Aktenzeichen Au 6 K 17.1538
AufenthG § 4 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 11 Abs. 1 S. 11, § 84 Abs. 2 S. 2
RL 2004/38/EG Art. 2 Nr. 2 lit. d, Art. 24 Abs. 1 S. 2
AEUV Art. 20, Art. 21
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
Leitsatz
1. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU enthält eine bewusste Beschränkung des Begriffs des Familienangehörigen und damit keine (unbewusste) Regelungslücke. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die bloße Tatsache, dass es wünschenswert erscheinen könnte, dass sich eine Familie mit Drittstaatsangehörigen und einem minderjährigen Unionsbürger gemeinsam in einem Mitgliedstaat der Union aufhalten kann, rechtfertigt noch nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn ein Aufenthaltsrecht nicht gewährt wird. Daher hat das nationale Gericht alle Umstände des Einzelfalls zu prüfen. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Anträge auf vorläufige Feststellung, dass der Antragsteller berechtigt ist, in Deutschland ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit auszuüben, sowie auf Verpflichtung des Antragsgegners, dem Antragsteller vorläufig eine Bescheinigung analog § 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU auszustellen, werden abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten der beiden Antragsverfahren zu tragen.
III. Der Streitwert wird für beide Antragsverfahren (Au 6 S 17.1517, Au 6 E 17.1518) jeweils auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten wird für beide Antragsverfahren (Au 6 S 17.1517, Au 6 E 17.1518) abgelehnt.
V. Dem Kläger wird für das Klageverfahren (Au 6 K 17.1538) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … gewährt.
Gründe
Der Kläger und Antragsteller begehrt in seinem Klageverfahren (Au 6 K 17.1538) die Ausstellung bzw. Erteilung einer Aufenthaltskarte analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU und in seinen Antragsverfahren (Au 6 S. 17.1517, Au 6 E 17.1518) die vorläufige Feststellung, dass er in Deutschland ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit ausüben darf bzw. die vorläufige Ausstellung einer Bescheinigung analog § 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sowie jeweils Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten.
I.
Der 1976 geborene Kläger und Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger und reiste im Jahr 2004 erstmals unerlaubt in die Bundesrepublik ein; sein Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (damals: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) vom 5. Juli 2004 abgelehnt; seine hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos.
Am 21. Oktober 2005 schloss der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen seine erste Ehe im Bundesgebiet und erhielt eine vom 26. Oktober 2005 bis zuletzt 24. Oktober 2007 verlängerte Aufenthaltserlaubnis. Die Ehe scheiterte; die Ehegatten gaben rückwirkend eine Trennung im Mai 2007 an; der Kläger meldete sich zum 1. August 2007 mit Wohnsitz bei seiner nächsten Partnerin an.
Mit ihr schloss der Kläger am 14. Dezember 2007 seine zweite Ehe im Bundesgebiet und erhielt eine vom 12. März 2008 bis zuletzt 8. August 2010 verlängerte Aufenthaltserlaubnis. Auch diese Ehe scheiterte; am 26. Februar 2010 erließ das Amtsgericht … ein Kontaktverbot gegen den Kläger mit Verbot des Betretens der Ehewohnung. Der Kläger verzog am 1. Juni 2010 in den Kreis, der einen Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ablehnte und ihn – nach erfolgloser Durchführung eines Asylfolgeverfahrens – am 13. Oktober 2011 in den Kosovo abschob.
Im Jahr 2013 beantragte der Kläger bei der Deutschen Botschaft in Pristina ein Visum zum Ehegattennachzug zwecks Führung seiner dritten Ehe im Bundesgebiet, die er am 15. Februar 2013 im Kosovo geschlossen hatte. Der Visumantrag wurde wegen Zweifeln an der Ernsthaftigkeit des Aufenthaltszwecks auf Hinweise seiner dritten Ehefrau abgelehnt; ein hiergegen gerichtetes Klageverfahren blieb erfolglos.
