss dabei geeignet sein das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit oder in seinem sozialen Umfeld herabzusetzen und in der Gegenwart noch fortbestehen (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.629 – juris Rn. 13 m.w.N.). Ein bloß ideelles Interesse an der endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit eines erledigten Verwaltungshandelns ohne Rücksicht darauf, ob abträgliche Nachwirkungen dieses Handelns fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Sachentscheidung wirksam begegnet werden könnte, reicht demgegenüber für die Annahme eines schutzwürdigen Rehabilitierungsinteresses nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.1992 – 5 C 44.87 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 10.10.2012 – 10 ZB 12.1445 – juris Rn. 6). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist auch ein anerkennenswertes Rehabilitierungsinteresse nicht anzunehmen, ein solches wurde im Übrigen auch nicht dargelegt. Die Aufforderung, angefertigte Fotos zu löschen – unterstellt, dass diese ergangen ist – hat als solche keinen diskriminierenden Charakter und es lässt sich aus ihr auch keine objektive Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers folgern. Sie ist nicht in der Öffentlichkeit, sondern in den Räumen der Polizei erfolgt, so dass sie auch nicht geeignet war, das Ansehen des Klägers – in der Gegenwart noch fortbestehend – in der Öffentlichkeit oder in seinem sozialen Umfeld herabzusetzen. Da auch die anderen Mitglieder der Gruppe, der der Kläger angehörte, von den (übrigen) polizeilichen Maßnahmen betroffen waren, ist ein Ansehensverlust des Klägers bei unbeteiligten Beobachtern nicht ersichtlich. Zudem spricht auch der Umstand, dass die Klageerhebung erst ein Jahr nach dem Vorfall erfolgt ist, gegen das Bestehen eines berechtigten Rehabilitierungsinteresses des Klägers.
Das erforderliche berechtigte Feststellungsinteresse ergibt sich hier auch nicht deshalb, weil die Aufforderung oder Bitte, die angefertigten Fotos zu löschen, mit einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff im Sinne der Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 38.12 – juris Rn. 18 ff.; BayVGH, B.v. 13.3.2017 – 10 ZB 16.965 – juris Rn. 8 ff.) verbunden gewesen wäre. Von besonderem Gewicht sind insbesondere Grundrechtseingriffe, die das Grundgesetz selbst unter Richtervorbehalt gestellt hat (z.B. BVerfG, B.v. 5.7.2013 – 2 BvR 370/13 – juris Rn. 19: Wohnungsdurchsuchung) oder die besonders sensible Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; BVerfG, B.v. 5.12.2001 – 2 BvR 527/99 – juris: Abschiebungshaft) tangieren. Eine vergleichbare Grundrechtsbetroffenheit ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erkennbar. Unter grundrechtlichen Gesichtspunkten steht zwar – neben dem allgemeinem Persönlichkeitsrechts und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) – eine Verletzung der Meinungs- bzw. Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG), möglicherweise auch der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG), auf die sich der Kläger selbst jedoch nicht berufen hat, im Raum. Auch der Aufforderung, die angefertigten Fotos zu löschen, käme hier jedoch nicht die Intensität und Nachhaltigkeit eines gewichtigen Grundrechtseingriffs zu. Dies folgt daraus, dass von der Löschung konkret nur Fotos des Polizeigebäudes sowie der Videokameras betroffen waren, die sämtlich jederzeit technisch unproblematisch wieder hätten in gleicher Weise aufgenommen werden können. Hieran hatte der Kläger selbst jedoch offenbar kein Interesse, da er ein solches Begehren nicht geltend gemacht hat. Wäre dies der Fall gewesen, hätte ein Feststellungsinteresse – unabhängig von der Frage der Intensität des Grundrechtseingriffs – im Hinblick auf eine dann bestehende konkrete Wiederholungsgefahr (s.o.) angenommen werden können.
