Verwaltungsrecht

Räumung und Umsetzung in eine andere Notunterkunft für Obdachlose

Aktenzeichen  M 22 S 16.5528

Datum:
2.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung der Obdachlosenunterkünfte § 9, § 11

 

Leitsatz

Bei Obdachlosigkeit besteht kein Anspruch auf “wohnungsmäßige Versorgung”, sondern nur ein Anspruch auf eine weitgehenden Einschränkungen unterliegende Unterbringung, die lediglich den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung genügen muss. Das gilt auch, wenn dem Obdachlosen bereits eine Unterkunft zugewiesen worden ist. Durch die Einweisung in eine Unterkunft nach Obdachlosenrecht wird kein Besitzstand des Obdachlosen begründet, der seiner künftigen Umsetzung entgegenstehen könnte. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der am 9. Dezember 2016 erhobenen Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2016 wird angeordnet, soweit sie sich gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs richtet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu 3/4, die Antragsgegnerin zu 1/4 zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.
IV. Der Antragstellerin wird für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt und … beigeordnet, soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs beantragt ist. Im Übrigen wird der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die angeordnete Räumung ihrer Unterkunft und die Umsetzung in eine andere Notunterkunft durch die Antragsgegnerin.
Am 28. Juli 2014 wurde die Antragstellerin zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten Herrn M., ihrer Tochter L. und ihrem Sohn F. in eine Obdachlosenunterkunft in der H …straße eingewiesen. Die Unterkunft in der H …straße ist 47,26 qm groß und besteht aus einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer und einer Kochnische. Die Unterkunftsgebühren belaufen sich gemäß § 3 Abs. 2 der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung der Obdachlosenunterkünfte vom 6. Dezember 2012 in der Fassung der Änderungssatzung vom 1. November 2015 auf monatlich EUR 151,30 pro Person. Herr M. ist Anfang März 2016 aus der Unterkunft ausgezogen. Am 24. August 2016 wurde Herr B., der neue Lebensgefährte der Antragstellerin, in die Unterkunft eingewiesen. Zwischenzeitlich waren wegen Differenzen mit Herrn B. die 18-jährige Tochter L. und der 16 Jahre alte Sohn F. zu ihrer Großmutter gezogen.
Am 25. November 2016 informierte ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin die Antragstellerin über eine mögliche Umquartierung. Bei einer Vorsprache der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin am 1. Dezember 2016 gab die Antragstellerin an, dass ihr Sohn F. demnächst wieder bei ihr wohnen werde. Es sei ihr nicht zumutbar, mit ihrem Sohn gemeinsam in einem Zimmer sowie getrennt von ihrem Lebensgefährten B. untergebracht zu werden.
Die rückständigen Unterkunftsgebühren der Antragstellerin für die Unterkunft in der H …straße belaufen sich einschließlich November 2016 ohne Mahn- und Vollstreckungskosten auf EUR 3.645,38 EUR.
Mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 – der Antragstellerin am 3. Dezember 2016 zugestellt – widerrief die Antragsgegnerin die Zuweisung der Wohnung in der H …straße mit Wirkung ab dem 13. Dezember 2016 (Ziff. 1). Die Antragstellerin wurde in eine Unterkunft in der F … Straße eingewiesen, wenn und solange ihr Sohn F. bei ihr wohne (Ziff. 2 Satz 1 und 2). Für den Fall, dass ihr Sohn F. nicht zu ihr ziehe, wurde die Antragstellerin in eine Unterkunft Am F … eingewiesen, wo ihr ein Schlafplatz zur Verfügung stehe (Ziff. 2 Satz 3 und 4). Sie habe aus der bisher genutzten Wohnung bis zum 12. Dezember 2016 auszuziehen (Ziff. 3.1), sie leer zu räumen sowie in einem sauberen Zustand zu hinterlassen (Ziff. 3.2 Satz 1). Die Schlüssel seien abzugeben (Ziff. 3.2 Satz 2), ihre Sachen könne sie bis zu einem Monat in einer Gitterbox einlagern (Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 1). Anschließend würden ihre Sachen aus der Gitterbox durch die Antragsgegnerin entsorgt (Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 2). Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1 und 3 wurde angeordnet (Ziff. 4). Unmittelbarer Zwang wurde für den Fall angedroht, dass den Verpflichtungen in Ziff. 3 nicht Folge geleistet werde (Ziff. 5).
