Aktenzeichen Au 6 K 18.839
EMRK Art. 8
AufenthG § 4 Abs. 1 S. 1, § 50 Abs. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 5, § 53 Abs. 1, § 58 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 59 Abs. 5, § 66 Abs. 1, § 69 Abs. 1, Abs. 2
StGB § 64
BayVwVfG Art. 35 Abs. 1
Leitsatz
1 Einer schriftlichen Abschiebungsanordnung, die zwar zulässig, aber grundsätzlich nicht notwendig ist, kommt ausnahmsweise dann Regelungscharakter nach Art. 35 Abs. 1 BayVwVfG zu, wenn ihr keine Androhung vorausging, wenn erst mit der Abschiebungsanordnung der Zielstaat bestimmt wird oder wenn mit ihr im Zweifelsfall (zB beim Streit über den Zielstaat oder ein Abschiebungshindernis) die fortdauernde Notwendigkeit der Abschiebung aus den Gründen des § 58 Abs. 1 oder 2 AufenthG festgestellt wird. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2 Durch eine etwaige Duldung nach § 60a AufenthG wird nicht die Vollziehbarkeit der zu vollstreckenden Ausreisepflicht ausgesetzt, sondern nur die Durchführung der Zwangsmaßnahme, sodass der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig bleibt. (Rn. 48 – 49) (redaktioneller Leitsatz)
3 Da ein sich in Haft befindlicher Ausländer ohnehin keine Möglichkeit hat, innerhalb einer bestimmten Frist freiwillig auszureisen, begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn keine (zusätzliche) Abschiebungsandrohung, sondern eine Abschiebungsanordnung erlassen wird (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 2985). (Rn. 51 – 52) (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine Abschiebung ist nicht deshalb nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil sich die Ausländerbehörde in einem Vergleich dazu verpflichtet hat, dem Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen Duldungen zu erteilen. Aus einem solchen Vergleich kommt dem Ausländer kein Abschiebungsschutz mehr zu, wenn er die erforderlichen Voraussetzungen des Vergleichs nicht erfüllt hat. (Rn. 57 – 59) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 17. April 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verkürzung der Wirkungen der Abschiebung bzw. auf diesbezügliche erneute Bescheidung (§ 113 Abs. 5 VwGO).
I.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind ausschließlich die im streitgegenständlichen Bescheid enthaltene Abschiebungsanordnung aus der Haft heraus, die Abschiebungsandrohung im Falle der vorherigen Haftentlassung, die Befristung der Wirkungen der Abschiebung auf zwei Jahre sowie die Kostenentscheidung.
Beim streitgegenständlichen Bescheid vom 17. April 2018 handelt es sich indes nicht um einen Bescheid, mit dem der Kläger ausgewiesen wird. Insoweit beinhaltet er entgegen der Klagebegründung auch keine „Ausweisungsverfügung“. Der Kläger wurde vielmehr bereits durch den bestandskräftigen Bescheid vom 6. Februar 2015 ausgewiesen (vgl. oben). Die bestandskräftige Ausweisung des Klägers ist damit nicht Gegenstand dieses Verfahrens, sondern lediglich des vorangegangenen, abgeschlossenen Klageverfahrens im Jahr 2015. Angriffe gegen die aufenthaltsbeendende Maßnahme selbst, also die Ausweisung oder die Versagung eines Aufenthaltstitels als Grundverwaltungsakte, sind im Rahmen des – hier vorliegenden – Vollstreckungsverfahrens ausgeschlossen (vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 58 AufenthG Rn. 35). Insofern stellt sich die Frage der Rechtmäßigkeit der Ausweisung und der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis im vorliegenden Vollstreckungsverfahren nicht (mehr).
Ebenfalls nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid vom 8. November 2018, mit dem der Beklagte nach seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung das Einreise- und Aufenthaltsverbot anlässlich der Ausweisung von drei auf sechs Jahre erhöhte. Dieser Bescheid ist derzeit soweit ersichtlich mangels Zustellung noch nicht wirksam und erst recht nicht angefochten. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist insoweit lediglich die Befristung der Wirkungen der Abschiebung (nicht der Ausweisung) auf zwei Jahre.