Im Mai 2015 reiste der Kläger erneut unerlaubt ins Bundesgebiet ein und stellte einen Asylfolgeantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes vom 21. November 2016 abgelehnt wurde. Der Kläger wurde zwecks Führung seiner dritten Ehe im Bundesgebiet zunächst geduldet und erhielt eine vom 15. April 2016 bis 14. April 2018 befristete Aufenthaltserlaubnis. Auch diese Ehe scheiterte; jedenfalls zum 16. September 2016 zog der Kläger aus der Ehewohnung aus und verzog in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Dieser hörte die Eheleute zur beabsichtigten nachträglichen Verkürzung der Befristung der Aufenthaltserlaubnis an; die Ehefrau teilte mit, die Scheidung eingereicht zu haben.
Der Kläger beantragte erneut eine Aufenthaltserlaubnis, da er die Vaterschaft für das ungeborene Kind seiner vierten Lebensgefährtin, einer ungarischen Staatsangehörigen, anerkannt habe.
Nach Anhörung befristete der Beklagte mit Bescheid vom 22. Februar 2017, dem Kläger am 24. Februar 2017 zugestellt, die ihm am 15. April 2016 erteilte Aufenthaltserlaubnis nachträglich bis zum 1. März 2017 (Ziffer 1.1 des Bescheides), lehnte seinen Antrag vom 13. Februar 2017 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1.2), ordnete die sofortige Vollziehung der Ziffer 1.1 des Bescheides an (Ziffer 2), forderte ihn zur Ausreise aus dem Bundesgebiet bis spätestens 31. März 2017 auf (Ziffer 3), drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in den Kosovo oder jeden anderen übernahmebereiten Staat an und forderte ihn auf, für den Fall, dass die Ausreisepflicht zum 31. März 2017 noch nicht vollziehbar sei, das Bundesgebiet bis spätestens vier Wochen nach Eintritt der Vollziehbarkeit zu verlassen (Ziffer 3). Die Wirkungen einer Abschiebung wurden auf zwei Jahre nach Ausreise aus dem Bundesgebiet befristet (Ziffer 5). Über die hiergegen gerichtete Klage (Au 6 K 17.432) wurde mangels Klagebegründung noch nicht entschieden; einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (Au 6 S. 17.433) sowie auf Prozesskostenhilfe in beiden Verfahren lehnte das Verwaltungsgericht ab (VG Augsburg, B.v. 1.8.2017 – Au 6 K 17.432, Au 6 S. 17.433).
Am 6. Juli 2017 gebar eine ungarische Staatsangehörige, die seit dem Jahr 2014 im Bundesgebiet lebt und mit Unterbrechungen hier erwerbstätig war (3.7.2014 bis 15.1.2015, 4.3.2015 bis 15.5.2016, 22.6.2016 bis 26.12.2016, vgl. Mitteilung der Bundesagentur für Arbeit, Behördenakte des Beklagten, Bl. 1109), ein Kind, das durch sie die ungarische Staatsangehörigkeit vermittelt erhielt und für welches der Kläger am 4. Februar 2017 bereits die Vaterschaft anerkannt und am 4. Mai 2017 mit ihr die gemeinsame elterliche Sorge erklärt hatte (ebenda Bl. 1154, 1156). Ausweislich einer Meldebestätigung lebt der Kläger mit Kindesmutter und Kind zusammen.
Durch seinen Bevollmächtigten ließ der Kläger am 1. August 2017 für sich eine Aufenthaltskarte analog § 3 Abs. 1 und Abs. 2 FreizügG/EU beantragen, weil er dem Kind und der Kindesmutter Unterhalt leiste und jedenfalls über Art. 20 f. AEUV einen Aufenthaltsanspruch habe. Die Kindesmutter sei nur vorübergehend nicht erwerbstätig und daher freizügigkeitsberechtigt. Der Kläger legte dazu einen Formblattantrag für einen Aufenthaltstitel, einen seit dem 12. Juli 2017 laufenden Arbeitsvertrag als Monteur, eine Bescheinigung über eine Krankenversicherung und eine Meldebescheinigung sowie eine Verdienstbescheinigung vor.
