Verwaltungsrecht

Prüfung Abschiebung eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit

Aktenzeichen  Au 6 K 18.30861

Datum:
16.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23120
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
AsylG § 4, § 72 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO § 101 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Unter Aufhebung von Ziffer 6 ihres Bescheids vom 24. April 2018, soweit sie der folgenden Verpflichtung entgegenstehen, wird die Beklagte verpflichtet, über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts neu zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens vier Fünftel zu tragen, die Beklagte ein Fünftel.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die wegen des allseitigen Verzichts der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist bis auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 24. April 2018 ist daher bis auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO); lediglich im tenorierten Umfang ist er rechtswidrig und aufzuheben. Es wird daher Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
a) Die Flüchtlingsanerkennung ist bereits im Umkehrschluss aus § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ausgeschlossen, weil der Kläger sich durch Annahme eines Nationalpasses erneut unter den Schutz des türkischen Staats, seines angeblichen Verfolgerstaats, gestellt hat. Erlischt nach dieser Norm eine Zuerkennung von Flüchtlingsschutz, so sperrt der in ihr enthaltene Rechtsgedanke erst recht die – hier – noch nicht erfolgte Zuerkennung von Flüchtlingsschutz.
Die übrigen Wertungen zum Flüchtlingsschutz tragen dieses Ergebnis sachlich zusätzlich:
b) Eine Gruppenverfolgung allein wegen einer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden haben Asylbewerber aus der Tü. nicht zu befürchten. Kurden gehören zu einer weit verbreiteten Bevölkerungsgruppe in der Tü.; Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung ethnischer Kurden liegen nicht vor (vgl. SächsOVG, B.v. 9.4.2019 – 3 A 358/19 – Rn. 13; BayVGH, B.v. 10.2.2020 – 24 ZB 20.30271 – Rn. 6). Dies ist auch beim Kläger der Fall.
c) Eine individuelle Verfolgung wegen einer Zurechnung zur HDP hat der Kläger nicht zu befürchten. Insoweit wird Bezug genommen auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids. Der Kläger war nur Sympathisant und nicht herausgehoben tätig; zudem erscheint es merkwürdig, dass er sich vor dem Wehrdienst versteckt, aber durch die angebliche Teilnahme an kurdischen Kundgebungen und dem Newroz-Fest der gezielten Beobachtung durch den türkischen Staat und der Gefahr einer Verhaftung – wie angeblich seine Freunde – und damit der zwangsweisen Zuführung zum Wehrdienst ausgesetzt haben will.
d) Der Kläger konnte auch mit seinem individuellen Vortrag sonst nicht glaubhaft machen, dass ihm in der Tü. eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.
Hierbei ist der Bescheidsbegründung der Beklagten zu folgen, wonach der Kläger keine an ihn individuell gerichteten Bedrohungen oder gar Übergriffe geschildert hat, sondern lediglich Nachsuchen zur Ableistung seines Wehrdienstes, dem er sich entzogen hat (dazu sogleich).
e) Eine Verfolgung i. S. des § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 AsylG in Gestalt einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung droht ihm im Fall seiner Rückführung in die Tü. nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Ungeachtet seiner individuellen Motive und des bereits oben genannten generellen Ausschlusses vom Flüchtlingsschutz wäre eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes auch keine Verfolgung:
Nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden.
Zwar unterliegt ein Mann grundsätzlich der gesetzlichen Wehrpflicht, die in der Tü. ab dem 20. Lebensjahr beginnt. Der Wehrdienst wird in den Streitkräften oder der Jandarma abgeleistet. Söhne und Brüder gefallener Soldaten können vom Wehrdienst befreit werden; im Ausland lebende Türken können sich gegen ein Entgelt freikaufen, das zunächst mit Änderung des Wehrgesetzes im Januar 2016 von 6.500 Euro auf 1.000 Euro gesenkt und 2018 auf 2.000 Euro erhöht wurde (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tü. vom 14.6.2019, S. 17 – im Folgenden: Lagebericht). Das am 25. Juni 2019 in Kraft getretene neue Wehrgesetz verkürzte die Dauer der Wehrpflicht zudem von zwölf auf sechs Monate, wobei männliche türkische Staatsbürger nur noch eine einmonatige militärische Ausbildung absolvieren müssen und sich von den restlichen fünf Monaten ihres Wehrdienstes unter Zahlung von 31.000 TL (ca. 4.725 Euro) freikaufen können. Dies gilt auch für bereits Wehrdienst leistende Männer. Nach sechs Monaten kann freiwillig gegen Entgelt weiter gedient werden (BFA, Länderinformationsblatt Tü. vom 29.11.2019, S. 36).
