Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Ausweisung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern

Aktenzeichen  M 12 K 16.649

Datum:
21.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 5, § 11, § 53, § 54, § 55, § 58, § 59
EMRK EMRK Art. 8
GG GG Art. 6

 

Leitsatz

Ist nicht absehbar, dass der wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilte Ausländer eine in der Justizvollzugsanstalt begonnene Therapie erfolgreich abschließen wird, kann nicht von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. (redaktioneller Leitsatz)
Die Tatsache, dass der Ausländer vor der verurteilten Straftat strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und sich erstmals in Haft befindet, schließt eine Wiederholungsgefahr nicht aus. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), und er hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, § 113 Abs. 5 VwGO.
I.
Die Ausweisung des Klägers aus der BRD durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden.
Maßgeblicher Zeitpunkt zur rechtlichen Überprüfung der Ausweisung sowie der weiteren durch die Beklagte getroffenen Entscheidungen ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. nur BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 12). Dabei beurteilt sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nach dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das durch Art. 1 des Gesetzes vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 394) geändert worden ist. Hiernach ist die Entscheidung über eine Ausweisung stets eine gerichtlich voll überprüfbare Rechtsentscheidung (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49; BR-Drs. 612/14, S. 56; VG Ansbach, U.v. 28.1.2016 – AN 5 K 15.00416 – juris Rn. 42).
Die Ausweisungsentscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der BRD gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dies ist hier der Fall.
1. Vom Kläger geht eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die freiheitliche demokratische Grundordnung der BRD aus, § 53 Abs. 1 AufenthG. Dabei gilt für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 16 m. w. N.). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass vom Kläger die Gefahr der Begehung von (weiteren) Sexualdelikten an Kindern ausgeht.
Der Kläger wurde mit Urteil des AG … vom … September 2015 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Sexueller Missbrauch von Kindern ist sehr persönlichkeits- und sozialschädlich, es gehen weitreichende Konsequenzen von ihm aus. Mit dieser Art von Straftaten werden den Opfern erhebliche körperliche und seelische Schäden zugefügt, die sich schlimmstenfalls ein Leben lang auswirken können. Daher ist der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten eine wichtige Aufgabe und ein Grundinteresse der Gesellschaft. Bei den betroffenen Schutzgütern der sexuellen Selbstbestimmung, der Würde des Opfers und seiner körperlichen und seelischen Integrität handelt es sich um Rechtsgüter von hohem Rang, die im Falle des sexuellen Kindesmissbrauchs staatliche Schutzpflichten auslösen. Unter Berücksichtigung der vom Kläger bei seinen Taten gezeigten kriminellen Energie und des immensen Schadens, der durch den sexuellen Missbrauch von Kindern verursacht werden kann, ist die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Wiederholungsgefahr beim Kläger gegeben. So ist auch das AG … in seinem Urteil vom … September 2015 vom Vorliegen schädlicher Neigungen ausgegangen. Die Taten des Klägers sind in Zusammenhang damit zu sehen, dass er selbst als Kind Missbrauchsopfer geworden ist. Außerdem hat er angegeben, die Taten begangen zu haben, um Druck abzubauen. Zwar ging das Strafgericht davon aus, dass der Kläger in weitem Umfang zu den Taten steht und bereit ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Auch versucht der Kläger nunmehr engagiert, seine begangenen Taten aufzuarbeiten. Laut Bericht der JVA … vom … April 2016 zeigt sich der Kläger im Rahmen des sozialtherapeutischen Behandlungsprogramms interessiert und motiviert. Darüber hinaus wird er als vorbildlicher Gefangener beschrieben. Allerdings sind die Therapien des Klägers bisher nicht abgeschlossen. Auch wenn er wohl gute Therapieaussichten hat, dauern seine Therapien mindestens bis August 2017 an. Es ist trotz guter Prognose nicht absehbar, ob der Kläger diese erfolgreich abschließen wird. Schon deshalb kann nicht von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Auch der Klägerbevollmächtigte geht nicht derzeit, sondern erst nach Abschluss der Therapie von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr aus. Allerdings kann gerade nicht vorausgesagt werden, ob der Kläger die Therapie erfolgreich beenden und aufgrund dessen beim Kläger tatsächlich keine Wiederholungsgefahr mehr bestehen wird. Auch der Bericht der … Jugendfürsorge … e.V. vom … September 2015 bestätigt, dass beim Kläger zwar ein Therapiewille vorhanden ist. Er nutzt das Gesprächsangebot und ist sehr daran interessiert, sich und sein Handeln zu begreifen. Allerdings kann der Kläger nach diesem Bericht seine Taten noch nicht einmal ganz begreifen und benötigt Hilfe, nach welcher er auch selbst verlangt. Daher kann derzeit von einer Aufarbeitung der Taten und damit von einem ggf. Entfallen der Wiederholungsgefahr nicht die Rede sein.