Am 2. Oktober 2017 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben, über die noch nicht entschieden ist (Au 6 K 17.1538) und neben der Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragen,
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Aufenthaltskarte analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU auszustellen, hilfsweise zu erteilen.
Zur Begründung ließ er ausführen, der Beklagte verweigere dem Kläger die Aufenthaltskarte, obgleich dieser hierauf einen Anspruch habe. Das Kind habe aus dem Kernbestand seiner Unionsbürgerschaft einen Anspruch auf Zusammenleben mit beiden Elternteilen, auch mit dem Kläger. Ein Eingriff in dieses Recht liege vor, weil das Kind zum drittstaatsangehörigen Elternteil in einem Abhängigkeitsverhältnis stehe, sein Kindeswohl wegen des Risikos für sein inneres Gleichgewicht gefährdet sei und dies hier mit Blick auf Art. 24 Abs. 2 und Abs. 3 GrCH (Grundrechte-Charta) anzunehmen sei.
Daneben ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten nach § 80 Abs. 5 und § 123 VwGO beantragen (Au 6 S. 17.1517 und Au 6 E 17.1518):
1. Es wird vorläufig festgestellt, dass der Antragsteller berechtigt ist, in Deutschland ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig eine Bescheinigung analog § 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU auszustellen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beklagte habe zwar zugesichert, eine Ausreisepflicht des Klägers vorläufig nicht zu vollstrecken, so dass dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO fehle. Gleichwohl sei der Beklagte aber der Auffassung, der Kläger dürfe seine unselbständige Erwerbstätigkeit trotz des damit verbundenen Eingriffs in das Unionsbürgerrecht des Kindes nicht mehr ausüben. Der Eingriff liege darin, dass der Kläger durch seine Erwerbstätigkeit den Unterhalt und den Krankenversicherungsschutz des Kindes und damit dessen Freizügigkeit sichere.
Der Beklagte und Antragsgegner beantragt,
die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
Die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs treffe auf den vorliegenden Fall nicht zu; dem Kind werde gerade nicht angesonnen, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, um mit dem Kläger als seinem Vater zusammenzuleben, sondern es könne als Unionsbürger mit seiner Mutter eine familiäre Lebensgemeinschaft in Ungarn führen. Dass der Kläger nach nationalem ungarischem Recht nicht dorthin im Wege des Familiennachzugs nachziehen dürfe, sei nicht ersichtlich. Die Kindesmutter habe zudem die Arbeitnehmereigenschaft und damit die Freizügigkeit verloren, weil sie nicht in angemessener Zeit nach der Niederkunft wieder eine Arbeitstätigkeit aufgenommen habe.
Der Kläger berief sich hierzu ergänzend u.a. auf das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot für Familienangehörige freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger und eine für seine Lebensgefährtin und das Kind bestehende Vermutung ihrer Freizügigkeit (bis zur Verlustfeststellung). Weiter ließ er vortragen, der Verweis auf das Zusammenleben der Familie in Ungarn greife nicht, weil offen sei, ob sie dort zusammenleben könnten; dies könne offen bleiben, weil das Kind nach dem Meistbegünstigungsprinzip nicht schlechter gestellt werden dürfe als ein deutsches Kind, so dass der Kläger deswegen ein Aufenthaltsrecht habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die Anträge nach § 80 Abs. 5 bzw. § 123 VwGO sind unbegründet.
1. Der zulässig gestellte Antrag analog § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auf vorläufige Feststellung, dass der Antragsteller berechtigt ist, in Deutschland ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit auszuüben, ist unbegründet.
a) Gegenstand des zulässigen Antrags analog § 80 Abs. 5 VwGO ist – als Minus gegenüber einer im Parallelverfahren begehrten und abgelehnten (VG Augsburg, B.v. 1.8.2017 – Au 6 K 17.432, Au 6 S. 17.433) Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1.1 des Bescheids vom 22. Februar 2017 (in dessen Ziffer 2) als auch der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 1.2 des Bescheids – die Feststellung von Rechtsfolgen entsprechend einer aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO. Die Feststellung der Reichweite einer aufschiebenden Wirkung ist dem Verwaltungsgericht als Minus gegenüber ihrer Anordnung oder Wiederherstellung eröffnet, wenn unter den Beteiligten nur hierüber Streit besteht (vgl. Windthorst in Gärditz, VwGO, 1. Aufl. 2013, § 80 Rn. 100 a.E.; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 109). Der Kläger begehrt hier eine Bestätigung des Inhalts analog § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, dass er trotz der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids vom 22. Februar 2017 noch vorläufig berechtigt ist, in Deutschland ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Es handelt sich mithin um eine Rechtsfrage der Wirkungen der sofortigen Vollziehbarkeit dieses Bescheids.
