Verwaltungsrecht

rechtsmissbräuchliche Stellung des Asylfolgeantrags

Aktenzeichen  B 8 E 19.30011

Datum:
7.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21875
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AsylG § 71 Abs. 1
VwVfG § 51 Abs. 1, 2, 3

 

Leitsatz

1 Gegen die Ablehnung eines Folgeantrages ist im Klageverfahren die Anfechtungsklage statthaft, sodass vorläufiger Rechtsschutz gegen eine drohende Abschiebungsmaßnahme wegen § 123 Abs. 5 VwGO in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren ist. Der Antrag richtet sich dabei auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Folgeantrages. Der Hilfskonstruktion eines gegen die Mitteilung gem. § 71 Abs. 5 S. 2 VwGO gerichteten Antrages nach § 123 VwGO bedarf es nicht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil sich aus einer Gesamtschau aller Umstände ergibt, dass die Antragstellung beim Bundesamt aus rein verfahrenstaktischen Gründen, die über das einem Rechtsanwalt zuzugestehende Vorgehen im Interesse seines Mandanten hinausgehen, am Tag der Abschiebung erfolgte, um die Abschiebung auf der Grundlage der Ablehnung des Erstantrages zu verhindern. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Antragsteller.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, der Antragsgegnerin aufzugeben, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde die bereits ergangenen Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG zu widerrufen, bzw. – falls eine solche noch nicht erfolgt ist, es vorläufig zu unterlassen, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde eine Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG vorzunehmen, dass der Antragsteller nicht abgeschoben werden darf.
Der Antragsteller, ein Tadschike, ist afghanischer Staatsangehöriger. Der Antragsteller verließ Afghanistan bereits 2009 und hielt sich zunächst in Griechenland auf. 2013 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte bereits am …12.2013 unter dem BAMF-Az: … einen Asylantrag. Im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) zu seinem Asylerstantrag am 14.10.2016 gab der Antragsteller an, Muslim der schiitischen Glaubensrichtung zu sein. Auf die Frage nach seinem Verfolgungsschicksal erklärte er, sein Bruder sei entführt worden. Er wisse nicht mehr, wann das passiert sei. Auch wer die Täter gewesen seien, könne er nicht sagen. Vielleicht sei er entführt worden, weil die Familie Schiiten seien. Es wäre schlecht für ihn, wenn er nach Afghanistan zurück müsse, weil Schiiten in Afghanistan große Probleme hätten und die Polizei nichts unternehme, wenn Schiiten von Sunniten bedroht würden.
Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.11.2016 abgelehnt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde am 15.09.2017 durch Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth rechtskräftig abgelehnt, nachdem zur mündlichen Verhandlung am 01.09.2017 trotz ordnungsgemäßer Ladung unter Hinweis gemäß § 102 Abs. 2 VwGO weder der Antragsteller noch sein Bevollmächtigter erschienen war. Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht.
Seinen Antrag auf länderübergreifende Umverteilung nach R. zu seiner Familie am …10.2014 begründete der Antragsteller u.a. damit, dass er in der Gemeinschaftsunterkunft, in der er zum damaligen Zeitpunkt lebte, große Probleme mit Andersgläubigen gehabt habe, da er der christlichen Gemeinschaft angehöre und es dadurch oft zu Streitigkeiten gekommen sei (Bl. 133 d. Behördenakte zu B 6 AR 19.5).
Seit dem 01.05.2017 war der Antragsteller unbekannten Aufenthaltes, da er sich trotz weiter bestehender Zuweisung zur Dezentralen Unterkunft für Asylbewerber, …W., nicht mehr in der Unterkunft aufhielt. Am 19.11.2018 erschien der Antragsteller bei der Zentralen Ausländerbehörde. Seit 20.11.2018 befindet sich der Antragsteller in Haft zur Sicherung der Abschiebung. Im Rahmen der Anhörung zur Abschiebehaft gab der Antragsteller an, dass er zunächst nach Italien ausgereist sei, dann nach Deutschland zurückgekehrt sei, weil seine Mutter krank sei. Er sei seit 2013 Christ und befürchte daher eine Gefahr für sich in Afghanistan (Bl. 331 der Behördenakte zu B 6 AR 19.5).