Auch wenn der Kläger bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und sich erstmals in Haft befindet, ändert dies nichts an der vorliegenden Wiederholungsgefahr. Hier ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Taten erst eingestellt hat, als er von der Mutter der Geschädigten entdeckt wurde. Zwar hat er sich daraufhin selbst bei der Polizei angezeigt, diese Selbstanzeige erfolgte jedoch auf Druck der Mutter der Geschädigten. Erschwerend kommt hinzu, dass den Kläger weder das Vertrauensverhältnis zur Geschädigten noch das Vertrauensverhältnis zu ihrer Mutter abgehalten hat, die Straftaten in Form vielfacher sexueller Übergriffe zu begehen. Dies zeugt von einer niedrigen Hemmschwelle und erheblicher krimineller Energie, mithin von einer bestehenden Wiederholungsgefahr.
2. Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage i. S. d. § 53 Abs. 1 AufenthG zu treffende Abwägung ergibt, dass das Ausweisungsinteresses das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.
a) § 53 AufenthG gestaltet die Ausweisung als Ergebnis einer umfassenden, ergebnisoffenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus. Sofern das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet nach dieser Gesamtabwägung überwiegt, ist die Ausweisung rechtmäßig. In die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind die in §§ 54, 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen. Neben den dort explizit aufgeführten Interessen sind aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar. Die Katalogisierung in den §§ 54, 55 AufenthG schließt die Berücksichtigung weiterer Umstände nicht aus (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Nach § 53 Abs. 2 AufenthG sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Die Aufzählung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien ist aber nicht abschließend (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Es sind für die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung maßgeblich auch die Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen (vgl. nur EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner, Nr. 46410/99 – juris; EGMR, U.v. 2.8.2001 – Boultif, Nr. 54273/00 – InfAuslR 2001, 476-481). Hiernach sind vor allem die Art und die Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthaltes in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die seit der Begehung der Straftat verstrichene Zeit und das seitherige Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen, die familiäre Situation des Ausländers, ob zu der Familie Kinder gehören und welches Alter diese haben, sowie die Ernsthaftigkeit der Schwierigkeiten, welche die Familienangehörigen voraussichtlich in dem Staat ausgesetzt wären, in den der Ausländer ausgewiesen werden soll, die Belange und das Wohl der Kinder und die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland zu berücksichtigen (VG Oldenburg, U.v. 11.1.2016 – 11 A 892/15 – juris Rn. 24).
b) Im Hinblick auf den Kläger besteht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i. S. d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Denn er wurde 2015 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Ein besonders schweres Ausweisungsinteresse ist schon dann gegeben, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Die gegen den Kläger verhängte Strafe beläuft sich auf das eineinhalbfache des vom Gesetzgeber für ein besonders schweres Ausweisungsinteresse vorgesehenen Mindestmaßes.
c) Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht weder ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 AufenthG noch ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 AufenthG gegenüber. Denn der Kläger hat weder eine Aufenthalts- noch eine Niederlassungserlaubnis noch treffen auf ihn die übrigen Tatbestände des § 55 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG zu.
d) Die nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG durchzuführende Gesamtabwägung ergibt unter Berücksichtigung der §§ 54, 55 AufenthG und unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass die Ausweisung des Klägers rechtmäßig ist, weil das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiegt.
Steht dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses i. S. d. § 54 Abs. 1 AufenthG kein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber, so führt dies nicht ohne Weiteres zur Ausweisung des Ausländers. Der Gesetzgeber geht selbst davon aus, dass die in § 54 AufenthG typisierten Interessen im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände auch mehr oder weniger Gewicht entfalten können, so dass ein besonders schwerwiegendes oder schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nicht per se zur Ausweisung führen muss (Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 53 Rn. 52). Erst im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände kann festgestellt werden, ob das Interesse an der Ausweisung das Bleibeinteresse überwiegt (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49). Vorliegend überwiegt das besonders schwere Ausweisungsinteresse i. S. d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG die Interessen des Klägers an einem Verbleib in der BRD, insbesondere sprechen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht gegen die Ausweisung des Klägers.
(1) Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Die Behörde darf nach Art. 8 Abs. 2 EMRK in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Da Art. 8 Abs. 2 EMRK eindeutig Ausnahmen von den in Art. 8 Abs. 1 EMRK zugesicherten Rechten vorsieht, kann aus Art. 8 Abs. 1 EMRK kein absolutes Recht auf Nichtausweisung abgeleitet werden (Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, Vor §§ 53-56 Rn. 96 ff.). Vielmehr bedarf es einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, in die sämtliche Aspekte des Einzelfalls einzustellen sind.