b) Der Antrag analog § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist jedoch unbegründet.
Die vom Kläger begehrte Feststellung kann nicht getroffen werden, weil der Kläger nicht berechtigt ist, in Deutschland ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Er besitzt derzeit keinen Aufenthaltstitel, der ihn hierzu nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG berechtigte.
aa) Da der Beklagte mit Bescheid vom 22. Februar 2017 die dem Kläger am 15. April 2016 erteilte Aufenthaltserlaubnis nachträglich bis zum 1. März 2017 befristet und den gerichtlich bestätigten Sofortvollzug hierfür angeordnet hat, ist der Kläger nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG seit Ende des Antragsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO – Ablauf der Beschwerdefrist gegen den am 9. August 2017 zugestellten Beschluss – nicht mehr nach § 4 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 5 AufenthG zur Erwerbstätigkeit berechtigt.
bb) Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger im jetzigen Zeitpunkt sonst einen Anspruch auf ehelichen oder nachehelichen Aufenthalt und dazu auf eine Aufenthaltserlaubnis mit der Möglichkeit zur Erwerbstätigkeit hätte.
Seine die Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner dritten Ehefrau im Bundesgebiet bezweckende Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG ist durch die nachträgliche Befristung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG entfallen. Einen Anspruch auf eine nacheheliche Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG hat der Kläger nicht. Auch das Zusammenleben mit seiner jetzigen Lebensgefährtin, der Mutter des gemeinsamen Kindes, steht nicht mit dem früheren ehebedingten Aufenthalt im Bundesgebiet in (wenigstens mittelbarem) Zusammenhang (zu diesem Kriterium vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11.08 – BVerwGE 134, 124 ff. Rn. 24; BayVGH, B.v. 14.6.2016 – 10 CS 16.638 – juris Rn. 10 m.w.N.).
cc) Ob der Kläger einen Anspruch auf eine eheunabhängige neue Aufenthaltserlaubnis wegen einer familiären Lebensgemeinschaft mit dem Kind hat, braucht nicht geprüft zu werden, da der Kläger eine solche – trotz Verwendung eines entsprechenden Formblatts (Behördenakte des Beklagten Bl. 1145) – wegen des ausdrücklichen Widerspruchs seines Bevollmächtigten gegen die Formblattverwendung (Schreiben vom 9.8.2017, ebenda Bl. 1137) nicht beantragt hat.
dd) Soweit der Kläger eine abgeleitete Freizügigkeit begehrt, kann hierüber wegen Unanwendbarkeit des nationalen Aufenthaltsrechts nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG keine § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entsprechende Bestätigung ausgestellt werden, so dass auch eine entsprechende Feststellung nicht in Betracht kommt. Da das Aufenthaltsgesetz hier keine günstigere Rechtsstellung vermittelt, ist es auch nicht nach § 11 Abs. 1 Satz 11 AufenthG nach dem Meistbegünstigungsprinzip anwendbar.
2. Der zulässig gestellte Antrag nach § 123 VwGO auf vorläufige Feststellung, dass der Antragsteller berechtigt ist, in Deutschland ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit auszuüben, ist unbegründet.
a) Die vom Kläger begehrte Feststellung kann nicht getroffen werden, weil der Kläger nicht berechtigt ist, in Deutschland ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Er besitzt derzeit keinen Aufenthaltstitel, der ihn hierzu nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG berechtigte (vgl. soeben unter 1.).
b) Die vom Kläger begehrte Feststellung kann auch nicht aus anderem Rechtsgrund getroffen werden, weil der Kläger nach derzeitigem Verfahrensstand nicht glaubhaft gemacht hat, freizügigkeitsberechtigt oder sonst berechtigt zu sein, in Deutschland ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit auszuüben (vgl. sogleich unter 3.), so dass es insoweit an dem von ihm behaupteten feststellungsfähigen Rechtsverhältnis fehlt.