Wer wehrpflichtig ist, aber sich der Musterung entzieht, gilt als „Musterungsflüchtiger“, was eine Ordnungswidrigkeit darstellt und mit Geldstrafen geahndet wird. Die Verjährung richtet sich nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht und greift proportional zur Höhe der Geldbuße nach drei, vier oder fünf Jahren Verjährungsfrist. Wer sich nach erfolgter Musterung und Einberufung dem Wehrdienst entzieht, gilt als „Wehrdienstflüchtiger“, was eine Straftat darstellt und mit Geldstrafen geahndet wird, die in der Höhe von der Dauer der Wehrdienstentziehung sowie davon sind, ob der Wehrdienstflüchtige sich stellt oder gefasst wird. Die Verjährung richtet sich nach Art. 66 tStGB und greift, wenn der Wehrdienstflüchtige sich stellt oder gefasst wird (zum Ganzen Deutsche Botschaft Ankara, Auskunft vom 1.6.2017 an das BAMF, S. 2). Das aktuelle Wehrpflichtgesetz vom 25. Juni 2019 sieht für Wehrdienstflüchtige eine Verwaltungsgeldstrafe/Geldbuße vor. Meldet sich der flüchtige freiwillig, muss er für jeden Tag der Wehrdienstentziehung 5 TL Zahlen; im Falle der Ergreifung das Doppelte nach Art. 17 Abs. 7 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten Nummer 5326. Anders als zuvor sieht das aktuelle Wehrdienstgesetz Nummer 7179 nur eine Geldstrafe (statt früher wohl einer Haftstrafe) vor (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 8.1.2020 an das VG Augsburg zu Frage 3h).
In der Tü. gibt es kein Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes oder einen Anspruch auf Ableistung eines Ersatzdienstes. Musterungsverweigerer, Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige werden strafrechtlich verfolgt. Wehrdienstpflichtige werden im zentralen elektronischen Fahndungsregister (GBT) erfasst; Sicherheitsbeamte an der Grenze und im Inland können an Hand der Identitätsnummer des Betroffenen einen Eintrag im GBT prüfen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7). Wehrdienstentziehung wird in der Tü. zunächst mit einer Geldbuße geahndet unter Berücksichtigung der Zeitspanne des Wehrdienstentzugs sowie ob sich der Betroffene selbst bei den Wehrbehörden gemeldet hat oder festgenommen wurde (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6). Wird ein erlassener Bußgeldbescheid bestandskräftig und meldet sich der Betroffenen danach nicht bei der Wehrbehörde zum Dienstantritt, können auch Freiheitsstrafen zwischen 2 und 36 Monaten verhängt werden; in der Regel wird von der Mindeststrafe Gebrauch gemacht und können kurzzeitige Gefängnisstrafen nach Art. 50 tStGB u.a. auch in Geldstrafen umgewandelt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6). Seit Änderung von Art. 63 tMilStGB ist bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich, insbesondere nach Art. 67 tStGB bei Flucht ins Ausland. Die Verjährungsfrist richtet sich nach Art. 66e tStGB und beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen (vgl. Lagebericht ebenda S. 18; BFA, Länderinformationsblatt Tü. vom 29.11.2019, S. 40). Die Vollstreckung solcher Haftstrafen wurde wegen Platzmangels in den Haftanstalten regelmäßig aufgeschoben, so dass fast niemand eine solche Haftstrafe verbüßen musste; auch nach einer Gesetzesänderung, dass Haftstrafen über drei Monaten verbüßt werden müssten, wird der Haftantritt aus demselben Gründen aufgeschoben (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 10). Die Haftbedingungen in Militärhaftanstalten unterscheiden sich nach Kenntnis des Auswärtigen Amts grundsätzlich nicht von jenen in anderen Haftanstalten; das türkische Wehrrecht sieht eine Haft in einer Militärhaftanstalt jedoch erst vor, wenn ein Wehrpflichtiger während des Ableistens des Wehrdienstes wegen einer Straftat verurteilt wird (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7). Wehrdienstflüchtige werden auch nicht per Hausdurchsuchung am Wohnort sondern per GBT gesucht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6) und dürften daher beim Grenzübertritt auffallen sowie – im Falle eines Haftbefehls – in Untersuchungshaft genommen werden (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 12).