II.
Ziffer 1 des Bescheids vom 17. April 2018 erweist sich als rechtmäßig.
1. Gegenstand der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 17. April 2018 ist die Ankündigung der Abschiebung nach § 59 Abs. 5 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG (Abschiebungsanordnung).
Eine schriftliche Abschiebungsanordnung ist zulässig, aber grundsätzlich nicht notwendig. Ihr kommt ausnahmsweise dann Regelungscharakter nach Art. 35 Abs. 1 BayVwVfG zu, wenn ihr keine Androhung vorausging, wenn erst mit der Abschiebungsanordnung der Zielstaat bestimmt wird oder wenn mit ihr im Zweifelsfall (z.B. beim Streit über den Zielstaat oder ein Abschiebungshindernis) die fortdauernde Notwendigkeit der Abschiebung aus den Gründen des § 58 Abs. 1 oder 2 AufenthG festgestellt wird (Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 58 AufenthG Rn. 31 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Zwar ist die Abschiebungsanordnung nicht schon nach den Spezialnormen des § 58a Abs. 1 AufenthG oder des § 34a AsylG notwendig. Indes wird im vorliegenden Fall durch die Abschiebungsanordnung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 17. April 2018 klargestellt, dass die Abschiebung des Klägers aufgrund der bestandskräftigen Ausweisung vom 6. Februar 2015 nun wegen der Nichterfüllung der Vergleichsbestimmungen durch den Kläger durchsetzbar geworden ist. Insoweit kommt ihr Regelungscharakter zu. Die Abschiebungsanordnung stellt eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung dar und muss dieselben Voraussetzungen erfüllen wie die Abschiebung selbst (BVerwG, B.v. 22.8.1986 – 1 C 34.83 – juris Rn. 4). Ein Ausländer ist nach § 58 Abs. 1 AufenthG dann abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt oder abgelaufen ist und die Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert oder die Ausreise überwachungsbedürftig ist. In § 58 AufenthG nicht genannt, aber ebenfalls vor einer Abschiebung zu fordern, ist grundsätzlich eine Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG, sofern diese im Einzelfall erforderlich ist. Zugleich sind in die Norm als ungeschriebene negative Tatbestandsmerkmale das Fehlen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG und von Abschiebungshindernissen nach § 60a AufenthG hineinzulesen (vgl. zum Ganzen Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 58 AufenthG Rn. 7; Stepan Hocks in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 58 AufenthG Rn. 7).
Im vorliegenden Verfahren sind sämtliche Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung erfüllt.
2. Der Kläger ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig.
Er verfügt weder über einen erforderlichen Aufenthaltstitel noch über ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei, da er bestandskräftig ausgewiesen ist. Mit der bestandskräftigen Ausweisung ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG sein Aufenthaltstitel erloschen. Ebenso wurde die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im hier nicht streitgegenständlichen, bestandskräftigen Bescheid vom 6. Februar 2015 abgelehnt. Mit der Ausweisung erlosch auch nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ein etwaiges Aufenthaltsrecht aus dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei, so dass es auch nicht (mehr) auf die Frage ankommt, ob der Kläger bis zum Jahr 2015 assoziationsberechtigt war (vgl. BVerwG, B.v. 22.5.2018 – 1 VR 3/18 u.a. – juris Rn. 13; EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08 – Ziebell – juris Rn. 86).
3. Die Ausreisepflicht ist nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auch vollziehbar.
Der Kläger wurde durch den bestandskräftigen Bescheid vom 6. Februar 2015 ausgewiesen und die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Hierdurch wurde der Kläger ausreisepflichtig (vgl. oben). Der Bescheid ist durch die Klagerücknahme am 5. August 2015 im Rahmen des Vergleichs bestandskräftig und nach Nichterfüllung der Ziffer II. des Vergleichs auch vollziehbar geworden. Durch eine etwaige Duldung nach § 60a AufenthG wird nicht die Vollziehbarkeit der zu vollstreckenden Ausreisepflicht ausgesetzt, sondern nur die Durchführung der Zwangsmaßnahme. Der Ausländer bleibt aber vollziehbar ausreisepflichtig (Stepan Hocks in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 58 AufenthG Rn. 7).
