Verwaltungsrecht

Rechtswidrige Abschiebungsanordnung

Aktenzeichen  M 11 K 14.30857

Datum:
5.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 26a, § 31 Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Ist die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat nicht möglich, kommt ungeachtet der Einreise aus einem sicheren Drittstaat die Vorschrift des § 31 Abs. 4 AsylG nicht zum Zuge mit der Folge, dass nicht nach dem reduzierten, sondern gemäß § 31 Abs. 2 und 3 AsylG nach dem „gewöhnlichen Entscheidungsprogramm“ über das Asylbegehren zu befinden ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen wurde.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 3. Juli 2014 wird aufgehoben.
II.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 1/4, die Beklagte 3/4.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg, soweit sie aufrechterhalten wurde.
Das Gericht kann entscheiden, obwohl kein Vertreter der Beklagten zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Die Beteiligten wurden unter Hinweis auf diese Möglichkeit ordnungsgemäß geladen (vgl. § 102 Abs. 1 VwGO).
Das Verfahren ist einzustellen, soweit die Klage ursprünglich einen weiter gehenden Streitgegenstand hatte. Mit der in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Beschränkung des (zunächst schriftsätzlich erweiterten) Klageantrags auf die bereits bei Klageerhebung beantragte Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 3. Juli 2014 wurde gleichzeitig eine teilweise Klagerücknahme erklärt, nämlich eine Rücknahme des auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung nationaler Abschiebungsverbote bezogen auf Italien gerichteten Antrags. Die Verfahrenseinstellung und Kostenentscheidung muss insoweit nicht gesondert durch Beschluss erfolgen. Vielmehr kann darüber gemeinsam im Urteil über den anhängig gebliebenen Streitgegenstand entschieden werden (vgl. BVerwG, U. v. 06.02.1963 – V C 24/61 -, NJW 1963, 923 = DVBl 1963, 522).
Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, ist sie zulässig und begründet.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Asylgesetz – AsylG). Insbesondere kommen das AsylG und das AufenthG in den durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 390), das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern sowie zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 394) und das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl I, S. 1939) geänderten Fassungen zur Anwendung.
Die Klage ist begründet, weil der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die in Nummer 2 des Bescheids vom 3. Juli 2014 getroffene Abschiebungsanordnung ist aus den bereits im Beschluss des Gerichts vom 5. August 2014 (Az.: M 11 S 14.30588), dort insbesondere auf Seite 5 des Entscheidungsumdrucks genannten Gründen, auf die Bezug genommen wird, rechtswidrig.
Aber auch im Übrigen, d. h. hinsichtlich der in Nummer 1 verfügten Feststellung, dass dem Kläger in Deutschland kein Asylrecht zusteht, ist der Bescheid vom 3. Juli 2014 rechtswidrig. Diese Feststellung auf der Grundlage von § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylG und § 26a AsylG kommt in Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat tatsächlich nicht möglich ist, ungeachtet der Einreise aus einem sicheren Drittstaat nicht in Betracht mit der Folge, dass nicht nach dem reduzierten, sondern gemäß § 31 Abs. 2 und 3 AsylG nach dem „gewöhnlichen Entscheidungsprogramm“ über das Asylbegehren zu befinden ist (vgl. VG Berlin, U. v. 10.03.2016 – 23 K 80.15 A -, juris Rn. 23 m. w. N.). Im vorliegenden Fall ist die Abschiebungsanordnung rechtswidrig, eine Abschiebung in den sicheren Drittstaat ist nicht möglich, siehe oben. In einem solchen Fall ist dann aber notwendigerweise auch die Feststellung auf der Grundlage von § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylG rechtswidrig. Denn zwischen der Ablehnung des Asylantrags, die – wie hier – allein auf die Einreise aus einem sicheren Drittstaat im Sinn des § 26a AsylG gestützt wird, und der Anordnung der Abschiebung in diesen Staat besteht ein untrennbarer Zusammenhang (vgl. BayVGH, B. v. 05.10.2015 – 21 ZB 15.30178 -, juris Rn. 4 m. w. N.). Daher ist auch die Feststellung in der Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben mit der Folge, dass die Beklagte das Asylbegehren des Klägers inhaltlich (immer noch) zu prüfen hat. Das gilt jedenfalls im Hinblick darauf, ob dem Kläger gemäß § 3 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist oder nicht. Daran ändert der unstrittig in Italien zuerkannte subsidiäre Schutzstatus des Klägers nichts, da bei einem wie hier vor dem 20. Juli 2015 gestellten Asylantrag die Frage der Flüchtlingseigenschaft nach den Maßgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 23.10.2015 – 1 B 41/15 -, juris Rn. 11) noch „offen“ ist, wenn die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wurde, was beim Kläger in Bezug auf das in Italien durchlaufene Asylverfahren ebenfalls unstreitig ist.
Nach alledem ist der Klage, soweit sie aufrechterhalten wurde, stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i. V. m. § 155 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO. Soweit das Verfahren eingestellt wurde, ist die Entscheidung unanfechtbar (entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO), im Übrigen gilt folgende


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