Die Antragsgegnerin begründete den Bescheid im Wesentlichen mit der verringerten Personenanzahl, der Notwendigkeit der Unterbringung einer Familie mit drei Kindern in der Wohnung in der H …straße sowie der Zumutbarkeit der Umquartierung. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei aufgrund des Grundsatzes einer sparsamen Bewirtschaftung öffentlicher Mittel und den andernfalls erforderlichen Mehrkosten für die Unterbringung der für die Unterkunft vorgesehenen Familie erfolgt. Hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs verwies die Antragsgegnerin darauf, dass eine Zwangsgeldandrohung angesichts der hohen Gebührenrückstände keinen Erfolg erwarten lasse.
Herr B. wurde mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 ebenfalls in eine andere Unterkunft umquartiert.
Der Sohn F. wohnt nach Angaben der Antragstellerin seit dem 8. Dezember 2016 wieder bei der Antragstellerin und ihrem Lebensgefährten Herrn B.
Die Antragstellerin erhob durch ihre Verfahrensbevollmächtigte am 8. Dezember 2016 – eingegangen beim Verwaltungsgericht am 9. Dezember 2016 – Klage gegen den Bescheid (Az. M 22 K 16.5525) und beantragte zugleich: Die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen den Bescheid vom 01.12.2016 wird angeordnet.
Die Antragstellerin macht geltend, dass die bisherige Unterkunft in der H …straße nur zwei Räume habe und daher trotz der Verringerung von vier auf drei Bewohner durch den Auszug ihrer Tochter L. für drei Bewohner nicht zu groß sei. Die Antragstellerin habe in der Anhörung am … Dezember 2016 angegeben, dass ihr Sohn F. wieder bei ihr wohnen werde, was nunmehr geschehen sei. Der Antragstellerin und ihrem 16 Jahre alten Sohn sei es nicht zumutbar, in einem gemeinsamen Raum zu schlafen. Die räumliche Trennung von ihrem Lebensgefährten Herrn B. sei ihr ebenfalls nicht zumutbar. Die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Unterbringung einer Familie mit drei Kindern in der Unterkunft in der H …straße rechtfertige – auch in Anbetracht dessen, dass eine Obdachlosenunterbringung stets nur eine Notlösung sein könne – nicht das Auseinanderreißen ihrer Familie. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache sei der Antragstellerin insbesondere mit Blick auf die kommenden Weihnachtstage nicht zuzumuten, da sie und ihre Sohn ansonsten gegebenenfalls zweimal umziehen müssten. Eine Ersparnis von Kosten durch die Umsetzung seitens der Antragsgegnerin sei nicht dargelegt worden und könne auch nicht so hoch sein, da für die Antragstellerin und ihren Sohn einerseits sowie für ihren Lebensgefährten B. andererseits jeweils eine andere Unterkunft angemietet werden müsste. Ein möglicher zweimaliger Umzug der Antragstellerin lasse sich daher durch eine Kostenersparnis nicht rechtfertigen.
Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2016, eingegangen beim Gericht am 19. Dezember 2016, beantragte die Antragsgegnerin:
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin im Wesentlichen auf die Gründe des Bescheids. Ergänzend trägt sie vor, dass sich jedenfalls wegen des Auszugs der Tochter L. die Anzahl der eingewiesenen Personen verringert habe und die Tochter L. im Falle erneuter Obdachlosigkeit wegen ihrer Volljährigkeit getrennt von ihrer Mutter untergebracht werden könne. Die Umquartierung in ein Zimmer von 12,46 qm mit zusätzlicher Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftssanitäranlagen sei der Antragstellerin gemeinsam mit ihrem Sohn F. zumutbar. Bei der Unterbringung Obdachloser zur Gefahrenabwehr sei ein geringerer Maßstab als der einer üblichen Versorgung mit Wohnraum anzulegen. Es liege an der Antragstellerin, diesen Zustand durch eine intensive Wohnungssuche zu beenden. Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet, der Antragstellerin ein weiteres Zusammenleben mit ihrem Lebensgefährten Herrn B. zu ermöglichen. Hierzu stehe auch keine geeignete freie Unterkunft zur Verfügung. Im Übrigen wäre die Antragsgegnerin auch berechtigt gewesen, die Unterbringung wegen der rückständigen Unterkunftsgebühren gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 6 der Satzung über die Benutzung der Obdachloseneinkünfte zu beenden.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten (M 22 S. 16.5528 und M 22 K 16.5525) und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg, soweit die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs begehrt. Im Übrigen ist der Antrag abzulehnen.
1. Gegenstand des Eilverfahrens sind Ziff. 1 (Widerruf der Zuweisung), Ziff. 3.1 (Auszug aus bisheriger Unterkunft), Ziff. 3.2 Satz 1 (Räumung und Säuberung), Ziff. 3.2 Satz 2 (Schlüsselübergabe) sowie Ziff. 5 (Androhung unmittelbaren Zwangs) des Bescheids vom 1. Dezember 2016.
a) Der Antrag war hinsichtlich Ziff. 1, Ziff. 3.1 und Ziff. 3.2 Satz 1 und Satz 2 des Bescheids gemäß § 122 Abs. 1, § 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) auszulegen. Hinsichtlich der Ziff. 5 ist er als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG.
b) Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin ist dahingehend auszulegen, dass Ziff. 2 (Zuweisung einer neuen Unterkunft) und Ziff. 3.2 Satz 3 (Möglichkeit der Einlagerung von Gegenständen – Halbsatz 1 – sowie ggf. Entsorgung von Gegenständen – Halbsatz 2 -) des Bescheids nicht umfasst sind. Die Zuweisung einer neuen Unterkunft in Ziff. 2 stellt jedenfalls keinen belastenden Verwaltungsakt dar, so dass eine Anfechtungsklage mangels Antragsbefugnis i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig wäre und eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer solchen Klage daher (offensichtlich) abzulehnen wäre. Die Möglichkeit der Einlagerung der Habseligkeiten der Antragstellerin in einer Gitterbox nach Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 1 des Bescheids stellt wohl mangels Regelungswirkung bereits keinen Verwaltungsakt dar bzw. wäre ein solcher jedenfalls nicht belastend, weshalb eine hiergegen gerichtete Anfechtungsklage wohl bereits unstatthaft bzw. ebenfalls mangels Antragsbefugnis i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig wäre. Die Bestimmung in Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 2 des Bescheids, wonach Habseligkeiten der Antragstellerin nach einer über einen Monat hinausgehenden Einlagerung gegebenenfalls entsorgt werden, stellt nach Auffassung der Kammer einen bloßen Hinweis ohne Regelungscharakter und damit keinen Verwaltungsakt dar. Unabhängig von der in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärten Frage, inwieweit eine Entsorgung der Gegenstände eines Betroffenen gegenenenfalls in Betracht käme (vgl. BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 4 CE 16.1939 – n.v. Rn. 15 m.w.N.), kann Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 2 des Bescheids daher nicht Gegenstand einer Anfechtungsklage sein und scheidet somit auch eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage aus.
2. Die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche und gebotene Interessenabwägung aufgrund der summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ergibt, dass die erhobene Anfechtungsklage nur im Hinblick auf die Androhung unmittelbaren Zwangs in Ziff. 5 des Bescheids vom 1. Dezember 2016 begründet ist, so dass insoweit das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt. Im Übrigen erweist sich die Klage aller Voraussicht nach unbegründet.
3. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist formell rechtmäßig. Die Begründung des Sofortvollzugs genügt mit dem Hinweis auf die erforderliche Unterbringung der Familie mit drei Kindern in der Wohnung mit seiner besonderen Konzeption den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO.
