Verwaltungsrecht

Prozesskostenhilfe für Klage gegen Einreise- und Aufenthaltsverbot

Aktenzeichen  Au 6 K 17.35570

Datum:
22.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 1054
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166
ZPO § 114
AufenthG § 11
AsylG § 34 Abs. 1

 

Leitsatz

Es ist zweifelhaft, ob die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots frei von Ermessensfehlern ist, wenn die Behörde trotz Vorliegens entsprechender Nachweise nicht von einer Eheschließung des Ausländers, sondern nur von einem Aufgebot im Zeitpunkt ihrer Ermessensentscheidung ausgegangen ist. Insofern könnte ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Ermessensausübung übersehen worden und damit ein Ermessensdefizit gegeben sein.  (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Auf den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hin wird dem Kläger Prozesskostenhilfe beschränkt auf seine Klage auf sinngemäße Neuentscheidung der Beklagten über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG und unter Beiordnung des Klägerbevollmächtigten Herrn Rechtsanwalt,, bewilligt. Mehrkosten, die sich daraus ergeben, dass der Klägerbevollmächtigte seinen Sitz nicht im Gerichtsbezirk hat, werden nicht erstattet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Streitsache Au 6 K 17.35570 wird dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen eine Ausreiseaufforderung, Androhung der Abschiebung in die Türkei und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch die Beklagte.
Der volljährige Kläger ist nach eigenen Angaben türkischer Staatsangehöriger, reiste auf dem Landweg am 20. Juni 2017 nach Deutschland ein und beantragte hier am 14. März 2017 Asyl.
Recherchen der Beklagten ergaben, dass der Kläger bereits am 26. Mai 2015 ein Visum zur Einreise nach Deutschland begehrt hatte, dieses aber vom Deutschen Generalkonsulat in Istanbul am 4. Juni 2015 wegen Vorlage gefälschter Unterlagen abgelehnt worden war (BAMF-Akte Bl. 12, 80). Der Kläger wurde zunächst der Erstaufnahmeeinrichtung in * zugewiesen; seit dem 20.Dezember 2017 dem Landkreis *. In weiteren Befragungen gab er als familiäre Kontakte Cousins in * an und dass ihm der Schleuser seinen Reisepass und seinen Nüfüs abgenommen habe (ebenda Bl. 63, 65). Gleichwohl erkundigte er sich beim Standesamt * über die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen und soll dort einen Reisepass vorgelegt haben (ebenda Bl. 68, 70, 79, 98); eine Verlobung erwähnte er gegenüber den Ausländerbehörden und der Beklagten zunächst nicht.
In seiner auf Türkisch geführten Befragung durch das Bundesamt am 11. September 2017 (BAMF-Akte Bl. 86 ff.) gab der Kläger an, seine Personaldokumente seien noch bei den Schleusern, die ihm versprochen hätten, sie ihm per Post zukommen zu lassen (ebenda Bl. 87). Unter Vorhalt seiner Vorsprache beim Standesamt * über die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bestritt er, dort einen Reisepass vorgelegt zu haben (ebenda Bl. 87). Er habe nur seine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung vorgelegt. Er sei beim türkischen Konsulat gewesen, um einen Reisepass zu beantragen, wofür er aber seine Originaldokumente benötige, wie man ihm gesagt habe (ebenda Bl. 87). Seine Freundin habe er vor sechs bis sieben Monaten über das Internet kennengelernt (ebenda Bl. 92). Auf Vorhalt seines früheren Visumsantrags erklärte er, nicht gewusst zu haben, dass der für ihn tätige Schleuser falsche Unterlagen vorgelegt habe (ebenda Bl. 93).
Am 7. November 2017 erhielt der Kläger von der Beklagten die Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen des Bereichs der Aufenthaltsgestattung, um am 10. November 2017 seine Verlobte vor dem Standesamt in * zu heiraten (ebenda Bl. 104). Die Eheschließung wurde am 10. November 2017 beantragt (Aufgebot) und dies der Beklagten nachgewiesen (ebenda Bl. 108); der Kläger hatte einen im Oktober 2017 ausgestellten Reisepass vorgelegt (ebenda Bl. 109, 113 ff.).
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 24. November 2017 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) sowie auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ab (Nr. 4). Der Kläger wurde zur Ausreise innerhalb von dreißig Tagen ab Bestandskraft des Bescheids aufgefordert und ihm widrigenfalls die Abschiebung in die Türkei androht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen, weil der Kläger eine Verfolgung nicht habe glaubhaft machen können. Die Abschiebungsandrohung stütze sich auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG; die Ausreisefrist folge aus § 38 Abs. 1 AsylG. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate sei angemessen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung auf Grund schutzwürdiger Belange seien nicht vorgetragen worden. Der Kläger verfüge im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen seien. Eine Heirat sei bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag nicht erfolgt. Ein Aufenthaltstitel sei auch nicht erteilt worden.
Seine Ehefrau beantragte für den Kläger mit am 28. November 2017 bei der Beklagten eingegangenem Formular dessen Umverteilung nach * zwecks Führung einer Haushaltsgemeinschaft (BAMF-Akte Bl. 162 f.).
Gegen diesen ihm am 29. November 2017 zugestellten Bescheid ließ der Kläger am 11. Dezember 2017 Klage erheben und neben Prozesskostenhilfe beantragen,
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. November 2017 wird aufgehoben, soweit er darin die Abschiebung des Klägers anordnet, den Kläger auffordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und ihm im Übrigen ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot befristet auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung auferlegt.