Vermag das hier streitgegenständliche polizeiliche Handeln aber schon keinen gewichtigen Eingriff in ein Grundrecht des Klägers zu begründen, kommt es nicht mehr darauf an, dass es sich möglicherweise um einen Eingriffsakt handelt, der wegen seiner typischerweise kurzfristigen Erledigung kaum einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 6.7.2016 – 1 BvR 1705/15 – juris Rn. 11, 14; B.v. 13.3.2017 – 1 BvR 563/12 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 13.3.2017 – 10 ZB 16.965 – juris Rn. 10). Eine Annahme, dass ein Feststellungsinteresse bei derartigen polizeiliche Maßnahmen grundsätzlich zu bejahen sei, weil sich diese typischerweise vor Klageerhebung erledigen und Rechtsschutz somit niemals zu erlangen wäre, würde übersehen, dass bei einer solchen Betrachtung angesichts des umfassenden Schutzes der Rechtssphäre des Bürgers durch die Grundrechte – letztlich durch Art. 2 Abs. 1 GG – das Kriterium des berechtigten Interesses praktisch leerlaufen würde und damit jede noch so geringfügige erledigte Polizeimaßnahme Gegenstand einer zulässigen Fortsetzungsfeststellungsklage sein könnte. Das Erfordernis einer typischerweise vor Erlangung von Rechtsschutz eintretenden Erledigung hat dementsprechend eine den Anwendungsbereich des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO einengende Funktion, die es ausschließt, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse allein wegen der Schwere des erledigten Eingriffs in ein Grundrecht anzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2017 – 10 ZB 16.965 – juris Rn. 10 unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 38.12 – juris Rn. 27). Eine beanspruchte Ausweitung dieser von der Rechtsprechung ausgestalteten Fallgruppe des besonderen Rechtsschutzinteresses wäre mit seiner prozessrechtlichen Funktion, eine Fortsetzungsfeststellungsklage nur in bestimmten Fällen zuzulassen, nicht vereinbar (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2017 – 10 ZB 16.965 – juris Rn. 10; vgl. auch OVG SH, U.v. 25.1.2018 – 4 LB 36/17 – juris Rn. 32). Die Konsequenz, dass nicht jede polizeiliche Maßnahme einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden kann, ist hinzunehmen. Dies ist im Bereich des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO dem Rechtsschutzsystem der Verwaltungsgerichtsordnung immanent. In den Fällen der polizeilichen Maßnahmen ist es im Hinblick auf die von der Verfassung gebotenen rechtsstaatlichen Kontrollmöglichkeit ausreichend, die Fortsetzungsfeststellungsklage in den von der Rechtsprechung etablierten Fallgruppen und darüber hinaus in den Fällen von geltend gemachten Grundrechtseingriffen von erheblichem Gewicht zu eröffnen (vgl. OVG SH, U.v. 25.1.2018 a.a.O.).
Die Klage erweist sich daher bereits als unzulässig.
Im Übrigen wäre die Klage jedoch auch unbegründet. Denn die polizeiliche Maßnahme – davon ausgehend, dass es sich um eine Anordnung in Form eines Verwaltungsakts gehandelt hat – wäre rechtmäßig erfolgt und hätte den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1).
Rechtsgrundlage für die an den Kläger gerichtete Aufforderung zur Löschung der Fotos war – wie von Seiten des Beklagten im einzelnen dargelegt – Art. 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 PAG (a.F.). Danach kann die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, insbesondere, wenn die Maßnahme notwendig ist, um Straftaten zu verhüten oder konkrete Gefahren abzuwehren, die das Leben oder die Gesundheit von Personen und Sachen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen.
Von dem Bestehen einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut war hier auszugehen.