4. Die Setzung einer Ausreisefrist war nach § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG entbehrlich, da sich der Kläger in Strafhaft und damit auf richterliche Anordnung in Haft befindet.
5. Wegen der hier vor der Abschiebung als Realakt erlassenen Abschiebungsanordnung aus der Haft heraus ist eine (zusätzliche) Abschiebungsandrohung nicht erforderlich.
Da der sich in Haft befindliche Ausländer ohnehin keine Möglichkeit hat, innerhalb einer bestimmten Frist freiwillig auszureisen, begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn der Beklagte keine Abschiebungsandrohung, sondern eine Abschiebungsanordnung erlässt (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2018 – 10 CS 18.350, 10 C 18.351 – juris Rn. 22). Durch die Wochenfrist nach § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG wird auch im Rahmen einer Abschiebungsanordnung der mit einer Abschiebungsandrohung verfolgte Zweck, dem Ausländer Gelegenheit zu geben, seine persönlichen Angelegenheiten vor der Ausreise zu regeln, gewahrt. Im Übrigen wurde dem Kläger die Abschiebung schon im (nicht streitgegenständlichen) Bescheid vom 6. Februar 2015 angedroht.
6. Da wegen der Inhaftierung des Klägers die Überwachung seiner Ausreise nach § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG erforderlich ist, kommt es nach § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch nicht darauf an, ob die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht gesichert ist.
7. Es liegen auch weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote noch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse vor.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und dem Ausländer keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung des Klägers ist vorliegend weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich.
a) Insbesondere ist die Abschiebung nicht deshalb nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil sich der Beklagte im Vergleich vom 5. August 2015 verpflichtet hat, dem Kläger unter bestimmten Voraussetzungen Duldungen zu erteilen.
Der Kläger kann aus Ziffern II und III des Vergleichs vom 5. August 2015 keine Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf den 5. August 2017 oder die weitere Erteilung von Duldungen beanspruchen. Aus dem Vergleich vom 5. August 2015 kommt dem Kläger kein Abschiebungsschutz mehr zu, da er die erforderlichen Voraussetzungen nach Ziffer II des Vergleichs nicht erfüllt hat. Ausweislich Ziffer II Nr. 1 des Vergleichs vom 5. August 2015 war Voraussetzung der weiteren Duldung des Klägers und späteren Befristung der Wirkungen der Ausweisung, dass der Kläger bis zum 5. August 2017 nicht mehr wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, verurteilt wird.
Diese Voraussetzung der sog. „Bewährungsduldung“ hat der Kläger nicht erfüllt. Er ist vielmehr mit Urteil des Amtsgerichts … vom 10. April 2017 wegen einer vorsätzlichen Tat (besonders schwerer Fall des Diebstahls) unter Einbeziehung der bisherigen Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.
Mit der durch die Klagerücknahme bestandskräftig gewordenen Ausweisung vom 6. Februar 2015 wurde bereits darüber entschieden, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise die Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet überwiegt. Dies hat sich auch in der Folgezeit bestätigt, als der Kläger aus der Strafhaft entwich, während seiner Entweichung erneut vorsätzlich straffällig wurde und hierdurch gegen den gerichtlichen Vergleich verstieß. Der Vergleich diente dazu, in der Ausweisung liegende Härten dadurch abzumildern, dass dem Kläger eine letzte Chance gegeben wurde, sein Leben in geordnete Bahnen zu bringen. Darin ist er erneut gescheitert.
b) Eine Duldung kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil der Kläger vorträgt, er habe seit dem 29. Oktober 2018 eine gemeinsame Tochter mit seiner Partnerin.
Die Abschiebung des Klägers ist nicht rechtlich unmöglich. Von einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung ist insbesondere auszugehen, wenn Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK der Entfernung des Ausländers aus der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen (vgl. BayVGH, B.v. 22.7.2008 – 19 CE 08.781 – juris Rn. 24).