Der Kläger habe im Bundesgebiet zu seiner Ehefrau wesentliche und in der Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Bindungen; er habe am 10. November 2017 die Ehe geschlossen und sei zu ihr nach * seit dem 20. Januar 2018 umverteilt worden und lebe mit ihr zusammen. Dem Kläger stehe ein Aufenthaltsrecht zu, was seiner Abschiebung entgegenstehe.
Die Beklagte hat sich nicht geäußert.
Die Regierung von * als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat auf jegliche Zustellungen mit Ausnahme der Endentscheidung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die von der Beklagten am 14. Dezember 2017 vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe hat nur im tenorierten Umfang Erfolg, da nur insoweit die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens – bereits heute unter Auswertung der Aktenlage und voraussichtlich auch zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über die Klage (§ 77 AsylG) – noch offen sind.
Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
Im Zeitpunkt der Bewilligungsreife für den einkommens- und vermögenslosen Kläger, der auch unter Berücksichtigung eines wirtschaftlich nicht durchsetzbaren Anspruchs auf Prozesskostenvorschuss nach § 1360a Abs. 4 BGB gegenüber seiner Ehefrau nicht leistungsfähig ist, erweist sich der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. November 2017 im angefochtenen Teil als voraussichtlich überwiegend rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in dessen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO); lediglich gegen die Ermessensentscheidung der Beklagten über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehen rechtliche Bedenken. Die Beschränkung auf die Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts folgt aus § 121 Abs. 3 ZPO, weil keine Notwendigkeit für die Mandatierung eines auswärtigen Bevollmächtigten durch den im Zeitpunkt der Klageerhebung einem Wohnsitz im Gerichtsbezirk zugewiesenen Kläger bestand.
1. Die Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist voraussichtlich rechtmäßig.
Die Beklagte hat ihre Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützt und die Ausreisefrist auf § 38 Abs. 1 AsylG. Dies ist nicht zu beanstanden.
Das Bundesamt erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn – wie hier – der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, ihm nicht Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen, sowie der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Das ist hier der Fall, denn der Kläger besitzt keinen der in § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG enumerativ genannten Aufenthaltstitel und ist von diesem Erfordernis auch nicht befreit.
Er ist deswegen auch zur Ausreise verpflichtet, denn seine Aufenthaltsgestattung ist durch die nicht angefochtene und daher bestandskräftige Ablehnung seines Asylantrags nach § 13 AsylG durch Nr. 1 bis Nr. 4 des Bescheids der Beklagten vom 24. November 2017 auch erloschen. Soweit der Kläger geltend macht, er habe mindestens einen Anspruch auf eine Duldung, ließe selbst deren Erteilung nach § 60a Abs. 3 AufenthG nicht die Ausreisepflicht entfallen; auch ein etwaiger Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG – eine entsprechende Antragstellung unterstellt – hätte keine aufenthaltsrechtliche Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG, da sich der Kläger weder rechtmäßig (sondern bis zur bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrags nur gestattet, vgl. § 55 Abs. 2 AsylG) im Bundesgebiet aufhält und auch nicht mit einem Visum eingereist ist.
Ob einem Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zum Ehegattennachzug daneben noch die Sperre des § 10 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 und Satz 2 AufenthG entgegensteht, weil der Kläger weder das erforderliche Visum eingeholt noch die erforderlichen Angaben – Ehegattennachzug – gemacht hat oder, er also auf die jedenfalls mangels Schutzbedürftigkeit in Hinblick auf den Herkunftsstaat nicht unzumutbare Nachholung des Visumsverfahrens zu verweisen wäre (vgl. zur Nachholung OVG NRW, B.v. 8.12.2011 – 18 B 866/11 – juris Rn. 9 ff. m.w.N.), zumal er sich durch Neuausstellung eines Reisepasses des angeblichen Verfolgerstaats wieder unter dessen Schutz gestellt hat (arg. ex § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), braucht nicht vertieft zu werden, da dies nicht in der Prüfungskompetenz der Beklagten liegt, sondern der Ausländerbehörde.
Die Ausreiseaufforderung nach § 34 Abs. 1 AsylG und die Ausreisefrist gestützt auf § 38 Abs. 1 AsylG entsprechen somit den gesetzlichen Verpflichtungen der Beklagten zu diesen Nebenentscheidungen (vgl. BVerwG, U.v. 17.8.2010 – 10 C 18.09 – juris Rn. 12) und sind daher nicht zu beanstanden.
2. Ob die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate angemessen ist, ist derzeit zumindest zweifelhaft, da die Beklagte trotz Vorliegens entsprechender Nachweise nicht von einer Eheschließung des Klägers sondern nur von einem Aufgebot im Zeitpunkt ihrer Ermessensentscheidung ausgegangen ist.
Insofern könnte ein für die Ermessensentscheidung wesentlicher Gesichtspunkt übersehen worden und damit ein Ermessensdefizit gegeben sein. Da für eine Ermessensreduzierung auf null mit der Folge einer Befristung auf null Tage aber keine Anhaltspunkte vorliegen – der Kläger hat derzeit wohl keinen strikten Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zum Ehegattennachzug ohne vorherige Durchführung bzw. Nachholung eines Visumsverfahrens (vgl. unter 1.) –, kann das Gericht im Hauptsacheverfahren die Beklagte voraussichtlich nur zur Neuentscheidung verpflichten (vgl. § 114 VwGO), sofern die Beklagte nicht bis zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) ihre Ermessensentscheidung selbst korrigiert bzw. fehlerfrei nachholt.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.


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