Verwaltungsrecht

Prozesskostenhilfe für Klage gegen Kosten der Ingewahrsamnahme

Aktenzeichen  10 C 18.375

Datum:
28.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15094
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 17 Abs. 1 Nr. 2, Art. 58 Abs. 1, Art. 60 ff., Art. 75 Abs. 1, Art. 75 Abs. 3 S. 1
VwGO § 146 Abs. 1, § 166 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Gebührenerhebung für die Anwendung unmittelbaren Zwangs setzt voraus, dass die polizeiliche Maßnahme rechtmäßig gewesen ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat der handelnde Amtsträger seinerzeit die Lage aus seiner Sicht zutreffend eingeschätzt, wird die getroffene Maßnahme ex post betrachtet nicht dadurch rechtswidrig, dass die Entwicklung anders als prognostiziert verlaufen ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hat der Kläger aufgrund von gemeldeten Drohungen, dem Versuch, sich der Personenkontrolle zu entziehen, massiver Alkoholisierung und zunehmend agressiven Verhaltens Anlass zu der Annahme gegeben, er werde ohne Ingewahrsamnahme Straftaten begehen, war die polizeiliche Gefahrenprognose nicht zu beanstanden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4 Durch die Weigerung, der Ingewahrsamnahme Folge zu leisten, und massive Widerstandshandlungen waren die Voraussetzungen für die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegeben. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 16.785 2018-01-18 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth anhängige Klage weiter, mit der er sich gegen den Kostenbescheid des Polizeipräsidiums Oberfranken vom 26. Oktober 2016 wendet. Mit diesem Bescheid wurde ihm eine Gebühr in Höhe von 54,- Euro für eine am 4. Juli 2016 verfügte und mit unmittelbarem Zwang vollstreckte Ingewahrsamnahme auferlegt.
Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 VwGO) ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, also wenn dieser vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte.
Gemessen an diesen Grundsätzen hat im vorliegenden Fall auch unter Einbeziehung des klägerischen Vorbringens im Beschwerdeverfahren das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat.
Nach Art. 58 Abs. 3 Satz 1 PAG (in der bis zum 24.5.2018 geltenden Fassung – a.F.; nunmehr Art. 75 Abs. 3 Satz 1 PAG n.F.) werden für die Anwendung unmittelbaren Zwangs Kosten erhoben. Ein Ermessen für die Behörde besteht insoweit nicht.
Die Gebührenerhebung für die Anwendung unmittelbaren Zwangs setzt weiter voraus, dass die polizeiliche Maßnahme rechtmäßig gewesen ist (BayVGH, U.v. 17.4.2008 – 10 B 07.219 – juris Rn. 16). Das ist hier in Bezug auf die polizeiliche Ingewahrsamnahme des Klägers und ihre Vollstreckung durch Anwendung unmittelbaren Zwangs der Fall.
Nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG a.F. (in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG n.F. nicht wesentlich geändert) kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Dabei ist für die gerichtliche Beurteilung der Gefahrenlage auf eine ex-ante-Betrachtung aus der Sicht des für die Polizei handelnden Amtswalters abzustellen (BayVGH, B.v. 13.6.2016 – 10 ZB 14.1458 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 20.3.2015 – 10 B 12.2280 – juris Rn. 46; BayVGH, U.v. 2.12.1991 – 21 B 90.1066 – juris Rn. 54). Hat der handelnde Amtsträger die Lage – ex ante gesehen – zutreffend eingeschätzt, dann wird die getroffene Maßnahme – ex post betrachtet – nicht dadurch rechtswidrig, dass die Entwicklung anders als prognostiziert verlaufen ist. Stellt sich nachträglich heraus, dass keine wirkliche Gefahr vorlag, sondern nur der Anschein einer Gefahr erweckt wurde, kommt es darauf an, ob die Gefahreneinschätzung dem Urteil eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Amtswalters entspricht. Die bei verständiger Würdigung der erkennbaren Umstände bestehende Anscheinsgefahr steht einer objektiven Gefahr gleich und rechtfertigt ein polizeiliches Einschreiten.
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die polizeiliche Gefahrenprognose im Zusammenhang mit der Ingewahrsamnahme des Klägers bei summarischer Betrachtung nicht zu beanstanden ist. Der Kläger hat durch sein Verhalten – nämlich insbesondere durch die von Dritten gemeldeten Drohungen, die Flucht vor der eintreffenden Polizei, den Versuch, sich der Personenkontrolle zu entziehen, seine erkennbare massive Alkoholisierung und sein zunehmend aggressives Verhalten – Anlass zur der Annahme gegeben, er werde ohne die Ingewahrsamnahme Straftaten begehen; insoweit wird zu Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts (BA S. 6-7) Bezug genommen. Soweit der Kläger in der Beschwerdebegründung geltend macht, er habe sich keiner Straftaten schuldig gemacht, und es habe kein Grund für die Unterbindung irgendwelcher Straftaten bestanden, hat bereits das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die polizeiliche Ingewahrsamnahme nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG a.F. gerade dazu dient, bevorstehende Straftaten zu verhindern. Wie ausgeführt, konnten die Polizeibeamten annehmen, dass vom Kläger die Gefahr von Straftaten ausgeht.
Der Kläger bringt weiter vor, er sei nicht vor der Polizei geflüchtet und es habe keinen Grund gegeben, unmittelbaren Zwang anzuwenden. Er sei „lediglich etwas aggressiv“ gewesen, weil die Polizeibeamten ihn „so rüde“ angegangen hätten; hierfür müssten die beteiligten Polizeibeamten als Zeugen vernommen werden. Damit unterstellt er aber einen Sachverhalt, für den es keine sachlichen Anhaltspunkte gibt. Das Verwaltungsgericht hat seinem Beschluss den Geschehensablauf zugrunde gelegt, wie er sich aus den tatsächlichen Feststellungen in dem Urteil des Strafgerichts vom 19. Mai 2017 (mit dem der Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt worden ist) und ebenso aus der beigezogenen polizeilichen Ermittlungsakte ergibt. Die bloße Behauptung, sein „etwas aggressives“ Verhalten beruhe lediglich auf dem „rüden“ Vorgehen der Polizeibeamten, kann demgegenüber die vom Verwaltungsgericht herangezogene Tatsachengrundlage nicht soweit in Zweifel ziehen, dass hieraus zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein unrechtmäßiges Verhalten der Polizeibeamten und damit hinreichende Erfolgsaussichten der Klage abzuleiten wären. Der Sachverhalt ist keineswegs so offen, dass er erst nach einer (erneuten) Zeugenvernehmung der eingesetzten Polizeibeamten mit hinreichender Sicherheit beurteilt werden könnte.
Durch die Weigerung des Klägers, der ihm gegenüber erklärten Ingewahrsamnahme Folge zu leisten, und seine massiven Widerstandshandlungen waren auch die Voraussetzungen für die Anwendung unmittelbaren Zwangs nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 PAG a.F. gegeben. Hinsichtlich der konkreten Art und Weise der Anwendung unmittelbaren Zwangs (Art. 58 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 60 ff. PAG a.F.) bestehen keine Bedenken; auch insoweit wird auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts (BA S. 7-8) Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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