Seine jetzige Bevollmächtigte mandatierte der Antragsteller am 12.12.2018 (Bl. 240 der Behördenakte).
Am 07.01.2019 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag).
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 07.01.2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht am selben Tage, ließ der Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, gegenüber der für die Abschiebung zuständigen Zentralen Ausländerbehörde die bereits ergangene Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG zu widerrufen, bzw. – falls eine solche noch nicht erfolgt ist, es vorläufig zu unterlassen, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde eine Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG vorzunehmen.
Zur Begründung führte der Antragsteller aus, dass er am heutigen Tage einen Folgeantrag gestellt habe. Er befinde sich in Abschiebehaft und solle vermutlich am heutigen Abend nach Kabul abgeschoben werden.
Er habe sich 2013 in Griechenland taufen lassen, nachdem er bereits nach seiner Ankunft den Wunsch verspürte, das Christentum besser kennen zu lernen, was vor allem darauf zurückzuführen gewesen sei, dass er den Islam schon seit längerer Zeit abgelehnt habe. Er habe den Islam als menschenfeindlich empfunden und wollte die damit verbundenen schlechten Erfahrungen hinter sich lassen. Etwa 2012 habe er regelmäßig Kontakt zur Kirche gesucht und habe sich schließlich am 22.07.2013 in A. taufen lassen. Ab Juli 2016 habe er regelmäßig die evangelisch-lutherische Pfarrgemeinde … in G. besucht und dort als aktives Mitglied der Kirche teilgenommen (Anlagen 2 und 3 der Antragsbegründung). Diese Gemeinde habe er ausgewählt, da er sich bei seiner Familie in R. aufgehalten habe und diese regelmäßig besucht habe. Im Herbst 2017 habe er schließlich regelmäßig den Gottesdienst in der evangelisch-lutherischen … … in H. besucht (Anlage 4 der Antragsbegründung). Der Antragsteller lehne den Islam inzwischen vollkommen ab. Gegenüber seinem Bruder und seiner Freundin habe er geäußert, dass er nicht mehr an den Islam glaube. Er habe schlecht über Muslime gesprochen und darüber mit Freunden und Familie diskutiert. So kritisiere er beispielsweise das Fasten und dessen Gefährlichkeit und habe geäußert, dass der Islam eine Lüge sei. Der Antragsteller habe die Konversion im Erstverfahren nicht erwähnt, da er eine solche Entscheidung für eine Privatangelegenheit gehalten habe. Ihm sei auch nicht bewusst gewesen, dass dies relevant für sein Asylverfahren sein könnte, da diese Entwicklung erst in Europa und nicht in Afghanistan erfolgt sei. Er habe sich außerdem zunächst nicht getraut, diese nach außen zu tragen, da er weiterhin mit muslimischen Bekannten in Kontakt gestanden sei.
Sowohl seine Eltern als auch seine Brüder seien bereits seit einigen Jahren in Deutschland, nachdem sie gemeinsam 2009 Afghanistan verlassen haben. Der Antragsteller habe keinerlei familiäre Unterstützung oder sonstige Kontakte mehr in Afghanistan, da er dieses bereits vor zehn Jahren verlassen habe.
Mit Bescheid vom 07.01.2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 07.01.2019 um 19:13 Uhr, lehnte die Beklagte den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1 des Bescheids). Der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 09.11.2016 (Az: …*) bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) wurde abgelehnt (Ziffer 2 des Bescheids). Hinsichtlich der Begründung des Bescheides wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf diesen verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten verwiesen und auf die Gerichts- und Behördenakten in den Verfahren B 1 S 17.30024, B 6 K 17.30025 sowie B 6 E 19.3 und B 6 AR 19.5 Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffende Begründung des Bescheides des Bundesamtes vom 07.01.2019 verwiesen; sie wird zum Gegenstand der Begründung dieses Bescheides gemacht (§§ 122, 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend sind folgende Ausführungen veranlasst.