(1) Der Kläger hat schon nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass er Vater der Tochter seiner angeblichen Lebensgefährtin ist. Es obliegt dem bis vor kurzem anwaltlich vertretenen Kläger, die tatsächlichen Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG durch Vorlage entsprechender Belege und durch weiteren substantiierten Vortrag nachzuweisen. Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger keinen Nachweis darüber gebracht, dass er überhaupt eine Lebensgefährtin hat und dass seine „Lebensgefährtin“ tatsächlich ein gemeinsames Kind zur Welt gebracht hat. Eine genaue Schilderung der tatsächlichen Beziehungen und Abhängigkeiten ist indes unabdingbar (Marco Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60a AufenthG Rn. 16). Nachdem der Beklagte in der Klageerwiderung und das Gericht im Beschluss zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf die fehlenden Nachweise hingewiesen haben, wurde dem Kläger hierdurch die Notwenigkeit von Nachweisen auch deutlich vor Augen geführt. Der Kläger wäre zumindest gehalten gewesen, den Mutterpass o.ä. zum Nachweis der Schwangerschaft und/oder einen Auszug aus dem Geburtenregister zum Nachweis der Geburt vorzulegen. Da der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung in den letzten Monaten zwar wenig, aber immerhin vereinzelt telefonischen und gelegentlichen Briefkontakt hatte, ist nicht ersichtlich, weshalb der Kläger nicht rechtzeitig bei entsprechendem Willen derartige Unterlagen hätte beschaffen können. Der Kläger trägt darüber hinaus selbst vor, die Vaterschaft bisher nicht anerkannt zu haben, obgleich eine Vaterschaftsanerkennung nach § 1594 Abs. 4 BGB auch schon vorgeburtlich möglich gewesen wäre. Dem folgend gibt es auch keine gemeinsame Sorgerechtserklärung. Entgegen der Ausführungen des Klägers ist das Gericht auch davon überzeugt, dass der Kläger bei entsprechendem Willen die Vaterschaft hätte anerkennen lassen können. Eine Vaterschaftsanerkennung ist regelmäßig auch aus der Haft heraus und vorgeburtlich möglich. Dass der Kläger nach seinen Angaben keinen gültigen Reisepass hat, fällt demgegenüber in seinen Verantwortungsbereich; Hinderungsgründe an der Ausstellung eines neuen Reisepasses bzw. zumindest der Beschaffung von Passersatzpapieren sind bei entsprechender Mitwirkung des Klägers auch bei einer Inhaftierung nicht ersichtlich. Der Kläger ist demnach sicher nicht der rechtliche Vater der Tochter seiner Lebensgefährtin; ob er oder ein anderer Mann der leibliche Vater der Tochter seiner Lebensgefährtin ist, ist demgegenüber völlig offen und kann daher nicht zu Gunsten des Klägers angenommen werden. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung ist daher derzeit nicht ersichtlich.
(2) Selbst wenn jedoch – wie nicht – der Kläger Vater der Tochter seiner Lebensgefährtin ist, kommt eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung nicht in Betracht. Denn Art. 6 GG gewährt keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren, die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers zu Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist, und kann dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen Deutschlands nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Andernfalls sind dem im Bundesgebiet lebenden Familienmitglied grundsätzlich Anstrengungen zumutbar, die familiäre Lebensgemeinschaft durch Besuche oder nötigenfalls zur Gänze im Ausland herzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 10 CS 12.2679 – juris Rn. 33). Denn Art. 6 GG gewährleistet keinen grenzenlosen Schutz der familiären Lebensgemeinschaft. Vielmehr ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob es dem Ausländer zumutbar ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise zu unterbrechen. Dabei ist eine Interessenabwägung durchzuführen. Je intensiver der Schutzbereich der familiären Lebensgemeinschaft betroffen ist, desto stärker müssen die berechtigten öffentlichen Belange für eine Ausreise sein. Geschützt ist damit zunächst die Kernfamilie, d.h. die eheliche Lebensgemeinschaft und die familiäre Gemeinschaft mit minderjährigen Kindern als Beistandsgemeinschaft. Leben die Eltern eines Kindes getrennt, müssen Anhaltspunkte für das Bestehen einer über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden, tatsächlichen Verbundenheit vorliegen. Indizien stellen beispielsweise die regelmäßige Betreuung des Kindes, wobei vereinzelte Kontakte nicht genügen, sowie die tatsächliche Ausübung des Sorgerechts dar (BayVGH, B.v. 21.11.2016 – 10 CE 16.2047 – juris Rn. 4 ff.; Marco Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60a AufenthG Rn. 16; Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 60a AufenthG Rn. 24). Ohne Bestehen einer schutzwürdigen echten familiären Bindung entfaltet Art. 6 Abs. 1 GG keine Vorwirkungen (Kluth/Breidenbach, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.5.2018, § 60a AufenthG Rn. 18).