3. Der zulässig gestellte Antrag nach § 123 VwGO auf vorläufige Ausstellung bzw. Erteilung einer Bescheinigung analog § 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ist unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
a) Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf vorläufige Ausstellung bzw. Erteilung einer Bescheinigung analog § 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG inne zu haben.
Wie bereits ausgeführt (oben unter 1.b)), ist der Kläger nach gegenwärtigem Verfahrensstand nicht berechtigt, in Deutschland ohne vorherige Zustimmung der Ausländerbehörde eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Er besitzt derzeit keinen Aufenthaltstitel, der ihn hierzu nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG berechtigte. Eine Regelungslücke, die mit einer analogen Anwendung zu schließen wäre, liegt nicht vor, da die fehlende Berechtigung zur Erwerbstätigkeit die gesetzlich gewollte Rechtsfolge der Anwendung des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist. Da das Aufenthaltsgesetz keine günstigere Rechtsstellung vermittelt, führt hier auch das Meistbegünstigungsprinzip nach § 11 Abs. 1 Satz 11 AufenthG zu keinem anderen Ergebnis.
b) Der Kläger hat auch nicht glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf vorläufige Ausstellung bzw. Erteilung einer Bescheinigung analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU inne zu haben.
aa) Der Kläger hat keinen Anspruch auf vorläufige Ausstellung bzw. Erteilung einer Bescheinigung direkt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, der einer analogen Anwendung entgegenstünde.
Die Grundvoraussetzung für eine Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ist, dass der Kläger Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers im Sinne der in Übereinstimmung mit Art. 2 Nr. 2 RL 2004/38/EG getroffenen Legaldefinition des § 3 Abs. 2 FreizügG/EU ist. Daran fehlt es hier:
(1) Der Kläger ist kein Familienangehöriger der Kindesmutter nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, da er nicht ihr Ehegatte ist. Einer Eheschließung steht derzeit jedenfalls noch seine bestehende dritte Ehe im Bundesgebiet entgegen. Gegenteiliges ist nicht glaubhaft gemacht.
(2) Der Kläger ist auch kein Familienangehöriger des mit der Kindesmutter gemeinsamen Kindes nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, da er als Vater zwar ein Verwandter des Kindes in gerader aufsteigender Linie ist, aber nicht vom Kind als Unionsbürger Unterhalt gewährt erhält. Es kommt hierbei auf die tatsächliche Situation an, in welcher der Familienangehörige vom Unionsbürger unterstützt wird ohne Rücksicht darauf, worauf diese Unterstützung gründet und ob der Unterstützte seinen Lebensunterhalt durch Ausübung einer entgeltlichen Tätigkeit bestreiten könnte (vgl. EuGH, U.v. 18.6.1987 – C-316/15 – Slg. 1987, 2811 Rn. 22). Daran fehlt es hier, weil nicht der Kläger Unterhalt durch sein Kind erhält, sondern das Kind Unterhalt durch den Kläger erhielt. Für eine erweiternde Analogie auf diesen umgekehrten Fall bietet § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU keinen Raum, da diese Norm der Umsetzung von Art. 2 Nr. 2 Buchst. d) RL 2004/38/EG dient und diese Regelung eine bewusste Beschränkung des Begriffs des Familienangehörigen (vgl. EuGH, U.v. 8.11.2012 – C-40/11 – juris Rn. 55; auch EuGH, U.v. 10.5.2017 –C-133/15 – juris Rn. 52) und damit keine (unbewusste) Regelungslücke enthält.