Soweit bis zum Jahr 2009 Personen die türkische Staatsangehörigkeit aberkannt wurde, die sich dem Wehrdienst entzogen hatten, können sie mittlerweile durch Novellierung des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes unabhängig von ihrem Wohnsitz wieder die Staatsangehörigkeit erhalten (vgl. Lagebericht ebenda S. 18) und unterliegen dann weiterhin der Wehrpflicht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 6).
Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für das türkische System, das keinen Ersatzdienst und kein Verfahren vorsieht, in dem dargelegt werden kann, ob die Voraussetzungen einer Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vorliegen, eine Verletzung der von Art. 9 EMRK garantierten Gewissensfreiheit angenommen, weil es keinen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft und jenem von Wehrdienstverweigern trifft (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.2018 – 1 VR 12/17 – juris Rn. 87; BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – juris Rn. 110 jeweils unter Verweis auf EGMR, U.v. 12.6.2012 – 42730/05). Allerdings bezog sich diese Bewertung eines angemessenen Ausgleichs auf die Strafpraxis vor der Reform der Wehrstrafverfolgung mit einer deutlichen Milderung der vormals strengeren Strafen (vgl. oben), so dass die frühere Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wegen der damals harten Mehrfachbestrafung auf das heute deutlich abgemilderte Sanktionensystem (vgl. oben: Geldbuße, Geldstrafe, Haftstrafe, die regelmäßig nicht vollstreckt, sondern umgewandelt oder aufgeschoben wird) so nicht mehr übertragbar ist (das übersieht BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – juris Rn. 110, ohne nähere Würdigung der aktuellen Auskunftslage zum Sanktionensystem und unter Verweis auf EGMR, U.v. 12.6.2012 – 42730/05).
Es ist daher gerade nicht ersichtlich, dass die Verhängung einer Geldbuße oder Geldstrafe oder im Wiederholungsfall einer Haftstrafe, die regelmäßig nicht vollstreckt, sondern umgewandelt oder aufgeschoben wird, keinen angemessenen Ausgleich zwischen der Durchsetzung des staatlichen Dienstanspruchs einerseits und der privaten Gewissensentscheidung des Betroffenen andererseits darstellte. Anhaltspunkte für eine im vorliegenden Fall abweichende Bewertung sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.
Soweit im vorliegenden Fall eine Strafverfolgung wegen Wehrdienstentziehung möglich ist, droht jedoch keine hinreichend wahrscheinliche Beteiligung an Kriegsverbrechen (vgl. BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – juris Rn. 98); besondere Umstände, aus denen sich ergibt, dass Strafmaßnahmen nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht gelten, sind nicht ersichtlich (als Maßstab bei EuGH, U.v. 20.11.2013 – C-472/13; BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – Rn. 98; BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 15). Insbesondere gibt es keine belastbaren Erkenntnisse, dass die Heranziehung zum Militärdienst an gruppenbezogenen Merkmalen bzw. persönlichen Merkmalen i.S.v. § 3b AsylG oder an der Volkszugehörigkeit (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Augsburg vom 6.3.2019 zu Frage 7) orientiert ist, mithin ein „Politmalus“ oder „Religionsmalus“ erfolgt. Im Gegenteil können z.B. homosexuelle Wehrpflichtige auf Antrag und nach ärztlicher Begutachtung grundsätzlich als für den Wehrdienst untauglich eingestuft werden (vgl. Lagebericht ebenda S. 18 f.; BFA, Länderinformationsblatt Tü. vom 29.11.2019, S. 37 f.). Die Heranziehung zum Wehrdienst und die Bestrafung wegen seiner Verweigerung in der Tü. stellen daher keine politische Verfolgung dar (wie hier BVerwG, U.v. 6.2.2019 – 1 A 3.18 – juris Rn. 98; VG München, B.v. 5.4.2018 – M 1 S 17.46575 – juris Rn. 13 m.w.N.).
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr in die Tü. ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht. Auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Bescheid wird verwiesen § 77 Abs. 2 AsylG).
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
4. Allerdings erweist sich die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG nicht mehr als rechtmäßig, da der Kläger zwischenzeitlich eine in Deutschland aufenthaltsberechtigte Ehefrau gefunden hat und somit fristreduzierende Belange vorliegen, welche die Beklagte noch nicht gewürdigt hat. Daher war der Klage im tenorierten Umfang stattzugeben und sie im Übrigen mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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