Verwaltungsrecht

Rechtmäßigkeit einer Abschiebung nach Griechenland

Aktenzeichen  RN 11 K 20.30768

Datum:
10.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54030
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, S. 6
EMRK Art. 3
GRC Art. 4

 

Leitsatz

Bei einer Abschiebung nach Griechenland droht derzeit keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Da der Kläger rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt hat, gilt der Gerichtsbescheid vom 15.03.2021 als nicht ergangen, § 84 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die auf die Feststellung von Abschiebungsverboten gerichtete Klage (§ 88 VwGO) ist zulässig aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid ist in Nr. 2 auch im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Es liegen für den Kläger keine nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) i.V.m. Art. 3 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685; EMRK) und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Griechenland vor, vgl. § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Das Gericht folgt insoweit den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug, § 77 Abs. 2 AsylG. Ferner folgt das Gericht gemäß § 84 Abs. 4 VwGO in den Entscheidungsgründen der Begründung des Gerichtsbescheids vom 15.03.2021.
Das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung bietet keine Veranlassung für eine hiervon abweichende Entscheidung, da der Kläger keine neuen, relevanten Aspekte diesbezüglich vorgebracht hat. Beim Kläger handelt es sich um einen 24-jährigen, körperlich und geistig gesunden Mann. Einer Sicherung des eigenen Lebensunterhalts und der eigenen elementaren Bedürfnisse in Griechenland steht – mit der zumutbaren Eigeninitiative – nichts entgegen. So schilderte der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 07.05.2021, dass er bereits bei seinem vorangegangenen Aufenthalt Bemühungen zur Arbeitsfindung gezeigt hat. Das Gericht ist der Überzeugung, dass es dem Kläger im Falle einer Rückkehr gelingen kann, bei weiterhin bestehender beharrlicher Eigeninitiative – auch unter Zuhilfenahme von Nichtregierungsorganisationen in Griechenland – eine geeignete Arbeitsstelle zu finden, mit der er seine elementaren Bedürfnisse decken kann. Eine Rückführung nach Griechenland wäre für den Kläger zweifelsohne hart, käme aber keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK gleich. Die hierfür erforderliche besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist nicht erreicht (vgl. EuGH, U. v. 19.03.2019 Az. C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17). Wie bereits im Gerichtsbescheid vom 15.03.2021 ausführlich erörtert und gewürdigt, ist weder generell, noch im konkret-individuellen Fall des Klägers anzunehmen, dass in Griechenland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne dieser Vorschrift droht. Insoweit schließt sich das Gericht zahlreichen aktuellen Entscheidungen an, die das Vorliegen des Art. 3 EMRK in der Regel verneinen (vgl. z.B. VG Ansbach, U. v. 10.02.2021 Az. AN 17 K 18.50427; U. v. 14.01.2021 Az. AN 17 K 19.50797; VG München, B. v. 09.12.2020 Az. M 4 E 20.33162; zur Frage der grundsätzlichen Bedeutung vgl. BayVGH, B. v. 16.02.2021 Az. 21 ZB 20.32392). Daher folgt das Gericht auch der dem Gericht von Seiten des Klägers ausdrücklich zugetragenen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen nicht, dass derzeit keine Rücküberstellung anerkannter Schutzberechtigter nach Griechenland zulässig ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 21.01.2021 Az. 11 A 1564/20.A und Az. 11 A 2982/20.A).
Soweit sich der Kläger auf seine – im Rahmen der Bundesamtsanhörung und der mündlichen Verhandlung geäußerten – Erfahrungen in Griechenland bezieht, entspricht dies aus Sicht des erkennenden Einzelrichters der allgemein schwierigen (wirtschaftlichen) Lage, die zumindest grundsätzlich auch die einheimische Bevölkerung trifft. Es ist von dem gesunden, arbeitsfähigen und arbeitswilligen Kläger mit der zumutbaren Eigeninitiative zu erwarten, dass er sich im Falle einer Rückkehr selbst um seine Existenzsicherung in Griechenland kümmert und ihm dies als körperlich und geistig gesundem jungen Mann auch gelingen wird. Ihm können vorübergehend auch schwierige Verhältnisse zugemutet werden, zumal er in seiner Eigeninitiative nicht durch familiäre Zwänge oder Verpflichtungen eingeschränkt ist und sich damit vollständig der Erwirtschaftung seines Lebensunterhalts widmen kann. So kann ihm auch die Aufnahme einer – gegebenenfalls informellen – Tätigkeit zugemutet werden, mit der er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Ihm ist in der Anfangszeit auch eine Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft oder vorübergehend in informellen Strukturen zumutbar. Er kann sich zudem zur Unterstützung an Nichtregierungsorganisationen wenden. Dabei ist es auch zu erwarten, dass er sich nicht nur an die Nichtregierungsorganisationen im Flüchtlingscamp wendet, sondern sich gegebenenfalls auch um Unterstützung durch andere Organisationen bemüht. Besondere individuelle Umstände, die gerade im Falle des Klägers eine besondere Vulnerabilität begründen könnten, wurden vom Kläger nicht aufgezeigt. Es droht deshalb kein Verstoß gegen Art. 3 EMRK.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie stehen dieser Beurteilung ebenfalls nicht entgegen. Insoweit nimmt das Gericht auf die überzeugenden Ausführungen des VG Ansbach in seinem Urteil vom 10.02.2021 (a.a.O.) Bezug und schließt sich ihnen an:
