Verwaltungsrecht

Rechtswegverweisung bei Strafverfolgungsmaßnahmen der Polizei

Aktenzeichen  M 7 K 15.2738

Datum:
12.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 40 Abs. 1
GVG GVG § 17 a
StPO StPO § 98 Abs. 2 S. 2, § 163

 

Leitsatz

Tenor

I.
Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II.
Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht München verwiesen.
III.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Art und Weise seiner Verfolgung durch die Polizei im Zusammenhang mit von ihm begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten und einer Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315 c StGB), welche mit seiner vorläufigen Festnahme endete.
Ihm lag zur Last, am … 2012 gegen 15:45 Uhr mit einem sog. Rennbuggy zunächst den Altstadt-Tunnel in München mit einer Geschwindigkeit von 115 km/h befahren und damit die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 65 km/h überschritten zu haben. Um sich einer polizeilichen Kontrolle aus diesem Anlass zu entziehen, fuhr der Kläger unvermittelt wieder los und raste mit Geschwindigkeiten von teilweise ca. 120 km/h und unter Begehung schwerer Verkehrsverstöße durch die Innenstadt, zum Teil auf Gehwegen. Erst nach einer längeren Verfolgung konnte ihn die Polizei festnehmen.
Am 23. Februar 2015 erhob er Klage zum Verwaltungsgericht (M 7 K 15.681) mit dem Antrag, festzustellen, dass ihm das rechtliche Gehör nach Art. 103 GG zustehe, dass das Amtsgericht nun eine Entscheidung fällen müsse und dass dessen Beschluss vom 12. März 2013 keine Rechtskraft habe, ferner, dass der Schusswaffengebrauch nach Polizeiaufgabengesetz rechtswidrig gewesen sei. Das Verfahren wurde – soweit sich der Kläger gegen Entscheidungen des Amtsgerichts München betreffend seine Fahrerlaubnis wendet – mit gerichtlichem Beschluss vom 8. Juli 2015 abgetrennt (M 7 K 15.2820) und an das Landgericht München I verwiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 2015 (10 CS 15.1620) verworfen. Soweit es um die angebliche Verwendung der Schusswaffe durch die Polizei ging, hat das Gericht den klägerischen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Über die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde (10 … 15….) ist noch nicht entschieden.
In seiner Stellungnahme vom 23. März 2015 erklärte POK Z…, der an der Verfolgung und anschließenden Fahndung nach dem Kläger beteiligt war und ihn vorläufig festnahm, der Kläger habe sich mit seinem Fahrzeug nach diversen massiven Verkehrsverstößen allen polizeilichen Anhalteversuchen entzogen und auf seiner Flucht weitere erhebliche Verkehrsverstöße auch mit Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer begangen. Es habe der dringende Verdacht der Straßenverkehrsgefährdung bestanden. Der Kläger sei nachfolgend auch wegen der Verkehrsdelikte verurteilt worden.
Am 2. Juli 2015 erhob der Kläger die weitere, streitgegenständliche Klage mit dem Antrag,
festzustellen, dass die „Polizeiaktion“ unverhältnismäßig gewesen sei und die Polizeibeamten dadurch fahrlässig das Leben von vielen Menschen aufs Spiel gesetzt hätten.
Dazu führte er aus, dass sich die Polizei mit ihm am … 2012 eine filmreife Verfolgungsjagd durch ganz München geliefert und dabei unbeteiligte Personen erheblich gefährdet habe. Sie habe nur der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit gedient. Durch das vehemente Bedrängen des Fluchtfahrzeugs sei es zu gefährlichen Situationen gekommen. Die Polizei habe ihn zu Rotlichtverstößen gedrängt und hätte die Verfolgung spätestens nach dem dritten Rotlichtverstoß einstellen müssen. Bei dem gejagten Auto habe es sich um ein sehr schnelles Fahrzeug gehandelt; das Einholen wäre nur durch einen Unfall möglich gewesen. Diesen hätten die Beamten billigend in Kauf genommen. Nachdem das Kennzeichen bekannt gewesen sei, wäre eine Großfahndung samt Hubschraubereinsatz ein milderes Mittel gewesen. Da es sich nicht um ein Verbrechen gehandelt habe, habe keine Gefahr in Verzug bestanden. Die Klage bezwecke, die Wiederholung einer derartigen Aktion bzw. amerikanische Verhältnisse zu verhindern und den rechtlichen Rahmen der Schutzleute abzustecken. Gleichzeitig beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 7. Juli 2015 wurden die Beteiligten zu einer Verweisung des Rechtsstreits an die ordentliche Gerichtsbarkeit angehört. Der Kläger äußerte sich nicht. Mit Schreiben vom 17. Juli 2015 erklärte sich der Beklagte mit einer Verweisung einverstanden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie die im Klageverfahren M 7 K 15.681 vom Beklagten vorgelegten Stellungnahmen von POK Z. vom 21. Oktober 2012 und 23. März 2015 und die Klageerwiderung vom 7. April 2015 verwiesen.
II.
Der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist nicht eröffnet, da eine abdrängende Sonderzuweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit besteht. Damit ist der Rechtsstreit nach § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen (zu der streitigen Frage, ob die Bindungswirkung gem. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG auch innerhalb des Rechtswegs besteht, in den verwiesen worden ist: (bejahend) OLG Karlsruhe, B. v. 18. April 2013 – 2 VAs 2/13, 2 VAs 9 – 11/13, 2 VAs 9/13, 2 VAs 10/13, 2 VAs 11/13 – juris Rn. 10, Kissel/Meyer, GVG, 8. Aufl., § 17 GVG Rn. 43 a.E.; (verneinend) OLG Hamburg, B. v. 25. Juni 2014 – 2 VAs 9/14, 2 VAs 9/14 – 6 OBL 6/14 – juris Rn. 11 m. w. N.).
