Verwaltungsrecht

Räumliche Beschränkung einer Aufenthaltsgestattung nach Anklage wegen Verstoßes gegen das BtMG

Aktenzeichen  M 4 S 16.5044

Datum:
8.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 55, § 59 Abs. 1 Nr. 2, § 59a Abs. 1, § 59b Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Das Vorliegen einer Anklageschrift wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln rechtfertigt die räumliche Beschränkung des Aufenthalts im Hinblick auf die bedrohten Rechtsgüter und zur effektiven Gefahrenabwehr. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Pflicht der Ausländerbehörde, das Zwischenverfahren auf Zulassung der Anklage abzuwarten, besteht nicht; ausreichend ist eine Prüfung der Beweistatsachen im Einzelfall. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltsgestattung auf den Landkreis …
Der Antragsteller stammt aus … und reise am … Juli 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 13. August 2014 stellte er einen Asylantrag und erhielt eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Asylgesetz -AsylG-. Die zunächst räumlich auf den Landkreis Starnberg beschränkte Aufenthaltsgestattung wurde nach drei Monaten auf das Bundesgebiet erweitert.
Im April 2016 wurde ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln gegen den Antragsteller eingeleitet.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2016 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu einer geplanten räumlichen Beschränkung der Aufenthaltsgestattung auf den Landkreis … an. Mit Schreiben vom 7. Juli 2016 trug der Bevollmächtigte des Antragstellers im Wesentlichen vor, dass noch in keiner Weise feststehe, dass sein Mandant gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen habe, da das Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Für seinen Mandanten gelte auch im verwaltungsrechtlichen Verfahren die Unschuldsvermutung.
Am 22. September 2016 erhob die Staatsanwaltschaft München II Anklage gegen den Antragsteller wegen vorsätzlichem, gewerbsmäßigem unerlaubtem Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei tatmehrheitlichen Fällen (Az. 41 Js 37796/15). Wegen der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift verwiesen.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 beschränkte der Antragsgegner den Geltungsbereich der Aufenthaltsgestattung des Antragstellers mit sofortiger Wirkung für einen Zeitraum von 12 Monaten ab dem Tag der Zustellung räumlich auf den Landkreis … Der Antragsgegner begründete den Bescheid im Wesentlichen damit, dass die räumliche Beschränkung einer Aufenthaltsgestattung gemäß § 59b Abs. 1 Nr. 2 AsylG wieder angeordnet werden könne, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigten, dass der Ausländer gegen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen habe. Gegen den Antragsteller sei ein Strafverfahren eingeleitet worden, da dieser im Herbst 2015 und Frühjahr 2016 gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen habe. Die Staatsanwaltschaft München II habe am 22. September 2016 Anklage gegen den Antragsteller wegen vorsätzlichen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in zwei tatmehrheitlichen Fällen erhoben. Daher seien die Voraussetzungen des § 59b Abs. 1 Nr. 2 AsylG erfüllt. Eine Verurteilung sei insoweit nicht erforderlich, ein hinreichender Verdacht reiche aus und sei im Fall des Antragstellers gegeben. Die Entscheidung der Anordnung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde, wobei insbesondere die ordnungsrechtlichen öffentlichen Interessen an der räumlichen Beschränkung mit den schutzwürdigen Interessen des Ausländers abgewogen werden müssten. Vorliegend überwögen die öffentlichen Interessen, insbesondere sprächen auch generalpräventive Gesichtspunkte dafür, dass eine örtliche Beschränkung angeordnet werde. Die Maßnahme werde für einen Zeitraum von 12 Monaten für erforderlich erachtet. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids verwiesen.
Mit Telefax vom 7. November 2016 erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen den Bescheid vom 13. Oktober 2016 (Az. M 4 K 16.5043) und beantragte gleichzeitig nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-,
die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller eingelegten Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Starnberg vom 13. Oktober 2016 anzuordnen.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers begründete dies im Wesentlichen damit, dass entgegen der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers bei der Anordnung einer räumlichen Beschränkung nach § 59b Abs. 1 Nr. 2 AsylG zwar kein hinreichender Tatverdacht erforderlich sei, jedoch „Tatsachen“ vorliegen müssten. Dem Begriff „Tatsachen“ sei zu entnehmen, dass zumindest ein Anfangsverdacht im Sinne der §§ 152 Abs. 2, 160 Strafprozessordnung -StPO- vorliegen müsse. Zwar sei eine Anklage erfolgt, eine Entscheidung des zuständigen Amtsgerichts über die Zulassung liege jedoch nicht vor. Der in der Anklageerhebung enthaltenen strafrechtlichen Bewertung der Staatsanwaltschaft könne sich der Antragsgegner nicht ohne weiteres anschließen, er müsse immer noch eine eigene Ermessensentscheidung treffen. Die Würdigung einschließlich deren Grundlagen müssten sich aus dem Bescheid ergeben, damit der Adressat sowie das Gericht die Aspekte erkennen könne, aus denen sich die Erwägungen des Landratsamtes ergäben und in welcher Weise diese gegeneinander abgewogen würden. Dem angefochtenen Bescheid sei hiervon nichts zu entnehmen. Das Landratsamt habe offensichtlich lediglich die Tatsache der Anklageerhebung zur Kenntnis genommen. Andere Punkte, wie beispielsweise die naheliegende Täterschaft des Mitbewohners des Antragstellers oder seine mittlerweile aufgenommene psychotherapeutische Behandlung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung seien offensichtlich nicht berücksichtigt worden. Auch hätte das Landratsamt die Entscheidung des zuständigen Strafgerichts über die Zulassung der Anklage noch abwarten müssen. Zudem sei die Anhörung bereits vor Anklageerhebung erfolgt. Zu dieser neuen Tatsache habe das Landratsamt den Antragsteller nicht angehört. Damit liege ein formaler Fehler vor. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Antragsbegründung verwiesen.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 28. November 2016,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass er das ihm gemäß § 59b AsylG zustehende Ermessen in rechtmäßiger und verhältnismäßiger Weise ausgeübt habe. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die behördliche Anordnung einer räumlichen Beschränkung sei bereits möglich, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigten, dass der Ausländer gegen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen habe. Tatsachen in diesem Sinne seien solche, die verwertbar seien und dem betroffenen Ausländer vorgehalten und im Zweifelsfall auch belegt werden könnten. Vorliegend seien dies Zeugenaussagen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig, aber unbegründet.
Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat dabei abzuwägen zwischen dem gesetzlich angeordneten öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG, Art. 21 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz -VwZVG- und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage offensichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse eines Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei der Interessenabwägung.
Nach der hier gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers nach derzeitiger Einschätzung offensichtlich erfolglos bleiben wird, weil der angefochtene Bescheid vom 13. Oktober 2016 rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Damit überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage.
a) Der streitgegenständliche Bescheid ist in Ziffer 1 formell und materiell rechtmäßig.
(1) Der streitgegenständliche Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere wurde die Anhörung gemäß Art. 28 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz -BayVwVfG- ordnungsgemäß durchgeführt.
Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist einem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte eingreift. Eine erneute Anhörung ist dann erforderlich, wenn sich die zugrunde liegenden Tatsachen wesentlich geändert haben (BVerwG, U. v. 25.8.1982 – 8 C 35/80 – NJW 1983, 1689; Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28 Rn. 37; Pautsch/Hoffmann, VwVfG, § 28, Rn. 23).
Nach diesen Grundsätzen wurde der Antragsteller ordnungsgemäß angehört. Insbesondere stellt die Anklageschrift vom 22. September 2016 keine wesentliche Änderung der zugrunde liegenden Tatsachen dar, aufgrund derer eine erneute Anhörung erforderlich gewesen wäre. Die der Anklageschrift zugrunde liegenden Tatsachen waren durch den (sich in den Behördenakten befindlichen) Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei vom … April 2016 bereits vollumfänglich bekannt und eine Äußerung zu diesen Tatsachen deshalb auch im Rahmen der Anhörung vom 28. Juni 2016 bereits möglich.
(2) Der streitgegenständliche Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann eine räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung unabhängig von § 59a Abs. 1 AsylG durch die zuständige Ausländerbehörde angeordnet werden, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer gegen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen hat. Es müssen Tatsachen vorliegen, die verwertbar sind, dem betroffenen Ausländer vorgehalten werden und im Zweifelsfall auch belegt werden können (BT-Drs. 18/3444, S. 6). Ein hinreichender Tatverdacht, wie es der ursprüngliche Gesetzesentwurf vorsah, ist demnach nicht erforderlich. Dies rechtfertigt sich daraus, dass die räumliche Beschränkung keine strafprozessuale Funktion hat, sondern der Gefahrenabwehr dient (Hailbronner, Ausländerrecht, § 59b AsylG, Rn. 8; Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, § 59b AsylG, Rn. 4).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Der strafrechtliche Ermittlungsbericht mit den enthaltenen Zeugenaussagen und die hierauf basierende Anklageschrift rechtfertigen die Schlussfolgerung, dass sich der Antragsteller des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln und damit eines Verstoßes schuldig gemacht und damit gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen hat. Eine Pflicht der Ausländerbehörde, das Zwischenverfahren abzuwarten, besteht nicht, vielmehr reichen konkrete Ermittlungsverfahren oder eine entsprechende Anklage aus. Denn sonst müsste sich die Ausländerbehörde regelmäßig auf einen unabsehbaren und für die gebotene ordnungsbehördliche Steuerung unkalkulierbaren Zeitpunkt verweisen lassen. Die auf ein Drogendelikt hin vom Gesetzgeber geforderte verwaltungsbehördliche Reaktion hat jedoch gerade mit Blick auf das bedrohte Rechtsgut der Volksgesundheit eine effektive Gefahrenabwehr in den Blick zu nehmen. Notwendig, aber auch zureichend ist daher eine Prüfung der aktenkundigen Beweistatsachen im Einzelfall (OLG Hamburg, B. v. 11.12.2015 – 1 Ws 168/15 – NStZ 2016, 433; vgl. auch Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 59b Rn. 2 AsylG; Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, § 59b AsylG Rn. 4). Diese ist vorliegend geschehen.
Die vom Antragsgegner getroffene Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden (§ 114 VwGO). Entgegen dem Vorbringen des Bevollmächtigten des Antragstellers hat der Antragsgegner erkennbar eine eigene Ermessensentscheidung getroffen. Die Grundlagen für diese Ermessensentscheidung (insbesondere das Schreiben des Bevollmächtigten im Rahmen der Anhörung sowie das strafrechtliche Ermittlungsverfahren) gehen aus dem Bescheid hervor. Ermessensfehler des Antragstellers sind nicht ersichtlich.
b) Der streitgegenständliche Bescheid ist auch in Ziffer 2 rechtmäßig. Die Vorlagepflicht folgt aus den allgemeinen Mitwirkungspflichten des Ausländers.
c) Auch die in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete Zwangsgeldandrohung erweist sich als rechtmäßig. Die Voraussetzungen des Art. 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz -VwZVG- wurden eingehalten.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten ist abzulehnen, da die Rechtsverfolgung durch den Antragsteller keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO bietet. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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