Verwaltungsrecht

Reaktivierung eines Ruhestandsbeamten – Anforderungen an die Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  3 ZB 15.2645

Datum:
25.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17230
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, § 124a Abs. 4 S. 4
BeamtStG § 26, § 29 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1. Liegen weder irreversible Dienstunfähigkeit noch aussagekräftige privatärztliche Befunde über ein die Dienstunfähigkeit begründendes Krankheitsbild vor, an deren fortgeltender Richtigkeit keine vernünftigen Zweifel bestehen, so ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Dienstherr eine im Gutachten des Zurruhesetzungsverfahrens empfohlene Nachuntersuchung anordnet. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Aufklärungspflicht des Gerichts findet ihre Grenze in der – materiellen – Mitwirkungslast der Beteiligten. Umstände, die wie das Vorliegen von Erkrankungen ausschließlich oder doch überwiegend in der Sphäre eines Beteiligten liegen und deren Aufklärung deshalb notwendigerweise dessen Mitwirkung voraussetzen, sind vom Gericht nur dann von Amts wegen zu ermitteln, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Stützt ein Kläger den Antrag auf Zulassung der Berufung auf Verfahrensmängel (hier: Verletzung der Amtsermittlungspflicht, der richterlichen Hinweispflicht sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör), so muss er darlegen, dass bei Vornahme der unterlassenen Verfahrenshandlungen eine für ihn günstigere Entscheidung hätte getroffen werden können. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 15.699 2015-10-29 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000,- €
festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage, den 1966 geborenen Kläger, der zuletzt als Verwaltungsobersekretär (BesGr A7) im Dienst der Beklagten stand und von dieser zum 1. März 2012 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde, von der Pflicht zur Durchführung einer amtsärztlichen Nachuntersuchung gemäß den Anordnungen vom 30. März, 17. und 30. April 2015 freizustellen, abgewiesen und hierzu auf den im vorangegangenen Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 11. Mai 2015 (Au 5 E 15.700 – Rn. 35 ff.) verwiesen. Danach bestehe hinreichend Anlass für die Anordnung einer Nachuntersuchung, da diese im amtsärztlichen Gutachten vom 7. September 2011 innerhalb eines Jahres als sinnvoll angesehen worden sei und der Kläger, der aufgrund von Verhaltensstörungen in den Ruhestand versetzt worden sei, weder irreversibel dienstunfähig sei noch aussagekräftige privatärztliche Befunde für eine Dienstunfähigkeit vorliegen würden, weil die von ihm vorgelegten privatärztlichen Atteste nur allgemein eine Arbeitsunfähigkeit bestätigen würden.
Auch die nunmehr mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2015 vorgelegten „medizinischen Unterlagen“ (S. 2 des Widerspruchsbescheids des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 6.3.2013 zu beim Kläger, der nach § 2 Abs. 3 SGB IX mit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, festgestellten Gesundheitsstörungen [Reizdarmsyndrom bei Diaminoxidase-Mangel und Nahrungsmittelsensibilisierung; Somatisierungsstörung; Allergische Rhinokonjunktivitis; Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen] und der „Berechnung nach GoÄ“ [Diagnose 26.3.2014: Gastrointestinal vermittelte Allergie III mit assoziierter Histamin- und Salicylatintoleranz; somatoforme autonome Funktionsstörung des GI-Traktes; aller-gische Diathese; seborrhoisches Ekzem; Z.n. partieller Strumektomie; Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit rezidiver Dysfunktion STG links; Varikosis der unteren Extremität; Sorbitmalabsorption; V.a. sekundären Hyperparathyreoidismus; V.a. Prosttataadenom; chronische Hypophosphatämie; Vitamin-D-Mangel]) würden nicht belegen, dass der Kläger irreversibel dienstunfähig sei. Soweit er vortrage, dass in Bezug auf seine Grundleiden (Erkrankung des Magen-Darm-Takts, allergene Komponente, Erkrankung des Bewegungsapparats) seit der Ruhestandsversetzung keine Besserung eingetreten sei, habe er dies nicht durch ärztliche Stellungnahmen belegt.
Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Dienstherr kann bei einem wegen Dienstunfähigkeit gemäß § 26 BeamtStG in den Ruhestand versetzten Beamten zum Zweck der Reaktivierung i.S.d. § 29 Abs. 2 BeamtStG eine Nachuntersuchung nach § 29 Abs. 5 Satz 1 BeamtStG anordnen, um ihm die Prognose zu ermöglichen, ob der Beamte die gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes (ggf. auch nur begrenzt, § 29 Abs. 3 BeamtStG) erfüllen wird. Ob er die Prüfung der Dienstfähigkeit anordnet, entscheidet der Dienstherr nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BVerwG, B.v. 19.6.2000 – 1 DB 13.00 – juris Rn. 18). Die Fürsorgepflicht gebietet, dass der Dienstherr dabei auf die Belange und Interessen des Beamten Rücksicht nimmt. Insoweit ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn er eine Nachuntersuchung anordnet, die in einem im Zurruhesetzungsverfahren eingeholten (amts-) ärztlichen Gutachten ausdrücklich empfohlen wird, die Anordnung also gleichsam medizinisch indiziert ist (vgl. OVG NW, B.v. 7.5.2007 – 1 B 385/07 – juris Rn. 5 f.), und weder irreversible Dienstunfähigkeit noch bereits aussagekräftige privatärztliche Befunde über ein die Dienstunfähigkeit begründendes Krankheitsbild vorliegen, an deren fortgeltender Richtigkeit keine vernünftigen Zweifel bestehen (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2012 – 3 ZB 09.2554 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 3.3.2015 – 6 B 1125/14 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Die hiergegen innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgebrachten Einwände begründen keine ernstlichen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Kläger setzt sich schon nicht mit der tragenden Begründung des Urteils auseinander, die Anordnung der Nachuntersuchung sei nicht ermessensfehlerhaft, weil eine solche bereits im amtsärztlichen Gutachten vom 7. September 2011 als sinnvoll angesehen worden sei, und weder eine irreversible Dienstunfähigkeit feststehen noch aussagekräftige privatärztliche Befunde über eine Dienstunfähigkeit vorliegen würden. Anders als der Kläger offenbar meint, hat das Verwaltungsgericht die in den Akten befindlichen privatärztlichen Atteste von Herrn E. und Dr. W. zur Kenntnis genommen, ihnen jedoch zutreffend lediglich allgemeine Angaben zu einer weiterhin bestehenden Arbeitsunfähigkeit entnommen, die nicht mit einer dauernden Dienstunfähigkeit gleichgesetzt werden kann. Aus ihnen geht auch nicht hervor, dass beim Kläger ein Krankheitsbild vorliegen würde, aufgrund dessen von (fortbestehender) Dienstunfähigkeit auszugehen wäre. Wenn der Kläger hierzu auf den von ihm vorgelegten Auszug (S. 2) des Widerspruchsbescheids des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 6. März 2013 verweist, folgt daraus nur, dass im Rahmen der Bewertung des GdB des Klägers 2013 bestimmte Symptome festgestellt wurden, entgegen der unbelegten Behauptung des Klägers aber nicht, dass die Gesundheitsstörungen unbefristet, d.h. auf Dauer bestätigt worden wären. Schon aus diesem Grund kann ihm nichts Entscheidungserhebliches zu der Frage entnommen werden, ob bei Erlass der streitgegenständlichen Anordnungen 2015 noch eine dauernde Dienstunfähigkeit beim Kläger vorlag. Entsprechendes gilt auch für die „Berechnung nach GoÄ“, die am 26. April 2014 aufgestellt worden sein soll. Darüber hinaus lässt sich den vorgelegten Unterlagen lediglich entnehmen, dass der Kläger an diversen, größtenteils körperlichen Erkrankungen mit unterschiedlichem Krankheitswert gelitten hat, die nicht mit dem Grund für die Ruhestandsversetzung (psychische und Verhaltensstörungen) übereinstimmen, so dass aus ihnen auch deshalb nicht auf eine fortbestehende Dienstunfähigkeit geschlossen werden kann. Und selbst wenn man aus der 2013 festgestellten Somatisierungsstörung, bei der es sich um wechselnde körperliche Symptome aufgrund seelischer Ursachen handelt (vgl. hierzu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 265. Auflage 2014, S. 1986), auf eine fortbestehende auch psychische Störung beim Kläger schließen wollte, kann aus der gestellten Diagnose ebenfalls nicht der Schluss gezogen werden, dass der Kläger deshalb auch weiterhin dienstunfähig wäre. Vielmehr bieten die genannten Diagnosen gerade Anlass, den Kläger auf seine Dienstfähigkeit zu untersuchen.