4. Der Widerruf der Zuweisung der Wohnung in der H …straße in Ziff. 1 des Bescheids erweist sich aufgrund summarischer Prüfung als rechtmäßig. Die Antragstellerin kann nicht beanspruchen, in ihrer bisherigen Unterkunft zu verbleiben.
a) Rechtsgrundlage für den Widerruf der Zuweisung der Wohnung in der H …straße in Ziff. 1 des Bescheids als Teil der Umquartierung ist § 9 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 der Satzung über die Benutzung der Obdachlosenunterkünfte vom 30. Juli 2013 (Obdachlosenunterkünftesatzung – ObdS), wonach Benutzer in Räume einer anderen Unterkunftsanlage umquartiert werden können, wenn sich die Zahl der eingewiesenen Personen vermindert hat und die Räume zur Unterbringung anderer Personen benötigt werden.
b) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 ObdS sind erfüllt. Unabhängig von der Frage, ob der Sohn F. der Antragstellerin langfristig bei ihr wohnt, hat sich jedenfalls mit dem Auszug der Tochter L. die Personenanzahl von vier auf drei verringert. Die Antragsgegnerin hat glaubhaft dargelegt, die Unterkunft zur Unterbringung einer Familie mit drei Kindern zu benötigen.
c) Die Umquartierung stand daher im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, dem Interesse der Familie mit drei Kindern an der Unterbringung in der Wohnung gegenüber dem Interesse der Antragsgegnerin, mit ihrem Sohn F. und ihrem Lebensgefährten B. in der Wohnung verbleiben zu können, Vorrang zu gewähren, ist nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin und ihrem Sohn in Ziff. 2 des Bescheids sowie Herrn B. in einem getrennten Bescheid jeweils eine neue Unterkunft zugewiesen. Die gesetzte Bescheidsfrist für den Widerruf der Zuweisung ist angemessen. Die Antragstellerin hatte ausreichend Zeit, die Wohnung zu räumen und in die neue Unterkunft umzuziehen. Die neuen der Antragstellerin zugewiesenen Unterkünfte sind ihr auch zumutbar. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf „wohnungsmäßige Versorgung“. Vielmehr besteht bei Obdachlosigkeit nur ein Anspruch auf eine weitgehenden Einschränkungen unterliegende Unterbringung (BayVGH, B.v. 10.10.2008 – 4 CE 08.2647 – juris), die lediglich den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung genügen muss. Das gilt auch, wenn dem Obdachlosen bereits eine Unterkunft zugewiesen worden ist. Durch die sicherheitsrechtliche Einweisung in eine Unterkunft nach Obdachlosenrecht wird kein Besitzstand des Obdachlosen begründet, der seiner künftigen Umsetzung entgegenstehen könnte (VG München, B.v. 3.5.2005 – M 22 S. 05.1618). Einer Gemeinde ist es nicht verwehrt, Obdachlose aus sachlichen Gründen von einer Unterkunft in eine andere, zur vorübergehenden Unterbringung von Obdachlosen geeignete Unterkunft umzusetzen; nur wenn sich die Gemeinde dabei von Willkür leiten lässt, ist die Maßnahme rechtswidrig (VG München, B.v. 26.11.2014 – M 22 S. 14.5231; VGH BW, B.v. 4.5.1998 – 1 S 1009/98). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Unabhängig von der etwaigen Möglichkeit der Antragsgegnerin, das Benutzungsverhältnis gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 6 ObdS wegen der Gebührenrückstände in Höhe von EUR 3.645,38 zu beenden, durfte die Antragsgegnerin die erheblichen Gebührenrückstände auch im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen zulasten der Antragstellerin berücksichtigen. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bezüglich des Widerrufs der Zuweisung der Wohnung in der H …straße in Ziff. 1 des Bescheids war daher abzulehnen.