Auch aus Art. 24 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG folgt kein Anspruch auf Besserstellung, denn die Voraussetzung für diese Gleichbehandlungsregelung ist nicht nur ein Aufenthalt eines Unionsbürgers – möglicherweise des Kindes – auf Grund dieser Richtlinie, sondern für den Kläger die Stellung als drittstaatsangehöriger Familienangehöriger, der das Recht auf Aufenthalt genießt. An beidem aber fehlt es hier, da der Kläger nach der eigenen Begriffsdefinition der Richtlinie gerade kein Familienangehöriger ist und zudem sein Recht auf Aufenthalt gerade strittig ist.
bb) Der Kläger hat derzeit nicht glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf vorläufige Ausstellung bzw. Erteilung einer Bescheinigung analog § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU inne zu haben.
Eine Analogie könnte in Betracht kommen, wenn dem Kläger zwar nicht auf Grund von § 3 FreizügG/EU in Umsetzung von Art. 7 Abs. 2 RL 2004/38/EG ein Recht auf Freizügigkeit zukommt, aber aus der Anwendung des primären Unionsrechts, namentlich des Unionsbürgerstatus nach Art. 20 und Art. 21 AEUV. Daran fehlt es jedoch hier.
Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits entschieden, dass dem Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Elternteils, der für einen minderjährigen Unionsbürger tatsächlich sorgt, jede praktische Wirksamkeit genommen würde, wenn ihm nicht erlaubt würde, sich mit diesem Bürger im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, da der Genuss des Aufenthaltsrechts durch ein Kleinkind voraussetzt, dass sich die für das Kind tatsächlich sorgende Person bei diesem aufhalten darf und dass es ihr demgemäß ermöglicht wird, während dieses Aufenthalts mit dem Kind zusammen im Aufnahmemitgliedstaat zu wohnen (vgl. EuGH, U.v. 19.10.2004 – C-200/02 – juris Rn. 45; EuGH, U.v. 8.11.2012 – C-40/11 – juris Rn. 68). Ausgangspunkt dieser Entscheidungen ist, dass Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über das Einreise- und Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen auch außerhalb des Anwendungsbereichs u.a. der der Richtlinie RL 2004/38/EG insoweit in einem immanenten Zusammenhang mit der Freizügigkeit eines Unionsbürgers stehen, die beeinträchtigt würde, wenn den Drittstaatsangehörigen das Recht verweigert würde, in den Mitgliedstaat, in dem dieser Unionsbürger wohnt, einzureisen und sich dort aufzuhalten (vgl. EuGH, U.v. 8.11.2012 – C-40/11 – juris Rn. 72). In derartigen Fällen ist es Aufgabe des (nationalen) Gerichts festzustellen, ob dem betroffenen Unionsbürger (hier: dem Kind des Klägers) der Kernbestand der Rechte, die der Unionsbürgerstatus dem Kind verleiht, verwehrt wird und ihm insbesondere die Gefahr droht, das Gebiet des Mitgliedstaats und sogar das Gebiet der Union als Ganzes (rechtlich oder de facto) verlassen zu müssen (zum Ganzen BayVGH, B.v. 27.6.2013 – 10 CE 13.883 – juris Rn. 13 m.w.N.). Für die Prüfung, ob es dem betroffenen Unionsbürger de facto unmöglich wäre, den Kernbestand der Rechte aus seinem Unionsbürgerstatus in Anspruch zu nehmen, ist u.a. die Frage nach dem Sorgerecht von Bedeutung. Allerdings rechtfertigt die bloße Tatsache, dass es aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Angehörige einer Familie, die aus Drittstaatsangehörigen und einem minderjährigen Unionsbürger besteht, zusammen mit diesem im Gebiet der Union in dem Mitgliedstaat aufhalten können, für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn ein solches Aufenthaltsrecht nicht gewährt wird. Demgemäß hat das (nationale) Gericht alle Umstände des Einzelfalls zu prüfen, um festzustellen, ob die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts bei dem Drittstaatsangehörigen tatsächlich dazu führen kann, die Unionsbürgerschaft des betroffenen Unionsbürgers seiner praktischen Wirksamkeit zu berauben (BayVGH, B.v. 27.6.2013 – 10 CE 13.883 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Zuletzt wurde diese Rechtsprechung dahin ergänzt, dass für die Prüfung, ob dem betroffenen Unionsbürger (hier: dem Kind des Klägers) eine Beeinträchtigung des Kernbestands der Rechte aus seinem Unionsbürgerstatus droht, darauf abzustellen ist, ob ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem Unionsbürger derart besteht, dass er sich im Fall der Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für den Drittstaatsangehörigen gezwungen sähe, das Gebiet der Union als Ganzes (rechtlich oder de facto) verlassen zu müssen (EuGH, U.v. 10.5.2017 – C-133/15 – juris Rn. 63, 69 f.). Für ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem Unionsbürger kommt es auf sämtliche Umstände des Einzelfalls im Interesse des Kindeswohls an, insbesondere das Alter des Kindes, seine körperliche und emotionale Entwicklung, den Grad seiner affektiven Bindung sowohl zu dem Elternteil, der Unionsbürger ist, als auch zu dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und des Risikos, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre, auch darauf, welcher Elternteil die tatsächliche Sorge für das Kind wahrnimmt und ob der andere Elternteil, der Unionsbürger ist, willens und in der Lage ist, die Personensorge allein auszuüben (EuGH, U.v. 10.5.2017 – C-133/15 – juris Rn. 71).