Nach der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG hat der Staat die Pflicht, die Familie zu schützen und zu fördern. Jedoch ergibt sich auch hieraus kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt (vgl. nur BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 14). Vielmehr verpflichtet Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG die Ausländerbehörde wie auch die Gerichte, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Klägers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen bei der Entscheidung zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris – Rn. 16; BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 14). Insofern beanspruchen die oben zu Art. 8 EMRK genannten Kriterien auch Geltung für die Beantwortung der Frage, ob der vorliegende Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG ist.
(2) Vor dem Hintergrund der Art. 8 EMRK ist im Rahmen der Gesamtabwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits im Alter von elf Jahren aus schwierigen sozialen Verhältnissen heraus in die BRD eingereist ist. Er hatte in der BRD sicherlich keinen leichten Start, hat sich aber von Anfang an trotz sprachlicher und kultureller Schwierigkeiten mit großem, überdurchschnittlichem Engagement zu integrieren versucht. Der Kläger lernte schnell Deutsch und erwarb hier sowohl den qualifizierenden Hauptschulabschluss als auch die Mittlere Reife. Seine Zeugnisse zeugen durchgehend von einer guten Integration, der Kläger wird als fleißig, höflich, beliebt und sozialkompetent beschrieben, sein Verhalten war stets einwandfrei. Er hat sich sozial engagiert und war Streitschlichter und Pausenhelfer in der Volksschule … Der Kläger engagierte sich bei der Freiwilligen Feuerwehr und in einem Sportverein. Im Laufe seiner Zeit in der BRD absolvierte er außerdem mehrere Praktika und Lehrgänge. Auch in der JVA setzt er seinen bisher gezeigten Lerneifer fort. So wird im Führungsbericht der JVA … vom … April 2016 der Arbeitseinsatz des Klägers als positiv beschrieben, er absolvierte erfolgreich schulische und berufliche Bildungsmaßnahmen. Der Kläger zeigt sich in der JVA ordentlich, höflich und zuvorkommend. Sein Verhalten zu den Mitgefangenen war überwiegend konfliktfrei.
Trotz der guten Integrationsleistungen kann dem Kläger nicht der Status eines faktischen Inländers zuerkannt werden, wonach die Ausweisung von Ausländern, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzen kann (BVerwG, U.v. 29.9.1998 – 1 C 8/96 – juris Rn. 30). Dies ist beim Kläger nicht der Fall. Denn er ist nicht in Deutschland geboren und hat einen Großteil seiner Kindheit in … verbracht, zuletzt war er 2014 im Rahmen eines Urlaubs mit seiner Mutter dort. Daher dürften ihm die Gebräuche in seinem Heimatland auch nicht völlig fremd sein, mag er sich auch an die Lebensgewohnheiten in Deutschland gewöhnt haben. Der Kläger war über seine Lebenszeit hinweg in etwa genauso lange in … wie er sich nunmehr in Deutschland befindet. Dabei befand er sich während der besonders prägenden Kinderjahre in … Es wird nicht verkannt, dass auch die Zeit in Deutschland für den Kläger prägend gewesen sein muss. Es ist angesichts der schweren Kindheit, die der Kläger bei seiner Tante, seinem Onkel und deren Sohn in … hatte, nachvollziehbar, dass er zu diesen Personen keinen Kontakt mehr unterhält oder unterhalten möchte. Er hatte eine äußerst schwierige Kindheit, was sich auch aus dem Strafurteil des AG … vom … September 2015 ergibt. Sein noch nicht lange zurückliegender Aufenthalt in seinem Heimatland zeigt aber dennoch, dass er sich von diesem noch nicht völlig entfremdet hat und dorthin – wenn auch lose – Bindungen aufrechterhält. Auch wenn seine anfänglich vorhandenen Sprachkenntnisse nur noch rudimentär vorhanden sind und er – wie er selbst vorträgt – Verständigungsprobleme hat, ist es dem Kläger zuzumuten, seine Sprachkenntnisse aufzufrischen und sich die Sprache seines Heimatlandes wieder anzueignen. Entgegen seinem Vortrag ist er dabei nicht chancenlos, sondern kann die sprachlichen und ggf. vorhandenen kulturellen Hürden mit einiger – zumutbarer – Anstrengung überwinden und sich in sein Heimatland integrieren. Denn er ist gesund, jung und ausweislich seiner deutschen Zeugnisse äußerst engagiert und lernfähig. Daher wird sich der Kläger in seinem Heimatland auch ohne Kontaktpersonen in seiner Verwandtschaft oder Bekanntschaft zurechtfinden und sich dort eine neue Existenz aufbauen können.