Nach diesen Maßstäben ist die Abschiebung des Klägers nicht rechtswidrig.
Maßgeblich ist im vorliegenden Fall, dass der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts … vom 10. September 2018 zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren verurteilt wurde und schon die letzte Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren sechs Monaten vollständig verbüßen musste. Aufgrund der (zweiten) langjährigen Haftstrafe hat der Kläger bisher keine familiäre Lebensgemeinschaft mit seinem Kind aufgebaut, eine Lebensgemeinschaft ist in absehbarer Zeit auch nicht möglich. Eine regelmäßige Betreuung des Kindes und die Übernahme elterlicher Verantwortung wären schon wegen der Inhaftierung des Klägers nicht absehbar. Ob der Kläger wie von ihm vorgetragen in Zukunft einen Platz in einer Entziehungsanstalt bekommen und deshalb von etwaigen Vollzugslockerungen profitieren wird, ist – insbesondere im Hinblick auf das ausländerrechtliche Verfahren – noch völlig offen. Die Übernahme substantieller elterlicher Verantwortung durch den Kläger ist daher weder derzeit noch in absehbarer Zeit ersichtlich. Zudem hat der Kläger nach seinen Angaben wegen seiner Verlegung in den letzten drei bis vier Monaten nur noch wenig Kontakt zur Kindsmutter, allenfalls stehen der Kläger und die Kindsmutter im seltenen telefonischen und im Briefkontakt. Auch der abnehmende Kontakt zur Kindsmutter lässt eine Übernahme gemeinsamer Verantwortung nicht erwarten. Darüber hinaus ist die Mutter des Kindes kosovarische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltserlaubnis, weswegen die Tochter entweder kosovarische und/oder türkische Staatsangehörige ist. Mangels deutscher Staatsangehörigkeit aller Beteiligter ist es dem Kläger, seiner Tochter und seiner Lebensgefährtin in derartigen Fällen auch zumutbar, die Lebensgemeinschaft zur Gänze im Ausland zu führen. Zusammenfassend ist im vorliegenden Fall der Schutzbereich des Art. 6 GG nicht schwerwiegend betroffen.
Demgegenüber sprechen ganz erhebliche öffentliche Belange für die Ausreise des Klägers. Erstens ist der Kläger wegen seiner Straftaten im April 2013 bestandskräftig ausgewiesen. Zweitens musste die (erste) Bewährung des Klägers im Oktober und November 2015 nach nur einem Monat wieder widerrufen werden, nachdem der Kläger erneut abgängig war und die Jugendhilfemaßnahmen deswegen beendet werden mussten. Drittens hat der Kläger einen Museumsbesuch in der Strafhaft zu seiner Entweichung genutzt und während seiner Entweichung einen besonders schweren Diebstahl begangen, indem er einen Pkw im Wert von ca. 47.000 EUR entwendete. Viertens hat der Kläger auch seine (zweite) Entlassung zur Bewährung nicht genutzt. Der Kläger wurde am 23. Januar 2018 aus der Haft entlassen und begann schon am 4. Februar 2018 die nächste Serie von Einbruchdiebstählen, wobei er sich hierfür zu einer Bande zusammenschloss. Der durch den Kläger verursachte Sach- und Beuteschaden ist erneut hoch. Fünftens ist der Kläger damit zweifacher Bewährungsversager und notorischer Wiederholungstäter mit einer erschreckend hohen Rückfallgeschwindigkeit. Auch die mehrfache und mehrjährige Vollzugserfahrung entfaltet keine abschreckende Wirkung und hält den Kläger nicht von weiteren Straftaten ab. Ebenso hat sich der Kläger weder durch seine Ausweisung noch durch das anschließende verwaltungsgerichtliche Verfahren, das mit einer vergleichsweisen „Bewährungsduldung“ endete, von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen, sodass selbst einschneidende ausländerrechtliche Maßnahmen und die drohende Aufenthaltsbeendigung bisher keinerlei Eindruck beim Kläger hinterlassen haben. Sechstens beging der Kläger die letzte Serie an Straftaten