Nach zweckentsprechender Auslegung seines Klageantrages gem. § 88 VwGO begehrt der Kläger die gerichtliche Feststellung, dass die polizeilichen Verfolgungsmaßnahmen am … 2012 rechtswidrig waren. Bei Maßnahmen der Polizei ist für die Frage des Rechtswegs entscheidend, in welcher Funktion die Polizei im konkreten Fall tätig geworden ist. Sind die streitgegenständlichen Maßnahmen zum Zwecke der Strafverfolgung (repressiv) erfolgt, hat die Polizei funktional als Justizbehörde im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG gehandelt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl. 2015, § 23 EGGVG Rn. 2). Rechtsschutz gegen sie ist – auch soweit es um die Feststellung der Rechtswidrigkeit geht – im Zivilrechtsweg zu suchen, entweder gem. §§ 23, 28 Abs. 1 Satz 4, § 25 Abs. 1 EGGVG beim Oberlandesgericht oder entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO beim Amtsgericht (vgl. OLG Karlsruhe, B. v. 18. April 2013 – 2 VAs 2/13 u. a. – juris Rn. 7 m. w. N.; grundlegend BGHSt, B. v. 7. Dezember 1998 – 5 AR (VS) 2/98 – juris Rn. 22 ff.; Menges in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 98 Rn. 50, 53, 55 m. w. N.; Meyer-Goßner, a. a. O., § 98 Rn. 23; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, Art. 12 POG Rn. 147 ff.; Frister in Lisken/Deninnger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, L Rn. 206 ff.; offen gelassen von BayVGH, B. v. 29. September 2014 – 10 C 12.1609 – juris Rn. 10, 12 u. B. v. 10. Dezember 2015 – 5 C 15.2518 – juris Rn. 3). Wird die Polizei zur Gefahrenabwehr (präventiv) tätig, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (vgl. § 12 Abs. 1 POG).
Im Hinblick auf die nachfolgende Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Kläger und seine strafgerichtliche Verurteilung ist davon auszugehen, dass die Polizei, wie sie in ihrer Stellungnahme geltend gemacht hat, repressiv tätig war. Grundlage des polizeilichen Handelns waren §§ 163, 163 b StPO ggf. i. V. m. § 53 OWiG. Die Polizei hat den Kläger zum Zwecke der Verfolgung einer Straftat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 StGB verfolgt und gestellt. Zunächst wollten ihn die handelnden Polizeibeamten wegen des dringenden Verdachts eines Geschwindigkeitsverstoßes anhalten. Da er der Halteanordnung nicht nachgekommen ist, haben sie in der Folge versucht, diese mittels unmittelbaren Zwangs durchzusetzen (vgl. § 49 Abs. 3 Nr. 1, § 36 Abs. 1 StVO i. V. m. § 53 OWiG, 163 b StPO). Spätestens während der Verfolgungsfahrt hat der Kläger die Straßenverkehrsgefährdung begangen, wegen der er verurteilt worden ist, und damit eine Straftat. Nach § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO haben die Behörden und Beamten des Polizeidienstes, die Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, auch von sich aus strafbare Handlungen zu erforschen, sobald sie hiervon erfahren, und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Dabei sind sie nach § 127 StPO auch zur vorläufigen Festnahme und nach § 163 b Abs. 1 StPO zu den erforderlichen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung befugt.
Es besteht eine vorrangige (§ 23 Abs. 3 EGGVG) abdrängende Sonderzuweisung zum Amtsgericht nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog, da es sich bei dem streitgegenständlichen polizeilichen Handeln um erledigte Zwangsmaßnahmen der Polizei als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft während bzw. im unmittelbaren Vorfeld eines Ermittlungsverfahrens handelt (vgl. BayVGH, B. v. 17. August 2015 – 10 C 15.996 – juris Rn. 3; OLG Hamburg, B. v. 2 VAs 9/14 u. a. – juris Rn. 6 m. w. N.; OLG BB, B. v. 6. März 2013 – 11 W 40/12 – juris Rn. 4 m. w. N.; HessVGH, B. v. 9. November 2007 – 8 TP 2192/07 – juris Rn. 4). Wegen der größeren Sachnähe des Rechtswegs wird § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend auch in Fällen angewandt, in denen die Ermittlungsbehörden wie hier aufgrund originärer Zuständigkeit tätig waren (Menges in Löwe-Rosenberg, a. a. O., § 98 Rn. 50 m. w. N.; anders wohl Schmidbauer in Schmidbauer /Steiner, PAG/POG, 4. Aufl. 2014, Art. 12 POG Rn. 147 ff.).
Für die Entscheidung örtlich zuständiges Gericht ist gem. § 98 Abs. 2 Satz 3, § 162 StPO, Art. 5 Nr. 47 GerOrgG das Amtsgericht München.
Daher war gem. § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG festzustellen, dass der beschrittene Verwaltungsrechtsweg unzulässig ist, und der Rechtsstreit nach erfolgter Anhörung an das Amtsgericht zu verweisen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da die Kosten des Rechtsstreits nach § 17 b Abs. 2 GVG als Teil der Kosten behandelt werden, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wird.


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