(3) Weiter ist vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK und des Art. 6 GG zu berücksichtigen, dass die Mutter des Klägers in Deutschland lebt und er guten Kontakt zu ihr und ihrem Lebensgefährten pflegt. Auch in der Haft besucht ihn seine Mutter ausweislich der Besuchsliste vom … April 2016 regelmäßig. Laut Führungsbericht der JVA … vom … April 2016 haben sich die sozialen Kontakte zu seiner Mutter bisher als stabil erwiesen. Er könnte laut eigenem Vortrag nach seiner Haftentlassung bei ihr unterkommen und würde von ihr unterstützt. Allerdings ist der Kläger volljährig und daher nicht mehr auf den Beistand seiner Mutter angewiesen. Bei der Haftentlassung zum regulären Zeitpunkt wird er 24 Jahre alt sein. Damit steht die vorhandene Bindung zu seiner Mutter der Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Weitere schützenswerte Bindungen i. S. d. Art. 8 EMRK und des Art. 6 GG zum Bundesgebiet sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 21. April 2016 angegeben, keine Freundin mehr zu haben.
(4) Vor diesem Hintergrund, unter Berücksichtigung der Schwere der vom Kläger begangenen Taten, der immensen von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr und im Hinblick darauf, dass er kein (besonders) schwerwiegendes Bleibeinteresse i. S. d. § 54 AufenthG und auch sonst nur wenige schützenswerte Bindungen an die BRD vorweisen kann, fällt die nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG zu treffende Gesamtabwägung zulasten des Klägers aus. Das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse überwiegt die Interessen des Klägers am Verbleib in der BRD. Die Ausweisung steht auch mit Art. 8 EMRK im Einklang, da sie gesetzlich vorgesehen ist (§ 53 Abs. 1 AufenthG) und einen in dieser Bestimmung aufgeführten legitimen Zweck, nämlich die Verteidigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Verhinderung von Straftaten, verfolgt. Die Ausweisung ist die geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme, um den beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Durch ein anderes, milderes Mittel kann der mit ihr verfolgte Zweck vorliegend nicht erreicht werden. Im Ergebnis ist die Ausweisung des Klägers daher verhältnismäßig und rechtmäßig.
II.
Nr. 2 des angegriffenen Bescheids ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Denn er erfüllt aufgrund des vorhandenen Ausweisungsinteresses (s.o.) den allgemeinen Versagungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, der unabhängig von den besonderen Voraussetzungen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht. Darüber hinaus steht § 11 Abs. 1 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen.
III.
Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung in Nr. 3 des angegriffenen Bescheids auf sechs Jahre bei nachgewiesener Straffreiheit und bei Nichterfüllung dieser Bedingung auf acht Jahre weist keine Rechtsfehler auf.
1. Die Ausweisung des Klägers hat gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG ein Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot zur Folge. Dieses ist von Amts wegen zu befristen, § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Diese unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Befristung kann gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt die längere Befristung, § 11 Abs. 2 Satz 6 AufenthG.
Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden. Sie darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.
Da es sich um eine behördliche Ermessensentscheidung handelt, kann gerichtlich nach § 114 Satz 1 VwGO nur überprüft werden, ob überhaupt Ermessen ausgeübt wurde, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesem Maßstab hat die Beklagte ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
2. Die Beklagte berücksichtigte bei der Bestimmung der Länge der Frist das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck. Im Rahmen einer prognostischen Einschätzung des Einzelfalls und unter Berücksichtigung höherrangigen Rechts, also verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK kam sie in nicht zu beanstandender Weise zu der mit dem angegriffenen Bescheid verfügten Fristsetzung.
Die Beklagte durfte nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine Frist von über fünf Jahren festsetzen, da der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist und von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Beklagte berücksichtigte im Einzelnen, dass der Kläger wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist und von ihm eine massive Gefahr für Kinder ausgeht. Die Beklagte stellte zutreffend auf die gefährdeten Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der sexuellen Selbstbestimmung sowie auf die hohe Wiederholungsgefahr einerseits und auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers – vor allem zu seiner Mutter – andererseits ab. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens bei nachgewiesener Straffreiheit einen Zeitraum von sechs Jahren für erforderlich hielt, um dem hohen Gefahrenpotential des Klägers Rechnung tragen zu können. Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens bei Nichterfüllung der Bedingung i. S. d. § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG eine Sperrfrist von acht Jahren ab Ausreise festsetzte.
Diese Fristen sind auch gemessen an den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben des Art. 8 EMRK nicht zu beanstanden. Gegebenenfalls bestehende besondere Härten, können durch die Ausnahmegenehmigung nach § 11 Abs. 8 AufenthG gemildert werden.
IV.
Die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus ergibt sich aus § 58 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 AufenthG. In diesem Fall bedarf es keiner Fristsetzung nach § 59 Abs. 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung und die dem Kläger zur freiwilligen Ausreise gesetzte Frist für den Fall, dass er vor Durchführung der Abschiebung aus der Haft entlassen wird, ergeben sich aus §§ 58 Abs. 1 und 59 Abs. 1 AufenthG und sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
V.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 10.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. dem Streitwertkatalog).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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