ausweislich der Feststellungen des Strafurteils und seines eigenen Vortrags, um seine psychische Kokainabhängigkeit zu finanzieren. Insofern hat sich auch sein Vortrag im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren des Jahres 2015, er habe nur ein einziges Mal THC konsumiert, was den auffälligen Drogentest in der Justizvollzugsanstalt erkläre, nach den Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts … vom 10. September 2018 und nach seinen jetzigen Einlassungen als unwahr erwiesen. Der Kläger ist zumindest psychisch betäubungsmittelabhängig und damit gegenwärtig und auf absehbare Zeit sozial gefährlich. Zusammenfassend besteht daher im Hinblick auf die wiederholte Rückfälligkeit des Klägers unter offener Bewährung, im Hinblick auf die Vollzugserfahrung und die bisherigen ausländerrechtlichen Maßnahmen, die sich als ihn von weiteren Straftaten nicht abschreckend erwiesen haben, und im Hinblick darauf, dass der Kläger betäubungsmittelabhängig ist, aber bisher keine Therapie auch nur begonnen, erst recht nicht erfolgreich abgeschlossen und sich nach Straf- und Therapieende nicht bewährt hat (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17,1386 – juris Rn. 10; B.v. 19.6.2017 – 10 ZB 17.732 – juris Rn. 11 m.w.N.), eine sehr hohe Rückfallgefahr. Des Weiteren hält sich der Kläger seit dem 2. August 2015 nicht mehr erlaubt, sondern lediglich geduldet und damit nicht rechtmäßig in der Bundesrepublik auf. Die berechtigten öffentlichen Belange an einer Ausreise des Klägers überwiegen die familiären Belange des Klägers an seinem Verbleib in der Bundesrepublik daher deutlich.
c) Die behauptete Beziehung zu seiner Lebensgefährtin und der sporadische Kontakt zu seiner Tante begründen ebenfalls nicht die rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung, da insoweit weder eine besonders geschützte Ehe vorliegt noch eine Eheschließung unmittelbar bevorsteht noch ersichtlich ist, dass ein Verwandter des Klägers auf dessen Unterstützung angewiesen wäre.
d) Die Abschiebung ist auch nicht deshalb nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, um dem Kläger nach zwischenzeitlich in der Strafhaft erfolgtem Abschluss seiner Ausbildung eine weitere wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet zu ermöglichen.
Wirtschaftliche Gründe führen regelmäßig nicht zu einer Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung. Zwar sind wirtschaftliche Belange des Ausländers regelmäßig im Rahmen einer Ausweisung in die Abwägung und Verhältnismäßigkeitsprüfung mit einzubestellen und regelmäßig auch bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels beachtlich (vgl. beispielsweise § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Indes kommt es hierauf nicht (mehr) an, da der insoweit maßgebliche Bescheid vom 6. Februar 2015 bereits bestandskräftig und der Kläger daher vollziehbar ausreisepflichtig ist. Eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zur weiteren wirtschaftlichen Integration kommt – außer im Rahmen einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 ff. AufenthG, der seine Verurteilungen nach § 60a Abs. 2 Satz 6 AufenthG aber entgegenstehen – regelmäßig nicht in Betracht. Denn der Umstand, dass ein wirtschaftlicher Neubeginn im Heimatstaat erforderlich ist, trifft grundsätzlich alle Rückkehrer gleichermaßen und ist daher im Regelfall nicht geeignet, die Ausreisepflicht zu suspendieren. Darauf, dass der Kläger inzwischen erfolgreich eine Ausbildung abgeschlossen hat, kommt es im Rahmen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht an.
e) Unerheblich ist auch, ob der Kläger über türkische Sprachkenntnisse verfügt und wie sich seine familiären Bindungen an die Türkei darstellen.