Voraussetzung für die Anwendung der Eingriffsbefugnisse der Polizei ist im Allgemeinen das Vorliegen einer konkreten Gefahr. Unter einer konkreten Gefahr versteht man eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führt. Das Urteil darüber beruht mithin auf einer Prognose, die auf der Grundlage der im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu treffen ist. Hat der handelnde Amtsträger die Lage – ex ante gesehen – zutreffend eingeschätzt, dann wird die getroffene Maßnahme – ex post betrachtet – nicht dadurch rechtswidrig, dass die Entwicklung anders als prognostiziert verlaufen ist. Hinreichende Wahrscheinlichkeit verlangt einerseits nicht die Gewissheit, dass der Schaden eintreten werde. Andererseits genügt die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts grundsätzlich nicht zur Annahme einer polizeirechtlichen Gefahr. Daher berechtigt die Scheingefahr (Putativgefahr), also eine Situation, bei der die Polizeibehörde ohne hinreichende Anhaltspunkte eine Gefahr annimmt, nicht zum Erlass einer polizeirechtlichen Anordnung. Anders verhält es sich bei der Anscheinsgefahr, die zwar auch Situationen bezeichnet, denen objektiv die Schadensneigung fehlt, sich aber von der Scheingefahr dadurch unterscheidet, dass die Gefahreinschätzung dem Urteil eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Amtswalters entspricht. Die bei verständiger Würdigung der erkennbaren Umstände bestehende Anscheinsgefahr steht einer objektiven Gefahr gleich und genügt deshalb als Anlass zum polizeilichen Einschreiten so lange, bis über die wirkliche Sachlage Klarheit geschaffen ist (vgl. BayVGH,U.v. 2.12.1991 – 21 B 90.1066 – juris Rn. 54). Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt werden müssen, je geringer sind, desto höherwertiger das gefährdete Schutzgut ist sind (vgl. Schmidbauer/Steiner, PAG, 4. Aufl. 2014, Art. 11 Rn. 35).
Nach diesen Grundsätzen für die Feststellung einer konkreten objektiven polizeilichen Gefahr oder der damit vergleichbaren Anscheinsgefahr wäre die von der Polizeibeamtin getroffene Prognose, dass die angefertigten Fotos von dem Dienstgebäude und der Überwachungskameras zur Planung von Straftaten in Bezug auf das Dienststellengebäude oder in Bezug auf die dort Beschäftigten genutzt werden könnten, nicht zu beanstanden. Dieser Gefahrenprognose hat die Polizei bei verständiger Würdigung der damaligen Sachlage zutreffend die Tatsachen zugrunde gelegt, dass die Gruppe, der der Kläger angehörte, aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes dem links-autonomen Spektrum zugeordnet werden konnte, in dem Gebäude (auch) eine polizeiliche Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit untergebracht war, die bei Demonstrationen und anderen Einsatzlagen mit politischem Bezug regelmäßig polizeiliche Maßnahmen gegen die linksautonome Szene durchführt, die Einstellung der entsprechenden Szeneangehörigen gegenüber diesen Polizeikräften als feindselig eingestuft wurde, es in der Vergangenheit auch bereits zu einer Straftat gekommen war (Steinwurf auf PKW im September 2016) sowie insbesondere die Tatsache, dass die Aufnahmen (so die Sachverhaltsschilderung im polizeilichen Vermerk vom … Mai 2016 -Erstmeldung/Lagemeldung) einen sogenannten Rundumblick vom kompletten Gebäude sowie alle Sicherheitskameras zeigten und der Kläger eine Skizze vom Gebäude mit Wegen erstellt hatte. In dem Vermerk ist weiterhin festgehalten, dass auf Nachfrage, was sie mit den Lichtbildern vorgehabt hätten, angegeben worden sei, sie hätten die Todesstätte des vom NSU Getöteten besuchen wollen. Auf Nachfrage, warum dann die Dienststelle fotografiert worden sei, sei keine Antwort gegeben worden. Weiterhin ergibt sich aus dem Vermerk, dass festgestellt worden war, dass eine der Personen zur polizeilichen Beobachtung vom LKA Berlin als „Straftäter