Wenn der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe es trotz eines hierauf gerichteten Beweisangebots im Schriftsatz vom 5. Oktober 2015 rechtsfehlerhaft unterlassen, die Akte der Versorgungsverwaltung zum Verfahren beizuziehen, hat er nicht dargelegt, weshalb sich daraus aussagekräftige Befunde für eine Dienstunfähigkeit des Klägers ergeben sollten, so dass das Verwaltungsgericht von einer Beiziehung der Akten zu Recht abgesehen hat. Entsprechendes gilt auch für das Angebot, ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen; insoweit hat der Kläger nicht einmal näher dargelegt, zu welchem Thema Beweis erhoben werden soll, im Übrigen handelt es sich dabei um eine bloße Beweisermittlungsanregung, der das Verwaltungsgericht ebenfalls zu Recht nicht nachgegangen ist. Das Gericht ist auch im Rahmen der Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht gehalten, Beweisanregungen der Beteiligten nachzugehen. Aufklärungsmaßnahmen sind in der Regel nur veranlasst, wenn sich diese nach den Umständen des Einzelfalls dem Gericht aufdrängen. Dies war mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine fortbestehende Dienstunfähigkeit des Klägers nicht der Fall. Die Aufklärungspflicht des Gerichts findet ihre Grenze zudem in der – materiellen – Mitwirkungslast der Beteiligten. Umstände, die wie das Vorliegen von Erkrankungen ausschließlich oder doch überwiegend in der Sphäre eines Beteiligten liegen und deren Aufklärung deshalb notwendigerweise dessen Mitwirkung voraussetzen, sind vom Gericht nur dann von Amts wegen zu ermitteln, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Im Übrigen dient die Aufklärungsrüge nicht dazu, Versäumnisse eines Beteiligten in der Vorinstanz zu korrigieren. Der anwaltlich vertretene Kläger hat es vorwerfbar unterlassen, die von ihm mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2015 nur angekündigten Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung am 29. Oktober 2015 förmlich zu stellen und damit die Rechtsfolge des § 86 Abs. 2 VwGO auszulösen, was zu seinen Lasten geht. Insoweit kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das Verwaltungsgericht habe seine ebenfalls im Schriftsatz vom 5. Oktober 2015 geäußerte Bitte ignoriert, ggf. auf vom Gericht für erforderlich gehaltenen weiteren Vortrag und/oder weitere Beweismittel hinzuweisen. Die richterliche Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO, § 139 ZPO erstreckt sich nicht auf Tatsachen und Beweismittel, die einem anwaltlich vertretenen Beteiligten bekannt sind, die er aber nicht in der erforderlichen Weise substantiiert geltend macht. Angesichts dessen, dass dem Kläger aufgrund der Ablehnung des Eilantrags die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts bekannt war, kann insoweit auch nicht von einer sog. „Überraschungsentscheidung“ und einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) durch das Urteil die Rede sein.
2. Auch ein der Beurteilung des Senats unterliegender Verfahrensfehler, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann, i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wurde nicht in einer den Vorgaben des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt. Soweit der Kläger diesbezüglich die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), der richterlichen Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) rügt, hat er schon nicht in der erforderlichen Weise dargelegt, dass durch Beiziehung der Akte der Versorgungsverwaltung, Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht bzw. einen Hinweis auf das Erfordernis der (näheren) Substantiierung des Sachvortrags eine für ihn günstigere Entscheidung getroffen werden hätte können. Er kann sich insoweit nicht mit dem Hinweis darauf begnügen, dass dies aufgrund der Beweisantritte keiner weiteren Darlegung mehr bedurft hätte. Im Übrigen liegen die vom Kläger behaupteten Verfahrensfehler nicht vor. Hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die Ausführungen unter 1. verwiesen.
3. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG (wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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