Die Sprachkenntnisse des Klägers und seine familiären Bindungen wurden bereits im bestandskräftigen Ausweisungsbescheid vom 6. Februar 2015 umfassend gewürdigt und waren auch bei Abschluss des gerichtlichen Vergleichs in Form der Bewährungsduldung bekannt. Insoweit steht diesem Vortrag damit die Bestandskraft des Bescheids vom 6. Februar 2015 entgegen. Im Übrigen steht nach den Einlassungen des Klägers vor Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 5. August 2015, in der er angab, er könne auf Türkisch schreiben und lesen und habe mit der Tante jedes Jahr Urlaub in der Türkei gemacht, sowie den Einlassungen seiner Tante, der Kläger könne Türkisch, nach Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger über ausreichende türkische Sprachkenntnisse verfügt, um sich in der Türkei zurechtzufinden.
f) Sonstige Duldungsgründe oder Abschiebungsverbote sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.
III.
Auch Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 17. April 2018 ist rechtmäßig.
Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ergibt sich aus § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Einwände gegen die einwöchige Ausreisefrist sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Hinblick darauf, dass sich der Kläger schon in der Haft auf die Ausreise vorbereiten und seine Angelegenheiten in der Bundesrepublik regeln kann, begegnet eine einwöchige Ausreisepflicht nach der Haftentlassung keinen rechtlichen Bedenken.
IV.
Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist ebenfalls rechtmäßig.
Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots steht dabei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Ermessen des Beklagten. Die Ermessensentscheidung des Beklagten ist mithin im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar. Die gerichtliche Prüfungsdichte bemisst sich nach der Regelung des § 114 VwGO, was im Wesentlichen zur Folge hat, dass die Entscheidung lediglich daraufhin zu überprüfen ist, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, ob in diese Ermessensentscheidung alle maßgeblichen und keine unzulässigen Erwägungen Eingang gefunden haben und ob einzelne Belange entgegen ihrer objektiven Wertigkeit in die Abwägung eingestellt worden sind.
Im vorliegenden Verfahren erfolgte keine Festsetzung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots aufgrund der Ausweisung (insoweit besteht bereits ein bestandskräftiges dreijähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot, dessen Verlängerung hier nicht streitgegenständlich ist), sondern eine Einreise- und Aufenthaltssperre für den Fall einer Abschiebung des Klägers (vgl. § 11 Abs. 1 AufenthG). Die Befristung der Wirkungen der Abschiebung auf zwei Jahre hat neben dem (längeren) Einreise- und Aufenthaltsverbots aufgrund der Ausweisung eine eigenständige Bedeutung, denn unionsrechtlich wirkt ein Einreiseverbot wegen einer Abschiebung nach der Rückführungsrichtlinie zwingend in allen Anwenderstaaten, wohingegen Sperrwirkungen der Ausweisung lediglich im Einzelfall über eine SIS-Ausschreibung auch in anderen Mitgliedstaaten zu Tragen kommen (Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 11 AufenthG Rn. 61).
Die vom Beklagten angestellten Ermessenserwägungen sind rechtlich im Rahmen des durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Prüfungsrahmens nicht zu beanstanden. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn der Beklagte die Wirkungen der Abschiebung auf zwei Jahre befristet, um anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass eine erzwungene Ausreise zu Sanktionen führt. Des Weiteren hat der Beklagte ermessensfehlerfrei gewürdigt, dass der vollziehbar ausreisepflichtige Kläger über keine schützenswerten persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstige Bindungen im Bundesgebiet verfügt. Insbesondere seine Vaterschaft hat er bislang nicht substantiiert dargelegt (vgl. oben).
V.
Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Für den streitgegenständlichen Bescheid wurden keine Kosten erhoben, sodass es schon an einer belastenden Regelung fehlt. Die Pflicht zur Tragung der Ausreisekosten folgt aus § 66 Abs. 1 AufenthG.
VI.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.