1. Der Antrag ist bereits nicht zulässig, insbesondere ist er nicht statthaft.
1.1. Gegen die Ablehnung der Durchführung eines Folgeantrags ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sachgerecht. Gegen die Ablehnung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AsylG ist ein Antrag nach § 123 VwGO der korrekte Rechtsbehelf.
Denn gegen die Ablehnung eines Folgeantrages ist im Klageverfahren die Anfechtungsklage statthaft, so dass vorläufiger Rechtsschutz gegen eine drohende Abschiebungsmaßnahme wegen § 123 Abs. 5 VwGO in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren ist. Der Antrag richtet sich dabei auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Folgeantrages. Der Hilfskonstruktion eines gegen die Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 VwGO gerichteten Antrages nach § 123 VwGO bedarf es nicht (VG München, B.v. 10.05.2017 – M 2 S 17.38234 – juris Rn. 13).
Soweit der Antrag vom 07.01.2019 ausschließlich eine Mitteilung der Antragsgegnerin nach § 71 Abs. 5 AsylG thematisiert, geht er deshalb am Streitgegenstand vorbei.
Eine entsprechende Auslegung des Antrags verbietet sich angesichts seines eindeutigen Wortlauts und allemal bei anwaltlicher Vertretung.
1.2 Für den Antrag fehlt es überdies an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil der Asylfolgeantrag rechtsmissbräuchlich gestellt wurde.
Das Rechtsschutzbedürfnis ist allerdings nicht bereits allein deshalb mit der Begründung zu verneinen, der Antragsteller habe die Eilbedürftigkeit selbst herbeigeführt, indem er erst am Tag der Abschiebung um 13.23 Uhr beim Verwaltungsgericht Bayreuth einen Antrag gemäß § 123 VwGO gestellt hat (BVerfG, Kammerbeschluss v. 08.11.2017 – 2 BvR 809/17 – NVwZ 2018, 254/254, Rn. 6).
Das Rechtsschutzbedürfnis (auch für das Gerichtsverfahren) fehlt jedoch deshalb, weil sich aus einer Gesamtschau aller Umstände ergibt, dass die Antragstellung beim Bundesamt aus rein verfahrenstaktischen Gründen, die über das einem Rechtsanwalt zuzugestehende Vorgehen im Interesse seines Mandanten hinausgehen, am heutigen Tag der Abschiebung erfolgte, um die Abschiebung auf der Grundlage der Ablehnung des Erstantrages zu verhindern.
Ausweislich der Ausländerakte (Bl. 133 der Behördenakte zu B 6 AR 19.5) wandte sich der Antragsteller mit Schriftsatz vom 28.10.2014 gegen eine Umverteilung mit der Begründung, er gehöre der christlichen Glaubensgemeinschaft an. Auch im Rahmen der Anhörung zur Abschiebehaft erklärte er am 20.11.2018, dass er seit 2013 Christ sei.
Nachdem das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 15.09.2017 die Klage abgelehnt hatte, wurde die Ablehnung des Asylerstantrages am 12.03.2018 unanfechtbar. Der Antragsteller war bereits nach der Ablehnung seines Antrags im einstweiligen Rechtsschutz (Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 16.01.2017) gegen die Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet, ausreisepflichtig. Bereits ab diesen Zeitpunkten hätte er erneut einen Asylantrag stellen können (BVerfG, a.a.O. Rn. 5). Stattdessen wartete er. Auch seine Abschiebehaft (seit dem 20.11.2018) bewog ihn nicht dazu, einen Folgeantrag zu stellen. Spätestens dann musste ihm klar sein, dass ihm die zwangsweise Rückkehr nach Afghanistan unmittelbar drohte und er sie nur mit einem Eilantrag gegen die Abschiebung oder einen (erfolgreichen) Antrag auf Durchführung eines weiteren Verfahrens würde beseitigen können. Statt nunmehr gerichtlichen Rechtsschutz gegenüber dem Träger der Ausländerbehörde in Anspruch zu nehmen oder einen Folgeantrag zu stellen, wartete er trotz doppelter anwaltschaftlicher Vertretung im Abschiebehaftverfahren und Stellung eines aufenthaltsrechtlichen Eilantrags ohne erkennbaren Grund bis zum Tag der Abschiebung mit der Folgeantragstellung.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt, allerspätestens zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung seiner jetzigen Prozessvertreterin am 12.12.2018, hätte solches nahegelegen.