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger derzeit nicht mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit aufgezeigt, dass sein Kind von der Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für den drittstaatsangehörigen Kläger in einer Weise betroffen wird, die der Unionsbürgerschaft des Kindes die praktische Wirksamkeit nehmen würde. Sowohl das Kind als auch die Kindesmutter haben beide die ungarische Staatsangehörigkeit und sind mithin Unionsbürger. Sie sind also unabhängig vom Rechtsstatus des Klägers berechtigt, sich in ihrem Herkunftsstaat Ungarn und damit im Gebiet der Europäischen Union aufzuhalten. Soweit die Kindesmutter zudem als im Bundesgebiet unselbständig Erwerbstätige freizügigkeitsberechtigt ist, was zwischen den Beteiligten streitig ist und im Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden kann, wäre das Kind auch nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU akzessorisch zu seiner Mutter freizügigkeitsberechtigt und ebenso wenig zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen. Dass das Kind trotz seines eigenen Aufenthaltsrechts im Unionsgebiet zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen würde, ist demgegenüber nicht glaubhaft gemacht.
Dies gilt umso mehr, als es dem Kläger nicht unmöglich oder unzumutbar wäre, im Fall der Verweigerung eines (analogen unionsrechtlichen) Aufenthaltsrechts Kindesmutter und Kind im Familiennachzug nach Ungarn zu folgen und seinen Aufenthalt dort auf ungarisches Recht zu stützen, sollten beide dorthin übersiedeln. Gegenteiliges ist nicht glaubhaft gemacht.
Ob und in welchem Umfang im Übrigen ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem Unionsbürger besteht, braucht daher für die Antragsverfahren nicht näher geprüft zu werden. Diese Prüfung kann – soweit erforderlich – im Hauptsacheverfahren erfolgen (dazu III.).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für die Antragsverfahren folgt aus §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
III.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten wird für die beiden Antragsverfahren abgelehnt, weil die Erfolgsaussichten der Antragsverfahren im Zeitpunkt der Bewilligungsreife nicht mehr offen sind. Hingegen sind die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens im Zeitpunkt der Bewilligungsreife wegen des erst in der Zukunft liegenden entscheidungserheblichen Zeitpunkts der Hauptsache über das Verpflichtungsbegehren und bis dahin möglicher Veränderungen der rechtlich relevanten Sachlage jedenfalls noch offen.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Dies ist hier für das Klageverfahren der Fall, weil die Rechtmäßigkeit der Verweigerung eines (analogen unionsrechtlichen) Aufenthaltsrechts durch den Beklagten erst zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abschließend beurteilt werden kann. Für die beiden Antragsverfahren ergeben sich hingegen die mangelnden Erfolgsaussichten aus o.g. Ausführungen (vgl. oben II.).
Die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers folgt aus seinen Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, wonach er derzeit u.a. nicht erwerbstätig ist und kein Vermögen hat.