5. Gleiches gilt für die Auszugsanordnung in Ziff. 3.1 und die Räumungssowie Schlüsselübergabeanordnung in Ziff. 3.2 Satz 1 und Satz 2 des Bescheids. Rechtsgrundlage ist insoweit § 11 Abs. 1 Nr. 1 der ObdS. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieser Anordnungen bestehen keine Bedenken, insbesondere liegt eine rechtmäßige Umquartierungsanordnung vor (siehe 4.). Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher auch bezüglich der Ziff. 3.1, 3.2 Satz 1 und Satz 2 des Bescheids abzulehnen.
6. Hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung in Ziff. 5 des Bescheids hat der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung Erfolg, da sich die Zwangsmittelandrohung aufgrund summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist und keinen Bestand haben kann.
a) Fraglich ist bereits, ob die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine Vollstreckungsfrist, d.h. einer Frist, innerhalb welcher der Antragstellerin der Vollzug der Räumung nach Beendigung des Nutzungsverhältnisses billigerweise zugemutet werden kann (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG), gesetzt hat. Zwar kann die Vollstreckungsfrist auch grundsätzlich in der Grundverfügung gesetzt werden (vgl. BayVGH, B.v. 19.11.2008 – 9 CS 08.953 – juris Rn. 6). Die Fristsetzung in Ziff. 3.1 des Bescheids vom 1. Dezember 2016, wonach die Antragstellerin aus der bisher genutzten Wohnung bis spätestens … Dezember 2016 auszuziehen hat, stellt aber wohl eine sog. Bescheidsfrist mit materiell-rechtlichem Charakter dar (vgl. zur Unterscheidung Linhart, Schreiben, Bescheide und Vorschriften in der Verwaltung, Stand Mai 2016, § 18 Rn. 188b). Denn als Konsequenz des Widerrufs der Zuweisung der Wohnung soll die Antragsgegnerin bis zum Ablauf der Zuweisung den unmittelbaren Besitz an der Wohnung herausgeben.
b) Selbst wenn man davon ausginge, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin (gegebenenfalls konkludent) eine „Nullfrist“ als Vollstreckungsfrist gesetzt hat, wäre die Androhung jedenfalls ermessensfehlerhaft und daher rechtswidrig. Die Bestimmung der Vollstreckungsfrist steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (vgl. Harrer/Kugele/Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand 15. Oktober 2016, Erl. 4 zu Art. 36 VwZVG). Weder dem Bescheid noch der Behördenakte lässt sich entnehmen, dass die Antragsgegnerin bei der etwaigen Bestimmung einer „Nullfrist“ ihr Ermessen ausüben wollte bzw. ausgeübt hat. Die Begründung der Zwangsmittelandrohung im Bescheid lässt hierfür jeglichen Anhaltspunkt missen. Auch wenn die Heilung des formellen Fehlers der insoweit unterbliebenen Begründung (vgl. Art. 39 Abs. 1 Satz 3 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG) nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz möglich ist, kann die Fehlerhaftigkeit der Zwangsmittelandrohung jedenfalls materiell-rechtlich nicht beseitigt werden. Das materielle Recht ermöglicht im Fall einer vollständig unterbliebenen Ermessensausübung nicht die gänzliche Nachholung der erforderlichen Ermessenserwägungen. § 114 Satz 2 VwGO schafft lediglich die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie – wie es hier der Fall wäre – ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2006 – 1 C 20/05 – NVwZ 2007, 470/471 m.w.N.). Die aufschiebende Wirkung der Klage war daher aufgrund überwiegenden Interesses der Antragstellerin bzgl. Ziff. 5 des Bescheids anzuordnen.
7. Der Antragstellerin war, soweit der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung Erfolg hatte, Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihre Verfahrensbevollmächtigte beizuordnen, da die Antragstellerin bedürftig im Sinne der prozesskostenhilferechtlichen Bestimmungen ist, ihre Rechtsverfolgung im genannten Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, keine Mutwilligkeit gegeben ist und auch eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 115 und § 121 Abs. 2 ZPO). Im Übrigen war der Antrag auf Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen.
8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG – in Verbindung mit Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs.


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