Im Widerspruch dazu hatte er im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt am 14.10.2016 allerdings noch erklärt, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan große Probleme wegen seiner Religionszugehörigkeit zu den Schiiten drohten. Zu seiner mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 31.08.2017 erschien er ohne Entschuldigung erst gar nicht.
Dieses Vorgehen ist auch unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit im ausländer- und asylrechtlichen Verfahren nicht mehr von Art. 19 Abs. 4 GG gedeckt. Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes verlangt die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens durch wirksame gerichtliche Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu ermöglichen (BVerfG, a.a.O. Rn. 3). Effektiver Rechtsschutz setzt allerdings voraus, dass der Rechtsschutzsuchende im Sinn einer ihm möglichen rechtzeitigen Antragstellung bei der Behörde mitwirkt, um rechtzeitig eine gerichtlich überprüfbare Behördenentscheidung zu erhalten. Rechtsschutz wird missbräuchlich in Anspruch genommen, wenn durch die Art und Weise der Inanspruchnahme von Verfahrensrechten wie dem Stellen eines Folgeantrages primär die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen verhindert werden soll. Dieser Rechtsgedanke hat im Übrigen auch in § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylG seinen Niederschlag gefunden. Danach kann ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden, wenn der Asylantrag nur gestellt wurde, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl der Ausländer zuvor ausreichend Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen.
2. Selbst wenn statthafte und ansonsten zulässige Anträge gestellt worden wären, hätten diese keinen Erfolg.
2.1 Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage anordnen, wenn die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht insbesondere eine summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten der Hauptsache und bei offenen Erfolgsaussichten das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids abzuwägen. Bei der Ablehnung eines Folgeantrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist der Streitgegenstand auf die vom Bundesamt bis dahin nur geprüfte Zulässigkeit des Asylantrags beschränkt (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris, Rn. 19 ff.)
Die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes im Bescheid vom heutigen Tag begegnet nach gerichtlicher Einschätzung in diesem Eilverfahren keinen rechtlichen Bedenken (§ 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG), weil sich die dem Bescheid des Bundesamtes im Erstverfahren zugrunde liegende Sach- und Rechtslage allen Anhaltspunkten nach nicht nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert hat (§ 71 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AsylG). Gemäß § 71 Abs. 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG vorliegen. Dies setzt voraus, dass sich entweder die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder aber Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG).
Der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG); er muss binnen drei Monaten beginnend mit dem Tag gestellt werden, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
Die Sachlage hat sich geändert, wenn sich die das persönliche Schicksal des Antragstellers bestimmenden Umstände oder die allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen so verändert haben, dass eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung möglich erscheint (Schönenbroicher/Dickten in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 01.05.2018, § 71 AsylG Rn. 19).
Der Kläger stützt seinen Folgeantrag im Wesentlichen auf seine Konversion zum Christentum. Diese hätte er bereits im Erstverfahren vortragen können und müssen. Der Kläger war seinen eigenen Angaben zufolge bereits zum Zeitpunkt seiner Anhörung zu seinem Asylerstantrag am 14.10.2016 christlich getauft. Es kann bei dem stets anwaltlich vertretenen Antragsteller nicht davon ausgegangen werden, dass er ohne grobes Verschulden außer Stande gewesen ist, diesen Grund für das Wiederaufgreifen geltend zu machen. Die maßgebliche Frist von drei Monaten ist längst abgelaufen.