LINKS“ ausgeschrieben war. Die bestehende abstrakte Gefahrenlage in Bezug auf das Dienstgebäude sowie die Dienstangehörigen erhält nachträglich insofern eine zusätzliche Bestätigung, als es – in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Vorgang – im Juni 2016 sowie im Dezember 2016 dazu kam, dass bei Privatfahrzeugen von Angehörigen der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, die auf dem Dienststellengelände bzw. in unmittelbarer Umgebung abgestellt waren, Radmuttern gelöst wurden. In Anbetracht der hohen Wertigkeit der gefährdeten Schutzgüter konnte die Gefahrenprognose auf der Grundlage der im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten daher rechtsfehlerfrei getroffen werden. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich aus polizeilicher Sicht erst nachträglich herausgestellt hat, dass es sich bei der Gruppe, der der Kläger angehörte, um Teilnehmer einer Exkursion der Rosa-Luxemburg-Stiftung handelte, die NSU-Tatorte besichtigten, und damit im Sinne einer Anscheinsgefahr eine Situation vorgelegen hat, der objektiv die Schadensneigung fehlte. Soweit der Kläger in der Klagebegründung vortragen lässt, er habe gegenüber den Polizeibeamten mehrfach den Zweck der Anfertigung der Fotos aus wissenschaftlichen Gründen erläutert und auf den NSU-Tatort verwiesen, findet dies in den polizeilichen Vermerken keinen Niederschlag. Hierauf kommt es jedoch auch nicht entscheidungserheblich an, da in diesem Zusammenhang aus polizeilicher Sicht letztendlich maßgeblich war, dass der Kläger damals keine schlüssige Erklärung für das Fertigen der Fotos vom Polizeigebäude sowie das Anfertigen der Skizze gegeben hat (vgl. in diesem Sinne auch die Antwort der Staatsregierung auf eine entsprechende Abgeordnetenanfrage zu dem Vorgang, LT-DRs. 17/11645 S. 9 f), die als geeignet anzusehen gewesen wäre, die Gefahrenprognose auszuräumen. Auch der Klagevortrag – als wahr unterstellt – führt nicht zu einer anderen Bewertung, da auch hieraus nicht hinreichend deutlich wird, weshalb es für wissenschaftliche Zwecke („Sichtachsen zum NSU-Tatort“) erforderlich bzw. veranlasst gewesen sein sollte, einen „Rundumblick“ vom kompletten Gebäude sowie alle Sicherheitskameras fotografisch zu dokumentieren, zumal das Polizeigebäude deutlich von der Straße zurückversetzt gelegen ist und damit – wie der Beklagte vorgetragen hat – offensichtlich ist, dass man den Tatort weder aus den Fenstern des Gebäudes noch mit den Sicherheitskameras sehen kann. Demnach wäre auch ein damaliger Verweis des Klägers auf „wissenschaftliche Gründe“ aufgrund der damaligen Erkenntnislage begründet als nicht plausibel einzustufen gewesen.
Ein Verstoß der Maßnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 4 PAG) ist ebenfalls nicht ersichtlich. Sie war als zur effektiven Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne anzusehen. Weiterhin sind auch im Übrigen sind keine Ermessensfehler (Art. 5 PAG) erkennbar.
Nach Art. 4 Abs. 2 PAG darf eine Maßnahme nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Bei einem polizeilichen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen bedeutet dies, dass Einbußen an grundrechtlich geschützter Freiheit nicht in unangemessenem Verhältnis zu den Zwecken stehen dürfen, denen die Grundrechtsbeschränkung dient (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.2012 – 6 C 9.11 – juris Rn. 47). Vorliegend ist – wie ausgeführt – davon auszugehen, dass es sich bei der vom Kläger verlangten Löschung der Aufnahmen nicht um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff gehandelt hat. Jedenfalls wäre der Eingriff angesichts der hohen Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter nicht als unverhältnismäßig anzusehen.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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