Verwaltungsrecht

Quarantäneanordnung, Positiv auf das Coronavirus getestete Person, Abgrenzung Freiheitsbeschränkung versus Freiheitsentziehung

Aktenzeichen  B 7 S 21.1105

Datum:
20.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33608
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 104

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Quarantäneanordnung des Landratsamts … vom 13.10.2021.
Nachdem dem Landratsamt … am 12.10.2021 ein die Antragstellerin betreffendes positives Ergebnis eines Antigen-Schnelltests auf das SARS-CoV-2-Virus gemeldet worden war, wurde am gleichen Tag ein PCR-Test durchgeführt. Dieser ergab ebenfalls ein positives Ergebnis mit einem Ct-Wert von 24.
Mit Schreiben vom 13.10.2021, teilte das Landratsamt … – Gesundheitswesen der Antragstellerin mit, dass diese aufgrund einer Infektion mit dem Coronavirus verpflichtet sei, sich umgehend in Isolation zu begeben. Es wurde auf die Allgemeinverfügung „Quarantäne von Kontaktpersonen und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Isolation)“ in der aktuell geltenden Fassung vom 15.09.2021 verwiesen.
Mit elektronischer Post, eingegangen bei Gericht am Samstag, 16.10.2021 um 18:23 Uhr, ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen die Quarantäneanordnung vom 13.10.2021 erheben (Az. B 7 K 21. 1106) und um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Anordnung vom 13.10.2021 enthalte keine Feststellungen über eine etwaige Symptomatik der Antragstellerin, die tatsächlich symptomfrei, also gesund, sei. Der Antrag sei zulässig und begründet. Die Antragstellerin werde in verfassungsrechtlich nicht hinnehmbarer Weise in ihrer Fortbewegungs- und allgemeinen Handlungsfreiheit eingeschränkt. Bei (summarischen) Prüfung ergebe sich, dass das verfassungssowie gemeinschaftsrechtlich besonders geschützte Interesse der Antragstellerin, auch außerhalb der eigenen Wohnung/Balkon, ggf. Garten sich so zu bewegen, wie sie es für angebracht halte, ein etwaiges (vorliegend nicht begründetes) öffentliches Interesse daran, dass sie dies unterlasse, überwiege. Denn der angegriffene Verwaltungsakt sei schon aus formalen Gründen offensichtlich rechtswidrig und verletze die Antragstellerin in ihren Rechten.
Es handele sich bei der Quarantäneanordnung um eine freiheitsentziehende Maßnahme im Sinne des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, über deren Zulässigkeit und Dauer nur der zuständige Richter entscheiden dürfe. Denn die Antragstellerin dürfe sich nach der Anordnung außerhalb der eigenen Wohnung/Haus/Garten nicht fortbewegen. Damit sei ihre Bewegungsfreiheit in alle Himmelsrichtungen eingeschränkt. Ein Verstoß hiergegen sei eine Straftat nach dem Infektionsschutzgesetz. Eine solche zu begehen, sei der Antragstellerin unzumutbar, was die Intensität des Eingriffs verschärfe. Die erforderliche richterliche Entscheidung sei offenbar nicht eingeholt worden. Sie werde auch nicht durch die in Bezug genommene Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und das Infektionsschutzgesetz entbehrlich gemacht, denn diese Regelungen – soweit sie nicht die Einholung einer richterlichen Entscheidung vor der Anordnung vorsähen – verstießen offensichtlich gegen Art. 104 Abs. 2 GG. Es wurde hingewiesen auf die entsprechende Kommentierung bei Kießling. Dementsprechend sei die Quarantäneanordnung schon einstweilen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache aufzuheben. Insoweit hätte der Antragsgegner vor seiner Entscheidung den zuständigen Richter anrufen müssen, der sich vor der Anordnung einen persönlichen Eindruck von der Klägerin hätte verschaffen müssen. So sehe es das Grundgesetz in Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG ausdrücklich vor, gerade weil das Grundgesetz das Grundrecht der Freiheit der Person gegen massenhafte Maßnahmen der Freiheitsentziehung verstärkt habe sichern wollen.
Die Antragstellerin beantragt,
vorläufig, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, bezüglich der am 13.10.2021 durch das Landratsamt … gegenüber der Antragstellerin angeordneten Quarantäne die aufschiebende Wirkung der hiergegen zugleich eingereichten Klage herzustellen.
Das Landratsamt … übermittelte die einschlägigen Akten per Telefax und empfahl, den Eilantrag abzulehnen. Es sei, nachdem ein PCR-Test ein positives Ergebnis erbracht habe, gemäß der AV Isolation eine 14-tägige Quarantäne angeordnet worden, die nicht verkürzt werden könne, da die Antragstellerin keinen Impfnachweis habe erbringen können. Das Fehlen von Symptomen schließe eine Infektiosität nicht aus. In diesem Fall sei aufgrund des vom Labor gemessenen Ct-Wertes von 24 von einer Infektiosität auszugehen.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die übermittelte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist statthaft als Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, gerichtet gegen die Quarantäneanordnung durch Schreiben des Landratsamts … – Gesundheitswesen vom 13.10.2021. Die Pflicht für positiv auf das Coronavirus getestete Personen, sich in Isolation zu begeben, ergibt sich grundsätzlich unmittelbar aus der Allgemeinverfügung Isolation. Vorliegend hat jedoch das Landratsamt … – Gesundheitswesen im Schreiben vom 13.10.2021 die Isolation hinsichtlich der Antragstellerin einzelfallbezogen gesondert angeordnet und hinsichtlich des Zeitraums individualisiert. Statthaft ist nach Auslegung des Antragsbegehrens (§ 88, § 122 Abs. 1 VwGO) daher ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO. Denn gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 16 Abs. 8 IfSG ist die Anordnung des Landratsamts … – Gesundheitswesen kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
2. Der Antrag ist allerdings unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier § 30 Abs. 1, § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Bei summarischer Prüfung spricht ganz Überwiegendes dafür, dass die erhobene Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren erfolglos bleiben wird.
a) Soweit geltend gemacht wurde, dass die Antragstellerin symptomfrei sei, kann dies dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Das Landratsamt hat die Antragstellerin vor dem Hintergrund des gemessenen Ct-Wertes von 24 vielmehr zu Recht als positiv auf das Coronavirus getestete Person eingestuft. Beim Ct-Wert handelt es sich um einen geeigneten Maßstab, das Maß der Infektiosität einer an COVID-19 erkrankten Person näher zu beschreiben. Dabei gilt, je höher der gefundene Ct-Wert ist, desto niedriger ist die ursprüngliche Viruskonzentration in der untersuchten Probe. Ct-Werte von > 30 gelten dabei als Hinweis auf eine niedrige, Werte von > 35 auf eine sehr niedrige Viruskonzentration. Die ursprüngliche Virenmenge wiederum beeinflusst, wie ansteckend eine infizierte Person ist. Eine hohe Viruskonzentration im Nasen-Rachen-Raum sorgt im Normalfall auch für eine hohe Infektiosität (vgl. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/10/22/ct-wert-als-mass-fuer-die-infektiositaet und eingehend https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_ nCoV.html). Ist demnach aber von einer hohen Virenlast bei der Antragstellerin im Zeitpunkt der Probenahme auszugehen, kann die vom Landratsamt vorgenommene Einordnung der Antragstellerin in die der AV Isolation zugrundeliegenden Fallgruppen nicht beanstandet werden. Der Umstand, dass die Antragstellerin nach ihren Angaben keine Symptome verspüre und sich „gesund“ fühle, kann eine abweichende rechtliche Bewertung keinesfalls rechtfertigen.
b) Nicht stichhaltig erscheint schließlich der Einwand der Antragstellerin, es liege ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG vor. Art. 104 GG unterscheidet zwischen freiheitsbeschränkenden und freiheitsentziehenden Maßnahmen. Freiheitsentziehungen im Sinne von Absatz 2 der Norm, für die der Richtervorbehalt gilt, setzen dabei einen höheren Grad der Eingriffsintensität voraus. Die vorliegende Maßnahme erging zwar in Gestalt eines Verwaltungsaktes, doch wird nach der gesetzgeberischen Konzeption die „Freiwilligkeit des Betroffenen und damit seine Einsicht in das Notwendige“ vorausgesetzt (vgl. BT-Drs. 14/2530, S. 75). Weder ist jedoch die gegen die Antragstellerin verfügte Isolation für sich genommen im Verwaltungsverfahren vollstreckbar, noch ist ein Verstoß gegen sie strafbewehrt. Erst wenn sich der Betroffene weigert, der Absonderung nachzukommen, ist die Anordnung nach Maßgabe des § 30 Abs. 2 IfSG, der insbesondere die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 104 Abs. 2 GG berücksichtigt, durchsetzbar. Soweit ein Verstoß gegen die Isolierungsverpflichtung – wie hier – bußgeldbewehrt ist, kann dies zwar eine psychische Zwangswirkung auf die Betroffenen ausüben. Diese ist jedoch in Ausmaß und Wirkungsweise einem unmittelbaren physischen Zwang nicht vergleichbar. Andernfalls ließe sich der Schutzbereich des Grundrechts auf persönliche Freiheit nicht mehr mit der erforderlichen Klarheit vom Schutzbereich des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit abgrenzen. Der Antragstellerin wurde überdies auch nicht auferlegt, sich an einer ganz bestimmten Örtlichkeit zu isolieren, noch ist ersichtlich, dass eine Überwachung der Einhaltung der Isolierungsverpflichtung durch die Behörde nur ansatzweise lückenlos stattfindet oder überhaupt realisiert werden könnte (vgl. zum Ganzen: BayVerfGH, E.v. 23.11.2020 – Vf. 59-VII-20; VG Saarland, B.v. 23.9.2020 – 6 L 1001/20; OVG Lüneburg, B.v. 9.4.2021 – 13 MN 170/21; VG Würzburg, B.v. 30.10.2020 – W 8 S 20.1625; OVG Thüringen, B.v. 5.5.2021 – 3 EN 251/21 – juris, jeweils m.w.N.).
Soweit die Antragstellerseite mit dem Verweis auf die Kommentierung bei Kießling u.a. Bezug nimmt auf den dort angeführten Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 13.05.2020 – 15 E 1967/20 -, erscheint die damalige Konstellation schon im Ansatzpunkt insofern unterschiedlich, als die hiesige Antragstellerin mit einem niedrigen Ct-Wert und damit anzunehmender Infektiosität positiv auf das Coronavirus getestet wurde, wohingegen der der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg zugrunde liegenden Sachverhalt davon gekennzeichnet ist, dass gerade keine positive Testung auf das Coronavirus vorlag, sondern sich die Verpflichtung zur Quarantäne alleine daraus ergab, dass der dortige Antragsteller aus dem Ausland eingereist war.
3. Der Antrag wird nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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