Soweit die Prozessbevollmächtigte einen Wiederaufgreifensgrund damit begründen möchte, dass die Zuwendung des Antragstellers zum christlichen Glauben in der Zwischenzeit eine andere Qualität angenommen habe (vgl. BVerwG, U.v. 13.5.1993 – 9 C 49/92 – BVerwGE 92, 278; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, 96. Aktualisierung Juni 2016, § 71 AsylG, Rn. 40 ff., 46 ff.; Funke-Kaiser, GK, AsylG, Band 3, Stand Mai 2015, § 71, Rn. 142 und 226), hat sie dazu nichts dargelegt. Dem Antrag vom 07.01.2018 ist nicht zu entnehmen, in welcher Weise sich gerade in den letzten drei Monaten ein entsprechender Qualitätsumschwung ergeben haben soll.
Unbilligkeiten aufgrund des Umstandes, dass bei sich prozesshaft entwickelnden dauerhaften Sachverhalten der Zeitpunkt, zu welchen ein Qualitätssprung stattfindet bzw. der Zeitpunkt, zu welchem der Sachverhalt Asylerheblichkeit erreicht, nur schwer feststellbar ist, ließen sich zwar in aller Regel dadurch vermeiden, dass für die Gewährung von nachrangigem Abschiebungsschutz ein Wiederaufgreifen bei Versäumung auch nach Ermessen möglich ist, doch auch hierzu fehlen jegliche Anhaltspunkte.
Soweit im Antrag vom 07.01.2019 angegeben ist, der Antragsteller habe ab Juli 2016 regelmäßig die evangelisch-lutherische Pfarrgemeinde … in G. besucht (vgl. Anlagen 2 und 3), so spricht dies eher gegen einen Qualitätsumschwung in der letzten Zeit. Gleiches gilt hinsichtlich des Besuchs der evangelisch-lutherischen … seit 05.11.2017 (Anlage 4 der Antragsbegründung). Den eidesstattlichen Versicherungen seines Bruders, …, vom 06.01.2018 (Anlage 5 der Antragsbegründung) und … (Anlage 6 der Antragsbegründung) können ebenso wenig Anhaltspunkte für einen solchen Qualitätsumschwung entnommen werden.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass im Antrag vom 07.01.2018 keine neue Sachlage dargetan ist, die der Antragsteller nicht bereits in seinem Asylverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2016 hätte vortragen können und müssen.
Eine identitätsprägende christliche Überzeugung kann den Unterlagen darüber hinaus nicht entnommen werden.
Die Darstellungen in den eidesstattlichen Versicherungen (Anlagen 5 und 6 der Antragsbegründung) beschränken sich auf eine Kritik des Antragstellers am Islam. Eine identitätsprägende christliche Überzeugung kann dem nicht entnommen werden.
Hinsichtlich der vorgelegten Bescheinigung der Taufe am 22.07.2013 durch die „…“ fällt darüber hinaus auf, dass der Antragsteller nicht die Nähe oder Unterstützung seiner ihn taufenden baptistischen Kirche suchte, sondern die evangelisch-lutherische Kirche besuchte. Auffällig ist zudem, dass ein kirchlicher Kontakt in seinem Wohnbereich in Oberfranken fehlt. Ein solcher wäre allerdings bei einer ernstzunehmenden Glaubensüberzeugung zu erwarten. Einen Hinweis auf eine tief sitzende religiöse baptistische Glaubensüberzeugung, die für eine Befolgung einer gefahrträchtigen religiösen Praxis in Afghanistan für den Antragsteller zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (BVerwG, B.v. 25.08.2015 – 1B 40/15 m.w.N.), lässt sich diesen äußeren Umständen nicht entnehmen. Darüber hinaus verstärken seine Angaben im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt am 14.10.2016, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan große Probleme wegen seiner Religionszugehörigkeit zu den Schiiten drohten, sowie der Zeitpunkt der Berufung auf den christlichen Glauben erst mit dem heutigen Tag, die Annahme, dass eine solche ernstliche Glaubensüberzeugung nicht vorliegt.