„Speziell im Zusammenhang mit der Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 in Europa stellt sich die Lage in Griechenland wie folgt dar:
Griechenland verzeichnet bei etwa 10,7 Millionen Einwohnern laut den Zahlen der Johns-Hop-kins-Universität von Mitte Januar bislang 145.179 Infektionen und 5302 Tote. Das Land hat zum Schutz der Bevölkerung vor dem Corona-Virus seit mehreren Monaten einen Lockdown verhängt, der u.a. auch die Schließung von Geschäften mit sich brachte. Seit dem 18. Januar 2021 sind allerdings die Geschäfte wieder geöffnet (Redaktionsnetzwerk Deutschland, Artikel vom 18. Januar 2021, „Lockdown-Lockerung: Griechenland öffnet Geschäfte“, abrufbar unter https://www.rnd.de/themen/griechenland/). Nach Angaben des Vize-Regierungschefs Georgiadis sind derzeit die Hälfte der griechischen Intensivbetten belegt (Redaktionsnetzwerk Deutschland, Artikel vom 18. Januar 2021 a.a.O.).
In wirtschaftlicher Hinsicht führte das Corona-Virus und der staatliche angeordnete Lockdown zu einem Einbruch der griechischen Wirtschaft im dritten Quartal 2020 von 11,7%. Im wirtschaftlich bedeutsamen Tourismus-Sektor, der im Jahr 2019 noch ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes beigetragen hatte, gingen die Urlauberzahlen 2020 um 80% zurück. Im Jahr 2021 erwartet die Regierung statt eines Zuwachses beim Bruttoinlandsprodukt von 7,5% nur noch ein Plus von 4,8%. Um den Folgen des Coronabedingten Wirtschaftseinbruchs zu begegnen, stellte der griechische Staat im Jahr 2020 23,9 Milliarden Euro an Hilfen für die Wirtschaft zur Verfügung und plant diese im Jahr 2021 um weitere 7,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Trotz der hohen Schuldenquote von 209% des Bruttoinlandsproduktes ist die Finanzierung des griechischen Staates wegen eines Liquiditätspuffers von 30 Milliarden Euro derzeit nicht in Gefahr (Redaktionsnetzwerk Deutschland, Artikel vom 25. Dezember 2020, „Corona wirft Griechenland weit zurück“, abrufbar unter https://www.rnd.de/politik/corona-wirft-griechenland-weit-zuruck-HJYQGCXHSBGL5GKDIHFW4AOQIQ.html).
(…) Zwar ist nach den oben unter 2. b) bb) aufgeführten Erkenntnismitteln von einem wirtschaftlichen Einbruch insbesondere im Tourismussektor infolge der Corona-Pandemie in Griechenland auszugehen, was die Arbeitsmarktchancen für anerkannte zurückkehrende Schutzberechtigte mindert, da gerade die Tourismusbranche Einstiegsmöglichkeiten auch für gering Qualifizierte bietet. Allerdings wird für das Jahr 2021 immerhin noch mit einem, wenn auch nach unten korrigiertem Wachstum der griechischen Wirtschaft gerechnet, was darauf schließen lässt, dass nicht sämtliche Wirtschaftsbereiche derartige Einbußen aufweisen wie die Tourismusbranche. Der griechische Staat ist diesbezüglich auch nicht untätig geblieben, sondern hat für 2020 Wirtschaftshilfen von knapp 24 Milliarden Euro bereitgestellt – eine angesichts eines Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2020 von 183 Milliarden Euro (Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/Eu-ropa/DE/Staat/EU-Staaten/Griechenland.html) erhebliche Summe – und ist trotz der angespannten Haushaltslage weiter finanziell handlungsfähig.“
Dem Kläger steht auch kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren im Sinne dieser Vorschrift, denen die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine Verdichtung allgemeiner Gefahren zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung liegt im Fall des Klägers bei einer Rückführung nach Griechenland nicht vor. Da es hier an einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG fehlt, wäre die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise nur dann unbeachtlich, wenn der Ausländer ansonsten sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, B. v. 14.11.2007 Az. 10 B 47/07 m.w.N.), was hier nicht erkennbar ist. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vor. Vom Kläger wurden aber keine relevanten Erkrankungen nachvollziehbar belegt. Er ist ausweislich der eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 07.05.2021 gesund.
Dass sich die Familienangehörigen des Klägers in Deutschland aufhalten, steht einer Rückführung ebenfalls nicht entgegen. Insoweit kann auch auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid Bezug genommen werden, § 84 Abs. 4 VwGO (vgl. auch BayVGH, B. v. 03.02.2015 Az. 15 ZB 15.30038 m.w.N.).
Die Klage gegen Nr. 3 Sätze 1 bis 3 des Bescheids ist ebenfalls unbegründet. Das Bundesamt durfte eine schriftliche Abschiebungsandrohung erlassen, da die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG vorliegen. In dem Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer gemäß § 35 AsylG die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war (hier Griechenland). Die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt in Fällen des § 36 Abs. 1 AsylG grundsätzlich eine Woche.
Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1, 2 AufenthG i.V.m. § 75 Nr. 12 AufenthG begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).


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