2.2 Auch ein korrekter statthafter Antrag nach § 123 VwGO auf § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AsylG bliebe ohne Erfolg (s.o.).
Was die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote angeht, läge zwar der für einen Antrag gemäß § 123 VwGO erforderliche Anordnungsgrund vor. Der Antragsteller hätte jedoch keine Tatsachen glaubhaft gemacht, nach denen bei ihm die Voraussetzungen der Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben (ebenso: BayVGH, B.v. 04.08.2017 – 13a ZB 17.30791; zu folgendem ausführlich: VGH BW, U.v. 11.04.2018 – A 11 S 924/17; U.v. 11.04.2018 – A 11 S 1729/17, – jeweils mit Würdigung Stahlmann, Gutachten Afghanistan vom 28.03.2018, Gz.: 7 K 1757/16.WI.A; VGH BW, U.v. 09.11.2017 – A 11 S 789/17). Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Abschiebung nach Afghanistan verstößt nicht gegen Art. 3 EMRK. Hiervon werden nur besondere Ausnahmefälle erfasst, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen; der Fall, dass bei einer Rückführung die Lage des Ausländers einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, ist an sich nicht ausreichend (vgl.: BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12, m.w.N.). Dies bedeutet, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 3 EMRK ist auf den gesamten Abschiebezielstaat abzustellen. Strikt von dieser mit hohen Hürden verbundenen rechtlichen Frage zu trennen ist die politisch-humanitäre Leitentscheidung des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vgl.: BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12), etwa ob das gesellschaftliche System Afghanistans durch Rückkehrer (zumutbar) belastet wird bzw. ob durch die Rückkehrer eine weitere Destabilisierung des Landes erfolgt. Über diese Fragen zu entscheiden ist die oberste Landesbehörde, nicht aber das Gericht, das an das bestehende Recht gebunden ist, berufen.
Afghanische Rückkehrer teilen mit Millionen ihrer Landsleute Lebensbedingungen, die bis hin zum Überlebenskampf führen können (vgl.: Stahlmann, Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff – allerdings fußt dieser Artikel zum Teil auch auf mittlerweile wohl überholtem und teilweise nicht nachprüfbarem Datenmaterial bzw. erschöpft sich stellenweise in bloßen Behauptungen), die in der bundesdeutschen Sozialstaatswirklichkeit keine Entsprechung finden. Art. 3 EMRK verpflichtet die gebundenen Staaten jedoch gerade nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12, m.w.N.). Insofern wird auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12.04.2018 (BayVGH, B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris) und das Urteil des VGH Mannheim vom 11.04.2018 (VGH BW, U.v. 11.04.2018 – A 11 S 924/17 – juris), das in Ansehung der Erwägungen im Gutachten von Stahlmann vom 28.03.2018 ergangen ist, denen sich das Gericht anschließt, hingewiesen.
Aufgrund des klägerischen Vortrags ist die Schwelle für eine Verletzung der Werte des Art. 3 EMRK jedenfalls nicht erreicht. Allein das Erwähnen einer fehlenden Existenzgrundlage wegen eines vorgeblich fehlenden familiären und sozialen Netzwerkes begründet kein Abschiebungsverbot, denn es ist nach oben Dargelegtem davon auszugehen, dass es einem jungen, gesunden, arbeitsfähigen Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen wie dem Antragsteller auch ohne familiäres Netzwerk möglich ist, bei einer Rückkehr nach Afghanistan in einer Großstadt ein, wenn auch bescheidenes Auskommen zu finden, sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren und allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
Die Wahrscheinlichkeit, Opfer der Auseinandersetzungen zu werden, bleibt in den einzelnen Provinzen deutlich unter der Schwelle des Art. 3 EMRK.
2.3 Eine erneute Androhung der Abschiebung war nach § 71 Abs. 6 Satz 1 AsylG nicht erforderlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b Abs. 1 AsylG).
Diese Entscheidung ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben